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Verwaltungsvorschriften über Praxislernen (VV-Praxislernen)
Verwaltungsvorschriften über Praxislernen (VV-Praxislernen)
vom 1. November 2004
(Abl. MBJS/04, [Nr. 15], S.540)
Außer Kraft getreten am 1. Januar 2009 durch Zeitablauf vom 1. November 2004
(Abl. MBJS/04, [Nr. 15], S.540)
Auf Grund des § 20 Abs. 4 der Sekundarstufe I - Verordnung vom 18. Dezember 2003 (GVBl. 2004 II S. 2) bestimmt der Minister für Bildung, Jugend und Sport:
1 - Grundsätze und Ziele
(1) Durch Praxislernen als Form des Unterrichts gemäß § 20 Abs. 4 Sekundarstufe I- Verordnung sollen die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten,
- die im Unterricht erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten durch eigene Erfahrungs- und Lebensbezüge zu erweitern und zu vertiefen,
- phasenweise selbstständig produktiv-geistig und produktiv-praktisch zu arbeiten,
- ein grundlegendes Verständnis für technische, ökonomische, ökologische und soziale Vorgänge, Strukturen und betriebliche Arbeit zu erlangen,
- Orientierungs- und Handlungsfähigkeit im Bereich der Berufswahlorientierung zu erlangen und das berufliche Selbstkonzept zu entwickeln und
- sich auf den Übergang in weiterführende Bildungs- oder Ausbildungssysteme vorzubereiten.
(2) Praxislernen findet insbesondere außerhalb des Lernorts Schule in Betrieben und Einrichtungen statt. In Betracht kommen Industrie-, Handwerks-, Handels-, Verkehrs-, Landwirtschafts-, Dienstleistungs- und Versorgungsbetriebe sowie öffentliche und soziale Einrichtungen (Praxislernorte).
(3) Am Praxislernen nehmen grundsätzlich alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse oder Lerngruppe teil. Schülerinnen und Schüler, die aus wichtigen pädagogischen oder anderen wichtigen Gründen am Praxislernen nicht teilnehmen, besuchen in der Regel den Unterricht in einer anderen Klasse oder Lerngruppe. Ist dies nicht sinnvoll möglich, können unterrichtsbezogene Aufgaben gestellt werden, die in geeigneter Weise zu kontrollieren sind.
(4) Durch das Praxislernen wird kein Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis begründet. Die Schülerinnen und Schüler haben keinen Anspruch auf einen bestimmten Praxislernort. Die Schülerinnen und Schüler dürfen nicht als Ersatz für andere Arbeitskräfte eingesetzt werden. Eine Vergütung der Tätigkeit im Rahmen des Praxislernens darf durch den Betrieb oder die Einrichtung nicht gewährt werden. Die Durchführung der verschiedenen Formen des Praxislernens gemäß Nummer 2 Abs. 1 dient nicht vordergründig der Eignungsfeststellung für einen bestimmten Beruf.
2 - Organisation und Durchführung
(1) Praxislernen kann in den weiterführenden allgemein bildenden Schulen, den Förderschulen, die den Bildungsgang der Sekundarstufe I umfassen, und in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 der Allgemeinen Förderschule in allen Fächern und Lernbereichen der jeweiligen Stundentafel durchgeführt werden. Praxislernen wird in Verantwortung der Schule organisiert. Das Schülerbetriebspraktikum gemäß Nummer 8 sowie Angebote des Praxislernens ab der Jahrgangsstufe 9 an der Allgemeinen Förderschule sind für die Schülerinnen und Schüler obligatorisch. Über die darüber hinausgehende Einführung des Praxislernens entscheidet die Konferenz der Lehrkräfte nach Anhörung der Schulkonferenz. Die Schulkonferenz kann die Einführung von Praxislernen in der Schule anregen. Bei der Organisation und Durchführung des Praxislernens ist die personelle Kontinuität und die besondere Belastung der Lehrkräfte, insbeso ndere bei der Betreuung der Schülerinnen und Schüler am Praxislernort und für die Organisation und Durchführung des Praxislernens durch die Schulleitung zu berücksichtigen. Das staatliche Schulamt unterstützt die Schule bei der Organisation des Praxislernens.
