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Erlass Nr. 01/2009
Aufenthaltsrecht; Anordnung gemäß § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Irak
Erlass Nr. 01/2009
Aufenthaltsrecht; Anordnung gemäß § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Irak
vom 25. Februar 2009
Außer Kraft getreten durch Allgemeine Weisung Nr. 01/2018 vom 20. Februar 2018
Meine Vorabinformation vom 02.12.2008; Az.: II/1.2-802-20
Der Rat für Justiz und Inneres der Europäischen Union hat am 27. November 2008 Schlussfolgerungen angenommen, in denen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert werden, auf freiwilliger Basis und entsprechend den Aufnahmekapazitäten der Mitgliedstaaten besonders schutzbedürftige irakische Personen, die aus dem Irak nach Syrien und Jordanien geflohen sind, aufzunehmen.
Auf der Grundlage dieses Ratsbeschlusses hat das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit den Innenministern und -senatoren der Länder gem. § 23 Abs. 2 AufenthG angeordnet, dass Deutschland insgesamt 2.500 besonders schutzbedürftige irakische Flüchtlinge aufnimmt. Die Anordnung des Bundesministeriums des Innern vom 05. Dezember 2008 ist als Anlage beigefügt.
Teil A:
Zum Aufnahme- und Verteilungsverfahren der in Rede stehenden irakischen Flüchtlinge gebe ich folgende Hinweise:
- Zuständig für das Aufnahmeverfahren ist gem. § 75 Nr. 8 AufenthG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das mit dem UNHCR und anderen vor Ort präsenten Organisationen eng zusammenarbeitet.
Aufgenommen werden besonders schutzbedürftige Personen, denen sich keine Rückkehrmöglichkeiten in den Irak und keine Integrationsperspektiven in Syrien und Jordanien eröffnen.
Eine besondere Schutzbedürftigkeit liegt insbesondere vor bei- Angehörigen im Irak verfolgter Minderheiten, insbesondere religiöser Minderheiten,
- Personen, die besonderer medizinischer Hilfe bedürfen,
- allein stehenden Frauen mit familiären Unterhalts- bzw. Betreuungspflichten.
- Die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt mit der durch das BAMF erteilten Aufnahmezusage und einem gültigen und anerkannten irakischen Reisepass. Kann kein Reisepass vorgelegt werden oder ist der vorgelegte Reisepass nicht anerkannt, kann jedoch die Identität der Person durch andere Dokumente nachgewiesen werden, wird durch die Botschaft in Damaskus bzw. Amman ein Reiseausweis für Ausländer nach §§ 5, 7 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) ausgestellt.
Die Aufnahmezusage und die Ausnahme von der Passpflicht (§ 3 Abs. 2 AufenthG) durch das BAMF sind ab Bekanntgabe sechs Monate gültig und erlöschen, wenn in diesem Zeitraum die Einreise nach Deutschland nicht erfolgt. Der im Ausnahmefall auszustellende Reiseausweis für Ausländer darf von der Botschaft grundsätzlich nur für eine Gültigkeitsdauer von höchstens einem Monat ausgestellt werden (§ 8 Abs. 2 S. 1 AufenthV). - Die Einreise der aufnahmeberechtigten Personen in das Bundesgebiet soll zeitlich gestaffelt über das Grenzdurchgangslager Friedland erfolgen. Nach aktuellen Informationen sollen die ersten Personen Mitte März in Deutschland eintreffen.
Die Verteilung der aufnahmeberechtigten Personen auf die jeweiligen Bundesländer erfolgt nach dem Königsteiner Schlüssel. Bei einer Aufnahme von bundesweit insgesamt 2500 Irakern werden dem Land Brandenburg 80 Personen zugeordnet. Nach einer Erstaufnahme im Grenzdurchgangslager Friedland für etwa 14 Tage erfolgt eine Verteilung auf das Land Brandenburg.
Eine Ausnahme hiervon bildet die Aufnahme von bundesweit voraussichtlich 125 Schwerstkranken und Pflegebedürftigen. Die entsprechend dem Königsteiner Schlüssel für Brandenburg voraussichtlich zu erwartenden 4 Personen sowie ggf. aufnahmeberechtigte unbegleitete Minderjährige werden direkt auf die Länder verteilt, ohne das Erstaufnahmeverfahren in Friedland zu durchlaufen. - Für das landesinterne Aufnahme- und Verteilungsverfahren ist im Land Brandenburg nach dem Landesaufnahmegesetz (LAufnG) das Landesamt für Soziales und Versorgung zuständig.
Es ist vorgesehen, die betreffenden Iraker nur auf einige Landkreise/Städte zu verteilen, in Abhängigkeit von vorhandenen Beratungs- und Integrationsstrukturen sowie bestehenden Angeboten der medizinisch-psychologischen Versorgung. Näheres hierzu wird durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (MASGF) festgelegt werden.
