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Allgemeine Weisung zum Vollzug ausländerrechtlicher Bestimmungen Nummer 2021.01
Erteilung von Duldungen nach § 60a und § 60b Aufenthaltsgesetz (Allgemeine Weisung im Ausländerrecht Nr. 2021.01 - AW-AuslR Nr. 2021.01)

Allgemeine Weisung zum Vollzug ausländerrechtlicher Bestimmungen Nummer 2021.01
Erteilung von Duldungen nach § 60a und § 60b Aufenthaltsgesetz (Allgemeine Weisung im Ausländerrecht Nr. 2021.01 - AW-AuslR Nr. 2021.01)

vom 19. März 2021

Unter aktualisierter inhaltlicher Übernahme der die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz ergänzenden Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zu § 60a und zu § 60b des Aufenthaltsgesetzes1,2 weise ich für die Erteilung von Duldungen nach diesen Rechtsvorschriften zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendung durch die Ausländerbehörden im Land Brandenburg Folgendes allgemein an3:

I Erteilung von Duldungen nach § 60a Aufenthaltsgesetz

Übersicht

1 Allgemeines

2 Aussetzung der Abschiebung für bestimmte Gruppen von Ausländer*innen – Abschiebungsstopp (§ 60a Absatz 1 AufenthG)

3 Individuelle Aussetzung der Abschiebung – Duldung im Einzelfall

3.1 Anspruchsduldung (§ 60a Absatz 2 Satz 1 und 2 AufenthG)

3.2 Ermessensduldung (§ 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG)

4 Duldung nach Rückübernahme (§ 60a Absatz 2a AufenthG)

5 Duldung der Eltern gut integrierter Jugendlicher (§ 60a Absatz 2b AufenthG)

6 Vermutungsregelung bei gesundheitlichen Gründen (§ 60a Absatz 2c und 2d AufenthG)

7 Dokumentation im Ausländerzentralregister

1 Allgemeines

1.1 1Die Duldung nach § 60a AufenthG bewirkt lediglich eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer*innen, deren Ausreisepflicht durch die Duldung unberührt bleibt. 2Die Duldung erschöpft sich mithin in dem Verzicht der Behörde auf die Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht. 3Ein Aufenthaltsrecht wird dadurch nicht begründet.

1.2 1Duldungen werden deshalb nur für den voraussichtlichen Zeitraum der konkret bestehenden Unmöglichkeit der Abschiebung oder des Erfordernisses der Anwesenheit im Bundesgebiet erteilt. 2Die Gründe für die Duldungserteilung sind regelmäßig, spätestens alle drei Monate, auch mit Blick auf das Primat der Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht zu überprüfen. 3Nur in begründeten Einzelfällen – zum Beispiel, wenn der Wegfall der Unmöglichkeit in dieser Frist ausgeschlossen erscheint – kann die Duldung ausnahmsweise für einen längeren Zeitraum erteilt werden; sie soll dann mit einer auflösenden Bedingung verbunden werden.

1.2.1 1Die Verwendung einer solchen auflösenden Bedingung ist nicht auf den oben beschriebenen Fall begrenzt. 2Der Wortlaut der Bedingung kann beispielsweise folgendermaßen lauten:

"Die Duldung erlischt mit der formlosen Bekanntgabe des Abschiebungstermins."

1.2.2 Solche auflösenden Bedingungen unterbleiben, wenn im Geltungszeitraum der Duldung eine Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt ist oder ein längerfristiges Abschiebungshindernis vorliegt und es im Sinne einer prognostischen Einschätzung nicht zu erwarten ist, dass die Aufenthaltsbeendigung innerhalb des Geltungszeitraums der Duldung möglich sein wird, vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2016 – 11 S 1626/15, juris; VG Oldenburg, Beschluss vom 23. Januar 2013 – 11 A 4635/12, juris.

1.3 Im Wesentlichen sind zwei Varianten von Duldungen zu unterscheiden:

1.3.1 § 60a Absatz 1 AufenthG sieht die Möglichkeit von Duldungen aufgrund eines Abschiebungsstopps vor, die allgemein auf bestimmte Gruppen von Ausländer*innen oder für Rückführungen in bestimmte Staaten Anwendung finden.

1.3.2 § 60a Absatz 2, 2a und 2b AufenthG regelt die Erteilung von Duldungen im Einzelfall.

1.4 1Ob die Ausreisepflicht nicht geduldeter ausreisepflichtiger Ausländer*innen vollzogen wird, steht nicht im Ermessen der Ausländerbehörde. 2Sowohl das nationale Recht (§ 58 Absatz 1 Satz 1 AufenthG) als auch das europäische Recht (Artikel 8 Absatz 1 RL 2008/115/EG) sehen zwingend vor, dass die vollziehbare Ausreisepflicht erforderlichenfalls auch zwangsweise durchgesetzt wird.

1.5 1Grenzübertrittsbescheinigungen (GÜB) sind weder ein Aufenthaltstitel; noch eine Duldung. 2Um praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und zur Erleichterung von Rückführungsmaßnahmen bietet es sich in geeigneten Fällen gleichwohl an, Grenzübertrittsbescheinigungen auszustellen, beispielsweise als Überbrückung bis zur tatsächlichen Ausreise in Fällen, in denen der Zeitpunkt der Abschiebung feststeht. 3Eine Verwendung der Grenzübertrittsbescheinigung als Duldungsersatz ist unzulässig; ihre Verlängerung sollte vermieden werden.

2 Aussetzung der Abschiebung für bestimmte Gruppen von Ausländer*innen – Abschiebungsstopp (§ 60a Absatz 1 AufenthG)

1Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländer*innen aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird, § 60a Absatz 1 Satz 1 AufenthG. 2Zu Aussetzungsanordnungen für einen längeren Zeitraum holt das Ministerium des Innern und für Kommunales das Einvernehmen des BMI ein.

3 Individuelle Aussetzung der Abschiebung – Duldung im Einzelfall

3.1 Anspruchsduldung (§ 60a Absatz 2 Satz 1 und 2 AufenthG)

3.1.1 1Eine Duldung ist zu erteilen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG. 2Bei der Auslegung des Begriffs "unmöglich" ist darauf abzustellen, ob die Abschiebung alsbald realisiert werden kann oder zeitweilig aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Hindernisse ausgeschlossen ist.

3.1.2 Tatsächliche Unmöglichkeit

3.1.2.1 1Eine Abschiebung ist tatsächlich unmöglich, wenn sie auf praktische Schwierigkeiten stößt, die nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand zu beheben sind. 2Es sind dies Hindernisse, die die Art und Weise der Durchsetzung der gesetzlichen Ausreisepflicht betreffen. 3Von einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ist insbesondere in folgenden Fällen auszugehen:

3.1.2.1.1 bei Passlosigkeit der Ausländer*innen und der Aussicht, dass sie auf unabsehbare Zeit ohne Pass bleiben werden; zur Mitwirkungspflicht siehe unten.

3.1.2.1.2 bei dauerhaft fehlender Übernahmebereitschaft des Staates, in den abgeschoben werden soll, beispielsweise wenn die Abschiebung selbst mit einem Reisedokument nicht möglich ist oder eine Rückführung ohne gültige Dokumente nicht in Betracht kommt.

3.1.2.1.3 bei fehlenden Transportmöglichkeiten, beispielsweise fehlenden Flugverbindungen, oder unterbrochenen Verkehrsverbindungen4.

3.1.2.1.4 wenn der Staat, in den abgeschoben werden soll, seine Grenzen schließt.

