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Verfahren in Gnadensachen (Gnadenordnung - GnO)

Verfahren in Gnadensachen (Gnadenordnung - GnO)
vom 11. September 2007
(JMBl/07, [Nr. 10], S.150)

Aufgrund von Artikel 92 der Landesverfassung und des Erlasses des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts vom 19. April 1995 (ABl. S. 442) wird Nachfolgendes bestimmt:

Abschnitt I
Allgemeine Vorschriften

§ 1
Geltungsbereich

(1) Die Gnadenordnung gilt für das Gnadenverfahren

  1. bei Rechtsfolgen, die wegen einer rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) durch strafrichterliche Entscheidung eines Gerichts des Landes Brandenburg in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Landes verhängt worden sind oder sich Kraft eines Strafgesetzes aus einer solchen Entscheidung ergeben,
  2. bei Rechtsfolgen, die von einem Gericht oder einer anderen Justizbehörde des Landes Brandenburg wegen einer mit Geldbuße bedrohten Handlung verhängt oder angeordnet worden sind und bei Ordnungsmitteln (Ordnungsgeld, Ordnungshaft), die durch eine solche Stelle festgesetzt worden sind,
  3. bei Rechtsfolgen, die von einem Gericht der ehemaligen DDR auf dem Gebiet des Landes Brandenburg in einer gemäß Nummer 1 und Nummer 2 entsprechenden Weise verhängt oder festgesetzt worden sind.

(2) Die Gnadenordnung gilt ferner für die dem Ministerium der Justiz obliegende Vorbereitung der Gnadenentscheidungen, die sich der Ministerpräsident vorbehalten hat.

§ 2
Inhalt der Begnadigungsbefugnis und allgemeine Grundsätze

(1) Das Begnadigungsrecht umfasst die Befugnis, die in § 1 bezeichneten Rechtsfolgen zu erlassen, zu ermäßigen, umzuwandeln oder ihre Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen, Strafausstand (Strafaufschub vor Beginn des Vollzuges, Strafunterbrechung während des Vollzuges) und Zahlungserleichterungen (Stundung, Teilzahlung) zu bewilligen.

(2) Gnadenerweise haben Ausnahmecharakter. Sie dienen insbesondere dazu, Unbilligkeiten auszugleichen, die darauf beruhen, dass bei Festsetzung der in § 1 Abs. 1 genannten Rechtsfolgen wesentliche Umstände nicht berücksichtigt werden konnten, weil diese im Zeitpunkt der Entscheidung nicht bekannt waren oder erst danach eingetreten sind. Auch rechtliche Gründe können zu einer Änderung oder Milderung der Rechtsfolgen führen.

§ 3 
Sachliche Zuständigkeit

(1) Die Ministerin der Justiz übt das Begnadigungsrecht aus, soweit sich nicht der Ministerpräsident die Entscheidung vorbehalten hat und soweit nicht die Ausübung des Begnadigungsrechts den Gnadenbehörden nach den §§ 5 bis 7 übertragen worden ist.

(2) Die Ministerin der Justiz behält sich vor, das Begnadigungsrecht im Einzelfall abweichend von der Übertragung auf die Gnadenbehörden selbst auszuüben.

§ 4
Gnadenbehörden

Gnadenbehörde ist

  1. bei Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft vollstreckt oder durchgeführt werden, der Leitende Oberstaatsanwalt,
  2. bei der Entscheidung gegen Jugendliche sowie gegen Heranwachsende, soweit Jugendstrafrecht angewandt worden ist, der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter,
  3. bei Ordnungsmitteln, die von Gerichten festgesetzt worden sind und vom Gericht vollstreckt werden, der Präsident des erkennenden Gerichts, und sofern dieses nicht mit einem Präsidenten besetzt ist, der Präsident des übergeordneten Gerichts.