Teil B:
Zur aufenthaltsrechtlichen Umsetzung der Anordnung des Bundesministeriums des Innern gem. § 23 Abs. 2 AufenthG bitte ich, wie folgt zu verfahren:
- Den betroffenen Ausländern ist gem. § 23 Abs. 2 S. 3 AufenthG entsprechend der Aufnahmezusage eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Aufenthaltserlaubnis wird für drei Jahre erteilt.
- Von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG ist sowohl bei der Erteilung als auch später der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels abzusehen.
Die Pflichten des Betroffenen nach § 48 AufenthG bleiben unberührt; dies gilt insbesondere für die Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 4 S. 2 i. V. m. Abs. 3 AufenthG.
Wurde einer aufnahmeberechtigten Person zum Zwecke der Einreise ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt, wird regelmäßig ein Ausweisersatz auszustellen sein. - Aufgrund der bereits im Aufnahmeverfahren durchgeführten Sicherheitsüberprüfung ist eine Sicherheitsanfrage gem. § 73 Abs. 2 AufenthG i. V. m. der Verwaltungsvorschrift Nr. 06/06 vom 25.04.2006 bei der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich entbehrlich.
- Ein Widerrufsvorbehalt in der Aufenthaltserlaubnis für den Fall der wahrheitswidrigen Angaben im Aufnahmeverfahren ist nicht erforderlich.
In diesen Fällen erfolgt durch das BAMF eine Rücknahme der Aufnahmezusage ex tunc (rückwirkend), sofern die Falschangaben kausal für die Erteilung der Aufnahmezusage geworden sind. Danach kann die jeweilige Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis zurücknehmen. - Die Aufenthaltserlaubnis wird mit der wohnsitzbeschränkenden Auflage “Wohnsitznahme im Land Brandenburg, Stadt ... bzw. Landkreis ...“ versehen, soweit und solange Leistungen nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bezogen werden.
Zur Ermöglichung eines länderübergreifenden Wohnsitzwechsels findet die bundeseinheitliche Verfahrensweise bei wohnsitzbeschränkenden Auflagen (Information des MI Nr. 202/2005 vom 20.09.2005) Anwendung. - Gem. § 23 Abs. 2 S. 5 AufenthG berechtigt die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (s. a. § 2 Abs. 2 AufenthG).
- Grundsätzlich wird bereits im Aufnahmeverfahren versucht werden, die Einheit der Familie zu wahren und Familien nur gemeinsam aufzunehmen.
Sollte dies in Einzelfällen nicht möglich sein, gelten für den Familiennachzug die allgemeinen Regelungen der §§ 27 ff. AufenthG, speziell § 30 AufenthG für den Ehegattennachzug und § 32 AufenthG für den Kindernachzug sowie die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG.
Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen des für die Erteilung der Aufnahmezusage notwendigen besonderen Schutzbedürfnisses (Umkehrschluss aus § 29 Abs. 3 AufenthG). - Eine spätere Aufenthaltsverfestigung durch Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ist nach § 26 Abs. 4 AufenthG möglich, wenn die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG sieben Jahre besteht und die weiteren für die Niederlassungserlaubnis erforderlichen Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 bis 9 AufenthG vorliegen.
Daneben ist auch die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a AufenthG möglich. Vom Anwendungsausschluss für Aufenthaltstitel nach Abschnitt 5 des AufenthG sind solche Aufenthaltstitel, die auf der Grundlage des § 23 Abs. 2 AufenthG erteilt worden sind, ausdrücklich ausgenommen (§ 9a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG). - Im Übrigen gelten die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes.
Anlage 1
Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz zur Aufnahme bestimmter Flüchtlinge aus dem Irak
Vom 05. Dezember 2008
Vorbemerkung:
Die Lage der aus dem Irak geflüchteten Menschen in Syrien und Jordanien hat sich in der letzten zeit in einer Weise verschärft, die ein solidarisches Handeln aller Kräfte auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene gebietet. Hieran mitzuwirken, liegt im besonderen politischen Interesse Deutschlands.
Der Rat der Europäischen Union hat auf seiner Sitzung am 27.11.2008 Schlussfolgerungen angenommen, in denen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert werden, auf freiwilliger Basis und im Rahmen der jeweiligen Kapazitäten besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus der vorgenannten Gruppe von Flüchtlingen bei sich aufzunehmen. Dabei bedarf es nach Auffassung des Rates einer engen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit dem UNHCR und den anderen einschlägigen Organisationen, die in der Region präsent sind.
