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Richtlinien für hauptamtliche Pädagogen in den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg
Richtlinien für hauptamtliche Pädagogen in den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg
vom 14. März 1997
(JMBl/97, [Nr. 4], S.35)
1. Vorbemerkungen
1.1 Pädagogische Maßnahmen sind Teil eines Betreuungs- und/oder Behandlungskonzeptes, mit dem das Ziel verfolgt wird, den Inhaftierten die spätere Eingliederung in die Gesellschaft durch die Befähigung zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zu erleichtern.
Sie sollen den Gefangenen Erfolgs- und Leistungserlebnisse vermitteln und sie insbesondere in die Lage versetzen, fehlende Kenntnisse und Fertigkeiten nachzuerwerben oder vorhandene Kenntnisse und Fertigkeiten aufzubessern. Dazu ist unter Beachtung der für das Land Brandenburg geltenden Schulgesetzgebung ein möglichst vielgestaltiges Bildungsangebot bereitzuhalten, das die jeweilige Bedürfnislage der Gefangenen und die unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Bei Bedarf soll auf den unterrichtlichen Erwerb schulischer Abschlüsse vorbereitet werden.
1.2 Einstellungsvoraussetzungen In den Vollzugsanstalten werden Lehrer eingestellt
1.2.1 mit der Befähigung zum Lehramt für die Primarstufe (bis Klasse 6) oder die Sekundarstufe I oder zum Lehramt für die Sekundarstufe II (berufliche Fachrichtung) oder zum Lehramt an Förderschulen oder mit
1.2.2 vergleichbaren Abschlüssen und Qualifikationen wie 1.2.1.
2. Aufgaben
Den Pädagogen obliegt insbesondere
- die schulpädagogische Betreuung der Gefangenen gemäß Nr. 1.1,
- die Mitwirkung bei der Planung und Gestaltung des Vollzuges sowie der Behandlung der Gefangenen,
- die Mitwirkung bei der Fortbildung und Beratung der Vollzugsbediensteten und
- sonstige Aufgaben.
2.1 Schulpädagogische Betreuung der Gefangenen
Im Rahmen der schulpädagogischen Betreuung der Gefangenen obliegt den Pädagogen die Gestaltung, Organisation und Durchführung von unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Bildungsangeboten auf der Grundlage der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse der Pädagogik.
Dazu gehören insbesondere die
2.1.1 Planung, Durchführung oder didaktische Begleitung von unterrichtlichen Bildungsangeboten,
2.1.2 Planung, Durchführung oder Mitgestaltung außerunterrichtlicher Bildungsangebote,
2.1.3 Organisation und Gestaltung der Zusammenarbeit mit den Einrichtungen des schulischen Pflichtunterrichts im Bereich der Sekundarstufen I und II und anderen externen Bildungsträgern sowie deren Unterstützung bei ihrer Tätigkeit im Vollzug,
2.1.4 Durchführung von Prüfung und Leistungskontrollen in Zusammenarbeit mit den Schulbehörden und anderen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen,
2.1.5 Weiterentwicklung pädagogisch-didaktischer Konzepte und die Auswahl von Unterrichtsmaterialien unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen für die Pädagogik im Vollzug,
2.1.6 Beratung und Betreuung von Gefangenen in Angelegenheiten der Bildung, Weiterbildung und Ausbildung und
2.1.7 Auswahl und Verwaltung der Lehr- und Lernmittel in Absprache mit den externen Lehrkräften sowie die Sorge für die sächliche Ausstattung der Unterrichtsräume.
2.2 Mitwirkung bei der Planung und Gestaltung des Vollzugs sowie der Behandlung der Gefangenen
Dazu gehören insbesondere die Mitwirkung bei
2.2.1 der Planung und inhaltlichen Gestaltung von beruflichen Bildungsangeboten,
2.2.2 der Planung und Entwicklung von Freizeit- und Medienprogrammen (die §§ 67, 69 StVollzG, Nr. 58 und 60 VVJuG),
2.2.3 der Gestaltung von interdisziplinären Behandlungskonzepten,
2.2.4 der Behandlungsuntersuchung (§ 6 StVollzG, Nr. 2 VVJuG) soweit pädagogische Belange oder Maßnahmen der Bildung und Ausbildung berührt sind,
2.2.5 der Aufstellung und Weiterentwicklung des Vollzugsplanes (§ 7 StVollzG, Nr. 3 VVJuG),
2.2.6 der Erforschung der Persönlichkeiten der jungen Gefangenen im Vollzug der Untersuchungshaft (§ 79 UVollzO),
2.2.7 der Prüfung von Vollzugsmaßnahmen, wie der Verlegung, Lockerung, vorzeitigen Entlassung und des Urlaubs (die §§ 8, 9, 10, 11, 13, 15 und 35 StVollzG, Nr. 4, 5, 6, 8, 10 und 30 VVJuG, § 57 StGB), soweit pädagogische Belange oder Maßnahmen der Bildung und Ausbildung berührt sind,
2.2.8 dem Auswahlverfahren für junge Untersuchungsgefangene, das die Grundlage für die Einweisung in eine der Jugendstrafanstalten bildet und
2.2.9 der Auswahl von Büchern und Schriften für die Gefangenenbücherei.
