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Gemeinsame Rundverfügung des Generalstaatsanwalts und des Polizeipräsidenten des Landes Brandenburg für die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizeivollzugsdienst und über die Anwendung des vereinfachten Verfahrens bei der Strafverfolgung minderschwerer Delikte durch das Kriminalkommissariat „Zentrale Anzeigenbearbeitung“ (ZENTRAB)
Gemeinsame Rundverfügung des Generalstaatsanwalts und des Polizeipräsidenten des Landes Brandenburg für die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizeivollzugsdienst und über die Anwendung des vereinfachten Verfahrens bei der Strafverfolgung minderschwerer Delikte durch das Kriminalkommissariat „Zentrale Anzeigenbearbeitung“ (ZENTRAB)
vom 13. März 2013
(JMBl/13, [Nr. 5], S.46)
in der Fassung vom 13. März 2013 (JMBl. S. 46)
I. Allgemeine Grundsätze
1. Grundlagen der Zusammenarbeit
Staatsanwaltschaft und Polizei wirken im Interesse einer effektiven Bekämpfung der Kriminalität eng und vertrauensvoll zusammen. Grundlage der Zusammenarbeit im Bereich der einfachen und mittleren Kriminalität bildet die Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz und für Europaangelegenheiten vom 24.08.2000 (JMBl. S. 114) in der Fassung vom 28.11.2002 (JMBl. 2003 S. 2) zur „Beschleunigten Erledigung von Strafverfahren im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität; Täter-Opfer-Ausgleich“ (Im Nachfolgenden „AV des MdJ“).
2. Grundsätze und Ermittlungsstandards
Die Umsetzung der in der Anlage aufgeführten verbindlichen Grundsätze und Ermittlungsstandards als Ergebnis des stetigen Erfahrungs- und Meinungsaustauschs zwischen der Staatsanwaltschaft und der Polizei dient einer effizienten Zuordnung bereitgestellter polizeilicher Ermittlungsressourcen mit dem Ziel, Ermittlungshandlungen der Polizei so weit zu beschränken, wie dies die Erhebung aller für die Strafverfolgung notwendigen tatsächlichen Feststellung zulässt.
II. ZENTRAB
1. Ziel von ZENTRAB
1.1
Die Einführung von ZENTRAB im Polizeipräsidium des Landes Brandenburg soll eine weitere Verfahrensstraffung in der Bearbeitung von minderschweren Delikten durch eine ablauforganisatorische Zuständigkeitskonzentration innerhalb der Polizei bewirken. Die weitere Harmonisierung in der Umsetzung des vereinfachten Verfahrens durch ZENTRAB hilft die erforderlichen deliktsbezogenen Ermittlungshandlungen zu bestimmen und die Ermittlungskapazitäten der Kriminalpolizei auf die schwerer wiegenden Kriminalfälle zu konzentrieren.
1.2
Die phänomenbezogene Deliktzuständigkeit der Kriminalkommissariate in den Inspektionen (KKI) wird durch die Zuständigkeit von ZENTRAB nicht berührt. Indem der einzelvorgangsbezogene Datenerfassungs-, Datenerhebungs- und Verwaltungsaufwand auf ZENTRAB verlagert wird, sollen die freiwerdenden Ermittlungskapazitäten des KKI verstärkt auf die personalintensive Herausarbeitung von Tatzusammenhängen zur Aufklärung von Serienstraftaten eingesetzt werden. Das KKI greift bei seiner serienbezogenen Aufklärungsarbeit stetig auf die einzelvorgangsbezogenen Arbeitsergebnisse der ZENTRAB zurück. Die hierfür unter kriminalistischen Gesichtspunkten notwendige hohe Datenqualität ist in ZENTRAB durch die Verwendung von Sachbearbeitern sicherzustellen, die über mehrjährige kriminalpolizeiliche Erfahrung in verschiedenen Deliktsfeldern der allgemeinen Kriminalität verfügen.
2. Ermittlungstätigkeit
2.1
Die Struktur der ZENTRAB orientiert sich an den Regelungen der AV des MdJ zu Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit im vereinfachten Verfahren nach Buchstabe D II 2 und setzt die AV in standardisierter Form um; eine Bearbeitung von Verfahren gegen jugendliche Straftäter/rinnen sowie von Jugendschutzsachen i. S. d. § 26 Abs. 1 GVG findet in ZENTRAB nicht statt.