3.1.2.1.5 bei fehlender Reise- und Transportfähigkeit, beispielsweise wegen einer Krankheit oder einer Risikoschwangerschaft; Näheres siehe Nummer 4.

3.1.2.1.6 wenn kein offizieller Abschiebungsstopp (§ 60a Absatz 1 AufenthG) erlassen wurde, die oberste Landesbehörde oder das Bundesministerium des Innern aber trotzdem für einen begrenzten Zeitraum Abschiebungen in ein bestimmtes Land aussetzt, weil beispielsweise die Sicherheitslage erneut überprüft wird oder die Behörden vor Ort nicht arbeitsfähig sind.

3.1.2.2 1Es ist regelmäßig, spätestens alle drei Monate, nachzuhalten, ob das Abschiebungshindernis noch besteht, so dass bei Wegfall ohne Verzug die Durchsetzung der Ausreisepflicht konsequent weiterverfolgt werden kann. 2Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die Abschiebung wegen Ankündigung oder Durchführung eines Hungerstreiks, bei asyltaktisch behaupteter Ankündigung suizidaler Absichten oder bei Drohungen gegenüber dem Transport- und Begleitpersonal gescheitert ist5.

3.1.2.3 1Gegenüber denjenigen, die die Mitwirkung im ausländerrechtlichen Verfahren verweigern, ist gezielt auf eine Beseitigung des Abschiebungshindernisses hinzuwirken. 2Beispielsweise gilt auch für geduldete Ausländer*innen, dass zumutbare Anforderungen zur Erlangung eines anerkannten und gültigen Passes oder Passersatzes erfüllt und entsprechende zumutbare Bemühungen nachgewiesen werden müssen. 3Auf die Pflicht zur eigenen Beibringung eines anerkannten Passes oder Passersatzes durch die Ausländer*innen (Bringschuld) nach § 56 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 AufenthV wird hingewiesen. 4In allen Fällen einer fehlenden Mitwirkung wird die Duldung regelmäßig nur für jeweils einen Monat verlängert.

3.1.2.4 1In den Fällen der Mitwirkungsverweigerung sind die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Leistungskürzung konsequent anzuwenden. 2Die für die Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Behörden sind über die Mitwirkungsverweigerung zu informieren und um Prüfung von Leistungskürzungen gemäß § 1a AsylbLG zu bitten. 3Auf die in § 60a Absatz 6 AufenthG bestimmten Fälle eines Beschäftigungsverbots, auf das Beschäftigungsverbot nach § 60b Absatz 5 Satz 2 AufenthG (siehe Ziffer II Nummer 1.2 und 15.3), auf die Bestimmung der zumutbaren Handlungen in § 60b Absatz 3 Satz 1 AufenthG (siehe Ziffer II Nummer 5 bis 10) sowie auf die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 95 bis 98 AufenthG (vgl. Ziffer II Nummer 17) wird ausdrücklich hingewiesen.

3.1.3 Rechtliche Unmöglichkeit

3.1.3.1 1Rechtliche Gründe stehen der Abschiebung entgegen, wenn sich aus dem nationalen oder europäischen Recht, Verfassungsrecht oder Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt. 2Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt insbesondere in folgenden Fallkonstellationen vor:

3.1.3.1.1 1Wenn Abschiebungshindernisse nach § 60 Absatz 1 bis 5 oder Absatz 7 AufenthG bestehen, insbesondere weil im Herkunftsland die Folter droht und zugleich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3 AufenthG – beispielsweise auf Grund eines Ausweisungsinteresses – nicht in Betracht kommt. 2Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 AufenthG prüft die Ausländerbehörde, es sei denn, dass ein Asylantrag gestellt ist. 3Das Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist vor einer Entscheidung der Ausländerbehörde zu beteiligen, § 72 Absatz 2 AufenthG.

3.1.3.1.2 Bei Bestehen einer Abschiebungssperre während des Auslieferungs­verfahrens (§ 60 Absatz 4 AufenthG).

3.1.3.1.3 Bei fehlender, aber erforderlicher Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder der Zeugenschutzdienststelle nach § 72 Absatz 4 AufenthG.

3.1.3.1.4 Bei unzumutbarer Beeinträchtigung des Rechts auf Wahrung des Ehe- und Familienlebens6.

3.1.3.1.5 Wenn bei unbegleiteten minderjährigen Ausländer*innen nicht gewährleistet ist, dass sie im Rückkehrstaat einem Mitglied ihrer Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben werden, § 58 Absatz 1a AufenthG.

3.1.3.1.6 1Wenn die Eheschließung mit einer deutschen oder aufenthaltsberechtigten ausländischen Person sicher erscheint und unmittelbar bevorsteht sowie das – durch die Anmeldung zur Eheschließung beim zuständigen Standesamt eingeleitete – Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit nachweislich abgeschlossen ist und seitdem nicht mehr als sechs Monate vergangen sind, vgl. Nummer 30.0.6 AufenthG-VwV. 2In diesem Fall besteht ein Duldungsanspruch, wenn der Eheschließung nur noch Umstände entgegenstehen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Verlobten fallen.

3.1.3.1.7 Bei einer Schwangerschaft von Ausländerinnen während der Mutterschutzzeiten vor und nach der Geburt.

3.1.3.2 Von einem rechtlichen Hindernis im Sinne des § 60a Absatz 2 Satz 1 ist im Regelfall allein aufgrund folgender Fallkonstellationen nicht auszugehen:

3.1.3.2.1 In den Fällen eines sogenannten "Kirchenasyls".

3.1.3.2.2 Bei Befassung der Härtefallkommission (§ 23a AufenthG)7 oder von politischen Mandatsträger*innen im konkreten Einzelfall.

3.1.3.2.3 Im Falle einer Petition (Artikel 24 Landesverfassung, Artikel 17 GG).

3.1.3.2.4 Wenn das Vorliegen von Duldungsgründen geprüft wird.

3.1.3.3 In den in Nummer 3.1.3.2 genannten Fällen wird die Vollziehung der Ausreisepflicht weiter betrieben, es sei denn, dass ausnahmsweise Anlass besteht, aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichem öffentlichen Interesse eine Ermessensduldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG (Nummer 3.2) zu erteilen.

3.1.4 Vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren

Nach § 60a Absatz 2 Satz 2 AufenthG ist die Abschiebung auszusetzen, wenn die vorübergehende Anwesenheit der Ausländer*innen für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne ihre Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre.

3.2 Ermessensduldung (§ 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG)

3.2.1 1Nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG kann Ausländer*innen eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe (Nummer 3.2.2) oder erhebliche öffentliche Interessen (Nummer 3.2.3) ihre vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. 2Es ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob das öffentliche Interesse an der tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt oder diese Maßnahme eine erhebliche Härte für die Ausländerin oder den Ausländer bedeuten würde, ohne dass ein zwingender Duldungsgrund nach § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG gegeben wäre.

3.2.2 Dringende humanitäre oder persönliche Gründe für eine Ermessensduldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG kommen insbesondere in Betracht:

3.2.2.1 1Bei einem in wenigen Wochen bevorstehenden Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung, sofern im Einzelfall nicht § 60c, § 25 Absatz 5 oder § 25a AufenthG vorrangig anzuwenden sind. 2Auf Nummer 60a.2.3.1 in Verbindung mit Nummer 25.4.1.6.1 AufenthG-VwV wird verwiesen.

3.2.2.2 Bei Erledigung wichtiger persönlicher oder finanzieller Angelegenheiten, beispielsweise nach dem Tod naher Angehöriger.