§ 5
Befugnisse des Leitenden Oberstaatsanwalts

Der Leitende Oberstaatsanwalt ist befugt,

  1. die Vollstreckung von Freiheitsstrafen beziehungsweise Restfreiheitsstrafen bis zu einem Jahr zur Bewährung auszusetzen, wobei als zuständigkeitsbegründender Zeitpunkt das Eingangsdatum des Gnadengesuchs gilt.
  2. die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe beziehungsweise Ersatzfreiheitsstrafe vorübergehend bis zu einem Jahr auszusetzen (Strafausstand), und zwar als Strafaufschub vor Beginn und als Strafunterbrechung während des Vollzuges.
  3. Geldbußen bis 1.000,00 Euro und Geldstrafen beziehungsweise Restgeldstrafen bis zu 360 Tagessätzen, maximal bis zu einem Gesamtbetrag von 5.000,00 Euro zu stunden, zu ermäßigen oder zu erlassen.
  4. eingezogene oder für verfallen erklärte Gegenstände, einschließlich Geld, wenn der Wert oder Betrag 500,00 Euro nicht übersteigt, dem Berechtigten freizugeben.
  5. die Dauer eines Fahrverbotes (§ 44 StGB) abzukürzen beziehungsweise das - gegebenenfalls auch im Verfahren über Ordnungswidrigkeiten durch ein Strafgericht - verhängte Fahrverbot aufzuheben.
  6. die mit einer Einziehung der Fahrerlaubnis angeordnete Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis (§ 69a StGB) vorzeitig aufzuheben, sofern die von dem Gericht bestimmte Frist nicht über drei Jahre beträgt.
  7. die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen im Rahmen von Nummer 3 zu erlassen.

§ 6
Befugnisse des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter

(1) Der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter ist befugt,

  1. die Vollstreckung von Jugendstrafen und Restjugendstrafen bis zu einem Jahr zur Bewährung auszusetzen, wobei als zuständigkeitsbegründender Zeitpunkt das Eingangsdatum des Gnadengesuchs gilt.
  2. Strafausstand bei Jugendstrafen und Jugendarresten im Rahmen von § 5 Nr. 2 zu bewilligen,
  3. Zahlungserleichterungen zu gewähren.

(2) Geht die Vollstreckung auf einen Jugendrichter als Vollstreckungsleiter außerhalb des Landes Brandenburg über, so übt der Jugendrichter die Befugnis gemäß Absatz 1 aus, der im Land Brandenburg zuletzt zuständig war oder gewesen wäre.

§ 7 
Befugnisse der Präsidenten der Gerichte

Die Präsidenten der Gerichte sind im Rahmen ihrer Zuständigkeit befugt, Ordnungsgeld bis zu einem Gesamtbetrag von 250,00 Euro zu erlassen oder Zahlungserleichterungen zu bewilligen.

§ 8
Örtliche Zuständigkeit bei Gesamtstrafen

Bei Gesamtstrafen richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Behörde nach der des Gerichts, das die Gesamtstrafe gebildet hat. Das gilt auch, wenn in die Gesamtstrafe Einzelstrafen von Gerichten außerhalb des Landes Brandenburg einbezogen worden sind.

§ 9
Örtliche Zuständigkeit bei mehreren Strafen

(1) Betrifft das Gnadenverfahren mehrere Strafen, aus denen keine Gesamtstrafe gebildet werden kann, ist die Behörde zuständig, die die nach Art und Höhe schwerste Strafe vollstreckt. Vollstrecken mehrere Behörden gleichschwere Straftaten ist diejenige zuständig, die die zuletzt ergangene Entscheidung vollstreckt.

(2) Hat das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug auf eine der Strafen erkannt oder handelt es sich um ehren- oder berufsgerichtliche Entscheidungen, bereitet der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg die Entscheidung vor.

Abschnitt II
Behandlung von Gnadensachen

§ 10
Prüfung der Gnadenfrage

(1) Gnadengesuche sind schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle der Vollstreckungsbehörde zu stellen.

(2) Gnadengesuche können von jedermann eingereicht werden. Sie sind nicht fristgebunden und bedürfen keiner Form. In Zweifelsfällen ist die Zustimmung des Verurteilten zu dem von einem Dritten gestellten Gesuch einzuholen. Lehnt der Verurteilte einen Beitritt zu diesem Gesuch ab, ist dieses als erledigt zu betrachten, wobei der Gesuchsteller davon zu unterrichten ist.

