Suche

Suche innerhalb der Norm

ARCHIV

Link zur Hilfe-Seite

Gesetzliche Unfallversicherung der Gefangenen (Arbeitsunfälle im Sinne des SGB VII)

Gesetzliche Unfallversicherung der Gefangenen (Arbeitsunfälle im Sinne des SGB VII)
vom 30. Dezember 2009
(JMBl/10, [Nr. 1], S.3)

geändert durch Rundverfügung vom 3. Februar 2011
(JMBl/11, [Nr. 3], S.18)

Außer Kraft getreten am 1. November 2013 durch Rundverfügung vom 19. November 2013
(JMBl/13, [Nr. 12], S.112)

1

1.1 Gefangene und Arrestanten, die nicht in einem freien Beschäftigungsverhältnis nach § 39 Absatz 1 StVollzG, § 37 Absatz 4 BbgJStVollzG oder § 11 Absatz 3 JAVollzO stehen, sind gemäß § 2 Absatz 2 SGB VII gegen Arbeitsunfälle versichert. Hierfür zuständig sind nach § 114 Absatz 1 Nummer 6 beziehungsweise Nummer 9 in Verbindung mit § 128 Absatz 1 Nummer 8 SGB VII die Unfallkassen der Länder. Die Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung werden im Land Brandenburg von der Unfallkasse Brandenburg, Müllroser Chaussee 75, 15236 Frankfurt (Oder) wahrgenommen.

1.2 Ein Gefangener oder Arrestant, der einem freien Beschäftigungsverhältnis nachgeht (§ 39 Absatz 1 StVollzG, § 37 Absatz 4 BbgJStVollzG oder § 11 Absatz 3 JAVollzO), ist wie ein freier Arbeitnehmer gegen Arbeitsunfälle versichert (§ 2 Absatz 1 Nummer 1 SGB VII). Für die Entschädigung ist der jeweils für das Beschäftigungsverhältnis zuständige Unfallversicherungsträger - in der Regel eine gewerbliche Berufsgenossenschaft - eintrittspflichtig.

1.3 Gefangene und Arrestanten sind während der beruflichen Aus- und Fortbildung gemäß § 2 Absatz 2 SGB VII ebenfalls gegen Arbeitsunfälle versichert. Für die Entschädigung ist die Unfallkasse Brandenburg zuständig. Die Übertragung einzelner Maßnahmeteile (beispielsweise Sportstunden) auf einen anderen Träger (zum Beispiel die Justizvollzugsanstalt) bedarf für die versicherungsrechtliche Beurteilung einer schriftlichen Vereinbarung.

1.4 Gefangene und Arrestanten sind gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 8b SGB VII beim Besuch von Bildungsangeboten der Sekundarstufe I, Sekundarstufe II (auch in Verbindung mit Berufsausbildung oder -vorbereitung) und des Zweiten Bildungsweges ebenfalls unfallversichert. Unfallversicherungsträger ist gemäß § 136 Absatz 3 Nummer 3 in Verbindung mit § 129 Absatz 1 Nummer 1 SGB VII die Unfallkasse Brandenburg. Der Versicherungsschutz nach § 2 Absatz 1 Nummer 8b SGB VII setzt voraus, dass die Schule für die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts verantwortlich ist. Die Übertragung einzelner Maßnahmeteile auf einen anderen Träger (zum Beispiel Vollzugslehrer) bedarf für die versicherungsrechtliche Beurteilung einer schriftlichen Vereinbarung.

1.5 Bei Maßnahmen, die sich aus einem schulischen Teil und einem fachpraktischen Teil zusammensetzen, sind die Gefangenen beziehungsweise Arrestanten während der schulischen Ausbildung nach § 2 Absatz 1 Nummer 8b SGB VII und während der fachpraktischen Ausbildung nach § 2 Absatz 2 SGB VII über die Unfallkasse Brandenburg unfallversichert.