3.2.2.3 Bei vorübergehender Betreuung schwer erkrankter Familienangehöriger.

3.2.2.4 Bei einer vorübergehenden Erkrankung, die noch nicht zur Reise- und Transportunfähigkeit führt, wenn sichergestellt ist, dass die Ausreise – beispielsweise nach Abschluss einer bereits begonnenen ärztlichen Behandlung – zeitnah erfolgt.

3.2.2.5 im Falle eines Studiums, wenn aufgrund der bisherigen Studienleistungen ein erfolgreicher Abschluss in absehbarer Zeit zu erwarten ist8.

3.2.3 Erhebliche öffentliche Interessen sind beispielsweise anzunehmen, wenn

3.2.3.1 Ausländer*innen in gerichtlichen Verfahren verfahrensbeteiligt oder in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Beschuldigte oder Angeschuldigte sind oder als Zeug*innen benötigt werden, sofern in diesen Fällen die Abschiebung nicht bereits nach § 60a Absatz 2 Satz 2 AufenthG auszusetzen oder nach § 25 Absatz 4a oder Absatz 4b AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist.

3.2.3.2 fiskalische Gründe durchgreifend dafür sprechen, einen weiteren Aufenthalt der Ausländer*innen im Bundesgebiet zu ermöglichen, beispielsweise weil Familienangehörige dann auf staatliche Unterstützungsleistungen nicht angewiesen wären9.

3.2.4 1Auf der Rechtsgrundlage des § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG dürfen Duldungen nur für einen Zeitraum befristet erteilt werden, in dem die Gründe für ihre Erteilung voraussichtlich weiterhin vorliegen werden. 2Die Befristung soll in der Regel drei Monate nicht überschreiten. 3Die Gründe für die Ermessensduldung sind regelmäßig, spätestens alle drei Monate, zu überprüfen (vgl. Nummer 1.2).

3.2.5 Die Ermessensduldung von Ausländer*innen, die Opfer rechtsmotivierter Gewaltstraftaten geworden sind, richtet sich ergänzend nach meinem Erlass im Ausländerrecht Nummer 8/2016 vom 21. Dezember 201610, ergänzt durch meinen Erlass im Ausländerrecht Nummer 3/2017 vom 12. Mai 201711.

4 Duldung nach Rückübernahme (§ 60a Absatz 2a AufenthG)

1§ 60a Absatz 2a AufenthG regelt die Aussetzung der Abschiebung in Fällen, in denen eine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, keine Abschiebungshaft angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland rechtlich zur Rückübernahme der Ausländer*innen verpflichtet ist. 2In diesen Fällen wird eine kurzfristige Duldung von einer Woche erteilt. 3Die gescheiterte Abschiebung führt nicht zu einer Besserstellung der Ausländer*innen dahingehend, dass sie einen Anspruch auf Verlängerung der Duldung haben.

5 Duldung der Eltern gut integrierter Jugendlicher (§ 60a Absatz 2b AufenthG)

1§ 60a Absatz 2b AufenthG regelt die Aussetzung der Abschiebung für Eltern minderjähriger Kinder, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erhalten haben (Aufenthalt bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden), soweit für die Eltern nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 2 AufenthG vorliegen. 2Damit wird zur Ausübung der Personensorge eine Aussetzung der Abschiebung der Eltern bis zur Volljährigkeit ihrer Kinder ermöglicht. 3Bei der erforderlichen familiären Lebensgemeinschaft muss es sich nicht nur um eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, sondern um eine Beistandsgemeinschaft12 handeln. 4Die Aussetzung der Abschiebung gilt auch für die minderjährigen Kinder, die in familiärer Lebensgemeinschaft mit ihren Eltern leben. 5Die Regelung (§ 60a Absatz 2b AufenthG) ist eine Soll-Vorschrift; bei Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen ist die Abschiebung deshalb in der Regel auszusetzen. 6Ein Regelfall liegt nicht vor, wenn das öffentliche Interesse daran, dass die Eltern oder der Elternteil das Bundesgebiet unverzüglich verlassen, das private Interesse der Ausländer*innen an einer Aufrechterhaltung ihrer familiären Lebensgemeinschaft im Einzelfall deutlich überwiegt; das deutlich überwiegende öffentliche Interesse steht dann einer Aussetzung der Abschiebung durchgreifend entgegen. 7Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Eltern oder minderjährige Geschwister der Ausländer*innen fortgesetzt Straftaten begangen haben.

6 Vermutungsregelung bei gesundheitlichen Gründen (§ 60a Absatz 2c und 2d AufenthG)

6.1 1Mit den durch Artikel 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren13 bewirkten Änderungen des Aufenthaltsgesetzes ist die Vermutung begründet worden, dass ausreisepflichtige Ausländer*innen reisefähig sind und der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, § 60a Absatz 2c Satz 1 AufenthG. 2Die Betroffenen haben die Möglichkeit, die Vermutung mittels qualifizierter ärztlicher Bescheinigungen glaubhaft zu entkräften, § 60a Absatz 2c Satz 2 bis 4 AufenthG. 3Nach Maßgabe von § 60 Absatz 7 Satz 2 bis 4 AufenthG können grundsätzlich nur lebensbedrohende und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung von Ausländer*innen hindern. 4Die medizinische Versorgung im Zielstaat muss nicht mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig sein. 5Es kommt auch nicht darauf an, dass alle Landesteile des Zielstaates gleichermaßen eine ausreichende Versorgung bieten. 6Inländische Versorgungsalternativen sind gegebenenfalls aufzusuchen.

6.2 1Ausländer*innen müssen eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, § 60a Absatz 2c Satz 2 AufenthG. 2Die ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten, § 60a Absatz 2c Satz 3 AufenthG.

6.2.1 Aussteller*innen qualifizierter ärztlicher Bescheinigungen

6.2.1.1 1Die ausstellende Person muss eindeutig bestimmt und berechtigt sein, in der Bundesrepublik Deutschland die Bezeichnung "Ärztin" oder "Arzt" zu führen. 2Nach § 2a der Bundesärzteordnung setzt dies eine Approbation als Ärztin oder Arzt oder eine Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach § 2 Absatz 2, 3 oder 4 der Bundesärzteordnung voraus. 3Nicht ausreichend ist eine Approbation in einem anderen Heilberuf, beispielsweise als Apotheker*in, Psychologische Psychotherapeutin oder Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in, Zahnärztin oder Zahnarzt, Hebamme (§ 3 HebG), Heilpraktiker*in, Tierärztin oder Tierarzt. 4Die ärztlichen Bescheinigungen dürfen jedoch auch auf fachliche Urteile von in anderen Heilberufen Approbierten gestützt sein, die gegebenenfalls konsiliarisch zur ärztlichen Begutachtung hinzugezogen wurden.

6.2.1.2 1Bei Zweifeln an der Befugnis der ausstellenden Person, die Bezeichnung "Ärztin" oder "Arzt" zu führen, kann die für den Ort ihrer Niederlassung zuständige Ärztekammer beteiligt werden. 2Von einer Beteiligung der Ärztekammer kann abgesehen werden, wenn im Ergebnis eine Recherche in ihren Online-Registern14 die Zweifel ausgeräumt sind.