(3) Gnadengesuche Jugendlicher sind bei dem Gericht einzureichen, dessen Jugendrichter als Vollstreckungsleiter zuständig ist. Die Regelung in § 6 Abs. 2 bleibt hiervon unberührt. Gnadengesuche, die bei anderen Justizbehörden eingehen, sind der zuständigen Vollstreckungsbehörde/dem zuständigen Jugendrichter als Vollstreckungsleiter zuzuleiten.

§ 11
Eilbedürftigkeit, Vertraulichkeit, Kosten

(1) Gnadengesuche sind als Eilsachen zu bearbeiten.

(2) Das Verfahren ist vertraulich. Die der Gnadenentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen werden nicht bekannt gegeben.

(3) Das Gnadenverfahren ist kostenfrei. Notwendige Auslagen werden nicht erstattet.

§ 12
Vorrang gesetzlicher Regelungen und gerichtlicher Entscheidungen

(1) Gnadengesuche sind von der Stelle, bei der das Gesuch eingeht, darauf zu prüfen, ob dem Ziel der Eingabe bereits durch eine Entscheidung des Gerichts oder der Vollstreckungsbehörde aufgrund gesetzlicher Vorschriften entsprochen werden kann. Solche Entscheidungen sind gegenüber Gnadenentschließungen vorrangig. Entsprechende Gesuche sind der zuständigen Stelle zur Entscheidung zuzuleiten. Mit der Zuleitung ist das Gnadengesuch erledigt. Der Gesuchsteller ist hiervon von der abgebenden Stelle zu unterrichten.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Gesuchsteller ausdrücklich erklärt, dass er ausschließlich eine Entscheidung im Gnadenwege anstrebt.

§ 13
Einfluss von Gnadengesuchen auf die Vollstreckung

(1) Gnadengesuche oder Einwendungen gegen Gnadenentscheidungen hemmen die Vollstreckung nicht.

(2) Die Vollstreckungsbehörde/der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter kann die Vollstreckung bis zur Entscheidung über das Gnadengesuch vorläufig einstellen, wenn erhebliche Gnadengründe vorliegen oder dem Verurteilten durch die alsbaldige Vollstreckung schwere, nicht zumutbare Nachteile entstehen, die bei einem Erfolg des Gnadengesuchs nicht wieder beseitigt werden können. Die vorläufige Einstellung der Vollstreckung ist nicht anzuordnen, wenn das öffentliche Interesse die sofortige Vollstreckung der Strafe erfordert.

§ 14
Stellungnahme der Vollzugsanstalt

(1)Ist das Gnadengesuch an das Ministerium gerichtet, wird die Stellungnahme des Leiters der Vollzugsanstalt durch das Ministerium unmittelbar eingeholt, sofern sich der Verurteilte bereits drei Monate in Haft befunden hat.

(2) Die Vollstreckungsbehörde/der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter legt das Gnadengesuch dem Leiter der Vollzugsanstalt zur Stellungnahme vor, sofern sich der Verurteilte bereits drei Monate im Freiheitsentzug befunden hat.

(3) Der Leiter der Vollzugsanstalt nimmt zu dem Verhalten des Verurteilten im Vollzug Stellung. Er äußert sich über die Persönlichkeit des Verurteilten, seine Führung in der Haft, die Wirkung des Vollzuges auf den Verurteilten, durchgeführte Behandlungsmaßnahmen und ihren Erfolg, die Wirkungen, die von der begehrten Entscheidung zu erwarten sind, Anschlussstrafen, Überhaftnotierungen und weitere, noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren. Zur Gnadenfrage äußert er sich nicht.

(4) Bei einer Weiterleitung des Gnadengesuchs eines Gefangenen durch den Leiter der Vollzugsanstalt an die zuständige Vollstreckungsbehörde ist die Stellungnahme unaufgefordert beizufügen, sofern die Weitergabe dadurch nicht unvertretbar verzögert wird.

(5) Von einer Stellungnahme kann bei wiederholten Gnadengesuchen abgesehen werden, sofern diese innerhalb von vier Monaten seit der letzten Stellungnahme eingehen.