2.1 Mitwirkung bei der Fortbildung der Vollzugsbediensteten
Die Pädagogen können im Rahmen der Regelungen, die von der Aufsichtsbehörde für die Aus- und Fortbildung der Anstaltsbediensteten getroffen werden, Unterricht erteilen.
2.2 Sonstige Aufgaben
In Einzelfällen können den Pädagogen auch vollzugliche Leitungsaufgaben, wie die Leitung einer Schul- oder Vollzugsabteilung, übertragen werden.
3. Konferenzen
Die Pädagogen bemühen sich um Koordinierung ihrer pädagogischen Arbeit.
Zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben sollen sie in den Justizvollzugsanstalten mit mindestens drei hauptamtlich tätigen Lehrkräften mindestens einmal im Monat Konferenzen durchführen. Über das Ergebnis der Konferenz wird ein Protokoll erstellt, das dem Anstaltsleiter zuzuleiten ist.
Bei mehr als drei Lehrkräften können die Pädagogen einen Sprecher aus ihrem Kreis wählen, der ihre Angelegenheiten nach außen hin vertritt.
Unterrichten mehrere Pädagogen in einer Unterrichtsgruppe, so bilden sie bei Bedarf Klassenkonferenzen.
4. Organisation des Bildungsangebotes, Unterrichtsstunden (Umfang, Bewertung, Vor- und Nachbereitung), Weiterbildung, Erziehungsmaßnahmen und Fachaufsicht
4.1 Die Planung und Gestaltung der unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Bildungsangebote ist Angelegenheit der Pädagogen. Bei der Gestaltung von Angeboten externer Bildungsträger haben sie eine beratende Funktion. Im Strafvollzug sind die Pädagogen Lehrer und Bildungsorganisatoren zugleich. Sie stimmen die zeitliche und räumliche Organisation der Bildungsmaßnahmen mit dem Anstaltsleiter ab.
4.2 Die Zahl der von einem Pädagogen zu erteilenden Unterrichtsstunden richtet sich nach dem Umfang seiner anderen Aufgaben. Pädagogisch gestaltete außerunterrichtliche Gruppenaktivitäten und Projekte sind wie Unterricht zu bewerten.
Die Dauer einer Unterrichtsstunde beträgt wie an öffentlichen Schulen 45 Minuten. Die dazu notwendige Vor- und Nachbereitungszeit steht den Pädagogen zur Verfügung. Vor- und Nachbereitung des Unterrichts können auch außerhalb der Vollzugsanstalt stattfinden, sofern dies von der Sache her geboten ist.
4.3 Die Pädagogen im Strafvollzug bilden sich regelmäßig fachlich fort. Das Ministerium der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten unterstützt sie im Bemühen um den Zugang zu geeigneten Fort- und Weiterbildungsangeboten.
4.4 Die Pädagogen entscheiden bei Pflichtverstößen der Gefangenen in ihren Unterrichtsveranstaltungen eigenverantwortlich über geeignete Maßnahmen. Sie können Gefangene bis zur Dauer eines Tages von Unterrichtsveranstaltungen ausschließen, sofern dies zur störungsfreien Fortsetzung des Unterrichts erforderlich ist. Über einen Ausschluß von längerer Dauer entscheidet der Anstaltsleiter auf Antrag des Pädagogen bzw. der Klassenkonferenz nach Anhörung der Vollzugskonferenz. Sollen Gefangene aus sonstigen vollzuglichen Gründen vom Unterricht ausgeschlossen werden, so ist der Pädagoge vor der Entscheidung zu hören.
5. Fachaufsicht
5.1 Unbeschadet der Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse der Aufsichtsbehörde unterstehen die Pädagogen der Weisungsbefugnis des Anstaltsleiters, sofern nicht Angelegenheiten der fachdidaktischen und methodischen Durchführung des Unterrichts sowie Inhalt und Methoden von Prüfung und Leistungskontrollen berührt sind. Die Pädagogen unterrichten den Anstaltsleiter über diese Tätigkeiten.
Der Anstaltsleiter kann eine Überprüfung dieser Tätigkeiten durch die Fachaufsicht anregen. Bis zur Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann der Anstaltsleiter die Durchführung von Maßnahmen des Pädagogen aussetzen, die nach seiner Auffassung die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder die Behandlung der Gefangenen gefährden würden.
5.2 Die Aufsichtsbehörde zieht zur Ausübung der Fachaufsicht einen Pädagogen mit Erfahrung im Strafvollzug heran.
6. Inkrafttreten
Diese Allgemeine Verfügung tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.
Potsdam, den 14. März 1997
Der Minister der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten
Dr. Bräutigam