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Brandenburgisches Vorschriftensystem (BRAVORS)

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Letzte gültige Fassung Änderungshistorie

ARCHIV

Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Anwendung der §§ 19a bis 19f Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in Brandenburg, insbesondere zur Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-Richtlinie


vom 24. Juni 2000
(ABl./00, [Nr. 28], S.358)

Außer Kraft getreten am 30. Oktober 2019 durch Verwaltungsvorschrift des MLUL vom 17. September 2019
(ABl./19, [Nr. 43], S.1149)

Dieser Erlass dient ausschließlich der Anwendung der §§ 19a bis 19f BNatSchG im Land Brandenburg. Er ist auf alle von der Brandenburgischen Landesregierung gemeldeten FFH-Gebiete und die in Brandenburg liegenden Europäischen Vogelschutzgebiete anzuwenden (im Folgenden „Natura 2000“-Gebiete). Nicht erfasst werden Landschaftselemente nach Art. 10 der Richtlinie des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie)1.

1. Vorbemerkungen

1.1 Allgemeines

Durch die §§ 19a bis 19f BNatSchG2 wurde die FFH-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Die Richtlinie verfolgt das Ziel, ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung „Natura 2000“ zu errichten und zu erhalten. Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen. Das gemäß dieser Leitlinie zu entwickelnde Netz besteht aus Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie umfassen; es muss den Fortbestand  eines günstigen Erhaltungszustandes dieser Lebensraumtypen und Habitate der Arten gewährleisten.3 Das Netz „Natura 2000“ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie)4 ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.

1.2 Rechtsgrundlagen

Die Vorschriften des BNatSchG gelten teilweise unmittelbar, teilweise müssen sie in Landesrecht umgesetzt werden. Unmittelbar gelten folgende Vorschriften:

  • § 19a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 bis 4,
  • § 19b Abs. 1 Satz 2 und 3,
  • § 19d Satz 1 Nr. 1 und Satz 2,
  • § 19e,
  • § 19f Abs. 1.

§ 19a Abs. 2 enthält die grundlegenden Begriffsdefinitionen, § 19b befasst sich mit der Auswahl der Gebiete und ihrem Schutz durch die Länder, § 19d enthält die Regelungen für Pläne, § 19e stellt die Sonderregelung für genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und stoffliche Belastungen dar, § 19f regelt das Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften.

Folgende Vorschriften gelten für eine Übergangszeit bis zur Umsetzung in Landesrecht, längstens bis zum 8. Mai 2003, unmittelbar (§ 39 Abs. 1):

  • § 19b Abs. 5,
  • § 19c,
  • § 19d Satz 1 Nr. 2.

§ 19b Abs. 5 regelt den vorläufigen Schutz von Natura 2000-Gebieten, § 19c befasst sich mit der Verträglichkeits- und Ausnahmenprüfung und ihren Rechtsfolgen, § 19d Satz 1 Nr. 2 führt die Verträglichkeitsprüfung für Pläne ein.

Außerhalb des BNatSchG sind noch folgende in anderen Gesetzen enthaltene Vorschriften, die die FFH-Richtlinie ebenfalls umsetzen, maßgebend:

  • § 6 Abs. 2 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) - Versagung von wasserrechtlicher Erlaubnis oder Bewilligung -,
  • § 1a Abs. 2 Nr. 4 Baugesetzbuch (BauGB) - Umweltschützende Belange in der Bauleitplanung -,
  • § 29 Abs. 3 BauGB - Beeinträchtigung von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung oder Europäischen Vogelschutzgebieten durch Vorhaben im unbeplanten Innenbereich -,
  • § 34 Abs. 4 Satz 5 BauGB - Anwendung des § 1a BauGB auch auf Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB -,
  • § 7 Abs. 7 Raumordnungsgesetz (ROG) - Allgemeine Vorschriften über Raumordnungspläne -.

1.3 In-Kraft-Treten der Verwaltungsvorschrift; Rechtswirkungen

Die Liste der FFH-Gebiete wird als Ergebnis der Kabinettsentscheidung für die Meldung an die EU-Kommission zusammen mit Karten und Gebietsinformationen im Amtsblatt für Brandenburg veröffentlicht. Mit der zweiten Tranche kommt das Land Brandenburg seiner Pflicht nach, eine vollständige und abschließende Liste von FFH-Gebieten vorzulegen. Durch die Veröffentlichung sind die FFH-Gebiete genau bekannt und wird insofern Rechtssicherheit hergestellt. Zeitgleich mit der Veröffentlichung tritt diese Verwaltungsvorschrift (VV) in Kraft.

Zusätzlich macht das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die FFH-Gebiete, die die Kommission in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen hat, und die Vogelschutzgebiete nach § 19a Abs. 4 im Bundesanzeiger bekannt. Wegen unmittelbarer Rechtswirkungen der FFH-Richtlinie5  hat der dann einsetzende vorläufige gesetzliche Schutz nach § 19b Abs. 5 keine eigenständige Bedeutung mehr.

