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Haftentscheidungshilfe in Jugendstrafverfahren
Haftentscheidungshilfe in Jugendstrafverfahren
vom 26. April 2001
(JMBl/01, [Nr. 7], S.146)
1. Allgemeines
Angesichts der mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundenen Gefahren für die Entwicklung von jungen Menschen darf Untersuchungshaft gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden nur angeordnet bzw. vollstreckt werden, wenn weniger eingriffsintensive Mittel nicht ausreichen.
Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe wirken in enger Zusammenarbeit mit dem Jugendgericht darauf hin, Untersuchungshaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden zu vermeiden oder zu verkürzen, wenn dies im Einzelfall angezeigt erscheint.
Die Jugendgerichtshilfe klärt die persönlichen und sozialen Verhältnisse und Möglichkeiten alternativer Maßnahmen.
Sofern nicht gewichtige Gründe für die Verhängung von Untersuchungshaft vorliegen und weniger eingriffsintensive Mittel nicht ausreichen, bietet sich bei Jugendlichen die einstweilige Unterbringung in geeigneten Einrichtungen der Jugendhilfe als erzieherische Haftalternative gemäß § 71 Abs. 2 JGG und § 72 Abs. 4 JGG an (Anlage 1).
2. Verfahren
2.1 Die Polizei unterrichtet die örtlich zuständige Jugendgerichtshilfe unverzüglich von der vorläufigen Festnahme jugendlicher oder heranwachsender Beschuldigter, sobald nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft eine Vorführung zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls zu erwarten ist (§ 72 a JGG) und sie mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt hat, auf welche Weise die Jugendgerichtshilfe noch vor der Vorführung vor den Haftrichter, insbesondere im Polizeigewahrsam, Kontakt zum Beschuldigten aufnehmen kann.
Die Unterrichtung ist in den Akten unter Angabe von Datum, Uhrzeit und Namen nebst Telefonnummern der mit den Aufgaben der Jugendgerichtshilfe betrauten Fachkraft der Jugendhilfe zu vermerken (vgl. im Übrigen Anlage 2).
Um eine frühzeitige Einbeziehung jederzeit sicherzustellen, werden Polizei und Jugendgerichtshilfe nach Maßgabe der örtlichen Rahmenbedingungen und Kapazitäten Informationswege vereinbaren, um die ständige Erreichbarkeit der Jugendgerichtshilfe zu gewährleisten.
2.2 Die Jugendgerichtshilfe unterrichtet die Staatsanwaltschaft oder das Haftgericht unverzüglich über die soziale und erzieherische Situation der oder des Beschuldigten und schlägt insbesondere bei 14- und 15-jährigen Beschuldigten alternative Maßnahmen zum Erlass eines Haftbefehls vor.
2.3 Die Staatsanwaltschaft setzt sich spätestens vor einem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls mit der Jugendgerichtshilfe in Verbindung und hört sie an, soweit sie noch nicht unterrichtet wurde. Die unverzügliche Vorführung vor den Haftrichter darf hierdurch nicht gefährdet werden (§ 128 Abs. 1 StPO). Beantragt die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Haftbefehls, so unterrichtet der Haftrichter hierüber die Jugendgerichtshilfe und teilt ihr Ort und Zeit des gerichtlichen Vorführtermins mit.
Die Jugendgerichtshilfe soll am Hafttermin und Haftprüfungstermin teilnehmen. Etwaige weitere Erkenntnisse teilt die Jugendgerichtshilfe unverzüglich der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter mit.
2.4 Unterrichtet die Jugendgerichtshilfe den Haftrichter nicht mündlich über mögliche alternative Angebote der Erziehungshilfe, so soll sie das Ergebnis der Mitwirkung gemäß § 38 Abs. 2 JGG möglichst unverzüglich in einem Vermerk niederlegen, der zu den Ermittlungsakten zu geben ist.
2.5 Die Justizvollzugsanstalt unterrichtet die Jugendgerichtshilfe und die Staatsanwaltschaft über die Entwicklung der Jugendlichen oder Heranwachsenden in der Untersuchungshaft und teilt neue Erkenntnisse unverzüglich mit. Dies gilt insbesondere, wenn nach diesen Erkenntnissen künftig ein alternatives Angebot statt der Untersuchungshaft genutzt werden soll.
3. Keine Anwendung der Verfahrensgrundsätze bei § 127 b StPO
Die Verfahrensgrundsätze zu 2. finden auf die vorläufige Festnahme und den Erlass eines Haftbefehls nach § 127 b StPO (Hauptverhandlungshaft) keine Anwendung.
4. In-Kraft-Treten
Der Gemeinsame Runderlass tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.
Potsdam, den 26. April 2001
Der Minister der Justiz und für Europaangelegenheiten
Prof. Dr. Kurt Schelter