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Richtlinien zum Beratungsangebot für Justizvollzugsbedienstete zur Bewältigung von Übergriffen und traumatischem Stress

Richtlinien zum Beratungsangebot für Justizvollzugsbedienstete zur Bewältigung von Übergriffen und traumatischem Stress
vom 23. August 2001
(JMBl/01, [Nr. 9], S.187)

Geiselnahmen, Überfälle und tätliche Angriffe durch Gefangene, Todesfälle, Bergung von Suizid- und Verletzungsopfern und andere starke Ängste und Spannungen auslösende Ereignisse im Justizvollzug sind für die Bediensteten aller Laufbahnen in besonderem Maße belastend. In Einzelfällen können sich als Folge posttraumatische Belastungsstörungen mit langfristigen psychosozialen Beeinträchtigungen bis hin zu dauernder Dienstunfähigkeit entwickeln. Um dem entgegenzuwirken, ist in jeder Justizvollzugsanstalt ein Beratungsangebot eingerichtet, das den betroffenen Bediensteten zeitnah Hilfe in der Krisensituation und im Rahmen der Nachbetreuung anbietet. Im Zusammenwirken mit der Anstaltsleitung sollen die Ansprechpartner dazu beitragen, dass die Betroffenen sich nicht allein gelassen fühlen, dass sie das belastende berufliche Ereignis verarbeiten und dass es keine lang anhaltenden Folgewirkungen nach sich zieht.

1. Beratungsangebot

Das Beratungsangebot an alle Vollzugsbediensteten erfolgt in Form von Einzel- und/oder Gruppengesprächen im Rahmen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn.

Eine Nichtinanspruchnahme des Beratungsangebotes hat dienstlich keine nachteiligen Auswirkungen für die Bediensteten.

Die Ansprechpartner weisen die Betroffenen vor Aufnahme der Beratung darauf hin.

2. Ansprechpartner

Das Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten bestellt für jede Justizvollzugsanstalt geeignete Bedienstete nach vorheriger Ausbildung zu Ansprechpartnern.

Die Entpflichtung der Ansprechpartner erfolgt ebenfalls durch das Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten.

3. Arbeit der Ansprechpartner

3.1 Herstellung des Kontakts

Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass ein Ereignis im Justizvollzug von Bediensteten als besonders belastend erlebt worden ist, benachrichtigt die Anstalt unverzüglich telefonisch - auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten - einen der Ansprechpartner aus der Anstalt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit haben Ansprechpartner ein grundsätzliches Zutrittsrecht zur Justizvollzugsanstalt.

Ein Erstkontakt des Ansprechpartners mit den betroffenen Personen ist innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem Ereignis herzustellen. Der Ansprechpartner vereinbart individuell die Gespräche. Es sollen ein bis drei, in Ausnahmefällen bis zu fünf Gespräche angeboten werden.

3.2 Zur Arbeitsweise

3.2.1 Einzelgespräche

Unmittelbar nach dem traumatischem Ereignis finden Einzelgespräche mit den betroffenen Bediensteten im Sinne der Krisenintervention mit weitestmöglicher Abschirmung vor störenden Einwirkungen (z. B. durch Personen innerhalb und außerhalb des Vollzuges) statt.

3.2.2 Weitere Einzelgespräche

Nach Bedarf führen die Ansprechpartner weitere Einzelgespräche mit den Betroffenen durch.

3.2.3 Weitere Hilfen

Die Ansprechpartner vermitteln erforderlichenfalls weitere Hilfen, z. B. Weitervermittlung an externe Einrichtungen oder frei praktizierende ärztliche oder psychologische Fachkräfte.

3.2.4 Gruppengespräch

Sind mehrere Bedienstete betroffen und sieht der Ansprechpartner nach den Erstkontakten mit den Betroffenen die Notwendigkeit einer Traumabewältigung im Gruppengespräch, informiert er die Anstaltsleitung. Diese veranlasst in Abstimmung mit der Ausbildungsabteilung bei der JVA Brandenburg an der Havel die Durchführung eines Gruppengesprächs.

Das Gruppengespräch wird von hierfür besonders qualifizierten Ansprechpartnern, die nicht aus der betroffenen JVA kommen, ein bis drei Wochen nach dem Ereignis durchgeführt. An dem Gruppengespräch sollen alle betroffenen Bediensteten teilnehmen.

3.2.5 Nachgespräch

Drei bis spätestens sechs Monate nach dem Ereignis wird in einem Nachgespräch durch den Ansprechpartner geprüft, ob der Verarbeitungsprozess positiv verläuft oder ob weitere Beratungsmaßnahmen erforderlich sind.

Die Beratung durch die Ansprechpartner ersetzt nicht die notwendige fachärztliche oder psychotherapeutische Behandlung.

4. Umgang mit Informationen

Die Ansprechpartner unterliegen bei allen ihnen im Zusammenhang mit dem belastenden Ereignis bekannt gewordenen persönlichen Mitteilungen der betroffenen Bediensteten der Schweigepflicht, auch dann, wenn sie nicht psychologische Fachkraft sind. Sie sind insoweit psychologischem Hilfspersonal gleichgestellt.

Nach einem besonderen Ereignis unterrichten die Ansprechpartner die Anstaltsleitung über die Art der veranlassten Maßnahmen.

Über die Beratung hinausgehende therapeutische Empfehlungen dürfen Dritten nur mit Einverständnis der betroffenen Bediensteten zugänglich gemacht werden.

5. Organisation

Die Ansprechpartner organisieren ihre Arbeit nach den Vorgaben dieser Verfügung eigenverantwortlich.

Dienstleistungen im Rahmen der Geschäftsführung der Ansprechpartner übernimmt die Ausbildungsabteilung für Justizvollzugsbedienstete bei der JVA Brandenburg an der Havel, die auch für die notwendigen Weiterbildungsmaßnahmen und Supervision der Ansprechpartner Sorge trägt.

Die von den Ansprechpartnern erbrachten Einsatzstunden gelten als Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitverordnung. Ein Bereitschaftsdienst wird nicht eingerichtet.

Dienstreisen der Ansprechpartner aus Anlass ihres Einsatzes gelten als genehmigt.

Reise- und sonstige Sachkosten, die den Ansprechpartnern aus Anlass ihres Einsatzes entstehen, sind aus den der Ausbildungsabteilung zugewiesenen Haushaltsmitteln aus Kapitel 04050 Titel 525 61 zu tragen.

6. In-Kraft-Treten

Diese Allgemeine Verfügung tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.

Potsdam, den 23. August 2001

Der Minister der Justiz und für EuropaangelegenheitenIn Vertretung

Gustav-Adolf Stange