Für die gemeldeten Gebiete besteht ein Verschlechterungsverbot, kein generelles Veränderungsverbot, auch kein Verbesserungsgebot. Die gemeldeten Gebiete können in unterschiedlicher Weise unter Schutz gestellt werden: Durch Schutzgebietsausweisungen, durch vertragliche Vereinbarungen und durch Schutzmaßnahmen nach anderen Fachgesetzen  (§ 19b Abs. 2 bis 4); hierfür steht der Zeitraum bis zum Jahre 2004 zur Verfügung. Unter den Voraussetzungen des § 19c Abs. 3 bis 5 sind Ausnahmen vom Gebietsschutz möglich (vgl. 4.).

1.4 Verträglichkeitsprüfung; Verhältnis zur Umweltverträglichkeitsprüfung und zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung

Nach § 19c Abs. 1 Satz 1 ist vor der Zulassung oder Durchführung eines Projektes im Sinne des § 19a Abs. 2 Nr. 8 dessen Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines „Natura 2000“-Gebietes zu untersuchen.

Die Untersuchung zur Verträglichkeit ist regelmäßig in die gutachterlichen Ausarbeitungen im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsstudie oder eines landschaftspflegerischen Begleitplans integrierbar. Die über diese Ausarbeitungen hinausgehende Untersuchung zur Verträglichkeit beschränkt sich auf die weiter gehenden speziellen Erhaltungsziele des jeweiligen „Natura 2000“-Gebiets. Die Prüfung, ob für das zur Entscheidung anstehende Projekt eine Verträglichkeitsprüfung (VP) erforderlich ist, und das Ergebnis der VP sind gesondert darzustellen. Abweichend von § 12 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) entfaltet das Ergebnis der VP eigene Rechtswirkungen nach § 19c Abs. 2.

Die VP ersetzt nicht die Anwendung der Eingriffsregelung (ER) nach den §§ 10 ff. des Brandenburgischen Naturschutzgesetzes (BbgNatSchG) und die Vorschriften über die Integration der ER in die Bauleitplanung nach § 8a (vgl. § 19f Abs. 3).

2. Prüfschritte für Projekte

Bei der Prüfung von Vorhaben und Maßnahmen auf ihre Zulässigkeit nach den FFH-Vorschriften sind folgende Prüfschritte zu unterscheiden:

  • Prüfung, ob ein Projekt im Sinne der Legaldefinition des § 19a Nr. 8 vorliegt. Diese Prüfung schließt die Frage ein, ob das Vorhaben (nach den Fallgruppen der Buchstaben a) bis c) des § 19a Abs. 2 Nr. 8) überhaupt geeignet ist, ein „Natura 2000“-Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich zu beeinträchtigen (Vorprüfung, vgl. 2.1)
  • Verträglichkeitsprüfung (vgl. 3.); hier ist die Frage zu erörtern, ob das Projekt angesichts des konkreten Einzelfalls tatsächlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele führen kann und damit unverträglich ist (vgl. 3.1).
  • gegebenenfalls Prüfung, ob Ausnahmen möglich sind (vgl. 4.).

2.1 Projektbegriff

Die Projektdefinition in § 19a Abs. 2 Nr. 8 untergliedert sich in 3 Fallgruppen (Buchstaben a), b) und c)). Ein Vorhaben kann mehrere dieser Varianten erfüllen.

Buchstabe a) erfasst antrags- und anzeigepflichtige sowie von einer Behörde durchgeführte Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines „Natura 2000“-Gebietes.

Buchstabe b) erfasst zulassungspflichtige Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne von § 10 BbgNatSchG.

Buchstabe c) erfasst nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen und Gewässerbenutzungen, die nach dem WHG einer Erlaubnis oder einer Bewilligung bedürfen.

Die Buchstaben b) und c) können ausnahmsweise auch auf Projekte zur Anwendung kommen, die außerhalb eines „Natura 2000“-Gebietes liegen, das Gebiet aber erheblich beeinträchtigen können.

Der Projektbegriff ist nur erfüllt, wenn die o. g. Vorhaben der Fallgruppen a), b) und c) überhaupt geeignet sind, ein „Natura 2000“-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Im Einzelfall können auch Summenwirkungen, d. h. das Zusammenwirken mehrerer Projekte, zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen (§ 19a Abs. 2 Nr. 8).

Hinsichtlich der Eignung ist eine überschlägige Einschätzung vorzunehmen. Sind auf Grund dieser Einschätzung erhebliche Beeinträchtigungen nicht zu erwarten, ist der Projektbegriff nicht erfüllt und keine VP erforderlich. Kriterien für diese Einschätzung sind die Größe der Maßnahme, die Empfindlichkeit der Schutzgüter sowie die Schwere und Dauer der Auswirkungen.

