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Erlass Nr. 11/2013
Ausländerrecht: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Beantragung von Sicherungshaft nach § 62 AufenthG
Erlass Nr. 11/2013
Ausländerrecht: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Beantragung von Sicherungshaft nach § 62 AufenthG
vom 2. Dezember 2013
Außer Kraft getreten durch Erlass Nr. 12/2017 vom 19. Dezember 2017
Die Anwendung von § 62 AufenthG unterliegt seit etwa zwei Jahren steigenden Anforderungen. Dies hat seine Ursache zum einen in der EU-Rückführungsrichtlinie und zum anderen in der Entwicklung der Rechtsprechung (z. B. Aushändigung und Übersetzung des Haftantrags, Einvernehmen der Staatsanwaltschaft und Prognose der Ausländerbehörde über die zeitliche Perspektive der Haft). Der in Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit erfordert in Verbindung mit dem Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Die Freiheitsentziehung, die mit der Anordnung von Abschiebungshaft einhergeht, stellt den stärksten Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen dar, den das deutsche Rechtssystem kennt.
Die Änderung von § 62 AufenthG durch die Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie hat bisher keinen Eingang in die AVwV-AufenthG gefunden. In Ergänzung zu den Nr. 62.2.0.1 und 62.2.1.1.1 AVwVAufenthG ist deshalb bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit Folgendes zu beachten:
- Zunächst ist zu prüfen, ob nicht die Anordnung milderer Maßnahmen zur Vermeidung von Abschiebungshaft in Frage kommt. Mildere Maßnahmen können u. a. sein:
- eine Direktabschiebung ohne vorherige Haft, u. U. auch unangekündigt,
- bei Minderjährigen die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung,
- die Beschlagnahme von Pässen oder sonstigen Reisedokumenten
- die räumliche Beschränkung des Aufenthalts, verknüpft mit der Erteilung von Wohnsitz- und Meldeauflagen,
- die Verpflichtung zur Teilnahme an einer Ausreiseberatung,
- die Nutzung eines Ausreiseeinrichtung eines anderen Bundeslandes (§ 61 Abs. 2 AufenthG),
- die Vereinbarung von Sicherheitsleistungen oder Garantien durch Vertrauenspersonen.
- Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Maßnahme auch im Fall des § 62 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG (vollziehbare Ausreisepflicht auf Grund unerlaubter Einreise) ist zu prüfen, ob die ausreisepflichtige Person glaubhaft macht, dass sie freiwillig ausreisen oder sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Angabe einer falschen Identität (z. B. durch gefälschte Papiere) steht einer Glaubhaftmachung in der Regel entgegen.
- In Ergänzung zu Nr. 62.0.5 der AVwVAufenthG sind besonders schutzbedürftige Personen grundsätzlich nicht in Haft zu nehmen. Zu diesem Personenkreis gehören Minderjährige, Menschen ab dem vollendeten 65. Lebensjahr, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern sowie Menschen mit amtsärztlich attestierten oder offensichtlichen psychischen Erkrankungen oder anerkannter Schwerbehinderung. Bestehen Zweifel an der Minderjährigkeit, so können die nach § 49 Abs. 3 i. V. m. Abs. 6 AufenthG vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden.
Für vorgenannte Personen kann jedoch insbesondere in folgenden Fällen Abschiebungshaft beantragt werden:- wenn die Abschiebung trotz des Beschleunigungsgebots nicht direkt aus der Strafhaft heraus gelang und deshalb aufgrund einer Ausweisung nach § 53 oder § 54 Aufenthaltsgesetz aus von der zuständigen Behörde nicht zu vertretenden Gründen unmittelbar im Anschluss an eine Strafhaft erfolgen soll (sog. Überhaft) und eine weitere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliegt oder
- wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
- Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken.
Ergänzend zu Nr. 62.3 AVwVAufenthG soll ein Haftantrag grundsätzlich für höchstens zwei Wochen gestellt werden.
Ist im Einzelfall eine längere Inhaftnahme als ein Monat zur Durchsetzung der Ausreisepflicht erforderlich, ist dies zu begründen.
Der Erlass Nr. 3/2012 vom 12. Juli 2012 wird aufgrund des Inkrafttretens der Dublin-III-VO aufgehoben.