2.2
ZENTRAB gliedert sich in ZENTRAB I und II. Kennzeichnend für ZENTRAB I ist die standardisierte und arbeitsteilige Bearbeitung von Ermittlungsvorgängen im Bereich der einfachen Straftaten und solcher ohne erkennbare einzelvorgangsbezogene Ermittlungsansätze. Durch ZENTRAB II werden die übrigen Delikte der minderschweren Kriminalität erfasst, soweit eine durchzuführende Vernehmung in Ergänzung der Ermittlungstätigkeit von ZENTRAB I gefordert ist, es jedoch nicht geboten wäre, das Ausmaß normaler Ermittlungen zu erreichen.
3. Zuständigkeit ZENTRAB I
3.1
In ZENTRAB I werden grundsätzlich alle Straftaten der geringfügigen Kriminalität – insbesondere Privatklagedelikte – sowie Vorgänge bearbeitet, bei denen entweder kein Ermittlungsansatz vorliegt, oder sich Ermittlungsansätze erst durch den Abgleich des polizeilichen Datenbestandes (DAD-Datei/AFIS-Datei/SCHARS-Datei) mit gesicherten biologischen, daktyloskopischen oder trassologischen Spuren ergeben könnten, soweit keine Außenermittlungen, Vernehmungen oder sonstigen strafprozessualen Maßnahmen mit Ausnahme der Maßnahmen nach den §§ 81b und 81g StPO erforderlich sind.
3.2
Im ZENTRAB I werden keine Anzeigen bearbeitet, sofern nach Ansicht der Ermittlungsbeamten/-innen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Tat eine fremdenfeindliche, antisemitische oder extremistische Motivation zu Grunde liegen könnte oder wenn mehr als zwei tatverdächtige Personen gemeinschaftlich gehandelt haben. ZENTRAB I bearbeitet keine Fälle häuslicher Gewalt.
3.3
Über die unter Buchstabe D Ziffer II. 1a) der AV des MdJ beispielhaft erfasste Deliktsaufzählung hinaus umfasst die Zuständigkeit von ZENTRAB I u. a. auch – versuchsweise – Straftaten nach:
- § 147 StGB (nur Verfahren gegen Unbekannt)
- § 240 StGB und
- §§ 242, 243 StGB, zu denen keine einzelvorgangsbezogenen Ermittlungsansätze erkennbar sind (UJs), soweit es sich nicht um Diebstahl besonders hochwertiger Sachen ab einem Wert von 10.000 Euro, um Baumaschinen oder landwirtschaftliche Geräte handeln sollte.
4. Zuständigkeit ZENTRAB II
Das durch ZENTRAB I in Kombination mit ZENTRAB II sichergestellte Spektrum an Ermittlungstätigkeiten liegt weiterhin unterhalb des Ausmaßes normaler Ermittlungen. Die Durchführung von Vernehmungen ermöglicht jedoch spezifischere Ermittlungen und den persönlichen Kontakt zwischen Polizei und Bürger. Daher werden in ZENTRAB I/II auch Anzeigen bearbeitet, die Straftaten von strafunmündigen Kindern und im Einzelfall gefährliche Körperverletzungen ohne schwerwiegende Folgen zum Gegenstand haben. Darüber hinaus erbringt ZENTRAB II Ermittlungstätigkeiten auf Basis staatsanwaltschaftlicher oder kriminalpolizeilicher Ersuchen zu konkreten Vernehmungsaufträgen.
III. Zusammenarbeit im Ermittlungsverfahren
1. Ermittlungsaufträge an die Polizei
Ermittlungsaufträge sind konkret zu fassen (Ziffer 11 Nr. 1 RiStBV) sowie auf das nach den Umständen des Einzelfalls erforderliche Maß zu beschränken. Eine wiederholte Zusendung von Anhörbögen oder Vorladungen zur Vernehmung von Beschuldigten oder Zeugen ohne vorheriges Anschreiben durch die Staatsanwaltschaft hat nur dann zu erfolgen, wenn konkrete Anhaltspunkte gegen die Annahme sprechen, dass der erstmalig zugesandte Anhörbogen oder die erstmalige Vorladung dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten zugegangen ist.
2. Ermittlungen der Polizei
2.1
Eilbedürftige Ermittlungen sind unabhängig von der anschließenden kriminalpolizeilichen Bearbeitung unverzüglich durchzuführen. Sind Fahndungsmaßnahmen ergriffen oder veranlasst worden, sind die entsprechenden Vordrucke in den Vorgang aufzunehmen bzw. ein Hinweis im Abschlussbericht zu tätigen. Anzeigensachen, die nach Ansicht der Polizei keine Straftaten darstellen oder aus anderen Gründen nicht mehr verfolgbar sind, werden mit einer kurzen Begründung ohne weitere Ermittlungshandlungen an die Staatsanwaltschaft übersandt.