Die Eignung, erhebliche Beeinträchtigungen auszulösen, kann bereits dann verneint werden, wenn sich dies unter Zugrundelegung bisheriger Erfahrungswerte (ohne genauere Untersuchungen) aufdrängt.

Folgende Vorhaben und Maßnahmen sind nach der o. g. Vermutungsregel regelmäßig nicht geeignet, erhebliche Beeinträchtigungen auszulösen:

  • privilegierte Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB im räumlichen Zusammenhang mit der vorhandenen Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes oder des Gartenbaubetriebes;
  • Tätigkeiten oder Maßnahmen der täglichen Wirtschaftsweise in der Land- und Fischereiwirtschaft nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis sowie Tätigkeiten und Maßnahmen der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft, wenn sie keiner behördlichen Entscheidung oder Anzeige an die Behörde bedürfen;
  • begünstigte Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 4 BauGB;
  • die Schließung von Baulücken im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB;
  • die Ausübung von zulassungs- oder anzeigefreien Sport-, Freizeit- und Erholungstätigkeiten sowie die sachgerechte Jagdausübung; für anzeige- bzw. genehmigungspflichtige Sportveranstaltungen, die bisher durchgeführt wurden, gilt Bestandsschutz. Dies gilt nicht für Sportveranstaltungen, die dem Motorsport zuzurechnen sind;
  • Sanierungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) sowie baugenehmigungsfreie Vorhaben, soweit sie nicht nach anderen Fachgesetzen  einer behördlichen Gestattung bedürfen oder anzeigepflichtig sind;
  • Melkstände und Weidezäune (Weideeinrichtungen) unabhängig davon, ob sie nach anderen Fachgesetzen einer behördlichen Entscheidung bedürfen;
  • bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 der Brandenburgischen Bauordnung (BbgBO) außerhalb eines „Natura 2000“-Gebietes bei Einhaltung eines Mindestabstandes von 300 Metern. Sollen bauliche Anlagen innerhalb des Mindestabstandes von 300 Metern errichtet werden, ist, insbesondere bei Abgrabungen, im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Gebiete vorliegen kann;
  • bei Wohnbebauung, Sportanlagen und Einrichtungen der sozialen Infrastruktur in der Umgebung von FFH-Gebieten ist von einer erheblichen Beeinträchtigung regelmäßig nicht auszugehen;
  • Forschungs- und Entwicklungsaufgaben an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die regelmäßig genehmigungs- und anzeigefrei sind;
  • Vorhaben, die von außen auf ein „Natura 2000“-Gebiet durch Faktoren wie Lärm, Erschütterung, Bewegung, Licht und nicht gefährdende Stäube einwirken (die Gebiete wurden vorrangig zum Schutz von Lebensräumen nach Anhang I der FFH-Richtlinie ausgewählt, die durch diese Umweltfaktoren in der Regel nicht beeinträchtigt werden; außerdem sind die „Natura 2000“-Gebiete in der Regel so abgegrenzt, dass die maßgeblichen Bestandteile der Lebensraumtypen nach Anhang I und die Habitate der Arten nach Anhang II der FFH-Richtlinie bzw. die Vogelarten nach der Vogelschutzrichtlinie durch ausreichende räumliche Entfernung  von  unmittelbaren Einwirkungen aus der Umgebung abgeschirmt sind).

Vorhaben, die grundsätzlich einer Planfeststellungspflicht unterliegen, sind regelmäßig Projekte im Sinne des § 19a Abs. 2 Nr. 8. Ausgenommen davon sind Planfeststellungsverfahren nach § 31 WHG, soweit es sich um wasserbauliche Vorhaben in Ausführung rechtsverbindlicher Braunkohlen- und Sanierungspläne handelt.

Die Unterhaltung, Instandsetzung, Überwachung und Grunderneuerung von Verkehrsinfrastruktur (z. B. Entwicklung von Verkehrsknoten, Abbiegespuren), von Ver- und Entsorgungsleitungen/-anlagen, Sportanlagen, Feld- und Waldwegen sowie gemeindlichen Reit-, Rad- und Wanderwegen stellen keine Projekte dar und bedürfen dementsprechend keiner Prüfung auf Verträglichkeit gemäß den §§ 19a bis 19f.

2.2 Anwendbarkeit der VP im Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften

Liegt ein Projekt im Sinne von § 19 a Abs. 2 Nr. 8 vor, ist die Verträglichkeit zu prüfen. Das in § 19f geregelte Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften ist zu beachten.

a) Beplanter Innenbereich (§ 19f Abs. 1 Satz 1)

Für die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen gemäß § 29 Abs. 1 BauGB innerhalb des Geltungsbereiches von rechtsverbindlichen Bebauungsplänen ist eine VP nicht erforderlich (vgl. § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB).

