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Richtlinien zum Schutz gefährdeter Zeugen

Richtlinien zum Schutz gefährdeter Zeugen
vom 28. Januar 1994
(JMBl/94, [Nr. 4], S.52)

Außer Kraft getreten durch Bekanntmachung vom 19. Mai 2005
(ABl./05, [Nr. 27], S.720)

Auf der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 4. und 5. November 1993 und der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren am 26. November 1993 ist der Erlaß der nachfolgenden Richtlinien vereinbart worden, die mit sofortiger Wirkung für das Land Brandenburg in Kraft gesetzt werden:

1. Grundsätzliches

Eine erfolgreiche Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der tenoristischen Gewaltkriminalität und der Organisierten Kriminalität, ist häufig nur mittels Zeugenbeweises möglich. Dabei kommt vor allem den Zeugen eine große Bedeutung zu, die wegen ihrer persönlichen Nähe zur Tatplanung und - durchführung eine für das Strafverfahren entscheidende Aussage machen können. Neben einer grundsätzlichen Gefährdung aller in diesen Kriminalitätsbereichen in Betracht kommenden Zeugen sind diese Personen besonders bedroht.

Zur Verhinderung von physischen und psychischen Einwirkungen auf gefährdete Personen und zur Aufrechterhaltung einer grundsätzlichen Aussagebereitschaft sind Maßnahmen zum Schutze solcher Zeugen und ihnen nahestehender Personen erforderlich.

Wirkungsvoller Zeugenschutz erfordert eine enge Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Aus diesem Grund kommt einer möglichst einheitlichen Umsetzung der Richtlinien besondere Bedeutung zu. Daneben ist die Unterstützung durch andere Behörden und Institutionen unerläßlich, um einen effektiven Zeugenschutz zu ermöglichen.

2. Zweck/Ziel

Zeugenschutzmaßnahmen dienen

  • dem Schutz der gefährdeten Personen für die Dauer ihrer Gefährdung und
  • der Sicherung der Strafverfolgung und des Strafverfahrens.

3. Zielgruppen

Zielgruppen sind:

3.1 Zeugen, bei denen eine bedrohliche Einflußnahme durch Dritte oder eine persönliche Gefährdung zu befürchten ist;

3.2 Mitbeschuldigte unter den Voraussetzungen zu 3.1 und

3.3 Angehörige der unter 3.1 und 3.2 Genannten sowie sonstige diesen nahestehende Personen.

4. Rechtsgrundlagen

4.1 Polizeirecht

Die Zuständigkeit und Ermächtigungsgrundlagen für polizeiliche Zeugenschutzmaßnahmen zur Gefahrenabwehr ergeben sich aus den jeweiligen Vorschriften der Polizeigesetze der Länder.

Entscheidungen werden nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen. Ein Anspruch auf Zeugenschutz oder auf die Durchführung bestimmter Maßnahmen besteht grundsätzlich nicht.

4.2 Strafverfahrensrecht

Das Strafverfahrensrecht enthält Vorschriften, die dem Schutz von Zeugen dienen (z. B. §§ 68, 96, 200, 222 StPO, § 172 GVG).

5. Beurteilung der Gefährdungslage

Bei Ermittlungen bzw. bei Strafverfahren in Fällen schwerer Kriminalität sind grundsätzlich durch die ermittlungsführende Polizeidienststelle Gefahrenermittlungen anzustellen und eine Beurteilung der Gefährdungslage vorzunehmen. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

  • Art und Schwere der Straftat
  • Gefährlichkeit der Täter und deren Umfeld
  • Bedeutung der Zeugenaussage
  • persönliche Umstände des Zeugen
  • Stand des Verfahrens
  • Kenntnis von angedrohten oder tatsächlichen Repressalien.

6. Einstufung des Gefährdungsgrades und Anordnung von Zeugenschutzmaßnahmen

Aufgrund der Lagebeurteilung der ermittlungsführenden Polizeidienststelle nimmt das Landeskriminalamt Brandenburg eine Einstufung der Gefährdungslage gemäß PDV 100 Nr. 2.5.2.3 vor. Der hiernach notwendige Zeugenschutz ist durch spezifische Maßnahmen zu gewährleisten, die durch einzelne an der PDV 100 Nr. 2.5.2.4 orientierte Schutzmaßnahme ergänzt werden können.