Grundlagen für die Durchführung des Praxislernens sind die Rahmenlehrpläne sowie andere geeignete curriculare Materialien. Für das Praxislernen sind insbesondere die Potentiale des Faches Wirtschaft-Arbeit-Technik (W-A-T) zu nutzen.
(2) Die für den Pflicht- und Wahlpflichtunterricht vorgesehenen Unterrichtsstunden für ein oder mehrere Fächer oder Lernbereiche können für das Praxislernen
- an einem oder mehreren regelmäßig stattfindenden Praxistagen oder
- in einem oder mehreren Unterrichtsblöcken
verwendet werden. Kombinationen aus Praxistagen und Unterrichtsblöcken sind möglich. Praxislernen kann fächerverbindend unterrichtet werden.
(3) Bei der Einrichtung von Praxistagen kann die Wochenstundentafel so aufgebaut werden, dass die Unterrichtsstunden für das Praxislernen an einem oder zwei Unterrichtstagen liegen. Auch andere regelmäßige zeitliche Wechsel sind möglich. Für Praxislernen im Unterrichtsblock werden Unterrichtsstunden in den Fächern oder Lernbereichen des Praxislernens nicht wöchentlich erteilt, sondern gesammelt und an mehreren aufeinanderfolgenden Unterrichtssagen oder -wochen im Block unterrichtet. Der in der Zeit des Praxislernens nicht erteilte Unterricht in anderen Fächern oder Lernbereichen wird auf die Unterrichtszeit vor und nach dem Unterrichtsblock verlagert. Insgesamt muss im Schuljahr die Anzahl der Unterrichtsstunden für die Fächer und Lernbereiche der Wochenstundentafel erreicht werden.
(4) Die weiterführenden allgemein bildenden Schulen können für die Organisation des Praxislernens die Möglichkeiten der Schwerpunktbildung gemäß § 19 Absatz 5 bis 7 der Sekundarstufe I-Verordnung nutzen.
(5) Die Durchführung des Praxislernens wird zwischen Schule und Praxislernort schriftlich vereinbart (Anlage). In der Vereinbarung ist eine Lehrkraft der Schule und ein Vertreter des Praxislernortes als Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner zu benennen.
3 - Aufsicht
(1) Die Aufsichtspflicht über die Schülerinnen und Schüler obliegt während des Praxislernens gemäß VV-Aufsicht der Schule. Sie informiert die Eltern gemäß Nr. 3 Abs. 5 VV-Aufsicht. Die Schule kann Vertreter des Praxislernortes mit der Wahrnehmung der Aufsicht während des Praxislernens beauftragen. Die Beauftragung hat schriftlich zu erfolgen.
(2) Die Ansprechpartnerinnen und die Ansprechpartner der Schule und des Praxislernortes sowie gegebenenfalls die mit der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht beauftragte Vertreterin oder der Vertreter des Praxislernortes stehen in regelmäßigem Kontakt und informieren sich gegenseitig über den Ablauf des Praxislernens sowie über auftretende Probleme und Entwicklungen.
(3) Durch den Praxislernort ist zu gewährleisten, dass die Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes sowie die Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Die Schülerinnen und Schüler sind zu Beginn des Praxislernens über die Betriebsordnung, die Arbeitsschutzbestimmungen und die sonstigen sicherheitsrelevanten Regelungen zu belehren. Falls erforderlich sind die jährlichen Belehrungen nach § 43 Abs. 4 Infektionsschutzgesetz durchzuführen. Der Nachweis über die Durchführung aller Belehrungen ist schriftlich festzuhalten.
(4) Den Schülerinnen und Schülern ist das Führen von Kraftfahrzeugen jeglicher Art im Rahmen ihrer Tätigkeit am Praxislernort verboten.
4 - Auswahl der Praxislernorte
(1) Praxislernen soll in Praxislernorten gemäß Nummer 1 Abs. 2 stattfinden.