6.2.2 Form qualifizierter ärztlicher Bescheinigungen

6.2.2.1 1Für die qualifizierte ärztliche Bescheinigung ist eine bestimmte Form gesetzlich nicht vorgeschrieben. 2Aus dem Begriff der "Bescheinigung" folgt jedoch, dass es sich um eine Erklärung in Textform handeln muss, deren Aussteller*in erkennbar ist. 3Je formloser die vorgelegte oder elektronisch übermittelte Bescheinigung ist – beispielsweise wenn typische Merkmale ärztlicher Bescheinigungen wie eigenhändige Unterschrift der Ärzt*innen und Praxisstempel fehlen, es sich um eine Bescheinigung in einfacher elektronischer Textform handelt oder die Bescheinigung mit einem unverschlüsselten E-Mail übermittelt worden ist – desto sorgfältiger ist ihre Echtheit zu prüfen. 4Dabei ist zu beachten, dass ärztliche Bescheinigungen üblicherweise und in aller Regel noch immer schriftlich – in Papierform – ausgestellt werden und mit eigenhändiger Unterschrift der Ärzt*innen sowie einem Praxisstempel versehen sind und dass eine unverschlüsselte Übermittlung medizinischer Befunde vor dem Hintergrund der ärztlichen Schweigepflicht grundsätzlich unglaubhaft ist.

6.2.2.2 1Mit Dokumenten, die nicht in ihrer originalen Form – als Original-Papierstück oder als mit einer qualifizierten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur versehene Datei –, sondern beispielsweise als Ausdruck eines E-Mails oder eines sonstigen elektronischen Dokuments oder als Fotokopie vorgelegt werden, liegt keine – originale – ärztliche Bescheinigung vor, sondern allenfalls eine Wiedergabe einer solchen Bescheinigung. 2Elektronische ärztliche Bescheinigungen müssen grundsätzlich mit einer qualifizierten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur versehen und der Ausländerbehörde unbeschädigt übermittelt sein; sie dürfen ihr nicht nur als Dateiausdruck vorliegen. 3An der Identität der ausstellenden Personen und ihrer Approbation als Ärzt*innen dürfen keine Zweifel bestehen.

6.2.2.3 Die Vorlage des Originals einer ärztlichen Bescheinigung ist nicht erforderlich, wenn die Übereinstimmung der vorgelegten Kopie oder des vorgelegten Ausdrucks mit dem Original notariell oder amtlich beglaubigt ist und der Beglaubigungsvermerk im Original vorliegt.

6.2.2.4 1Auch wenn nicht zweifelhaft ist, dass die in einer vorgelegten oder elektronisch übermittelten Bescheinigung als deren Aussteller*in ausgewiesene Person als Ärztin beziehungsweise als Arzt approbiert ist, ist bei Zweifeln an der Echtheit der Bescheinigung – unabhängig von ihrer Form – eine Auskunft der ärztlichen Praxis oder klinischen Einrichtung einzuholen. 2Das Auskunftsersuchen ist im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht in Textform unter Beifügung der vollständigen Bescheinigung mittels eines gesicherten Übertragungsmediums (verschlossene Papierbriefpost; Telefax; De-Mail) zu übermitteln. 3Es ist zwingend auf die Frage zu beschränken, ob die Echtheit der Bescheinigung bestätigt wird. 4Durch Beantwortung der Frage wird die ärztliche Schweigepflicht nicht verletzt, da, wenn die Bescheinigung echt ist, keine Patientendaten offengelegt werden, die der Ausländerbehörde als Empfängerin der Auskunft nicht bereits von der betroffenen Person selbst durch Vorlage der Bescheinigung offengelegt sind, und, wenn die Bescheinigung nicht echt ist, die Auskunft schon kein Patientendatum enthält. 5Wird eine Beantwortung der Frage unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht abgelehnt, obliegt es den Ausländer*innen im Rahmen ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht (§ 82 AufenthG) die Ärzt*innen von der Schweigepflicht zu entbinden.

6.2.3 Inhalt qualifizierter ärztlicher Bescheinigungen

6.2.3.1 1Die inhaltlichen Anforderungen, denen qualifizierte ärztliche Bescheinigungen (§ 60a Absatz 2c Satz 2 AufenthG) in der Regel genügen müssen, sind in der Soll-Bestimmung des § 60a Absatz 2c Satz 3 AufenthG exemplarisch ("insbesondere") genannt und bezüglich der zur Behandlung einer Erkrankung erforderlichen Medikamente in § 60a Absatz 2c Satz 4 AufenthG zwingend vorgegeben. 2Die gesetzliche Regelung geht über die Anforderungen hinaus, die bereits zuvor in der aufenthaltsrechtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte an ärztliche Atteste gestellt worden waren, vgl. beispielsweise BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8/07, juris (zu den Anforderungen an fachärztliche Bescheinigungen einer posttraumatischen Belastungsstörung). 3In der ärztlichen Bescheinigung müssen schlüssig und aussagekräftig sowohl das Krankheitsbild als auch der Kausalzusammenhang dargestellt sein, auf Grund dessen die Reiseunfähigkeit der Ausländer*innen eine Folge des Krankheitsbildes ist. 4Die Anforderungen an qualifizierte ärztliche Bescheinigungen, durch die insbesondere sogenannte Gefälligkeitsbescheinigungen ausgeschlossen werden sollen, dürfen jedoch nicht überspannt werden.

6.2.3.2 Aus qualifizierten ärztliche Bescheinigungen (§ 60a Absatz 2c Satz 2 AufenthG) müssen in der Regel hervorgehen:

6.2.3.2.1 1Die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die ärztliche Beurteilung erfolgt ist: 2Dazu müssen beispielsweise eine gegebenenfalls bekannte Krankheitsvorgeschichte dargestellt sowie Zeitpunkt oder Zeitraum der Tatsachenerhebung angegeben sein.

6.2.3.2.2 1Die Methode der Tatsachenerhebung, beispielsweise durch Angabe, welche Untersuchungen gegebenenfalls vorgenommen wurden, um andere Befunde auszuschließen. 2Sind einzelne Tatsachen unter konsiliarischer Hinzuziehung von in anderen Heilberufen Approbierten ermittelt worden (Nummer 6.2.1.1), muss dies substantiiert angegeben sein. 3Ferner muss – insbesondere zur Anamnese – angegeben sein, welche ärztlichen Feststellungen auf eigenen Angaben der betroffenen Ausländer*innen oder auf Angaben Dritter – beispielsweise von Familienangehörigen der betroffenen Ausländer*innen – beruhen.

6.2.3.2.3 1Die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose). 2Dabei handelt sich um eine dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens entsprechende Schlussfolgerung aus den der fachlichen Beurteilung zu Grunde liegenden, methodisch erhobenen (Nummer 6.2.3.2.2) tatsächlichen Umstände (Nummer 6.2.3.2.1).

6.2.3.2.4 1Der Schweregrad der Erkrankung. 2Dabei handelt es sich um ein Element der fachlich-medizinischen Beurteilung, die aus den der fachlichen Beurteilung zu Grunde liegenden, methodisch erhobenen (Nummer 6.2.3.2.2) tatsächlichen Umstände (Nummer 6.2.3.2.1) abzuleiten ist (Nummer 6.2.3.2.3).

