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Bestimmung der Staatsanwaltschaft Potsdam zur Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung schwerer Erscheinungsformen der Wirtschafts- und Umweltkriminalität, des Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen und der Arzneimittelkriminalität im Land Brandenburg

Bestimmung der Staatsanwaltschaft Potsdam zur Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung schwerer Erscheinungsformen der Wirtschafts- und Umweltkriminalität, des Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen und der Arzneimittelkriminalität im Land Brandenburg
vom 29. April 2021
(JMBl/21, [Nr. 5], S.34)

I. Einrichtung der Schwerpunktstaatsanwaltschaft

Gemäß § 143 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wird die Staatsanwaltschaft Potsdam zur Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung schwerer Erscheinungsformen der Wirtschafts- und Umweltkriminalität, des Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen und der Arzneimittelkriminalität im Land Brandenburg (Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitskriminalität) bestimmt.

II. Wirtschaftskriminalität

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist sachlich zuständig für besonders umfangreiche Wirtschaftsstrafsachen, wenn für deren Bearbeitung besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind.

Wirtschaftsstrafsachen im Sinne dieser Allgemeinen Verfügung sind Verfahren wegen der in § 74c GVG genannten Straftaten, darüber hinaus auch solche wegen sonstiger Straftaten, die geeignet sind, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Redlichkeit des wirtschaftlichen Geschehens nachhaltig zu erschüttern.

Besonders umfangreich ist eine Wirtschaftsstrafsache regelmäßig dann, wenn mehrere der nachfolgenden Kriterien zusammentreffen:

  • große Zahl von Beschuldigten, Bande oder kriminelle Vereinigung;
  • Eintritt eines hohen Schadens oder gewerbsmäßige Begehungsweise;
  • Erfordernis umfangreicher (auch überörtlicher oder internationaler) Ermittlungen;
  • Erfordernis der Mitarbeit von Wirtschaftsreferenten, Buchhaltern oder Sachverständigen;
  • voraussichtliche Erhebung der öffentlichen Klage zur Wirtschaftsstrafkammer.

Besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens sind dann erforderlich, wenn Spezialwissen benötigt wird, das sich über die allgemeine Erfahrung hinaus auf Verfahrensweisen bezieht, die nur besonderen Wirtschaftskreisen geläufig sind, insbesondere auf schwer durchschaubare Mechanismen des modernen Wirtschaftslebens.

III. Umweltkriminalität

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist sachlich zuständig für besonders schwerwiegende oder komplexe Umweltstrafsachen, wenn für deren Bearbeitung besondere Sachkunde oder besondere Kenntnisse des Umweltrechts erforderlich sind. Dies gilt entsprechend für die Verfolgung von umweltrechtlichen Ordnungswidrigkeiten.

Umweltstrafsachen im Sinne dieser Allgemeinen Verfügung sind im Wesentlichen Verfahren wegen der im Neunundzwanzigsten Abschnitt des Strafgesetzbuchs (§§ 324 bis 330d StGB) genannten Straftaten und wegen gemeingefährlicher Straftaten nach § 307 StGB, § 309 StGB (soweit diese Vorschrift sich nicht auf Sprengstoffstraftaten bezieht), §§ 310 bis 312 und 314 Absatz 1 Nummer 1 StGB sowie wegen Straftaten nach dem Bundesnaturschutzgesetz, dem Tierschutzgesetz, dem Bundesjagdgesetz, dem Pflanzenschutzgesetz und dem Chemikaliengesetz. Umweltrechtliche Ordnungswidrigkeiten sind im Wesentlichen solche nach den genannten strafrechtlichen Nebengesetzen und dem Abfallrecht.

Besonders schwerwiegend oder komplex ist eine Umweltstrafsache regelmäßig dann, wenn mehrere der nachfolgenden Kriterien zusammentreffen:

  • erhebliche Schädigung oder Gefährdung von Mensch oder Umwelt;
  • große Zahl von Beschuldigten, Bande oder kriminelle Vereinigung;
  • Erzielung hoher Tatgewinne oder gewerbsmäßige Begehungsweise;
  • Erfordernis umfangreicher (auch überörtlicher oder internationaler) Ermittlungen;
  • Erforderlichkeit der Auswertung umfangreicher Unterlagen oder Dateien.

