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Richtlinie zur Anwendung der Opportunitätsvorschriften bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang mit dem Eigenverbrauch von Cannabisprodukten

Richtlinie zur Anwendung der Opportunitätsvorschriften bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang mit dem Eigenverbrauch von Cannabisprodukten
vom 15. August 2006
(JMBl/06, [Nr. 9], S.122)

Präambel:

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 9. März 1994 das geltende Betäubungsmittelstrafrecht für verfassungskonform erklärt und in diesem Zusammenhang auf die von Cannabisprodukten ausgehenden “nicht unbeträchtlichen Gefahren und Risiken“ insbesondere für die Gesundheit hingewiesen.

Ein Absehen von der Verfolgung gemäß § 31a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) kommt ausschließlich bei geringen, dem gelegentlichen Eigenverbrauch dienenden Mengen in Betracht und ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig zu prüfen.

Gleichwohl darf hierbei nicht der Eindruck entstehen, Cannabiskonsum sei im Grunde unproblematisch. Stattdessen muss im Interesse des Gesundheitsschutzes, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, dem gesundheits- und gemeinschädlichen Missbrauch von Drogen aller Art durch Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung sowie durch Hilfe beim Ausstieg nachhaltig entgegengewirkt werden.

  1. Diese Richtlinien sollen eine möglichst gleichmäßige Handhabung der Absehensvorschrift nach § 31a BtMG bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, die im Zusammenhang mit dem Eigenverbrauch von Cannabisprodukten stehen, sicherstellen. In Verfahren, die nicht den Umgang mit Cannabisprodukten betreffen, entscheidet die Staatsanwaltschaft über das Absehen von der Verfolgung nach Einzelfallprüfung. Die Verfolgungspflicht der Polizeibehörden bleibt von diesen Richtlinien unberührt.
  2. Nach § 31a BtMG kann die Staatsanwaltschaft bei Vergehen nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 BtMG ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

Sind durch die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetztes (BtMG) Verhaltensweisen mit Strafe bedroht, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen der in Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BtMG angeführten Cannabisprodukte vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 90, 145 ff.) grundsätzlich von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten abzusehen.

Eine geringe Menge im Sinne des § 31a BtMG ist bei Cannabisprodukten bis zu einer Obergrenze von 6 g (Bruttogewichtsmenge) anzunehmen.

Zum Eigenverbrauch ist ein Betäubungsmittel bestimmt, wenn der Täter es ausschließlich selbst konsumiert hat oder konsumieren will. Dabei ist im Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten zu entscheiden.

Die Anwendung des § 31a BtMG setzt - ebenso wie bei § 153 StPO - nicht voraus, dass die geringe Schuld auf Grund der Ermittlungen mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen ist. Erforderlich ist nur eine hypothetische Schuldbeurteilung. Es genügt die Prognose, dass die Schuld als gering anzusehen wäre, selbst wenn der vorgeworfene Sachverhalt sich auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens bestätigen würde. Der Sachverhalt braucht daher auch nur so weit aufgeklärt zu werden, wie es für diese Prognoseentscheidung notwendig ist.

Für die Frage, ob die Schuld als gering anzusehen wäre, ist insbesondere von Bedeutung, ob der Täter in strafrechtlicher Hinsicht in zeitnahen Abständen bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist oder ob ein in kurzen Abständen stattfindender Dauergebrauch nachzuweisen ist. Die Anwendung des § 31a BtMG ist aber auch bei wiederholter Tatbegehung jedenfalls dann nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn die festgestellten Umstände nahe legen, dass es sich bei dem Täter gleichwohl um einen Gelegenheitskonsumenten handelt, der einer Drogentherapie nicht bedarf. Als Gelegenheitskonsumenten sind in der Regel solche Täter anzusehen, die im letzten Jahr vor der Feststellung der Tat strafrechtlich nicht auffällig geworden sind. Andernfalls ist zu prüfen, ob eine Verfahrensweise nach § 37 Abs. 1 BtMG (auch in Verbindung mit § 38 Abs. 2 BtMG) in Betracht kommt.

Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass Dritte erstmalig mit Betäubungsmitteln in Berührung kommen (z. B. Drogenkonsum in der Umgebung von Schulen oder in Gegenwart von Dritten, die bislang nicht Konsumenten sind). Allerdings kann das öffentliche Interesse an weiterer Strafverfolgung auch dann bestehen, wenn der Verdächtige sich nicht mit der außergerichtlichen Einziehung sichergestellter Drogen einverstanden erklärt. In diesen Fällen ist nach § 33 Abs. 2 BtMG, § 74 Abs. 4 StGB zu verfahren, das heißt das sichergestellte Rauschgift durch Urteil einzuziehen.

  1. Die §§ 45, 47 JGG gehen als jugendstrafrechtliche Spezialregelung dem § 31a BtMG vor. Die Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung nach anderen Vorschriften (§§ 153 ff. StPO, 37, 38 Abs. 2 BtMG) bleiben unberührt; bei Vorliegen einer lediglich geringen Eigenkonsummenge verdrängt jedoch § 31a BtMG als Spezialregelung die §§ 153, 153a StPO.
  2. Diese Rundverfügung ergeht im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie, dem Ministerium des Innern und dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport.
  3. Diese Rundverfügung tritt mit Wirkung vom 10. August 2006 in Kraft. Gleichzeitig wird die Rundverfügung des Ministers der Justiz vom 17. September 1993, JMBl. S. 158 (Richtlinien für die Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg zur Anwendung der Opportunitätsvorschriften im Betäubungsmittelgesetz) aufgehoben.

Potsdam, den 15. August 2006

Die Ministerin der Justiz

Beate Blechinger