Vor der Erteilung von Baugenehmigungen nach § 33 BauGB ist gegebenenfalls die vorherige Durchführung der VP im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans erforderlich, ansonsten fehlt die erforderliche Planreife.

b) Unbeplanter Innenbereich, Außenbereich sowie planfeststellungsersetzende Bebauungspläne (§ 19f Abs. 1 Satz 2)

Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB, die als Projekte einzustufen sind, unterfallen einer VP (§ 29 Abs. 3 BauGB).

Vorhaben im baulichen Außenbereich nach § 35 BauGB, sofern sie Projekte darstellen, sowie eine Planfeststellung ersetzende Bebauungspläne sind ebenfalls einer VP zu unterziehen (§ 19f Abs. 1 Satz 2).

c) Regelungen durch andere naturschutzrechtliche Vorschriften (§ 19f Abs. 2)

Andere naturschutzrechtliche Ge- und Verbotsvorschriften sind insoweit anzuwenden, als sie strengere Anforderungen stellen als die §§ 19c und 19e (§ 19f Abs. 2 Satz 1). Allerdings bleiben die Pflichten zur Beteiligung bzw. Unterrichtung der Kommission unberührt (§ 19f Abs. 2 Satz 2).

Sollte bereits aus anderen naturschutzfachlichen Gründen eine Befreiung oder Ausnahmegenehmigung versagt werden müssen, erübrigt sich eine VP.

3. Verträglichkeitsprüfung

Die Maßstäbe für die Prüfung der Verträglichkeit eines Projektes sind die Erhaltungsziele für das jeweilige Gebiet (§ 19c Abs. 1 Satz 1).

3.1 Erhebliche Beeinträchtigungen (§ 19c Abs. 2)

a) Allgemeine Aussagen

Nach § 19c Abs. 2 ist ein Projekt unzulässig, wenn es zu erheblichen Beeinträchtigungen eines „Natura 2000“-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann.

Erheblich ist die Beeinträchtigung, wenn die Veränderungen oder Störungen in ihrem Ausmaß oder ihrer Dauer dazu führen, dass ein Gebiet seine Funktionen in Bezug auf die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck gar nicht mehr oder nur noch in deutlich eingeschränktem Umfang erfüllen kann.

Für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung ist die Störungsempfindlichkeit der Arten, um derentwillen das besondere Schutzgebiet eingerichtet wurde, ein wesentliches Kriterium. Besondere Bedeutung hat der Schutz von prioritären Biotopen und prioritären Arten. Prioritäre Biotope und Arten sind nur in den Anhängen I bzw. II der FFH-Richtlinie enthalten und mit einem Sternchen (*) gekennzeichet (§ 19a Abs. 2 Nr. 5 und 6).

Die Bewertung hat sich an dem betroffenen Schutzgebiet zu orientieren; über die Betrachtung des einzelnen Gebietes hinaus sind nicht die Auswirkungen auf das Natura 2000-Netz insgesamt abzuprüfen.

Projekte, die sich in der Umgebung des „Natura 2000“-Gebiets befinden, dürften nur durch Veränderungen  des Wasserhaushaltes oder durch Stoffeinträge emittierender Anlagen ausnahmsweise Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele für das „Natura 2000“-Gebiet auslösen können.

b) Erheblichkeitseinschätzung, Verfahrensablauf und Beurteilungsgrundlagen

In der Regel werden erhebliche Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele oder der für den Schutzzweck wesentlichen Bestandteile eines Gebietes nur durch größere Vorhaben oder Planungen - ausgenommen bei kleineren Schutzgebieten - ausgelöst werden können. Der situationsangepasste Darlegungs- und Prüfaufwand verteilt sich regelmäßig wie folgt:

1.) Darlegungen durch die Behörde

  • Soweit eine Schutzgebietsausweisung im Sinne der §§ 19 ff. BbgNatSchG vorliegt, ergeben sich nach § 19c Abs. 1 Satz 2 die Maßstäbe für die Verträglichkeit aus dem darin genannten Schutzzweck. Der Schutzzweck wird in den Schutzerklärungen entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen und den erforderlichen Gebietsabgrenzungen bestimmt (§ 19b Abs. 3 Satz 1). In den Schutzerklärungen soll dargestellt werden, ob prioritäre Biotope oder Arten zu schützen sind (§ 19b Abs. 3 Satz 2). Sollten die „Natura 2000“-relevanten Erhaltungsziele noch nicht in eine Schutzgebietsverordnung aufgenommen worden sein, sind diese durch die Behörde vorzugeben. Die Behörde leitet diese aus dem vorliegenden Datenbestand ab, insbesondere aus den Standarddatenbögen oder Gebietssteckbriefen sowie vorhandenen Schutzgebietsgutachten.
  • Im Rahmen der Prüfung von Beeinträchtigungen einer bestimmten Art oder eines bestimmten Lebensraums sind nur diejenigen Bestandteile des Schutzgebiets maßgeblich, die einen günstigen Erhaltungszustand der jeweiligen Art oder des jeweiligen Lebensraums sicherstellen sollen. Gesamtschutzgebietsbezogene Daten über die naturräumliche Ausstattung werden von der Behörde zur Verfügung gestellt.
  • Bestimmung des Untersuchungsrahmens durch die Behörde nach Abstimmung mit dem Vorhabenträger (gegebenenfalls im Rahmen eines Scoping-Verfahrens), bei der unter anderem der Wirkraum des Projekts näher bestimmt wird.