§ 15
Stellungnahme der Gerichte

(1) Die Vollstreckungsbehörde legt das Gnadengesuch und die Stellungnahme der Vollzugsanstalt dem Gericht des ersten Rechtszuges oder dem Berufungsgericht, wenn dessen Urteil von den Rechtsfolgen des erstinstanzlichen Urteils abweicht, beziehungsweise der Strafvollstreckungskammer, wenn sie bereits mit der Sache befasst war oder hätte befasst sein können, zur Stellungnahme bei Gnadengesuchen vor, die eine lebenslange Freiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung, eine Freiheitsstrafe, die das Brandenburgische Oberlandesgericht verhängt hat, oder die Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren betreffen. Bei Gesamtstrafen bedarf es nur der Anhörung des Gerichts, das die Gesamtstrafe gebildet hat.

(2) Bei Jugendstrafen gilt Absatz 1 mit der Maßgabe, dass das Gnadengesuch und die Stellungnahme der Vollzugsanstalt dem erkennenden Gericht vorzulegen sind, wenn sich das Gesuch auf eine Jugendstrafe bezieht oder wenn an die Stelle der Strafvollstreckungskammer der Vollstreckungsleiter tritt.

(3) Erscheint das Gnadengesuch aussichtslos, so kann von der Einholung der Stellungnahme nach den Absätzen 1 oder 2 abgesehen werden.

(4) In Gnadenverfahren bei Ordnungsmitteln brauchen andere Stellen nicht gehört zu werden.

§ 16
Berichterstattung

(1) Sind der Ministerpräsident oder die Ministerin der Justiz für die Gnadenentscheidung zuständig, stellt die zuständige Vollstreckungsbehörde/der zuständige Jugendrichter als Vollstreckungsleiter die erforderlichen Ermittlungen an und holt die notwendigen Stellungnahmen ein. Die Berichterstattung erfolgt auf dem Dienstweg unter Benutzung des Gnadenbogens. Ist in einer Sache bereits berichtet worden, so kann ein abgekürzter Bericht erstattet werden, wobei inzwischen eingetretene Änderungen zu berücksichtigen sind.

(2) Die Berichterstattung ist unter Beifügung des Gnadenheftes, des Vollstreckungs- beziehungsweise Ersatzvollstreckungsheftes und des Bewährungsheftes vorzunehmen.

Das Gnadenheft weist folgende Mindestbestandteile auf:

  1. das Gnadengesuch mit einer Stellungnahme der Vollstreckungsbehörde zur Gnadenfrage;
  2. gegebenenfalls eine Stellungnahme des Verurteilten zu dem Gnadengesuch eines Dritten;
  3. die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zur Gnadenfrage;
  4. die unter den §§ 14 und 15 bezeichneten Stellungnahmen;
  5. gegebenenfalls Stellungnahmen des Bewährungshelfers, der Führungsaufsichtsstelle oder der Sozialen Dienste der Justiz;
  6. für das Gnadenverfahren maßgebliche Urteile aller Instanzen mit Rechtskraftvermerk, einschließlich aller einbezogenen Entscheidungen;
  7. etwaige Gesamtstrafenbeschlüsse;
  8. weitere für die Gnadenfrage relevante gerichtliche Entscheidungen;
  9. aktuelle Auskünfte aus dem Bundeszentral- und gegebenenfalls Erziehungsregisster;
  10. Ergebnisse der MESTA-Abfrage;
  11. ein aktuelles Vollstreckungsblatt.

In das Gnadenheft können weitere Unterlagen und Schriftstücke aufgenommen werden, wenn sie für die Gnadenentscheidung relevant sind. Die Anforderung einzelner Unterlagen durch das Ministerium der Justiz über diese Auflistung hinaus bleibt vorbehalten.

(3) Hat der Verurteilte die Tat, für die er einen Gnadenerweis begehrt, während einer Bewährungszeit in einer anderen Strafsache begangen, so berichtet die Vollstreckungsbehörde, ob diese Strafaussetzung aufgrund der neuen Verurteilung widerrufen worden ist oder Antrag auf Widerruf gestellt worden ist oder gestellt werden soll.

(4) Bei wiederholten Gnadengesuchen in derselben Sache ist eine Beifügung der in Absatz 2 Nr. 5, 6 und 8 genannten Anlagen nicht erforderlich.

