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„Jugendliche Intensivtäter“ im Land Brandenburg

„Jugendliche Intensivtäter“ im Land Brandenburg
vom 26. Juni 2011
(JMBl/11, [Nr. 8], S.70)

I. Grundlagen

Jugendkriminalität ist nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zumeist ubiquitär, episodenhaft und entwicklungsbedingt, d. h. delinquentes Verhalten ist in späteren Altersphasen bei der überwiegenden Anzahl der Täter nicht mehr festzustellen. Auffällig ist eine relativ kleine Gruppe von jugendlichen oder heranwachsenden Tätern, die für eine Vielzahl von zumeist schwerwiegenden Straftaten verantwortlich sind, und bei denen die Begehung von Straftaten keineswegs nur episodenhaft, sondern vielmehr symptomatisch für eine längerfristige Fehlentwicklung ist.

Auch im Land Brandenburg existiert ausweislich zweier, voneinander unabhängiger Untersuchungen des Innen- und Justizressorts eine relativ kleine Gruppe von jungen Tätern, die für die Begehung einer Vielzahl von nicht selten schwerwiegenden Straftaten verantwortlich sind. Dabei sind von dieser Gruppe diejenigen jungen Straftäter zu unterscheiden, die zwar eine Mehrzahl von Straftaten begehen, dabei das darüber hinaus gehende Merkmal der Verfestigung einer kriminellen Entwicklung mit einhergehender Gefährdung der eigenen Persönlichkeit aber nicht in entsprechendem Maß aufweisen und daher nicht als Intensivtäter im Sinne der nachfolgenden Definition, sondern als (einfache) Mehrfachtäter einzuordnen sind.

Mit der Einführung einer gemeinsamen Definition für jugendliche Intensivtäter im Land Brandenburg soll eine flächendeckende, frühzeitige und koordinierte Strategie im Umgang mit negativen Entwicklungen bei stark kriminalitätsbelasteten jungen Straftätern erfolgen. Unabhängig von in der Praxis noch zu erprobenden weiteren Empfehlungen soll im Rahmen der Strafverfolgung zukünftig bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine gemeinsame Definition „Jugendlicher Intensivtäter“ Anwendung finden.

II. Gemeinsame Begriffsdefinition: „Jugendliche Intensivtäter“

„Als ‚Jugendliche Intensivtäter’ gelten grundsätzlich jugendliche und heranwachsende Beschuldigte, bei denen eine Gefährdung der Persönlichkeit und sozialen Integration durch eine sich verfestigende kriminelle Entwicklung besteht und die hinreichend verdächtig sind, den Rechtsfrieden besonders störende Straftaten wie Gewalt- oder schwerwiegende Eigentumsdelikte oder innerhalb der letzten 12 Monate in mindestens 10 Fällen Straftaten von einigem Gewicht, die den Bereich der geringen Schuld übersteigen, begangen zu haben.“

Zur Feststellung der Gefährdung der Persönlichkeit im Sinne dieser Definition können die nachfolgend benannten Indikatoren unterstützend herangezogen werden. Diese haben weder abschließenden Charakter, noch entbinden sie von der Einzelfallbetrachtung.

1. Personenbezogene Merkmale

Entwicklungsverlauf
Charakteristisch ist ein frühzeitiger Tatbeginn, oft im Bereich der Kinderdelinquenz vor der eigentlichen Strafmündigkeit. Den Jugendlichen fehlen angemessene Bewältigungsstrategien und Ressourcen für einen konstruktiven Umgang mit Konfliktlagen und Frustrationserlebnissen.

Aktuelle Krise
Auslöser für delinquentes Verhalten können aktuelle persönliche Krisensituationen des Betroffenen sein, z. B. „Rauswurf“ oder Flucht aus dem Elternhaus, Beendigung einer Partnerschaft, Verweisung aus der Schule.

Hilfestellungen
Auffällig häufig scheitern insbesondere Angebote der Jugendhilfe, auch der Jugendpsychiatrie, bzw. werden von den Jugendlichen und Eltern nicht angenommen. 

Aggressivität
Bereits zeitig einsetzendes gewalttätiges Verhalten sowie gewaltbejahende Einstellungen und Überzeugungen sind kennzeichnend. Es gibt aber auch einen Anteil von Tätern mit weitgehend „normal“ ausgeprägter Aggressivität. Die Analogie Intensivtäter = Gewalttäter trifft nicht in jedem Fall zu.

Tatplanung
Die Gefahr der Verfestigung einer kriminellen Karriere wird gesehen, wenn die Straftaten eine gewisse Zielstrebigkeit aufweisen, ein planmäßiges, überlegtes Vorgehen mit differenzierter Tatausführung gegeben ist, der Täter auch allein agiert, Hindernisse zur Begehung der Tat gezielt überwunden werden, bewusste Täuschungen anzutreffen sind, der Täter eine ihm bekannte Schwäche des Opfers bewusst ausnutzt und der Täter eine gewisse Vielseitigkeit in der Tatausführung erkennen lässt.

Krankheiten
Nicht selten treten im Zusammenhang mit der Intensivtäterproblematik auch psycho-pathologische Krankheitsbilder, vor allem dissoziale Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen oder Hyperaktivität auf. Häufig stellt Substanzmissbrauch (legaler wie illegaler Substanzen) einen das Risiko erhöhenden Faktor dar, der sich in gesteigerter Form als explizite Abhängigkeitsproblematik im Sinne einer schweren klinischen Suchterkrankung manifestieren kann.

2. Merkmale des familiären und sozialen Umfeldes

Familie
Häufig finden sich bei den Jugendlichen Störungen im familiären Umfeld wie frühe Misshandlung und Vernachlässigung, systematische körperliche Bestrafungen, insgesamt gewaltförmige Familiendynamik mit Partnergewalt, in der Regel in Verbindung mit Alkoholexzessen. Weiterhin ist auch ein schwankendes bzw. fehlendes Erziehungsverhalten zu beobachten. Oft leben die Eltern getrennt, familiäre Strukturen lösen sich auf, und häufig treten Partnerwechsel der Eltern auf. Es existiert keine „heile Primärfamilie“.

Das Vorhandensein polizeilich auffälliger Familienmitglieder, eine Drogen- bzw. Alkoholabhängigkeit der Eltern erhöhen das Risiko für eine eigene kriminelle Entwicklung als Intensivtäter.

Schule und Beruf
In der Regel treten gravierende schulische und berufliche Probleme auf. Dazu zählen Schulschwänzen, Schulverweigerung, Schulversagen und grob soziales Fehlverhalten während der Schulzeit. Die Schullaufbahn endet meist verfrüht und führt oft zum Fehlen einer Ausbildung.

Peer Group (Freizeitverhalten)
Oftmals schließen sich die gefährdeten Jugendlichen einer Peer Group1 an, die durch einen delinquenten, kriminellen und/oder gewaltbejahenden Lebensstil geprägt ist.

III. Inkrafttreten

Dieser Runderlass tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.

Potsdam, den 26. Juni 2011 

Der Minister der Justiz

Dr. Volkmar Schöneburg 

Der Minister des Innern

Dr. Dietmar Woidke


1Der Begriff Peer Group entstammt den Sozialwissenschaften und beschreibt die Gruppe der Gleichaltrigen und Gleichgestellten, mit denen sich der Jugendliche umgibt. Der Peer Group kommt vor allem in der Phase der Ablösung des Jugendlichen vom Elternhaus eine besondere Sozialisationsfunktion zu.