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Erlass Nr. 08/2005
Ausländerrecht; Rückführungen nach Afghanistan sowie Bleiberechtsregelung auf der Grundlage des § 23 AufenthG
Erlass Nr. 08/2005
Ausländerrecht; Rückführungen nach Afghanistan sowie Bleiberechtsregelung auf der Grundlage des § 23 AufenthG
vom 22. Juli 2005
Außer Kraft getreten durch Erlass Nr. 12/2017 vom 19. Dezember 2017
Mein Informationsschreiben Nr. 095/2005 vom 19.04.2005 (Az.: III/5-23 A 1)
Die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) hatten bereits im Rahmen ihrer Sitzung am 18./19.11.2004 die Grundsätze zur Rückführung und weiteren Behandlung der afghanischen Flüchtlinge beschlossen. Die Veröffentlichung und das In-Kraft-Treten der Grundsätze waren jedoch an den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit der afghanischen Regierung über den möglichen Rückführungsbeginn ab dem 01.05.2005 gekoppelt.
Ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan konnte bislang nicht abgeschlossen werden. Dennoch hat Afghanistan seine völkerrechtliche Verpflichtung zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger grundsätzlich anerkannt.
Nachdem einige Bundesländer im Mai 2005 mit der Rückführung von afghanischen Staatsangehörigen begonnen haben, hat die IMK in ihrer Sitzung am 23./24.06.2005 nunmehr die Veröffentlichung der Grundsätze zur Rückführung und weiteren Behandlung der afghanischen Flüchtlinge beschlossen.
Darüber hinaus haben die Innenminister und -senatoren der Länder erneut bekräftigt, dass die freiwillige Rückkehr auch weiterhin Vorrang vor der zwangs-weisen Rückführung genießt und weiterhin durch geeignete Maßnahmen wirksam unterstützt wird.
I. Rückführung
Entsprechend meinem Informationsschreiben Nr. 095/2005 vom 19.04.2005 kann nach dem Auslaufen der brandenburgischen Regelung über die Aussetzung der Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger am 01.07.2005 mit der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger in einer überschaubaren Größenordnung unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgeführten Rückführungsgrundsätze begonnen werden:
1. In Abhängigkeit von den Rückführungsmöglichkeiten sollen ab dem 01.07.2005 mit Vorrang zurückgeführt werden:
- Afghanische Staatsangehörige, die wegen einer im Bundesgebiet begangenen Straftat verurteilt wurden, wobei Geldstrafen von bis zu 50 Tagessätzen (additiv) außer Betracht bleiben können,
- Afghanische Staatsangehörige, gegen die Ausweisungsgründe nach den §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nr. 1 - 5, 8 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen,
- Personen, bei denen sonstige Hinweise für eine die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Betätigung bestehen, wenn die Sicherheitsbedenken nicht innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist vom Betroffenen ausgeräumt werden.
Von einem Klärungsbedarf ist insbesondere auszugehen, wenn es Anhaltspunkte für Kontakte zu extremistischen Organisationen gibt, insbesondere solche, die in den Verfassungsschutzberichten aufgeführt sind. Insoweit kann auf das Vorbringen im Asylverfahren abgestellt werden.
2. Ebenfalls mit Vorrang zurückzuführen sind volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufhalten.
3. Im Übrigen können die Ausländerbehörden bei den Entscheidungen über Rückführungen folgende Gesichtspunkte berücksichtigen:
- Die Dauer des bisherigen Aufenthaltes dahingehend, dass die Personen, die zuletzt eingereist sind, wegen der im Vergleich zu anderen geringeren Eingliederung und Verfestigung des Aufenthaltes auch zuerst wieder zurückgeführt werden.
- Der Familienstand mit der Maßgabe, dass allein stehende Erwachsene, Ehepaare ohne Kinder und Erwachsene, deren Kinder und/oder Ehepartner in Afghanistan leben, grundsätzlich vor Familien mit Kindern zurückgeführt werden.
- Arbeitslose und Empfänger von Sozialleistungen sollen grundsätzlich vor Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, zurückgeführt werden. Zukünftig beabsichtigte Beschäftigungsverhältnisse führen nicht zu einer Zurückstellung von Rückführungsmaßnahmen.
- Bei Schülern und Auszubildenden kann im Einzelfall nach Ermessen die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung vorübergehend ausgesetzt werden, sofern sich der Schüler oder Auszubildende bereits im letzen Schul- bzw. Ausbildungsjahr befindet, oder wenn ein sonstiges Schuljahr nur noch wenige Wochen dauert.
Bei den Ermessenserwägungen ist zu berücksichtigen, ob der Lebensunterhalt des Ausländers im Sinne des § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist. Ein Anspruch anderer Familienmitglieder auf die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) kann hieraus nicht abgeleitet werden.
II. Bleiberechtsregelung
Die Innenminister und -senatoren der Länder und der Bundesminister des Innern haben am 23./24.06.2005 festgestellt, dass afghanische Staatsangehörige in bestimmten Fällen aus humanitären Gründen und zur Vermeidung außergewöhnlicher Härten auf der Grundlage des § 23 AufenthG dauerhaft von der Durchsetzung der Rückkehrverpflichtung ausgenommen werden können.