1.6 Angebote in alleiniger Verantwortung von Vollzugslehrern oder des justizeigenen Werkdienstes (wie zum Beispiel Unterrichtsangebote für Lernsondergruppen beziehungsweise niedrigschwellige Werkstattangebote) unterliegen nur dann dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nach § 2 Absatz 2 SGB VII, wenn der Nachweis der konkreten beruflichen Zweckorientierung erbracht wird. Eine überwiegend sozialpädagogische Zielsetzung genügt nicht. Unfallversicherungsschutz nach § 2 Absatz 1 Nummer 8b SGB VII kommt hierfür nicht in Betracht.

1.7 Arbeitsunfälle müssen von dem Beschäftigungsbetrieb dem zuständigen Versicherungsträger angezeigt werden.

2

2.1 Jeder Arbeitsunfall eines Gefangenen oder Arrestanten ist binnen drei Tagen dem Unfallversicherungsträger anzuzeigen. Die Unfallanzeige ist unter Verwendung der hierfür vorgesehenen, bei den Unfallversicherungsträgern erhältlichen Vordrucke zu fertigen, davon sind zwei Ausfertigungen dem Unfallversicherungsträger zuzuleiten, eine Ausfertigung ist zur Personalakte und zur Arbeitsakte des Gefangenen beziehungsweise Arrestanten zu nehmen. Die in der Unfallanzeige vorgesehene Unterzeichnung durch den Personalrat entfällt, dafür ist an dieser Stelle der voraussichtliche Entlassungszeitpunkt des Verletzten beziehungsweise das Stichwort “Untersuchungshaft“ zu vermerken. Neben der Unfallanzeige ist zusätzlich eine Verhandlung über den Unfall des Gefangenen nach Vordruck aufzunehmen und dem Bericht an den Unfallversicherungsträger beizufügen.

2.2 Unfälle, bei denen mehr als drei Personen verletzt werden oder Unfälle mit Todesfolge sind dem Unfallversicherungsträger außerdem sofort fernmündlich oder per Telefax mitzuteilen. Das gilt auch dann, wenn behauptet oder vermutet wird, dass der später eingetretene Tod Unfallfolge sei. Unfälle mit Todesfolge sind darüber hinaus der zuständigen örtlichen Ordnungsbehörde anzuzeigen.

2.3 Der Aufsichtsbehörde ist eine weitere Ausferti­gung der Unfallanzeige vorzulegen, wenn erkennbar ist, dass wegen der Schwere des Unfalls oder der Umstände, die zu ihm geführt haben, Forderungen gegen das Land Brandenburg geltend gemacht werden könnten. Dem Bericht ist dann auch eine Ausfertigung der Verhandlung sowie das Ergebnis der Untersuchung nach Nummer 7 beizufügen.

3

Ist es zweifelhaft, ob es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII oder um einen sonstigen Unfall handelt, ist vor der Zahlung von Verletztengeld oder einer Billigkeitsentschädigung zur Klärung die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers einzuholen.

4

4.1 Ein durch einen Arbeitsunfall verletzter Gefangener oder Arrestant wird soweit als möglich in der Justizvollzugsanstalt beziehungsweise Jugendarrestanstalt ärztlich behandelt und versorgt. Die Anstaltsärzte sind verpflichtet, dem Unfallversicherungsträger Auskunft über die Behandlung und den Zustand des Verletzten zu erteilen. In besonderen Fällen sind weiterhin die Anordnungen, die der Unfallversicherungsträger zur Heilbehandlung gibt, durchzuführen. Erfordern die bei einem Unfall erlittenen Verletzungen nach den Feststellungen des Anstaltsarztes eine fachärztliche oder unfallmedizinische Versorgung, die im Justizvollzug nicht leistbar ist, ist der Gefangene oder Arrestant in der erforderlichen Einrichtung vorzustellen oder dorthin zu verlegen. Führt der Arbeitsunfall eines Gefangenen oder eines Arrestanten zu einer Arbeitsunfähigkeit oder beträgt die Behandlungsdauer voraussichtlich mehr als eine Woche, ist der Verletzte einem Durchgangsarzt vorzustellen. Für wirksame Erste Hilfe ist zu sorgen.