§ 17
Akteneinsicht

Der Verurteilte, sein Bevollmächtigter, ein anderer Gesuchsteller als Dritter und andere am Gnadenverfahren nicht beteiligte Personen haben keinen Anspruch auf Auskunft oder Einsichtnahme in Gnadenakten.

Abschnitt III
Entscheidungen nach der Gnadenentschließung

§ 18
Aussetzung der Strafvollstreckung, Beginn der Bewährungszeit und Belehrung

(1) Ist im Gnadenwege die Vollstreckung einer Freiheits- oder Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden, so wird zugleich die Dauer der Bewährungszeit bestimmt. Die Bewährungszeit beginnt mit dem Tag der Bekanntgabe der Gnadenentscheidung. Die Dauer der Bewährungszeit ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessen. Sie soll mindestens ein Jahr und darf höchstens fünf Jahre betragen.

(2) Bei der Bekanntgabe der Gnadenentscheidung wird der Verurteilte schriftlich über die Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung und über die Tatsachen und Umstände, die zur Rücknahme oder zum Widerruf der Strafaussetzung führen können, belehrt.

(3) Soll ein Verurteilter ausnahmsweise auch mündlich belehrt werden, so erteilt die den Gnadenerweis aussprechende Stelle die Belehrung und beauftragt die Vollstreckungsbehörde/den Jugendrichter als Vollstreckungsleiter oder, wenn sich der Verurteilte in Haft befindet, den Leiter der Vollzugsanstalt mit der Bekanntgabe. Ist der Verurteilte minderjährig, so ist demjenigen, dem die Sorge für seine Person obliegt, Gelegenheit zu geben, an der mündlichen Belehrung teilzunehmen.

§ 19
Auflagen und Weisungen

(1) Dem Verurteilten können für die Dauer der Bewährungszeit Auflagen oder Weisungen erteilt werden. In Betracht kommen namentlich Auflagen und Weisungen entsprechend den §§ 56b, 56c, 56d Abs. 1 des Strafgesetzbuches oder solche entsprechend den §§ 10, 15 Abs. 1, 23, 24 des Jugendgerichtsgesetzes. Weisungen entsprechend § 56c Abs. 3 des Strafgesetzbuches, § 10 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes sowie die Weisung, sich für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen, dürfen nur bei der Aussetzung von Freiheits- oder Jugendstrafen erteilt werden.

(2) Bei der Erteilung von Auflagen und Weisungen ist insbesondere die Bereitschaft des Verurteilten zum Täter-Opfer-Ausgleich zu berücksichtigen.

(3) Der Verurteilte ist stets anzuweisen, während der Bewährungszeit jeden Wechsel seines Wohnortes oder seiner Anschrift der die Bewährung überwachenden Behörde mitzuteilen.

(4) Geldauflagen sollen nur erteilt werden, wenn erwartet werden kann, dass der Verurteilte sie aus eigenen Mitteln, über die er selbst verfügen darf, erfüllen kann.

§ 20
Überwachung der Bewährung

(1) Das Ministerium der Justiz überwacht die Führung des Verurteilten in den Fällen, in denen durch eine Entscheidung des Ministerpräsidenten oder der Ministerin der Justiz eine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt worden ist. In den übrigen Fällen erfolgt die Überwachung der Bewährung durch die den Gnadenerweis gewährende Behörde.

(2) Ist ein Bewährungshelfer bestellt worden, so berichtet dieser der Gnadenbehörde in Abständen von einem Jahr und zum Abschluss der Bewährungszeit über die Führung des Probanden. Gröbliche und beharrliche Verstöße gegen Auflagen und Weisungen teilt er unverzüglich mit. Bei Gnadenentscheidungen des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und der Ministerin der Justiz ist dem Ministerium der Justiz zu berichten.