6.2.3.2.5 1Die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. 2Dabei müssen die Folgen für die Gesundheit der betroffenen Ausländer*innen in den Blick genommen worden sein, die eine freiwillige Rückkehr oder eine zwangsweise Rückführung für sie voraussichtlich hätten. 3Ein begründeter Kausalzusammenhang zwischen den voraussichtlichen Folgen einer Rückkehr oder Rückführung einerseits und der Erkrankung und ihrem Schweregrad andererseits muss nachvollziehbar dargestellt sein. 4Beachtlich sind nur Schlussfolgerungen (Nummer 6.2.3.2.3) aus tatsächlichen Umständen, die der fachlich-medizinischen Beurteilung unterliegen. 5Beispielsweise ärztliche Mutmaßungen zu den Verhältnissen in einem Zielstaat, in den die Ausländer*innen gegebenenfalls zurückkehren oder zurückgeführt werden sollen, sind unbeachtlich. 6Prognostische Einschätzungen von Ärzt*innen zu gesundheitlichen Folgen, die gegebenenfalls daraus entstünden, dass im Zielstaat einer möglichen Rückkehr oder Rückführung der Ausländer*innen bestimmte Behandlungs- oder Therapiemöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, sind jedoch zu würdigen.

6.2.3.2 1Der Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung muss zu ihrer hinreichenden Qualifizierung nicht in jedem Fall allen in Nummer 6.2.3.1 genannten Anforderungen genügen. 2Insbesondere bei schweren oder sonst offensichtlichen Erkrankungen kann es unschädlich sein, dass einzelne der genannten Elemente fehlen, wenn sich die Bescheinigung gleichwohl als hinreichend qualifiziert darstellt. 3Bescheinigungen, die lediglich eine Diagnose enthalten, können jedoch nicht als eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung bewertet werden.

6.2.3.3 Ausnahmsweise kann von den Ausländer*innen verlangt werden, dass sie – gegebenenfalls mit einem entsprechenden Nachtrag der Ärzt*innen zur vorgelegten oder elektronisch übermittelten Bescheinigung – über die Regelanforderungen des § 60a Absatz 2c Satz 3 AufenthG (Nummer 6.2.3.2) hinausgehende weitere oder nähere ärztlichen Angaben beibringen, wenn im Einzelfall eine diesen Anforderungen entsprechende Bescheinigung für verständige Leser*innen gleichwohl nicht schlüssig ist.

6.2.4 1In Fällen einer psychischen Traumatisierung unterhalb der Schwelle einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) kann regelmäßig keine schwerwiegende Erkrankung angenommen werden, die ein Abschiebungshindernis begründet, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung einschließlich einer Selbstgefährdung der Ausländer*innen. 2Selbst wenn eine Suizidgefahr besteht oder nicht völlig auszuschließen ist, liegt jedoch nicht schon zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor. 3Zu prüfen ist dann, ob sich die Abschiebung der Ausländer*innen – beispielsweise durch ärztliche Begleitung auf dem Abschiebungsflug – so gestalten lässt, dass während der Abschiebung einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann, vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. August 2016 – 10 CE 15.2784, juris Rn 16.

6.2.5 Verfahrensfragen

6.2.5.1 1§ 60a Absatz 2d Satz 1 AufenthG bestimmt die Verpflichtung der Ausländer*innen, der zuständigen Ausländerbehörde die qualifizierte ärztliche Bescheinigung (§ 60 Absatz 2c Satz 2 AufenthG) unverzüglich vorzulegen. 2Damit soll verhindert werden, das ärztliche Atteste "auf Vorrat" eingeholt oder der Ausländerbehörde erst unmittelbar vor der Abschiebung vorgelegt werden. 3Die Ausländer*innen sind nach der Vorschrift dazu verpflichtet, der Ausländerbehörde die aus ihrer Sicht ihrer Abschiebung entgegenstehenden Gründe mitzuteilen, sich eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung zu beschaffen und die Bescheinigung der Ausländerbehörde vorzulegen oder elektronisch zu übermitteln, und zwar unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern –, sobald sie Kenntnis von ihrer Erkrankung sowie deren Ausmaß und Folgen haben; vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 20 sowie Berlit in: GK-AufenthG, Rn 117.7 zu § 60a AufenthG. 4Sind seitdem mehr als zwei Wochen verstrichen, ist eine noch im Sinne des Gesetzes (§ 60a Absatz 2d Satz 1 AufenthG) unverzügliche Vorlage ärztlicher Bescheinigungen in der Regel zu verneinen. 5Die Ausländer*innen sind verpflichtet, die ärztlichen Bescheinigungen sobald sie die Bescheinigungen selbst erhalten haben, innerhalb von ein bis zwei Tagen an die Ausländerbehörde weiterzugeben, sofern sie daran nicht ausnahmsweise durch ganz besondere, vor allem durch in ihrer Person liegende Gründe, wie beispielsweise eine akute schwere Erkrankung, gehindert sind, vgl. Berlit in: GK-AufenthG, Rn 117.8 zu § 60a AufenthG. 6Dies gilt auch für ärztliche Bescheinigungen zu minderjährigen Familienangehörigen.

6.2.5.2 1§ 60a Absatz 2d Satz 2 AufenthG bestimmt die Folgen einer Verletzung dieser Unterrichtungs- und Nachweispflicht (Nummer 6.2.5.1); sie können nur eintreten, wenn die Ausländerbehörde ihren Belehrungspflichten (Nummer 6.2.5.3) fehlerfrei nachgekommen ist. 2Die Ausländerbehörde darf einen nicht mehr unverzüglichen (verspäteten) Vortrag der Ausländer*innen grundsätzlich nicht berücksichtigen (Präklusionswirkung). 3Ein verspätetes Vorbringen kann nur ausnahmsweise dann beachtlich sein, wenn kein Verschulden – Vorsatz oder Fahrlässigkeit – vorliegt oder tatsächliche Anhaltspunkte15 die Annahme begründen, dass sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung der Ausländer*innen durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. 4Hat die Ausländerbehörde, auch wenn Ausländer*innen unverzüglich eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt haben (vgl. Berlit in: GK-AufenthG, Rn 117.9 f. zu § 60a AufenthG), – gegebenenfalls gleichwohl – Zweifel daran, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe entgegenstehen (vgl. § 60 Absatz 2c Satz 1 AufenthG), kann sie zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen anordnen, dass sich die Ausländer*innen ärztlich untersuchen lassen. 5Kommen die Ausländer*innen einer solchen Anordnung innerhalb der von der Ausländerbehörde zu bestimmenden Frist ohne zureichenden Grund nicht nach, ist die Behörde berechtigt, die geltend gemachte Erkrankung unberücksichtigt zu lassen (Präklusionswirkung). 6Im Ergebnis der gebotenen Ermessensausübung entfällt diese Berechtigung grundsätzlich dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung der Ausländer*innen durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.

6.2.5.3 1§ 60a Absatz 2d Satz 4 AufenthG bestimmt die Belehrungspflichten der Ausländerbehörde. 2Die Behörde muss ihren Belehrungspflichten fehlerfrei nachkommen; andernfalls treten die Präklusionswirkungen (Nummer 6.2.5.2 Satz 2 und 5) nicht ein. 3Die Belehrung wird in der Regel mit der Abschiebungsandrohung verbunden.

7 Dokumentation im Ausländerzentralregister

7.1 1Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der AZRG-Durchführungsverordnung16 sind zur Ertüchtigung des Ausländerzentralregisters die Speichersachverhalte zu den Duldungsgründen bei Duldungen, die aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG bestehen, mit dem Ziel einer besseren Steuerung von Rückführungen um eine ausdifferenzierte Darstellung der Duldungsgründe erweitert worden17. 2Bei der Erfassung von Duldungen nach § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG sind diese Speichersachverhalte18 zweckentsprechend zu nutzen.