(2) Die Praxislernorte sind frühzeitig in Abstimmung mit der für Arbeitsschutz zuständigen Behörde auszuwählen und von der Schulleitung zu bestätigen. Praxislernorte, in denen Ausbildungsverhältnisse in Ausbildungsberufen begründet werden oder in denen Praxislernen bereits erfolgreich durchgeführt wurde, bedürfen keiner neuen Bestätigung durch die für Arbeitsschutz zuständige Behörde.
5 - Aufgaben der Lehrkräfte
(1) Die Lehrkräfte haben insbesondere
- die Abstimmung, Umsetzung und Überprüfung konkreter Lern- und Arbeitsaufgaben zu organisieren und
- die Schülerinnen und Schüler sowie die Erziehungsberechtigten über die Ziele und Inhalte des Praxislernens sowie über den Versicherungsschutz zu informieren.
(2) In die Vorbereitung und Durchführung des Praxislernens sollen Lehrkräfte unterschiedlicher Fächer oder Lernbereiche und außerschulische Fachkräfte einbezogen werden. Zwischen Schule und Praxislernort sind im Rahmen des schuleigenen Lehrplanes konkrete Lern- und Arbeitsaufgaben sowie deren Umsetzung und Möglichkeiten der Überprüfung abzustimmen. Die jeweiligen Stundenanteile der Fächer sind im schuleigenen Lehrplan auszuweisen. Findet Praxislernen an unterschiedlichen Praxislernorten statt, sind die schuleigenen Lehrpläne entsprechend zu differenzieren.
(3) Das Praxislernen wird durch Betriebserkundungen oder andere geeignete Maßnahmen im Unterricht vorbereitet.
(4) Die Schule gewährleistet, dass mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam Aufträge und verbindliche Formen der Dokumentation der Ergebnisse des Praxislernens festgelegt werden. Verlauf und Ergebnisse sollen in Form eines Portfolios1 dokumentiert werden. Während des Praxislernens sollen die Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch mit anderen Schülerinnen und Schülern der Klasse oder Lerngruppe haben.
(5) Während des Praxislernens sind die Schülerinnen und Schüler durch die Schule angemessen zu betreuen und zu begleiten. Die regionalen Bedingungen und pädagogischen Erfordernisse sind bei Form und Umfang der Betreuung und Begleitung angemessen zu berücksichtigen. Für die am Praxislernen teilnehmenden Schülerinnen und Schüler ist eine Möglichkeit für tägliche Rückmeldungen an die Schule sicherzustellen.
(6) Die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler im Praxislernen sind von der Schule angemessen zu berücksichtigen. Die Erkenntnisse und Erfahrungen und Beobachtungen sind im Hinblick auf die Ziele des Praxislernens und die konkreten Praxislernaufgaben in der Schule zu ordnen und zu klären. Außerschulische Fachkräfte können in geeigneter Weise in den Auswertungsprozess einbezogen werden. Die Ergebnisse des Praxislernens sollen dem Praxislernort, den Eltern und anderen Schülerinnen und Schülern regelmäßig in geeigneter Weise zugänglich gemacht werden.
6 - Leistungsbewertung
(1) In die Leistungsbewertung im Praxislernen fließen unter Berücksichtigung einer pädagogischen Abwägung mündlich, schriftlich und praktisch erbrachte Leistungen der Schülerinnen und Schüler ein. Solche Leistungen können auch Wettbewerbs- oder Projektbeiträge, der Berufswahlpass, praktische Arbeiten oder Präsentationen sein.
(2) Sofern die Unterrichtsstunden mehrerer Fächer oder Lernbereiche für das Praxislernen genutzt werden, erfolgt die Leistungsbewertung in jedem der ins Praxislernen eingebrachten Fächer oder Lernbereiche. Die im schuleigenen Lehrplan ausgewiesenen jeweiligen Stundenanteile der Fächer oder Lernbereiche sind bei der Bewertung entsprechend zu berücksichtigen.