Spätestens vor der Einstufung in eine Gefährdungsstufe ist das Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft über die Beurteilung der Gefährdung herbeizuführen.

7. Durchführung von Maßnahmen

Zeugenschutzmaßnahmen sind erforderlichenfalls in allen Stadien des Verfahrens und auch nach dessen Abschluß bis zum Wegfall der Gefährdung durchzuführen.

Soweit die Maßnahmen sich auf die Durchführung des Strafverfahrens oder des Freiheitsentzugs auswirken können, sind sie mit den zuständigen Justizbehörden abzustimmen.

Im allgemeinen kann es sich dabei um Maßnahmen

  • der Beratung
  • der Abdeckung der persönlichen Verhältnisse
  • der Sicherung der Wohnung oder sonstiger Aufenthaltsorte
  • des unmittelbaren Schutzes
  • zur Veränderung im persönlichen Bereich
  • der Hilfen im neuen Lebensbereich
  • der taktischen Öffentlichkeitsarbeit
  • operativer Art gegen potentielle Täter/Tätergruppen handeln.

Die Schutzmaßnahmen sollen die Betroffenen in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit nicht mehr als im Interesse der Sicherheit unvermeidbar notwendig einschränken.

Einige Maßnahmen setzen die freiwillige Mitwirkung der Betroffenen zwingend voraus. Bei anderen Maßnahmen ist auf ihr Einverständnis und ihre Mitwirkung hinzuarbeiten.

Die Maßnahmen sind fortlaufend im Hinblick auf

  • ihre Erforderlichkeit
  • ihre Wirksamkeit
  • die Einhaltung von Absprachen mit den Betroffenen

zu überprüfen.

Wer bei Zeugenschutzmaßnahmen für die Polizei tätig wird, ist, soweit Geheimhaltung geboten ist, nach dem Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen zu verpflichten.

8. Maßnahmen der Justiz

Die Gerichte und Justizbehörden können (unter Einbeziehung der Vollzugshilfe durch die Polizei) flankierende Maßnahmen zum Schutz der Zeugen veranlassen.

9. Organisatorische Maßnahmen

Bei der Durchführung von Zeugenschutzmaßnahmen ist aus Gründen der Objektivität und zur Vermeidung des Vorwurfes der Beeinflussung des Zeugen durch die Polizei stets darauf zu achten, daß diese Maßnahmen nicht von Polizeibeamten durchgeführt werden, die zu dem Ermittlungssachverhalt in unmittelbarer Beziehung stehen.

Zur Gewährleistung eines wirkungsvollen Zeugenschutzes ist die Zusammenarbeit auf Bundes- und Landesebene mit den Koordinierungsstellen beim Bundeskriminalamt und in den Ländern erforderlich.

9.1 Bundeskriminalamt

Beim Bundeskriminalamt ist für die Zeugenschutzmaßnahmen eine Koordinierungsstelle mit folgenden Aufgaben eingerichtet:

  • Erstellung eines aktuellen allgemeinen Lagebildes (z. B. zur Erkennung neuer Entwicklungen und Tendenzen)
  • Organisation eines allgemeinen Informationsaustausches
  • zentrale Koordinierung, soweit erforderlich (z. B. zwischen mehreren Ländern, mit Bundesdienststellen und Dienststellen im Ausland)
  • anlaßbezogene Organisation von bundesweiten Arbeitsbesprechungen
  • Durchführungen von Schutzmaßnahmen in BKA-Ermittlungsverfahren in Absprache mit den Dienststellen betroffener Länder
  • Durchführung von und Mitwirkung an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen.

9.2 Landeskriminalamt

Das Landeskriminalamt Brandenburg ist zuständige Dienststelle für die Planung, Durchführung und Koordination der Zeugenschutzmaßnahmen.

10. Zusammenarbeit

10.1 Liegen den Justizbehörden Anhaltspunkte dafür vor, daß Zeugenschutzmaßnahmen, die außerhalb ihrer Zuständigkeit liegen, erforderlich werden, teilen sie dies der zuständigen Polizeidienststelle mit.

10.2 Die Justizvollzugsanstalt ist über die Gefährdungslage sofort zu unterrichten, wenn sich ein Betroffener in Haft befindet.