2.2
ZENTRAB-Verfahren sind durch die Polizei mit einem Stempel auf dem Aktendeckel entsprechend kenntlich zu machen. Sie leitet in der Regel ZENTRAB-Verfahren mit tatverdächtigen Personen acht Wochen nach Eingang der Anzeige oder Einleitung des Verfahrens von Amts wegen an die zuständige Staatsanwaltschaft zur Entscheidung weiter. Im Übrigen sind die Verfahren spätestens nach drei Monaten vorzulegen.
2.3
In Verfahren wegen geringfügiger Straftaten oder in Fällen des unentschuldigten Fernbleibens von einem Vernehmungstermin in Verfahren wegen minderschwerer Delikte kann die Polizei zur Beschleunigung des Verfahrens – versuchsweise – zu übersichtlichen Fragekomplexen eine telefonische Zeugenvernehmung durchführen. Das Vernehmungsprotokoll ist dem Zeugen zur Unterschrift zu übersenden. Dem Protokoll ist folgender Text voranzustellen:
„Der Zeuge/Die Zeugin wurde vor der telefonisch durchgeführten Vernehmung am … um … über sein/ihr Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) und Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) belehrt. Weiter wurde er/sie darüber belehrt, dass er/sie sich der Gefahr einer Bestrafung wegen Begünstigung (§ 257 StGB) oder Strafvereitelung (§ 258 StGB) aussetzt, wenn er/sie im Ermittlungsverfahren absichtlich die Unwahrheit sagt, um der oder dem Beschuldigten die Vorteile der Tat zu sichern oder seine Bestrafung ganz oder teilweise zu vereiteln.
Er/Sie äußerte sich daraufhin wie folgt:“.
Sollte das Protokoll drei Wochen nach Versendung durch die Polizei nicht wieder eingegangen sein, fertigt die Ermittlungsperson anhand des Protokollentwurfs einen entsprechenden Ermittlungsvermerk zum geführten Telefongespräch. Die Staatsanwaltschaft entscheidet über die Notwendigkeit einer polizeilichen Vorladung zur Zeugenvernehmung.
2.4
Der Vorgangsübersendung an die Staatsanwaltschaft ist im Fall von vorhandenen Asservaten und/oder Spurenträgern ein entsprechendes Entscheidungsformular beizugeben. Die Staatsanwaltschaft entscheidet unverzüglich über die weitere Nutzung/Verwahrung des Asservats/Spurenträgers. Sofern keine Entscheidung ergangen ist, übersendet die Polizei drei Monate nach Abverfügung des Vorgangs das Asservat bzw. den Spurenträger an die Staatsanwaltschaft.
2.5
Zu Verkehrsstraftaten, die bei ZENTRAB I in Bearbeitung sind, wird die Polizei im Anwendungsbereich des § 406e bzw. des § 475 StPO zur Aktenauskunft an bevollmächtigte Rechtsanwälte zu folgenden Daten ermächtigt:
- Name
- Anschrift
- amtl. Kfz-Kennzeichen
- ggf. Versicherungsgesellschaft weiterer Unfallbeteiligter
- Blatt 1 – 3 der Verkehrsunfallanzeige
Im Anschreiben zur Übersendung der Daten ist folgende Textpassage einzustellen:
„Sie werden darauf hingewiesen, dass mit Übermittlung der Verkehrsunfallanzeige keine Stellungnahme zur Frage der Unfallursache und des Verschuldens Beteiligter verbunden ist. Personenbezogene Daten dürfen nur zu dem Zweck verwendet werden, für den die Auskunft gewährt wurde.“
2.6
Die Polizei klärt bei geeigneten Fällen im Bereich der minderschweren Kriminalität die bis zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft feststellbaren Bestrebungen des Tatverdächtigen zur Schadenswiedergutmachung (Täter-Opfer-Ausgleich – TOA). Tatverdächtige und Geschädigte der verfahrensgegenständlichen Straftat sind über die Möglichkeit zum TOA aufzuklären und nach deren Bereitschaft zur Durchführung dieses Verfahrens zu befragen. Die Zustimmung oder Verweigerung zur Durchführung eines TOA ist aktenkundig zu machen.
IV. Inkrafttreten
Diese Rundverfügung tritt sofort in Kraft. Die Regelung zu Ziffer II.3.3 ist – bezogen auf Verfahren wegen des Vorwurfs des Diebstahls nach §§ 242, 243 StGB – zum Zwecke der Erprobung bis zum 28. Februar 2014 befristet.
Dr. Rautenberg Feuring