7.2 1Ist im Einzelfall eine Duldung aus mehreren Gründen gerechtfertigt (überlappende Duldungsgründe), kann nur ein Duldungsgrund im Ausländerzentralregister eingetragen werden. 2Dabei ist derjenige Duldungsgrund zu wählen, der die Duldung voraussichtlich am längsten begründet. 3Dies gilt auch, wenn zu einem bereits eingetragenen Duldungsgrund später ein weiterer Duldungsgrund hinzutritt. 4Überlappende Duldungsgründe sind nicht zum Speichersachverhalt "aus sonstigen Gründen" (Anlage zur AZRG-Durchführungsverordnung Nummer 17 Buchstabe b Doppelbuchstabe ll) einzutragen.

II Erteilung von Duldungen nach § 60b Aufenthaltsgesetz

Übersicht

1 Grundtatbestand

2 Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit

3 Sonstige eigene falsche Angaben

4 Unterlassen zumutbarer Handlungen zur Passbeschaffung – Allgemeines

5 Mitwirkung an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes oder Passersatzes

6 Teilnahme an Verwaltungsverfahren des Herkunftsstaats

7 Freiwilligkeitserklärung

8 Erklärung zur Erfüllung der Wehrpflicht und sonstiger staatsbürgerlicher Pflichten

9 Gebührenzahlung

10 Pflicht zur Wiederholung von Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes

11 Hinweis auf die Pflichten durch die Ausländerbehörde; kein mehrstufiges Verfahren

12 Glaubhaftmachung; Fristsetzung; eidesstattliche Versicherung

13 Nachholung der zumutbaren Handlungen und Heilung der Pflichtverletzung

14 Ausstellung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität"

15 Rechtsfolgen der Ausstellung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität"

16 Form

17 Bußgeldbewehrung

18 Wirkung von Rechtsmitteln

19 Übergangsvorschriften

Anlage 1 (zu Nummer 11.2)

Anlage 2 (zu Nummer 14.3)

1 Grundtatbestand

1.1 Bei der Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" handelt es sich um einen Unterfall einer Duldung nach § 60a AufenthG, die in bestimmten – im Grundtatbestand des § 60b Absatz 1 AufenthG bezeichneten – Fällen ausgestellt wird.

1.2 1§ 60b Absatz 1 AufenthG ergänzt bereits ausweislich seines Wortlauts die Regelungen in § 60a AufenthG, indem er zusätzliche Rechtsfolgen begründet. 2Im Übrigen bleibt § 60a AufenthG unberührt, weil die Duldung nach § 60b Absatz 1 einen Unterfall der Duldung nach § 60a AufenthG darstellt. 3Insbesondere werden die Beschäftigungsverbote nach § 60a Absatz 6 AufenthG somit nicht durch § 60b Absatz 5 Satz 2 AufenthG verdrängt.

1.3 Bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 60b AufenthG ist die Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" auszustellen.

1.4 1Erste Voraussetzung der Ausstellung ist das Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht. 2Ausreisepflichtig sind Ausländer*innen nach § 50 Absatz 1 AufenthG, wenn sie einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzen. 3Vollziehbar ist die Ausreisepflicht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 58 Absatz 2 AufenthG erfüllt sind.

1.5 Da es sich bei der Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" um einen Unterfall einer Duldung nach § 60a AufenthG handelt, muss für ihre Erteilung zudem mindestens einer der Duldungstatbestände des § 60a AufenthG erfüllt sein.

1.6 1Als Voraussetzung der Erteilung einer Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" sieht § 60b Absatz 1 AufenthG zudem vor, dass die Abschiebung der Ausländer*innen aus von ihnen selbst zu vertretenden, in der Vorschrift näher bezeichneten Gründen nicht vollzogen werden kann. 2Ist diese Voraussetzung gegeben, ist stets zumindest auch der Duldungstatbestand des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG erfüllt. 3Der Umstand, dass die Voraussetzungen des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, schließt also die Anwendung des § 60b AufenthG nicht aus. 4Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die § 60b Absatz 1 in zwei Unterfällen festlegt: 5Der erste Unterfall besteht darin, dass die Ausländer*innen das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführen. 6Der zweite Unterfall ist gegeben, wenn die Ausländer*innen zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 AufenthG nicht vornimmt. 7Bezogen auf diesen zweiten Unterfall enthält § 60b Absatz 2 und 3 AufenthG Bestimmungen, die den Tatbestand konkretisieren.

1.7 1Beide Unterfälle setzen voraus, dass die Abschiebung aus einem der genannten Gründe nicht vollzogen werden kann. 2Dabei ist zunächst auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Erteilung der Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" abzustellen.

1.8 1Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Erteilung einer Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" erfüllt, ist die Duldung in dieser Form zwingend zu erteilen. 2Ein Ermessen steht der Behörde nicht zu.

1.9 1Kann die Abschiebung zusätzlich aus einem anderen Grund nicht vollzogen werden, der nicht in § 60b Absatz 1 AufenthG genannt ist, soll grundsätzlich dennoch die Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" erteilt werden. 2Es genügt also für die Ausstellung der Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" grundsätzlich, dass ein dafür ausreichender Grund gegeben ist. 3Auf andere Duldungsgründe kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. 4Dies gilt nicht für Ausländer*innen ab der Stellung eines Asylantrages (§ 13 AsylG) oder eines Asylgesuches (§ 18 AsylG) bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages sowie für Ausländer*innen, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 vorliegt, es sei denn, das Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 beruht allein auf gesundheitlichen Gründen (vgl. § 60b Absatz 2 Satz 2 AufenthG). 5Die bestehenden Regeln für die Eintragungen der Staatsangehörigkeit in das Ausländerzentralregister bleiben unberührt. 6Insbesondere führt die Ausstellung einer Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" allein nicht zur Eintragung des Staatsangehörigkeitsschlüssels "998".

2 Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit

2.1 1In der ersten Variante ist unter den weiteren Voraussetzungen des § 60b Absatz 1 AufenthG (vollziehbare Ausreisepflicht; Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung; Vertretenmüssen) die Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" zu erteilen, wenn eine eigene Täuschung über die Identität, eine eigene Täuschung über die Staatsangehörigkeit oder eigene falsche Angaben zur Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung führen. 2Diese Tatbestände stehen alternativ nebeneinander.

2.2 Eine Täuschung über die Identität liegt vor, wenn falsche Angaben über identitätsbestimmende Merkmale gemacht werden, die einen Irrtum19 bei der Behörde auslösen.

2.2.1 1Identitätsbestimmend sind alle personenbezogenen Merkmale, deren Kenntnis für die Vollziehung der Ausreisepflicht von Bedeutung sind, insbesondere Namen, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort oder Geburtsland, eine etwaige Personenkennziffer des Herkunftsstaats, sofern sie dort für Identifizierungszwecke allgemein verwendet wird, oder andere im Herkunftsstaat übliche Identifizierungsmerkmale, wie etwa Angaben zu Eltern.

2.2.2 Beurteilungsmaßstab ist entsprechend dem Normzweck die Richtigkeit derjenigen Daten, die für eine Abschiebung oder deren Vorbereitung von Bedeutung wären.

2.2.3 1Weil hierfür die Aufnahmebereitschaft des Herkunftsstaats entscheidend ist und der Herkunftsstaat wegen der völkerrechtlichen Personalhoheit allein über die Festlegung der Identitätsmerkmale, vor allem des Namens, entscheidet, sind die dort festgelegten und vorliegenden Daten entscheidend. 2Haben Ausländer*innen beispielsweise im Bundesgebiet stets einen Namen verwendet, der von dem im Herkunftsstaat geführten Namen abweicht, täuschen sie zwar nicht über die Identität in einer Weise, die eine Zusammenführung von Daten innerhalb des Bundesgebietes verhindern würde. 3Jedoch wäre eine Identifizierung durch Stellen des Herkunftsstaats in diesem Fall nicht möglich; deshalb kann eine für die Anwendung des § 60b Absatz 1 AufenthG relevante Täuschungshandlung vorliegen.