7 - Fahrtkosten, Gesundheitsbescheinigung und Versicherungsschutz
(1) Praxislernorte gelten als Unterrichtsorte außerhalb des Schulgrundstücks. Die Schülerbeförderung zwischen Wohnung und Praxislernort (Schulweg) richtet sich nach der Satzung des zuständigen Trägers der Schülerbeförderung. Über die Kosten für notwendige Wege zwischen Schule und Praxislernort (Unterrichtswege) entscheidet der Schulträger. Die Schule stimmt sich aus diesem Grunde vor Beginn des Haushaltsjahres mit dem Schulträger ab.
(2) Schülerinnen und Schüler, die während des Praxislernens Umgang mit Lebensmitteln nach § 42 Infektionsschutzgesetz haben, haben vor der erstmaligen Aufnahme dieser Tätigkeit durch eine nicht mehr als drei Monate alte Bescheinigung des Gesundheitsamtes nachzuweisen, dass sie über die bestehenden Tätigkeitsverbote belehrt wurden und dass bei ihnen keine Tatsachen für ein Tätigkeitsverbot bekannt sind. Die Schule organisiert die notwendigen Termine beim Gesundheitsamt.
(3) Es besteht gesetzlicher Unfallversicherungsschutz nach SGB VII während des Praxislernens und auf dem Weg zwischen Wohnung und Praxislernort oder Praxislernort und Schule sowie Haftpflichtversicherungsschutz während des Praxislernens.
8 - Regelungen für die Durchführung des Schülerbetriebspraktikums
(1) Das Schülerbetriebspraktikum findet im Pflichtunterricht des Faches W-A-T statt und stellt eine zeitweise Abweichung von der Wochenstundentafel gemäß § 19 Abs. 9 der Sekundarstufe I-Verordnung dar.
(2) Schülerbetriebspraktika können insgesamt einen Zeitraum von fünf Unterrichtswochen umfassen. In der Jahrgangsstufe 9 ist die Durchführung des Schülerbetriebspraktikums obligatorisch; es soll mindestens zwei und kann maximal drei Unterrichtswochen dauern. In der Jahrgangsstufe 10 kann die Schule auf Beschluss der Konferenz der Lehrkräfte, nach Anhörung der Schulkonferenz ein weiteres bis zu zwei Unterrichtswochen umfassendes Schülerbetriebspraktikum durchführen. In diesem Falle ist die Durchführung dem staatlichen Schulamt anzuzeigen.
(3) Während des Schülerbetriebspraktikums sollen die Schülerinnen und Schüler Erfahrungen in verschiedenen Arbeitsbereichen in ihrem Praxislernort sammeln. Dazu gehören auch Besichtigungen der Arbeitsbereiche, in denen sie nicht unmittelbar tätig sind. Außerdem soll den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit gegeben werden, in der letzten Praktikumswoche ein Abschlussgespräch mit den für das Schülerbetriebspraktikum verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Praxislernortes und den betreuenden Lehrkräften zu führen.
(4) Bei Schülerbetriebspraktika brandenburgischer Schülerinnen und Schüler im Ausland muss die Einhaltung der Bestimmungen dieser Verwaltungsvorschriften gewährleistet sein.
9 - Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Diese Verwaltungsvorschriften treten mit Wirkung vom 15.11.2004 in Kraft. Sie treten mit Ablauf des Jahres 2008 außer Kraft.
(2) Gleichzeitig treten die Verwaltungsvorschriften über die Durchführung von Schülerbetriebspraktika (VV Schülerbetriebspraktika) vom 4. September 1995 (ABl. MBJS Nr. 13 S. 502) außer Kraft.
Potsdam, den 1. November 2004
Der Minister für Bildung, Jugend und Sport
Holger Rupprecht
1 Ein Portfolio kann z. B. der Berufswahlpass sein. Der Berufswahlpass ist ein bundesweit eingeführtes Instrument zur Berufswahlorientierung und zum selbstgesteuerten Lernen von Schülerinnen und Schülern (mehr unter: www.berufswahlpass.de).