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Haftentscheidungshilfe in Strafsachen

Haftentscheidungshilfe in Strafsachen
vom 26. Oktober 1994
(JMBl/94, [Nr. 11], S.163)

I. Begriff und Ziel der Haftentscheidungshilfe

Haftentscheidungshilfe dient der Aufklärung der für die Entscheidung über die Fortdauer oder Beendigung der Untersuchungshaft bedeutsamen Umstände. Hierin sind namentlich eingeschlossen die persönlichen und sozialen Verhältnisse des Beschuldigten, wobei auch alternative Maßnahmen wie die Vermittlung in Wohnungen, Übergangswohneinrichtungen und andere dem Fluchtanreiz entgegenwirkende Betreuungsmaßnahmen zu überprüfen sind. Die Befugnis zur Haftentscheidungshilfe leitet sich bei Jugendlichen und Heranwachsenden aus § 38 Abs. 2 S. 3 JGG, bei Erwachsenen aus § 160 Abs. 3 StPO her.

II. Sachliche, persönliche, zeitliche und räumliche Voraussetzungen der Haftentscheidungshilfe

(1) Haftentscheidungshilfe wird in den Fällen geleistet, in denen Flucht oder Fluchtgefahr Haftgrund ist.

(2) Haftentscheidungshilfe kommt zur Anwendung bei Beschuldigten, die

  1. zur Tatzeit unter 21 Jahre alt waren,
  2. ein oder mehrere minderjährige Kinder zu versorgen haben,
  3. zur Tatzeit über 21 Jahre alt waren und in den letzten 5 Jahren vor der Festnahme nicht wegen eines Verbrechens Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe verbüßt haben.

(3) Haftentscheidungshilfe wird nicht geleistet, wenn der erwachsene Beschuldigte seinen ständigen Aufenthalt zur Zeit der Festnahme außerhalb des Landes Brandenburg hat.

(4) Von der Haftentscheidungshilfe ist in der Regel abzusehen, wenn die Hauptverhandlung innerhalb von 4 Wochen nach der Festnahme des Beschuldigten stattfindet.

III. Sachliche und örtliche Zuständigkeit

(1) Haftentscheidungshilfe wird für Erwachsene von den Sozialen Diensten der Justiz - Fachbereich Gerichtshilfe (§ 160 Abs. 3 Satz 2 StPO) - wahrgenommen. Soweit Haftentscheidungshilfe für Jugendliche und Heranwachsende in Betracht kommt, obliegt deren Prüfung und Anwendung der Jugendgerichtshilfe (§§ 38, 72 a Abs. 2 JGG).

(2) Örtlich zuständig ist die Gerichtshilfe, in deren Bezirk der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hatte. Fehlt es an einem Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt, so ist bei Erwachsenen der der Untersuchungshaftanstalt nächste Dienstsitz der Sozialen Dienste der Justiz zuständig, in welchem der Fachbereich Gerichtshilfe vertreten ist.

Die örtliche Zuständigkeit der Jugendgerichtshilfe ergibt sich aus § 87 b SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe -.

(3) Ist der Beschuldigte einem Bewährungshelfer unterstellt, so stimmt der mit der Sache befasste Gerichtshelfer sein Vorgehen mit dem Bewährungshelfer ab.

IV. Einleitung der Haftentscheidungshilfe

(1) Die Staatsanwaltschaft prüft nach Erlass des Haftbefehls, ob die Gerichtshilfe oder die Jugendgerichtshilfe tätig werden und einen Bericht über den Beschuldigten erstellen soll. Liegen die Voraussetzungen vor, unter denen nach II (1) - (4) dieser Verfügung Haftentscheidungshilfe zu leisten ist, so übermittelt die Staatsanwaltschaft die für die Haftentscheidungshilfe wesentlichen Aktenbestandteile in Ablichtung unverzüglich an die zuständige Gerichtshilfe oder Jugendgerichtshilfe und ersucht sie, tätig zu werden.

Sieht die Staatsanwaltschaft von der Einschaltung der Gerichtshilfe/Jugendgerichtshilfe ab, obwohl die Voraussetzungen nach II.(1) - (4) vorliegen, so hat sie dem Ministerium der Justiz zu berichten.

(2) Unabhängig davon, ob die Staatsanwaltschaft die Gerichtshilfe ersucht, zum Zweck der Haftentscheidungshilfe tätig zu werden, prüft der zuständige Mitarbeiter des Sozialdienstes im Vollzug nach Aufnahme eines Untersuchungsgefangenen unverzüglich, ob die Voraussetzungen der Haftentscheidungshilfe nach II. vorliegen und Umstände gegeben sind oder geschaffen werden können, die eine Beendigung der Untersuchungshaft oder Aussetzung des Vollzugs nach § 116 StPO nahelegen. Hierzu sieht er die Haftunterlagen ein und führt ein Gespräch mit dem Untersuchungsgefangenen. Hält er nach vorläufiger Abklärung die Möglichkeit einer Haftbeendigung für gegeben, so unterrichtet er die zuständige Gerichtshilfe oder Jugendgerichtshilfe umgehend hiervon, damit diese Haftvermeidungsmöglichkeiten vor Ort ermittelt und die Angaben des Beschuldigten gegebenenfalls überprüft.

V. Tätigkeit im Rahmen der Haftentscheidungshilfe

(1) Die Gerichtshilfe erkundet im Umfeld des Beschuldigten Möglichkeiten seiner (Wieder-) Eingliederung und sozialen Einbindung für den Fall einer Entlassung und berichtet der Staatsanwaltschaft unverzüglich, zu welchen Ergebnissen ihre Ermittlungen geführt haben. Ist in diesem Zeitpunkt bereits Anklage erhoben worden, so berichtet sie auch dem zuständigen Richter. In dem Bericht äußert sie sich insbesondere zu Umständen, die für die Fluchtgefahr von Bedeutung sein können, wie den Wohn-, Arbeits- und Familienverhältnissen, etwaigen persönlichen Bindungen des Beschuldigten und ggf. auch zu alternativen Unterbringungs- und Einbindungsmöglichkeiten im Rahmen von Arbeits-, Ausbildungs- und Betreuungsverhältnissen. Ferner äußert sie sich - sofern insoweit erforderliche Ermittlungen nicht zu zeitlichen Verzögerungen führen - auch zu weiteren Umständen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sein können.

(2) Die Staatsanwaltschaft prüft auf Grund des Berichts der Gerichtshilfe oder Jugendgerichtshilfe, ob ein Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls oder auf Außervollzugsetzung zu stellen ist.

(3) Wird der Haftbefehl aufgehoben oder der Beschuldigte vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont, setzt die Staatsanwaltschaft die Gerichtshilfe oder Jugendgerichtshilfe hiervon in Kenntnis. Zugleich gibt sie ihr einen Hinweis, ob der Berichts vor der Hauptverhandlung nach § 160 Abs. 3 StPO oder § 38 Abs. 2 JGG zu ergänzen ist.

VI.

Diese Allgemeine Verfügung tritt am 1. November 1994 in Kraft.

Potsdam, den 26. Oktober 1994

Der Minister der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten
In Vertretung

Dr. Faupel