Das Verfahren wegen einer umweltrechtlichen Ordnungswidrigkeit ist regelmäßig dann besonders schwerwiegend oder komplex, wenn eine Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung nach § 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten verhängt werden soll.

Besondere Sachkunde oder besondere Kenntnisse des Umweltrechts sind dann erforderlich, wenn in nicht nur unerheblichem Maße naturwissenschaftliches oder technisches Fachwissen benötigt wird oder wenn spezifische Fragen des Umweltstrafoder Umweltverwaltungsrechts einschließlich seiner unionsrechtlichen Bezüge zu beurteilen sind.

IV. Gesundheitskriminalität

1. Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist sachlich zuständig für besonders umfangreiche Strafsachen, die Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen zum Gegenstand haben, wenn für deren Bearbeitung besondere Sachkunde erforderlich ist.

Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen im Sinne dieser Allgemeinen Verfügung umfasst

  1. Abrechnungsbetrug
    • durch Angehörige der akademischen und nicht akademischen Heilberufe (namentlich der Berufsgruppen, die in Nummer 26 Abs. 1 der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen genannt werden, jedoch mit Ausnahme der Tierärztinnen und Tierärzte) im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung,
    • durch das Personal von Pflegediensten, Fahrdienstleistern im Kranken- oder Pflegebereich und ähnlichen Einrichtungen,
    • über Krankenhäuser, Apotheken, Sanitätshäuser und ähnliche Einrichtungen,
  2. andere Vermögensstraftaten, die durch diese Personen oder über diese Einrichtungen unter Ausnutzung rechtlicher oder organisatorischer Besonderheiten des Gesundheitswesens oder unter Gefährdung seiner Integrität begangen werden.

Besonders umfangreich ist eine Strafsache betreffend Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen dann, wenn die Voraussetzungen von Abschnitt II Absatz 3 erfüllt sind.

Besondere Sachkunde ist dann erforderlich, wenn in erheblichem Umfang Kenntnisse der Organisation und Funktionsweise des Gesundheitssystems benötigt werden oder spezifische Fragen des Sozialrechts, des Versicherungsrechts, des ärztlichen Berufsrechts oder anderer außerstrafrechtlicher Rechtsgebiete zu beurteilen sind.

2. Arzneimittelkriminalität

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist sachlich zuständig für besonders schwerwiegende oder komplexe Arzneimittelstrafsachen, wenn für deren Bearbeitung besondere Sachkunde oder besondere Kenntnisse des Arzneimittel- oder Medizinprodukterechts erforderlich sind.

Arzneimittelstrafsachen im Sinne dieser Allgemeinen Verfügung sind im Wesentlichen Verfahren wegen Straftaten nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) und dem Medizinprodukterecht- Durchführungsgesetz (MPDG).

Besonders schwerwiegend oder komplex ist eine Arzneimittelstrafsache beim Verdacht eines besonders schweren Falles einer Straftat nach dem Arzneimittelgesetz (§ 95 Abs. 1, Abs. 3 AMG) oder eines Verbrechens nach dem Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (§ 92 Abs. 1 bis 3, Abs. 5 MPDG). Dies gilt bei banden- oder gewerbsmäßiger Fälschung von Arzneimitteln oder Medizinprodukten (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AMG; § 92 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 2 MPDG) stets; im Übrigen dann, wenn mehrere der nachfolgenden Kriterien zusammentreffen:

  • Tod oder Gesundheitsschädigung eines Menschen;
  • Erschütterung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Integrität und Verlässlichkeit des Systems der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten;
  • große Zahl von Beschuldigten, Bande oder kriminelle Vereinigung;
  • Erfordernis umfangreicher (auch überörtlicher oder internationaler) Ermittlungen.

Besondere Sachkunde oder besondere Kenntnisse des Arzneimittel- oder Medizinprodukterechts sind dann erforderlich, wenn

  • in nicht nur unerheblichem Maße medizinisches, pharmakologisches oder technisches Fachwissen oder vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Herstellungsprozesse, der Lieferketten oder Genehmigungsverfahren benötigt werden oder
  • Fragen des außerstrafrechtlichen Arzneimittel- oder Medizinprodukterechts oder der relevanten Vorschriften des Unionsrechts oder des Völkerrechts (namentlich der Medicrime-Konvention des Europarats vom 28. Oktober 2011) zu beurteilen sind.