Die Innenminister und -senatoren der Länder haben sich mit dem Bundesminister des Innern auf der Innenministerkonferenz am 20. und 21. November 2008 im Vorgriff auf die Sitzung des Rats der Europäischen Union vom 27.11.2008 im Grundsatz darauf verständigt, dass Deutschland sich an einer europäischen Aufnahmeaktion beteiligt und insgesamt 2.500 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus der vorgenannten Gruppe aufnimmt.
Die vorliegende Anordnung wurde im Entwurfsstadium im Rahmen der fernmündlichen Besprechung der Ausländerreferenten von Bund und Ländern am 1. Dezember 2008 erörtert.
Vor diesem Hintergrund ergeht folgende Anordnung gemäß § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz:
- Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erteilt insgesamt bis zu 2.500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus dem Irak in Jordanien und Syrien eine Aufnahmezusage.
- Für die Auswahl der Flüchtlinge gelten folgende Maßnahmen:
- Ein die Aufnahme rechtfertigendes besonderes Schutzbedürfnis setzt voraus, dass der Betroffene auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Rückkehr in den Irak und auch keine Aussicht auf eine Integration in den Nachbarstaaten des Irak hat. Es liegt insbesondere vor bei
- Angehörigen im Irak verfolgter Minderheiten, insbesondere religiöser Minderheiten,
- Personen, die besonderer medizinischer Hilfe bedürfen (einschließlich traumatisierter Personen sowie Opfer von Folter),
- Allein stehenden Frauen mit familiären Unterhalts- bzw. Betreuungspflichten.
- Ausgeschlossen sind grundsätzlich Personen,
- die im Irak eine Funktion ausgeübt haben, die für die Aufrechterhaltung des früheren Herrschaftssystems gewöhnlich als besonders bedeutsam galt oder es aufgrund der Umstände des Einzelfalls war;
- die wegen Delikten, die in Deutschland als vorsätzliche Straftat anzusehen sind, verurteilt worden sind;
- oder bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass Verbindungen zu kriminellen Organisationen oder terroristischen Vereinigungen bestehen oder bestanden haben oder dass sie in sonstiger Weise Bestrebungen verfolgen oder unterstützen oder unterstützt haben, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind.
Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens findet zudem eine Überprüfung der Personen durch die Sicherheitsbehörden statt; der Überprüfungsmaßstab ist hierbei mit demjenigen aus dem Visumverfahren identisch.
- Bei Personen mit besonderem Schutzbedürfnis i. S. d. Ziffer 2.a sollen als weitere Auswahlkriterien berücksichtigt werden:
- Integrationsfähigkeit (Indikatoren: Grad der Schul- und Berufsausbildung; Berufserfahrung; Sprachkenntnisse);
- Wahrung der Einheit der Familie;
- Familiäre Bindungen nach Deutschland; sonstige besonders integrationsförderliche Bindungen nach Deutschland;
- Grad der Schutzbedürftigkeit.
- Ein die Aufnahme rechtfertigendes besonderes Schutzbedürfnis setzt voraus, dass der Betroffene auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Rückkehr in den Irak und auch keine Aussicht auf eine Integration in den Nachbarstaaten des Irak hat. Es liegt insbesondere vor bei
- Den ausgewählten Personen wird zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für bis zu drei Jahre erteilt; von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetzes ist abzusehen. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis richtet sich nach § 8 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz; die Erteilung der Niederlassungserlaubnis richtet sich nach § 26 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz; die Pflichten des Betroffenen nach § 48 Aufenthaltsgesetz bleiben unberührt. Die Aufenthaltserlaubnis wird mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen, soweit und solange Leistungen nach dem SGB II oder XII bezogen werden.
- Die lastengerechte Verteilung der ausgewählten Personen auf die Bundesländer erfolgt nach Maßgabe des für die Verteilung von Asylbewerbern festgelegten Schlüssels und unter Berücksichtigung der in Ziffer 2.c genannten familiären und sonstigen besonders integrationsförderlichen Bindungen in den Bundesländern (z. B. Unterbringungs- und Betreuungsangebote kommunaler, karitativer und kirchlicher Stellen).
- Die Bundesländer werden an der Durchführung des Aufnahmeverfahrens und der Auswahl der Flüchtlinge durch Entsendung einzelner Vertreter zur verantwortlichen Projektgruppe im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligt.
- § 24 Abs. 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes findet Anwendung (§ 23 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz).
- Es wird vorbehaltlich noch zu klärender Kostentragungsfragen angestrebt, die Erstaufnahme der ausgewählten Personen zentral über das Grenzdurchgangslager Friedland (Niedersächsisches Zentrum für Integration) durchzuführen und die Verteilung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf die Länder dort vorzunehmen.
- Fragen der Kostentragung werden zwischen Bund und Ländern zeitnah gesondert besprochen.
Für das Bundesministerium des Innern
gez. Dr. Hecker