2.) Darlegungen durch den Vorhabenträger

Situationsangepasst können die inhaltlichen Prüfschritte nach folgenden Maßstäben - bei Bedarf im Rahmen einer Studie - erfolgen:

  • Bildung von Beeinträchtigungsbändern um den Projekt- oder den Planungsstandort herum, differenziert nach unterschiedlich starken (z. B. starken, mittleren und schwachen) Beeinträchtigungen;
  • Darlegung, ob die gemäß den Schutzgebietsausweisungen der Meldeliste als Erhaltungsziele genannten Arten und Lebensräume beeinträchtigt werden können. Untersuchung, ob sich diese Arten oder Lebensräume im beeinträchtigten Bereich (Wirkraum) befinden und wie empfindlich diese Arten oder Lebensräume angesichts der Beeinträchtigungen einzustufen sind (stark, mittel, wenig empfindlich);
  • Abgleich, in welchem anteiligen Maß das Verbreitungsgebiet der zu schützenden Populationen oder Lebensräume im gesamten Schutzgebiet beeinträchtigt wird. Soll die Trennungswirkung eines Projekts untersucht werden, ist die insoweit möglicherweise beeinträchtigte Population zu untersuchen; das Ausmaß derartiger Untersuchungen muss in angemessenem Verhältnis zum Eingriff stehen. Werden wesentliche Anteile des Verbreitungsgebietes der zu schützenden Art oder des zu schützenden Lebensraumes im Schutzgebiet beeinträchtigt, ist der günstige Erhaltungszustand nach Art. 1 Buchstabe e) bzw. i) FFH-Richtlinie nicht mehr gewährleistet.
  • Im Rahmen der Prüfung, ob die Beeinträchtigung erheblich ist, können Änderungen des Projekts zur Minderung der Eingriffsfolgen nach § 12 Abs. 1 BbgNatSchG berücksichtigt werden und im Ergebnis dazu führen, eine erhebliche Beeinträchtigung auszuschließen. Auf das Vorhaben bezogene Ausgleichsmaßnahmen nach § 12 Abs. 2 BbgNatSchG, die bereits zum Zeitpunkt des Eingriffs ihre kompensatorische Wirkung entfalten, können ebenfalls in der Erheblichkeitsprüfung berücksichtigt werden.

    Nicht berücksichtigt werden können spätere Ausgleichsmaßnahmen nach § 12 Abs. 2 BbgNatSchG. Eine Ausnahme hiervon stellt insoweit die Vorschrift des § 19e dar, die speziell für Anlagen nach dem BImSchG die Berücksichtigung von Kompensationsmaßnahmen nach § 8 Abs. 2 ausdrücklich ermöglicht.

3.) Prüfung der Studie bzw. der vorgelegten Unterlagen durch die Behörde

3.2 Prüfergebnis

Ergibt die Prüfung, dass das Projekt zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen kann, ist es unzulässig nach § 19c Abs. 2.

Gleichwohl kann das Projekt auf Grund der Ausnahmeregelungen des § 19c Abs. 3 und 4 zugelassen werden.

4. Ausnahmen vom Verbot des § 19c Abs. 2

Wenn ein Projekt unzulässig ist, weil es zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines „Natura 2000“-Gebietes führen kann, darf es nur zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die im Folgenden unter 4.1 und 4.2 erläuterten Voraussetzungen kumulativ vorliegen, wobei eine Prüfungsreihenfolge nicht vorgegeben ist:

4.1 Fehlen von zumutbaren Alternativen (§ 19c Abs. 3 Nr. 2)

Diese Voraussetzung liegt vor, wenn der mit dem Projekt verfolgte Zweck an einem anderen Standort oder durch eine andere Ausführung ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen nicht erreicht werden kann, d. h. eine zumutbare Standort- oder Ausführungsalternative nicht gegeben ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten.

Eine wesentliche Voraussetzung der Alternativenprüfung ist, dass der Vorhabenträger hinreichend detaillierte Unterlagen für mehrere Standorte bzw. Trassen vorlegt.