§ 21
Vorlage der Vorgänge

(1) Kommen der Widerruf oder die Rücknahme des Gnadenerweises in Betracht, so legt die Vollstreckungsbehörde/der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter in den Fällen, in denen der Ministerpräsident oder die Ministerin der Justiz einen Gnadenerweis bewilligt hat, die Vorgänge vor, wenn

  1. bekannt wird, dass gegen den Verurteilten weitere Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig geworden sind oder dieser erneut verurteilt worden ist; in diesen Fällen ist den Vorgängen eine Anklageschrift beziehungsweise eine Urteilsausfertigung beizufügen,
  2. nach dem Zeitpunkt der Gnadenentscheidung Umstände bekannt geworden sind, die voraussichtlich zu einer Versagung des Gnadenerweises geführt hätten,
  3. die Änderung der Bewährungszeit, der Auflagen oder Weisungen angeregt wird,
  4. binnen eines Jahres nach dem Erlass der Strafe eine neue Verurteilung wegen einer im Laufe der Bewährungszeit begangenen vorsätzlichen Straftat bekannt geworden ist.

(2) Den Vorgängen sind eine Auskunft aus dem Bundeszentral- und Erziehungsregister nach neuestem Stand und Erkenntnisse über noch anhängige Ermittlungs- und Strafverfahren beizufügen.

§ 22
Rücknahme der Aussetzung

(1) Ein Gnadenerweis wird in der Regel zurückgenommen, wenn nachträglich Tatsachen oder Umstände bekannt werden, die - wären sie anlässlich der Gnadenentscheidung bereits bekannt gewesen - zu seiner Versagung geführt hätten.

(2) Von einer Rücknahme kann abgesehen werden, wenn es ausreicht, weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen. Bei Strafaussetzung zur Bewährung kann die Bewährungszeit verlängert werden. Eine Verlängerung kann auch mehrfach, gegebenenfalls noch nach ihrem Ablauf erfolgen, wobei diese die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit nicht übersteigen darf.

§ 23
Widerruf der Aussetzung

(1) Ist im Gnadenwege die Vollstreckung der Freiheits- oder Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden, wird ein Gnadenerweis in der Regel widerrufen, wenn der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist. Ein Gnadenerweis kann auch widerrufen werden, wenn der Verurteilte gröblich oder beharrlich gegen Auflagen oder Weisungen verstoßen hat und es nicht ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern.

(2) Vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen ist der Verurteilte anzuhören, soweit er nicht unbekannten Aufenthalts ist. Gegebenenfalls ist er nachträglich anzuhören.

§ 24
Zulässigkeit des Gerichtswegs

Gegen die Rücknahme einer Strafaussetzung zur Bewährung, ihren Widerruf sowie eine sonstige den Verurteilten belastende Änderung eines Gnadenerweises ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 23 EGGVG) zulässig.

§ 25
Schlussentscheidung

(1) Gegen Ende der Bewährungszeit prüft die Gnadenbehörde, die den Gnadenerweis erteilt hat, ob der Verurteilte die der Strafaussetzung zugrunde gelegten Erwartungen erfüllt hat. Hierzu holt sie insbesondere eine aktuelle Auskunft aus dem Bundeszentralregister ein und prüft, ob Erkenntnisse über neue Strafverfahren oder andere Tatsachen vorliegen, die Anlass für einen Widerruf der Strafaussetzung oder zur Verlängerung der Bewährungszeit geben könnten.

(2) Besteht kein Anlass für einen Widerruf oder eine Verlängerung der Bewährungszeit, wird die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit von der den Gnadenerweis gewährenden Behörde erlassen.

§ 26
Fristberechnung bei Strafausstand

(1) Wird Strafaufschub gewährt, so beginnt der Zeitraum von einem Jahr (§ 5 Nr. 2) mit dem Tag der Rechtskraft des Straferkenntnisses. Nicht eingerechnet wird die Zeit, während der aufgrund eines anderen Straferkenntnisses oder einer sonstigen gerichtlichen Entscheidung Haft vollzogen worden ist. Sind mehrere Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeführt worden, beginnt der Zeitraum mit der Rechtskraft des Gesamtstrafenbeschlusses.

(2) Ist eine gerichtliche Strafaussetzung widerrufen worden, beginnt der Zeitraum mit dem Tag der Rechtskraft des Widerrufs, in den Fällen der Rücknahme oder des Widerrufs einer gnadenweisen Aussetzung mit der Rücknahme oder dem Widerruf.