2.2.4 1Regelmäßig keine Täuschung ist die Verwendung zulässiger Varianten von Transliterationen. 2Herkunftsstaaten transliterieren Namen aus anderen Schriftarten unterschiedlich und häufig auch innerhalb der eigenen Verwaltung uneinheitlich, und es ist Ausländer*innen aus einem Staat, der standardmäßig keine lateinische Schrift verwendet, oftmals nicht bekannt, welche Variante des Namens in lateinischer Schrift ihr Herkunftsstaat in einem bestimmten Zusammenhang verwendet. 3Die Behörde kann aber regelmäßig die Angabe des Namens in der im Herkunftsstaat gebräuchlichen Schrift verlangen.

2.2.5 1Für eine Täuschung ist tatbestandlich nicht erforderlich, dass die Behörde den unrichtigen Angaben der Ausländer*innen Glauben schenkt. 2Es genügt, dass sie mangels besseren Wissens nur die gemachten Angaben verwenden kann.

2.2.6 1Die Täuschungshandlung muss durch die Ausländer*innen selbst erfolgt sein. 2Dabei sind von den Ausländer*innen stammende Falschangaben, die durch ihre Beauftragten – beispielsweise Rechtsanwält*innen – weitergegeben werden, den Ausländer*innen zuzurechnen. 3Nicht den Ausländer*innen zuzurechnen sind insbesondere Falschangaben ihrer Eltern, es sei denn, volljährige Ausländer*innen (§ 80 Absatz 3 AufenthG) bestätigen diese Falschangaben selbst und sind nicht ausnahmsweise selbst von den eigenen Eltern über die wahre Identität im Unklaren gelassen worden, so dass ihnen nicht bewusst ist, dass sie falsche Angaben machen. 4Ebenfalls nicht den Ausländer*innen zuzurechnen sind objektiv falsche Daten, die in der Behörde generiert worden sind, etwa auf Grund fehlerhafter Zuordnung von Aliaspersonalien aus Datenbankabgleichen. 5Auch hier beginnt aber eine Zurechenbarkeit, sobald die Ausländer*innen die falschen Daten bestätigen.

2.2.7 1Bloßes Schweigen ist keine Täuschung. 2Ebenso liegt keine Täuschung vor, wenn Ausländer*innen lediglich über eine Registrierung mit falschen Daten, die nicht von ihnen selbst stammen, unterrichtet werden und sich hierzu verschweigen.

2.2.8 1Die Täuschung muss gegenwärtig erfolgen (§ 60b Absatz 1 Satz 1 AufenthG: "herbeiführt"). 2Sie ist nicht mehr gegeben, wenn der Behörde die richtigen Daten bekannt sind; in diesem Fall entfällt auch die Ursächlichkeit für das Bestehen des Abschiebungshindernisses.

2.2.9 Die Täuschung muss zumindest mitursächlich für das Unterbleiben der tatsächlichen Vollziehung einer Abschiebung sein; vgl. Nummer 1.9.

2.3 Ähnlich wie eine Täuschung über die Identität ist auch eine Täuschung über die Staatsangehörigkeit, die für das Unterbleiben der tatsächlichen Vollziehung der Abschiebung zumindest mitursächlich ist, eine Tatbestandsvariante des § 60b Absatz 1 AufenthG.

2.3.1 Eine Täuschung über die Staatsangehörigkeit liegt vor, wenn Ausländer*innen selbst und bewusst

2.3.1.1 eine andere Staatsangehörigkeit angeben, als sie tatsächlich besitzen,

2.3.1.2 trotz der Frage nach allen Staatsangehörigkeiten eine Staatsangehörigkeit verschweigen oder

2.3.1.3 unrichtig angeben, keine Staatsangehörigkeit zu besitzen.

2.3.2 1In den Fällen der Nummer 2.3.1.1 ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Falschangaben bewusst gemacht werden, weil es außerhalb der Lebenserfahrung liegt, dass Menschen ihre eigene Staatsangehörigkeit nicht kennen. 2In den Fällen der Nummer 2.3.1.2 muss, um eine Täuschungshandlung annehmen zu können, feststehen, dass die Ausländer*innen zum einen wissen, dass sie alle Staatsangehörigkeiten und nicht nur eine anzugeben haben, und zum anderen, dass ihnen das Vorhandensein einer oder mehrerer zusätzlicher Staatsangehörigkeiten auch bekannt ist. 3Dies muss wegen der Komplexität des Staatsangehörigkeitsrechts einiger Staaten nicht zwingend der Fall sein, wenn Ausländer*innen in der Vergangenheit von der anderen Staatsangehörigkeit niemals Gebrauch gemacht haben, insbesondere sich noch nie einen Pass dieses Staates haben ausstellen lassen oder sich sogar noch nie dort aufgehalten haben. 4In den Fällen der Nummer 2.3.1.3 liegt eine Täuschungshandlung dann nicht vor, wenn zwar eine Staatsangehörigkeit besteht, sich Ausländer*innen aber als staatenlos bezeichnen, weil kein Staat sie – trotz der abweichenden Rechtslage – als eigene Staatsangehörige in Anspruch nimmt (sogenannte faktische Staatenlosigkeit).

2.3.3 Eine Ursächlichkeit für die Unmöglichkeit der Vollziehung der Abschiebung ist insbesondere gegeben, wenn die Einholung des Einvernehmens eines Herkunftsstaats mit einer Abschiebung, insbesondere die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes, durch die Täuschung vereitelt wird.

2.3.4 Ebenso liegt in den Fällen der Nummer 2.3.1.2 eine Ursächlichkeit für die Unmöglichkeit der Vollziehung der Abschiebung vor, wenn mit Bezug auf einen bekannten Herkunftsstaat – wenn auch zu Recht – ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis angenommen wird, dieses Abschiebungshindernis jedoch mit Bezug auf den verschwiegenen anderen Herkunftsstaat nicht vorliegt.

2.4 1Für die Annahme einer Täuschung ist es nicht erforderlich, dass die Behörde die richtigen Daten kennt. 2Es genügt, dass feststeht, dass die von den Ausländer*innen selbst gemachten Angaben falsch sind. 3Letzteres ist vor allem der Fall, wenn die Ausländer*innen einander widersprechende Angaben gemacht haben; vgl. aber Nummern 2.2.4 und 2.3.2.

2.5 1Zudem genügt es für die Annahme einer Täuschung, dass die Ausländer*innen gegenüber verschiedenen Behörden – etwa gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Polizeibehörden, Justizbehörden und Ausländerbehörden – verschiedene Identitätsangaben verwenden, so dass bei einer Zusammenführung der Daten unterschiedliche Aliasnamen bekannt sind, von denen jeweils nicht bekannt ist, welche dieser Identitätsangaben korrekt ist. 2Auch wenn Behörden dann aus verwaltungspraktischen Gründen eine Version als "leitend" festlegen, setzt sich die Täuschung fort, wenn keine gesicherte Kenntnis der vom Herkunftsstaat festgelegten Personalien besteht und sich dies auf die Möglichkeit der Rückführung auswirkt. 3Auf Nummer 2.2.4 wird in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen.