Bei der Prüfung, ob eine Alternative vorhanden ist, ist von den Zielen auszugehen, die mit dem Projekt erreicht werden sollen. Aus dem Kreis der Alternativen ist unter Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit (Zumutbarkeit) die dem Schutz des Natura 2000-Gebietsnetzes am ehesten gerecht werdende auszuwählen. Um eine Alternative als unverhältnismäßig bzw. unzumutbar ausschließen zu können, muss der erhöhte Aufwand bei der Realisierung der Alternative in Relation  zu der Schwere der ansonsten auftretenden Gebietsbeeinträchtigungen gesetzt werden. In diesem Zusammenhang sind wirtschaftliche Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen. Betriebswirtschaftliche Erwägungen allein sind für die Bewertung der Angemessenheit nicht ausreichend.

Eine zumutbare Alternative ist zu verwirklichen, sie ist einer Abwägung nicht zugänglich.

Im Falle einer Alternative, die den mit dem Vorhaben verfolgten Zweck ohne bzw. ohne erhebliche Beeinträchtigungen erreicht, wird dem Projekt ohne weitere Prüfung nach 4.2 zugestimmt.

Wurde eine Alternative gefunden, die zu geringeren aber immer noch erheblichen Beeinträchtigungen führt, oder konnte keine Alternativlösung gefunden werden, muss das Projekt darüber
hinaus aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig sein (siehe 4.2).

4.2 Zwingende Gründe als Rechtfertigung (§ 19c Abs. 3 Nr. 1)

Neben dem Fehlen von Alternativlösungen ist weitere Zulassungsvoraussetzung, dass das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist. Öffentliche Interessen können auch vorliegen, wenn ein Unternehmen wirtschaftlicher Art erweitert werden soll und mittels der  Durchführung von Investitionen Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten werden. Private, nicht zugleich öffentlichen Interessen dienende Gründe scheiden als Rechtfertigung für die Zulassung von Ausnahmen aus.

Das öffentliche Interesse, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, das mit dem Projekt verfolgt wird, muss im Einzelfall gewichtiger sein als das Interesse am Erhalt der Lebensraumtypen und/oder Arten, die im konkreten Fall betroffen und durch die Erhaltungsziele geschützt sind (überwiegendes öffentliches Interesse); dem Erhalt der Lebensraumtypen und Arten wird auf europäischer Ebene ein sehr hohes Gewicht beigemessen.6 Auch sollte bei der Prüfung der Zulassung eines Projektes, das mit erheblichen Beeinträchtigungen eines Schutzgebiets verbunden ist, die vom Gesetzgeber festgelegte Gewichtung für solche Vorhaben bei der Konkretisierung des überwiegenden öffentlichen Interesses mitberücksichtigt werden. Ein überwiegendes öffentliches Interesse ist z. B. bei gefahrenabwehrbezogenen Maßnahmen im Rahmen einer Altlastensanierung anzunehmen.

Darüber hinaus muss das Projekt auch aus zwingenden Gründen erforderlich sein. Ein bloßes Überwiegen reicht danach nicht aus.

5. Prioritäre Biotope und prioritäre Arten (§ 19c Abs. 4)

Befinden sich in dem vom Projekt betroffenen Gebiet prioritäre Biotope und/oder prioritäre Arten und werden diese auch erheblich beeinträchtigt, ist die Zulassung von Ausnahmen an strengere Regelungen gebunden. Die Vogelschutzrichtlinie sieht keine prioritären Vogelarten vor, sodass sich die strengere Vorschrift des § 19c Abs. 4 nicht auf Vogelschutzgebiete bezieht (zur Definition der prioritären Biotope und Arten vgl. Nummer 3.1 Buchstabe a)).

Ohne Beteiligung der EU-Kommission können die nationalen Behörden über Ausnahmen dann entscheiden, wenn ganz bestimmte Gründe für das Projekt geltend gemacht werden: Es muss sich insofern um (zwingende) Gründe (des überwiegenden öffentlichen Interesses) im Zusammenhang mit

  • der Gesundheit des Menschen,
  • der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung oder
  • den maßgeblich günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt handeln.

Werden andere Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, geltend gemacht, hat die Zulassungsbehörde vor der Zulassung das Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung (MLUR) zu beteiligen und über das BMU eine Stellungnahme der EU-Kommission einzuholen (§ 19c Abs. 4). Eine Prüfung der Unterlagen durch das MLUR erfolgt im Einzelfall

  1. bezogen auf die Auswirkungen des Projektes (gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen Projekten) auf die Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustandes des FFH-Gebietes insgesamt sowie
  2. bezogen auf die Sicherung der Kohärenz des Gebietssystems durch geeignete Sicherungsmaßnahmen im Sinne von § 19c Abs. 5.

Die Stellungnahme der EU-Kommission ist im Rahmen der Prüfung der Zulassung oder Durchführung des Projekts zu berücksichtigen und nicht bindend; die EU-Kommission kann aber bei Nichtberücksichtigung Maßnahmen gegenüber dem Mitgliedstaat ergreifen. Die Zulassungsbehörde hat sich mit der Kommissionsauffassung inhaltlich auseinander zu setzen und in den

Fällen, in denen sie im Gegensatz zur Kommissionsstellungnahme entscheidet, darzulegen, aus welchen Gründen sie von der Stellungnahme abweicht.

6. Maßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des Europäischen ökologischen Netzes (§ 19c Abs. 5)

Wird ein Projekt nach § 19c Abs. 3 oder 4 zugelassen oder durchgeführt, sind alle zur Sicherung des Zusammenhangs des Europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“ notwendigen Maßnahmen vorzunehmen. Diese Maßnahmen müssen erreichen, dass die von dem Projekt beeinträchtigten Funktionen im Europäischen Netz „Natura 2000“ wiederhergestellt werden. Der Umfang der Maßnahmen muss geeignet sein, die Beeinträchtigungen im Hinblick auf die Kohärenz des Europäischen Netzes weitgehend auszugleichen. Eine Auswahl nach der Art einer Maßnahme ist dann möglich, wenn verschiedene Maßnahmen aus fachlicher Sicht in gleichem Maße in Frage kommen. Im Verhältnis zu Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach der ER sind diese Maßnahmen grundsätzlich eigenständig zu ermitteln. Im Ergebnis können bestimmte tatsächliche Maßnahmen geeignet sein, sowohl die rechtlichen Anforderungen im Hinblick auf das europäische Netz „Natura 2000“ als auch den Kompensationsbedarf nach der ER zu erfüllen; dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn Ausgleichsmaßnahmen nach der ER Beeinträchtigungen derselben FFH-relevanten Schutzgüter kompensieren. Die Verpflichtungen des Vorhabenträgers zur Sicherung des Netzzusammenhangs sind  durch die Zulassungsbehörde festzulegen.

Die EU-Kommission ist von der Zulassungsbehörde über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt in gleicher Weise wie die Einholung der Stellungnahme der EU-Kommission bei der Beeinträchtigung prioritärer Biotope oder Arten (siehe 5.).

7. Bestandsschutz

Genehmigte Projekte sowie rechtmäßige Nutzungen und die zu deren Durchführung erforderlichen Maßnahmen (auch soweit hierfür weitere Einzelgenehmigungen erforderlich sind) genießen Bestandsschutz (z. B. immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, zugelassene Rahmen-, Haupt- und Abschlussbetriebspläne). Sie unterliegen dementsprechend nicht der Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung. Genehmigungen im Sinne dieser Regelung sind alle verbindlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens. Der Bestandsschutz erstreckt sich auf den durch einen Zulassungsbescheid konkretisierten Nutzungsrahmen, einschließlich gegebenenfalls enthaltener Nebenbestimmungen, und nicht auf die tatsächlich ausgeübte Nutzung.

Alle Projekte, deren konkrete Zulassungsverfahren gegenwärtig durchgeführt werden, unterfallen grundsätzlich den Vorschriften der §§ 19a bis 19f. Je nach erreichtem Verfahrensstand kann es im Einzelfall unzumutbar sein, Alternativplanungen zu fordern.

8. Belastungen durch Emissionen (§ 19e)

Die Vorschrift des § 19e regelt als Sonderfall die VP für genehmigungsbedürftige Anlagen und für die genehmigungsbedürftige Änderung von Anlagen nach dem BImSchG. Sie tritt nur hinsichtlich der Emissionen an die Stelle des § 19c. Zusätzlich kann eine VP nach § 19c erforderlich sein, wenn die Errichtung der baulichen Anlage sonstige Beeinträchtigungen eines europäischen Schutzgebiets hervorrufen kann.

Eine VP nach § 19e ist nur dann durchzuführen, wenn sich ein europäisches Schutzgebiet im Einwirkungsbereich der Anlage befindet. Dieser Einwirkungsbereich entspricht für stoffliche Emissionen dem Beurteilungsgebiet nach der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft).

Emissionen wie Lärm, Erschütterung, Bewegung, Licht und nicht gefährdende Stäube, die von außen  auf ein „Natura 2000“-Gebiet einwirken können, sind regelmäßig nicht geeignet, erhebliche Beeinträchtigungen auszulösen (s. o. unter 2.1).

9. Verträglichkeitsprüfung von Plänen

Die o. g. Aussagen zur VP gelten entsprechend auch für Pläne (§ 19d).

9.1 Pläne

Unter „Pläne“ sind Pläne und Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren zu verstehen, die bei behördlichen Entscheidungen zu beachten oder zu berücksichtigen sind, soweit sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten geeignet sind, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen (§§ 19d i. V. m. 19a Abs. 2 Nr. 9).