§ 27
Einwendungen gegen Gnadenentscheidungen

(1) Richten sich Einwendungen gegen eine ablehnende Entscheidung der Gnadenbehörde, so kann die Gnadenbehörde den Einwendungen selbst abhelfen und den erstrebten Gnadenerweis bewilligen.

(2) Im Fall der Abhilfe der Einwendungen bescheidet die nach § 4 zuständige Gnadenbehörde den Beschwerdeführer.

(3) Hilft die Gnadenbehörde den Einwendungen nicht ab, so legt sie die Vorgänge der Ministerin der Justiz zur Entscheidung vor. Die Gnadenbehörde, gegen deren Entscheidung sich die Einwendungen richten, berichtet auf dem Dienstweg unter Beifügung der Vorgänge.

(4) Bei einer Entscheidung nach § 27 Abs. 3 wird der Bescheid durch das Ministerium der Justiz erteilt.

§ 28
Weitere Gnadengesuche

Ist ein zweites Gnadengesuch, das dieselbe gerichtliche Entscheidung zum Gegenstand hat, ebenfalls abschlägig beschieden worden, so brauchen weitere Gesuche, in denen keine neuen für die Prüfung der Gnadenfrage bedeutsamen Umstände vorgetragen werden, nicht mehr beschieden werden, sofern dies dem Verurteilten gegenüber angekündigt worden ist und seit der letzten Gnadenentscheidung nicht mehr als vier Monate verstrichen sind.

§ 29
Mitteilung an das Bundeszentralregister

Mitteilungen nach § 16 des Bundeszentralregistergesetzes erfolgen durch die Vollstreckungsbehörde.

Abschnitt IV
Geschäftsmäßige Behandlung von Gnadensachen

§ 30
Registerführung

(1) Die Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften und der in Gnadensachen zuständigen Gerichte führen für Gnadensachen ein Register. Das Register (Gns) wird jahrgangsweise geführt.

(2) In das Register sind alle eingehenden Gnadengesuche und alle sonstigen zu bearbeitenden Gnadensachen einzutragen. Gesuche, die ausschließlich Gerichtskosten betreffen, werden nicht eingetragen.

(3) Für jeden Verurteilten wird eine besondere Nummer des Registers benutzt, auch wenn von mehreren Verurteilten oder für mehrere Verurteilte ein gemeinschaftliches Gnadengesuch gestellt wird.

§ 31
Aktenführung

(1) Die Gnadenvorgänge werden nicht in die Akten eingeheftet, sondern in einem für jeden Antragsteller anzulegenden Gnadenheft geführt. Zu dem Gnadenheft, das für das erste Gesuch gebildet worden ist, werden alle späteren Vorgänge über denselben Verurteilten und dieselbe Verurteilung auch dann genommen, wenn eine erneute Eintragung in das Register erfolgt.

(2) Eine Ausfertigung der Gnadenentscheidung und der Mitteilung über die Aussetzung der Vollstreckung sind zum Vollstreckungsheft oder, falls ein solches nicht angelegt ist, zu den Akten zu nehmen.

(3) Das Gnadenheft wird mit den Hauptakten nach Ablauf der für die Hauptakten geltenden Aufbewahrungsfristen vernichtet.

§ 32
Berichtspflicht

Die Gnadenbehörden berichten dem Ministerium der Justiz jeweils zum 1. Februar über die Anzahl der im vorangegangenen Kalenderjahr eingegangenen und erledigten Gnadenvorgänge sowie die Art der getroffenen Entscheidungen. Gleichzeitig teilen sie die Anzahl der erfolgten Widerrufs- und Rücknahmeentscheidungen in Gnadensachen mit.

Abschnitt V
Schlussbestimmungen

§ 33
Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Allgemeine Verfügung tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Justizministerialblatt des Landes Brandenburg in Kraft. Zum gleichen Zeitpunkt treten die Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz und für Europaangelegenheiten vom 29. August 2000 (JMBl. S. 124), geändert durch die Allgemeine Verfügung vom 14. Januar 2002 (JMBl. S. 21), sowie der Erlass zur Verfahrensvereinfachung im Gnadenwesen vom 6. August 2002 (4251-III.001/03) außer Kraft.

Potsdam, den 11. September 2007

Die Ministerin der Justiz

Beate Blechinger