10.3 Die Zusammenarbeit und Koordinierung ist insbesondere geboren:

  • bei einer aus eigener Initiative der Betroffenen oder aus Veranlassung der zuständigen Dienststelle vorgesehenen Wohnsitzverlegung eines Zeugen in ein anderes Land oder das Ausland
  • bei Bekanntwerden von Informationen, die die Zeugenschutzmaßnahmen anderer Länder oder des Bundeskriminalamtes berühren können
  • bei einer notwendig werdenden Verlegung eines in Untersuchungs- oder Strafhaft befindlichen Zeugen in ein anderes Land..

10.4 Verantwortlich für den Zeugenschutz bleibt auch nach einer Wohnsitzverlegung in ein anderes Land oder in das Ausland die veranlassende Behörde. Bei akuter Gefährdung der Person trifft die zuständige Dienststelle des aufnehmenden Landes die erforderlichen Maßnahmen, ggf. mit Unterstützung der veranlassenden Dienststelle. Dabei unterrichten sich die jeweiligen Koordinierungsstellen.

Dritten gegenüber anfallende Kosten werden von der Behörde übernommen, die die Zeugenschutzmaßnahmen veranlaßt hat. Die Zuständigkeit leistungspflichtiger Behörden (z. B. Sozialbehörden, Arbeitsämter) bleibt davon unberührt.

10.5 Sind bei einer Wohnsitzverlegung in ein anderes Land durch das aufnehmende Land unterstützende Maßnahmen (z. B. Arbeitsplatz-/Wohnungssuche, Ansprechstelle für Notfälle) erforderlich, so sind den zuständigen Koordinierungsstellen insbesondere folgende Informationen zu übermitteln:

  • Lagebeurteilung und Gefährdung
  • Personendaten (z. B. Namen, Aliasnamen, Wohnung, telefonische Erreichbarkeit, Kraftfahrzeug, Lichtbild, Ausweis-Nr.)
  • persönliche Verhältnisse (z. B. Lebensgewohnheiten, Angehörige, soziales Umfeld)
  • Stand des Verfahrens (z. B. Grund, Ermittlungsdienststelle/Sachbearbeiter, Staatsanwaltschaft/Gericht, Ergebnisse)
  • Mitteilung über potentielle "Gefährder" (z. B. Personalien, Lichtbilder, Kraftfahrzeuge, Bezug zum Gefährdeten, Milieu)
  • bisherige Zeugenschutzmaßnahmen der veranlassenden Dienststelle
  • Verhalten des Zeugen (z. B. Zusammenarbeit mit der Polizei, Rückfälligkeit ins Milieu)
  • verantwortliche Dienststelle/Sachbearbeiter.

10.6 Nr. 10.5 gilt auch dann, wenn sich ein gefährdeter Zeuge in Untersuchungs- oder Strafhaft befindet oder sonst untergebracht ist. Die zuständige Koordinierungsstelle unterrichtet den Leiter der Einrichtung, bei Untersuchungshaft auch die zuständige Staatsanwaltschaft.

11. Geheimhaltung/Vertraulichkeit des Schriftverkehrs

Informationen und Maßnahmen bedürfen der besonderen Geheimhaltung, wenn deren Offenlegung die Erreichung der angestrebten Schutzziele beeinträchtigen könnte. Sie gelten als Dienstgeheimnis im Sinne des § 353 b StGB.

Um die Vertraulichkeit sicherzustellen, ist der gesamte Schriftverkehr als "VS- Nur für den Dienstgebrauch" einzustufen, soweit nicht im Einzelfall eine höhere Einstufung erforderlich ist. Der Schriftverkehr ist an den Leiter der Behörde/zuständigen Dienststelle persönlich/o. V. i. A. zu richten.

12. Kosten

In jedem Fall ist zu prüfen, wer als Kostenträger für eine Kostenerstattung oder Kostenbeteiligung herangezogen werden kann. Von einer Anforderung ist abzusehen, wenn sie den Erfordernissen der Geheimhaltung zuwiderläuft.

Potsdam, den 28. Januar 1994

Der Minister der Justiz                                      Der Minister des Innern

Dr. Bräutigam                                                   Ziel