V. Gemeinsame Vorschriften

1. Konnexe Straftaten

Die sachliche Zuständigkeit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft erstreckt sich auch auf solche Straftaten, einschließlich der Geldwäsche, die in direktem Zusammenhang mit den in den Abschnitten II bis IV genannten Straftaten stehen.

2. Örtliche Zuständigkeit

Im Umfang der sachlichen Zuständigkeit gemäß den Abschnitten II bis IV erstreckt sich die örtliche Zuständigkeit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft auf alle Gerichtsbezirke des Landes Brandenburg.

3. Organisation

Die Aufgaben der Schwerpunktstaatsanwaltschaft werden von einer besonderen Abteilung der Staatsanwaltschaft Potsdam wahrgenommen, die aus mindestens einer Abteilungsleiterin oder einem Abteilungsleiter und aus für die Bearbeitung von Verfahren der Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitskriminalität besonders geeigneten Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zu bestehen hat.

Der Schwerpunktstaatsanwaltschaft werden zusätzliche Stellen für Wirtschaftsfachleute (zum Beispiel Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer, Buchhalterinnen und Buchhalter) zugewiesen. Die Wirtschaftsfachleute arbeiten den Dezernentinnen und Dezernenten unter deren Anleitung zu.

4. Verfahren

Die Abgabe von Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitsstrafsachen nach den Abschnitten II bis IV von einer örtlichen Staatsanwaltschaft an die Schwerpunktstaatsanwaltschaft erfolgt unmittelbar. Kommt eine Einigung über die Abgabe an die Schwerpunktstaatsanwaltschaft nicht zustande, führt die Leiterin oder der Leiter der Staatsanwaltschaft unverzüglich – in besonders eiligen oder bedeutsamen Fällen durch mündlichen Vortrag – die Entscheidung der Generalstaatsanwältin oder des Generalstaatsanwalts herbei.

Geht eine Anzeige bei einer örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft ein oder leitet diese von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren ein, so übersendet sie die Vorgänge unverzüglich der Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Ist es erforderlich, unaufschiebbare Ermittlungshandlungen vorzunehmen, übersendet die örtliche Staatsanwaltschaft der Schwerpunktstaatsanwaltschaft nach hergestelltem Einvernehmen zu diesem Zweck auf geeignetem Wege die Akten oder die wesentlichen Aktenbestandteile. Ist dies nicht möglich, veranlasst die örtliche Staatsanwaltschaft die Maßnahmen eigenständig.

Bestätigt sich der Verdacht einer Wirtschafts-, Umwelt- oder Gesundheitsstrafsache oder einer umweltrechtlichen Ordnungswidrigkeit nach den Abschnitten II bis IV nicht, gibt die Schwerpunktstaatsanwaltschaft das Verfahren mit einer Begründung versehen an die örtliche Staatsanwaltschaft zurück. Bei mehreren Taten im Sinne des § 264 der Strafprozessordnung stellt die Schwerpunktstaatsanwaltschaft das Verfahren wegen der in ihre Zuständigkeit fallenden Straftat zuvor ein.

5. Regionale und überregionale Kooperation

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist Ansprechpartnerin der für Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitsangelegenheiten zuständigen Behörden des Landes Brandenburg und der anderen fachlich betroffenen öffentlichen und privaten Stellen, wie etwa der Industrie- und Handelskammern, der Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkassen und der Umweltverbände. Dies gilt namentlich bei grundsätzlichen Fragestellungen sowie in Einzelfällen dann, wenn eine Zuständigkeit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft möglich oder die örtliche Zuständigkeit ungeklärt erscheint. Entsprechendes gilt für die Zusammenarbeit mit überregionalen und internationalen Stellen, die mit der Bekämpfung der Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitskriminalität befasst sind.

VI. Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Allgemeine Verfügung wird im Justizministerialblatt für das Land Brandenburg veröffentlicht und tritt am 1. Juni 2021 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Allgemeine Verfügung der Ministerin der Justiz „Bestimmung der Staatsanwaltschaft Potsdam zur Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der schweren Wirtschafts- und Umweltkriminalität im Land Brandenburg“ vom 24. Juni 2020 (JMBl. S. 94) außer Kraft.

Potsdam, den 29. April 2021

Die Ministerin der Justiz

Susanne Hoffmann