4.2 Kosten einer Heilbehandlung, die an Dritte zu zahlen sind (zum Beispiel für eine fachärztliche Untersuchung und Behandlung, für die Unterbringung in einem öffentlichen Krankenhaus, für besondere Arzneimittel, die in der Anstalt nicht vorrätig gehalten werden, für Krankentransporte, die nicht mit justizeigenen Fahrzeugen durchgeführt werden, Vorstellung bei einem Durchgangsarzt), werden nicht aus Haushaltsmitteln der Justizvollzugsanstalt oder Jugendarrestanstalt bezahlt. Rechnungen hierüber sind mit einem Vermerk über den Arbeitsunfall zu versehen und zur Begleichung an den Unfallversicherungsträger weiterzuleiten. In diesen Fällen ist stets eine Unfallanzeige aufzunehmen, und zwar auch wenn keine Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist. Alle sonstigen Kosten werden von der Justizverwaltung getragen.

5

Die Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten teilen dem Unfallversicherungsträger in den Fällen, in denen als Folge zunächst Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit auf Verlangen die Dauer der Arbeitsunfähigkeit mit.

6

6.1 Dem durch Arbeitsunfall verletzten Gefangenen steht von dem Tage an, an dem der Arzt die Arbeitsunfähigkeit feststellt, Anspruch auf Verletztengeld zu (§ 45 Absatz 1 SGB VII). Das Verletztengeld wird von der Justizvollzugsanstalt nach Maßgabe des § 47 Absatz 6 SGB VII festgesetzt. Das Verletztengeld beträgt 80 vom Hundert des Regelentgelts und wird für jeden Kalendertag der unfallbedingten Arbeits­unfähigkeit gezahlt; ist für einen ganzen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusehen (§ 47 Absatz 1 SGB VII in Verbindung mit § 47 Absatz 1, 2 und 5 SGB V). Für die Berechnung des Regelentgelts (§ 47 SGB V) sind die Bezüge maßgebend, die der Gefangene im letzten abgerechneten Lohnzahlungszeitraum nach den §§ 43, 44, 177 StVollzG, § 25 BbgUStVollzG beziehungsweise § 57 BbgJStVollzG erhalten hat. Liegt ein voller Lohnzahlungszeitraum nicht vor, so sind der Berechnung die zu erwartenden Stunden beziehungsweise Beträge zugrunde zu legen, die erreicht worden wären, wenn der Arbeitsunfall nicht eingetreten wäre.

6.2 Nach ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bewilligt die Justizvollzugsanstalt das Verletztengeld vorbehaltlich der Anerkennung des Arbeitsunfalls durch den Unfallversicherungsträger.

6.3 Besteht nach der Entlassung noch Anspruch auf Verletztengeld oder auf sonstige Leistungen der Unfallkasse, ist dies unter Angabe des Aktenzeichens des Unfallversicherungsträgers mit der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit oder Erwerbsminderung auf dem Entlassungsschein zu vermerken. Ist über den Antrag noch nicht entschieden, ist im Entlassungsschein kurz auf den Sachstand hinzuweisen. Darüber hinaus ist dem Unfallversicherungsträger in den Fällen, in denen eine Zahlung des Verletztengeldes über den Entlassungszeitpunkt hinaus erforderlich wird, rechtzeitig, möglichst vier Wochen vor der Entlassung, mitzuteilen:

Name, Anschrift und Bankverbindung des Berechtigten, die Höhe des zu zahlenden Verletztengeldes und der Zeitraum der Bewilligung. Der Gefangene beziehungsweise Arrestant ist anzuhalten, sich am Entlassungsort unverzüglich dem dort ansässigen oder nächst erreichbaren Durchgangsarzt vorzustellen.

6.4 Das Nähere zur Beantragung, Festsetzung und Abrechnung von Verletztengeld ist in den Nummern 58, 61 der Geschäftsanweisung für die Arbeitsverwaltung an Justizvollzugsanstalten (GAV) geregelt.