In Umsetzung dieses IMK-Beschlusses ordne ich im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern nach § 23 Abs. 1 AufenthG an, dass afghanischen Staatsangehörigen nach Maßgabe der nachfolgenden Grundsätze Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen sind:
1. Der weitere Aufenthalt von afghanischen Staatsangehörigen ist zuzulassen, wenn
1.1. sie sich am 24.06.2005 seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalten, und
1.1.1 seit mehr als zwei Jahren in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen. Kurzfristige Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses sind unschädlich, sofern eine Beschäftigung auf Dauer möglich ist. Die Dauer der Kurzzeitigkeit der Unterbrechung bestimmt sich nach dem Gesamtbeschäftigungszeitraum.
Anerkannt werden Beschäftigungszeiten auch dann, wenn die erzielten Einkünfte in der Vergangenheit zwar nicht vollständig, aber überwiegend zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgereicht haben.
1.1.2 Der Lebensunterhalt muss mindestens seit dem 24.06.2005 durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II oder XII) gesichert sein.
Ausnahmen können in besonderen Härtefällen gemacht werden:
- bei Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen,
- bei Familien mit Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind,
- bei Alleinerziehenden mit Kindern, soweit ihnen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II eine Arbeitsaufnahme nicht zumutbar ist,
- bei erwerbsunfähigen Personen, deren Lebensunterhalt einschließlich einer erforderlichen Betreuung und Pflege in sonstiger Weise ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft gesichert ist, es sei denn, die Leistungen beruhen auf Beitragszahlungen.
Eine Aufenthaltsgewährung erfolgt in diesen besonderen Härtefällen nur, wenn - ggf. durch Vorlage einer Verpflichtungserklärung nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 68 AufenthG - sichergestellt ist, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches nicht dauerhaft besteht.
1.1.3 Einbezogen sind der Ehegatte und die minderjährigen Kinder. Ebenfalls einbezogen sind die bei ihrer Einreise minderjährig gewesenen, unverheirateten Kinder, sofern es gewährleistet erscheint, dass sie sich auf Grund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse dauerhaft integrieren werden. Im Bundesgebiet lebende Ehegatten und einbezogene Kinder können eine Aufenthaltserlaubnis auch dann erhalten, wenn ihr Aufenthalt weniger als sechs Jahre beträgt.
1.2 Afghanische Staatsangehörige, die sich im Bundesgebiet aufhalten und am 24.06.2005 das 65. Lebensjahr vollendet haben, erhalten unabhängig von der bisherigen Aufenthaltsdauer eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie in Afghanistan keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige (Kinder oder Enkel) mit dauerhaftem Aufenthalt bzw. deutscher Staatsangehörigkeit haben und soweit sichergestellt ist, dass für diesen Personenkreis keine Sozialleistungen mit Ausnahme von Leistungen für die Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit in Anspruch genommen werden.
1.3 Ausreichender Wohnraum muss vorhanden sein.
1.4 Der tatsächliche Schulbesuch aller Kinder für den gesamten Zeitraum zwischen dem Beginn und dem Ende des schulfähigen Alters muss durch Zeugnisvorlage nachgewiesen werden.
1.5 Die Passpflicht nach § 3 AufenthG muss grundsätzlich erfüllt sein. Sofern der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, gleichwohl kurzfristig keinen Pass oder Passersatz erlangen kann, kann ihm ein Ausweisersatz ausgestellt werden. Der Antragsteller hat sich jedoch weiterhin um die Erfüllung der Passpflicht zu bemühen.
2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheidet aus, wenn:
2.1 behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert wurden oder die Ausländerbehörde über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht wurde,
2.2 Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 2 Nr. 1 - 5, 8 AufenthG vorliegen;
2.3 wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat eine Verurteilung erfolgt ist; Geldstrafen von bis zu 50 Tagessätzen (additiv) bleiben außer Betracht. Die Tilgungsfristen und das Verwertungsverbot gem. § 46 Abs. 1 Nr. 1a i. V. m. § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) sind zu berücksichtigen.
3. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe dieses Erlasses gestellt werden.
4. Rechtsmittel und sonstige auf den weiteren Verbleib im Bundesgebiet gerichtete Anträge müssen innerhalb der vorstehenden Antragsfrist zum Abschluss gebracht werden.
5. Die Aufenthaltserlaubnis wird befristet auf zwei Jahre erteilt. Die Verlängerung erfolgt, sofern die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
6. Die Ausländerbehörden entscheiden abschließend innerhalb von neun Monaten über die Anträge.
7. Die Ausländerbehörden erfassen statistisch die Anzahl der nach dieser Anordnung beantragten Aufenthaltserlaubnisse, die Anzahl der erteilten bzw. abgelehnten Aufenthaltserlaubnisse sowie die Anzahl der freiwillig ausgereisten und der abgeschobenen Personen. Die Ausländerbehörden berichten dem Ministerium des Innern (zwecks Unterrichtung des Bundesministeriums des Innern) hierüber vierteljährlich, erstmals ab dem 01.10.2005.