Der VP unterfallen folgende Pläne:

  • Raumordnungspläne, insbesondere die Regionalpläne,
  • Bauleitpläne/städtebauliche Satzungen nach den nachfolgend genannten baurechtlichen Vorschriften i. V. m. den §§ 19a bis 19f (vgl. insoweit den Einführungserlass zum Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG) vom 15. April 1998 (Amtsblatt S. 590)):
    • Flächennutzungsplan (§§ 5, 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB),
    • Bebauungsplan einschließlich vorhabenbezogener Bebauungsplan (§§ 8, 12, 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB),
    • Ergänzungssatzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB,
  • Landesplanerische Beurteilung im Rahmen von Raumordnungsverfahren (ROV),
  • Linienbestimmungen nach
    § 16 Bundesfernstraßengesetz (FStrG),
    § 13 Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG),
    § 2 Abs. 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz,
    § 35 Straßengesetz (BbgStrG).

9.2 Plangewährleistung

Verbindliche Ziele der Raumordnung gemäß § 3 ROG (mit Ausnahme der durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärten Sanierungs- und Braunkohlenpläne), die noch nicht durch Bebauungspläne oder durch die Zulassung oder rechtmäßige Durchführung von Maßnahmen umgesetzt worden sind, bedürfen nach der Beschlussfassung der Landesregierung zur Meldung von FFH- und Vogelschutzgebieten im Hinblick auf erkennbare Konflikte mit den Zielen der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie gegebenenfalls einer Überprüfung.

Bei Raumordnungsplänen bezieht sich die VP auf diejenigen raumordnerischen Ziele, die einen konkreten Flächenbezug haben. Sind derartige Ziele zu prüfen, gilt das unter 3. bis 6. dargestellte Verfahren entsprechend. Raumordnerische Ziele ohne konkreten Flächenbezug, wie beispielsweise Funktionsfestlegungen für Gemeinden, bedürfen regelmäßig keiner VP. Eine Beibehaltung bestehender raumordnerischer Ziele, deren Umsetzung ein „Natura 2000“-Gebiet beeinträchtigen kann, ist möglich, wenn die Voraussetzungen des § 19c Abs. 3 bis 5 vorliegen.

Zur VP in Bauleitplänen und Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB siehe Ziffer 3.3.4 des Einführungserlasses zum Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG) - Vorschriften mit Bezug zum allgemeinen Städtebaurecht - ABl. 1998 S. 590 (602 f.). Danach wird, wenn ein Verfahren zur Ausgliederung einer Fläche aus einem Schutzgebiet erforderlich sein sollte, die VP im Rahmen des Ausgliederungsverfahrens geprüft.

10. Verträglichkeitsprüfung für Gewässerbenutzungen

Die VP für die Erlaubnis und Bewilligung von Gewässerbenutzungen richtet sich nach der Sondervorschrift des § 6 Abs. 2 WHG. Sie tritt an die Stelle des § 19c und enthält insoweit eine besondere Voraussetzung für die wasserrechtliche Zulassung von Gewässerbenutzungen im Hinblick auf ihre Verträglichkeit mit den Zielen der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie. Inhaltliche Abweichungen für die Durchführung der VP bestehen nicht. Es wird daher auf die Ausführungen zu den Nummern 3 und 4 verwiesen. Auch hier kann für sonstige Beeinträchtigungen, die sich nicht oder nicht allein auf das Gewässer auswirken, etwa durch Bauvorhaben an Ort und Stelle, ergänzend eine VP nach § 19c erforderlich sein.

11. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung

Die Anhörung der Öffentlichkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-Richtlinie richtet sich nach den Vorschriften, die für die Zulassung des jeweiligen Projekts maßgebend sind.


1 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (ABl. EG Nr. L 206 vom 22.07.1992, S. 7) zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen; der Umsetzung dienen ferner die §§ 20 ff. BNatSchG i. d. F. des 2. BNatSchG-ÄnderungsG vom 30. April 1998 (BGBl. I S. 823)

2 §§ ohne Gesetzesangaben sind im Folgenden solche des BNatSchG

3 Art. 3 Abs. 1 FFH-Richtlinie; nach Art. 1 Buchstabe e) und i) FFH-Richtlinie wird der Erhaltungszustand der Arten in ihren natürlichen Lebensräumen im Wesentlichen dann als günstig eingestuft, wenn

  • ein ausreichender Bestand vorhanden ist,
  • das Gesamtverbreitungsgebiet langfristig nicht abnimmt,
  • der zu schützende Lebensraum genügend groß ist, um langfristig ein Überleben der Population zu gewährleisten.

4 Richtlinie des Rates vom 2. April 1979 (ABl. EG Nr. L 103 vom 25.04.1979, S. 1) über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG)

5 Auf die Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung (der FFH-Richtlinie) wird hingeweisen, vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998, NuR 1998, S. 544 ff., EuGH, Urt. v. 02.08.1993, Rs. C-355/90, NuR 1994, S. 521 ff.; Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-431/92, NuR 1996, S. 102 (104)

6 vgl. den 4. Erwägungsgrund in der Präambel der FFH-Richtlinie