7

7.1 Jeder Unfall ist von der Justizvollzugs- oder Jugendarrestanstalt unverzüglich zu untersuchen. Die Untersuchung hat sich insbesondere darauf zu erstrecken, ob

  1. Tatsachen erkennbar sind, dass der Gefangene oder der Arrestant den Unfall schuldhaft herbeigeführt oder durch eigenes Verschulden mit verursacht hat,
  2. Anhaltspunkte für Fremdverschulden vorliegen,
  3. der Gefangene oder der Arrestant gegen Krankheit versichert ist,
  4. der Gefangene oder der Arrestant zur Zeit des Unfalls bereits erwerbsgemindert war und in welchem Grade,
  5. der Gefangene oder der Arrestant infolge des Unfalls erwerbsgemindert ist, gegebenenfalls in welchem Grade und voraussichtlich für welche Zeit.

7.2 Bei einem Unfall, der bewirkt, dass der Gefangene beziehungsweise der Arrestant nach der Entlassung voraussichtlich erwerbsgemindert sein wird, soll neben den in Nummer 7.1 angeführten Punkten festgestellt werden, ob der Gefangene oder der Arrestant infolge des Unfalls erwerbsgemindert ist und gegebenenfalls in welchem Grade.

7.3 Bei einem Unfall mit Todesfolge ist neben den in Nummer 7.1 angeführten Punkten festzustellen, ob Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Gefangene beziehungsweise der Arrestant zum Unterhalt seiner Angehörigen nicht beigetragen hätte, wenn er auf freiem Fuß geblieben wäre. Die Feststellungen haben sich auch darauf zu erstrecken, ob der Ehegatte des Gefangenen oder Arrestanten sich vor dessen Inhaftierung ohne gesetzlichen Grund seit mindestens einem Jahr von der häuslichen Gemeinschaft ferngehalten oder ohne Beihilfe des Gefangenen oder Arrestanten seinen Lebensunterhalt gefunden hat.

7.4 Die Untersuchung soll den tatsächlichen Hergang und die Ursache des Unfalls möglichst genau aufklären. Der verletzte Gefangene beziehungsweise Arrestant und weitere Personen, die über den Unfall und seine Ursachen Aufschluss geben können, sind zu vernehmen. Der medizinische Befund wird durch den Arzt erstellt. Über die in der Untersuchung getroffenen Feststellungen ist ein schriftliches Protokoll (Unfallverhandlung) zu fertigen, in das insbesondere die eingeholten Zeugenaussagen aufzunehmen sind.

8

Sofern der Gefangene oder der Arrestant durch den Unfall getötet wird, an den Folgen des Unfalls stirbt oder der Unfall so schwere Folgen hat, dass eine stationäre Behandlung erforderlich wird, ist das Untersuchungsergebnis einschließlich der Vernehmungsprotokolle des Verletzten und der Zeugen dem Unfallversicherungsträger sogleich nach Abschluss der Ermittlungen zu übersenden. In allen übrigen Fällen ist das Untersuchungsergebnis dem Unfallversicherungsträger auf Verlangen mitzuteilen.

9

Gefangene beziehungsweise Arrestanten, die in ihrer Freizeit unentgeltlich Arbeiten für gemeinnützige Einrichtungen (zum Beispiel Bau von Kinderspielplätzen) verrichten, werden im Allgemeinen wie Versicherte gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 10a oder Absatz 2 SGB VII in den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz einbezogen. Gleichwohl empfiehlt es sich, gegebenenfalls durch Rückfrage bei der Unfallkasse im Einzelfall zu klären, ob die vorbezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, dürfen Arbeiten nur ausgeführt werden, wenn der Auftraggeber die Gefangenen oder Arrestanten ausreichend gegen Unfall versichert. In jedem Falle ist mit dem Auftraggeber zu vereinbaren, dass dieser die Gefangenen und die Justizverwaltung von der Haftung für Schäden freistellt.

10

Diese Rundverfügung tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Justizministerialblatt für das Land Brandenburg in Kraft. Zum gleichen Zeitpunkt tritt die Rundverfügung des Ministers der Justiz vom 27. Februar 2007 (JMBl. S. 45) außer Kraft.

Potsdam, den 30. Dezember 2009

Der Minister der Justiz

Dr. Schöneburg