3 Sonstige eigene falsche Angaben

3.1 Sonstige falsche Angaben sind alle weiteren – für die Vollziehung einer Abschiebung erheblichen – identitätsbezogenen unrichtigen Angaben, die von Ausländer*innen selbst mit oder ohne Aufforderung gemacht worden sind und die – (mit-)ursächlich – wegen ihrer Unrichtigkeit zum Unterbleiben des Vollzugs der Abschiebung führen.

3.2 Anders als die in Nummer 2 genannten Angaben müssen die sonstigen eigenen falschen Angaben nicht auf den Zielstaat bezogen sein, damit der Tatbestand erfüllt ist.

4 Unterlassen zumutbarer Handlungen zur Passbeschaffung – Allgemeines

4.1 1Die Unterlassung eigener zumutbarer Handlungen zur Passbeschaffung besteht als alternatives Tatbestandsmerkmal neben den in Nummer 2 und 3 erläuterten Täuschungshandlungen. 2Ist die Unterlassung zumindest mitursächlich dafür, dass die Abschiebung nicht vollzogen werden kann, und bestehen hierfür Gründe, die von den vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer*innen zu vertreten sind, ist eine Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" auch dann zu erteilen, wenn die Ausländer*innen die Behörde nicht täuschen.

4.2 1Die besondere Passbeschaffungspflicht stellt eine rechtsklare, nur für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer*innen geltende Ausfüllung der nach § 3 Absatz 1 AufenthG sowie nach § 56 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 AufenthV grundsätzlich bestehenden Verpflichtung aller sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer*innen dar, sich einen gültigen und anerkannten Pass oder Passersatz selbst zu beschaffen.

4.3 1Die in § 60b Absatz 2 Satz 1 AufenthG auf diese Weise normierte Pflicht, sich einen gültigen Pass oder Passersatz durch alle im Einzelfall zumutbaren Handlungen selbst zu beschaffen, besteht kraft Gesetzes. 2Sie wird somit nicht erst wirksam, wenn die Ausländer*innen durch die Ausländerbehörde oder eine andere Stelle hierzu aufgefordert werden. 3Insbesondere besteht die Verpflichtung auch, wenn die Ausländerbehörde noch keinen Hinweis nach § 60b Absatz 3 Satz 2 AufenthG gegeben hat.

4.4 1Die besondere Passbeschaffungspflicht besteht als eigenständige Verpflichtung neben den bestehenden Mitwirkungspflichten, etwa nach § 48 AufenthG oder § 15 AsylG. 2Dementsprechend verdrängen die in § 60b AufenthG normierten Voraussetzungen, insbesondere Ausnahmen des persönlichen Anwendungsbereichs – beispielsweise nach § 60b Absatz 2 Satz 2 AufenthG –, nicht die dort insoweit geltenden Regelungen. 3Die Ausländerbehörde ist deshalb auch berechtigt, auf der Grundlage des § 48 AufenthG Mitwirkungshandlungen zu verlangen, selbst wenn die besondere Passbeschaffungspflicht – beispielsweise wegen der Erfüllung des Tatbestandes des § 60b Absatz 2 Satz 2 AufenthG – bei vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer*innen nicht oder noch nicht eingreift. 4§ 60b AufenthG entfaltet somit gegenüber anderen Vorschriften des AufenthG keinerlei Sperrwirkung im Sinne einer Spezialnorm.

4.5 1Die Verpflichtung nach § 60b Absatz 2 Satz 1 AufenthG bezieht sich auf ausländische, für eine Rückführung geeignete Pässe oder Passersatzpapiere20. 2Die Beantragung eines deutschen Passersatzes (§ 4 Absatz 1 AufenthV) genügt nicht. 3Der Pass oder Passersatz, um den sich die Ausländer*innen bemühen müssen, muss entsprechend dem Normzweck nicht nach § 3 Absatz 1 in Verbindung mit § 71 Absatz 6 AufenthG vom BMI anerkannt sein, wenn er für eine Rückführung in den Ausstellerstaat ansonsten geeignet ist.

4.6 1Welche Handlungen zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzes im Einzelfall zumutbar sind, ist in § 60b Absatz 3 AufenthG konkretisiert. 2Ergänzend kann die zu § 3 Absatz 1 AufenthG und zu § 5 AufenthV ergangene Rechtsprechung zur Auslegung herangezogen werden.

4.7 Geschuldet wird von den Ausländer*innen nur das umfassende und nachweisliche Bemühen um die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes, nicht der Erfolg, dass ein Pass oder Passersatz tatsächlich ausgestellt wird; ansonsten würde § 5 AufenthV leerlaufen.

5 Mitwirkung an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes oder Passersatzes

5.1 1Es gehört nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 AufenthG zu den regelmäßig zumutbaren Handlungen im Rahmen der besonderen Passbeschaffungspflicht, im darin beschriebenen Umfang an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes mitzuwirken. 2Besonders in der Norm hervorgehoben werden diejenigen Mitwirkungshandlungen, die den in §§ 6 und 15 Passgesetz bestimmten Verpflichtungen deutscher Passbewerber*innen entsprechen. 3Hierzu zählen insbesondere, dass

5.1.1 ein Antrag zu stellen ist (vgl. § 6 Absatz 1 Satz 1 Passgesetz),

5.1.2 die Antrag grundsätzlich persönlich zu stellen ist (vgl. § 6 Absatz 1 Satz 3 Passgesetz) und die Passbewerber*innen dazu grundsätzlich persönlich bei der Passbehörde zu erscheinen haben (vgl. § 6 Absatz 1 Satz 6 Passgesetz)21,

5.1.3 bei der Antragstellung gegenüber der Passbehörde alle Tatsachen anzugeben sind, die zur Feststellung der Personalien der antragstellenden Person und ihrer Staatsangehörigkeit erforderlich sind (vgl. § 6 Absatz 2 Satz 1 Passgesetz),

5.1.4 entsprechende Nachweise zu erbringen sind (vgl. § 6 Absatz 2 Satz 2 Passgesetz),

5.1.5 bei der Abnahme von Fingerabdrücken mitzuwirken ist (vgl. § 6 Absatz 2 Satz 3 Passgesetz),

5.1.6 bei der Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen mitzuwirken, insbesondere die Maßnahmen zu dulden sind (vgl. § 6 Absatz 3 Passgesetz),

5.1.7 der Passbehörde des Herkunftsstaats ein vorhandener Pass vorzulegen ist, wenn eine Eintragung nach dem Recht des Herkunftsstaats unzutreffend ist (vgl. § 15 Nummer 1 Passgesetz),

5.1.8 auf Verlangen ein alter Pass des Herkunftsstaats beim Empfang eines neuen Passes abzugeben ist (vgl. § 15 Nummer 2 Passgesetz),

5.1.9 der Verlust eines Passes des Herkunftsstaats und sein Wiederauffinden bei den Behörden des Herkunftsstaats anzuzeigen ist (vgl. § 15 Nummer 3 Passgesetz),

5.1.10 der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats der Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit anzuzeigen ist (§ 15 Nummer 4 Passgesetz) und

5.1.11 der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats anzuzeigen ist, wenn Ausländer*innen auf Grund freiwilliger Verpflichtung in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, eingetreten sind (vgl. § 15 Nummer 5 Passgesetz).

5.2 1Passbehörde des Herkunftsstaats ist in der Regel ein Konsulat oder eine Botschaft in Deutschland oder eine für Deutschland zuständige Botschaft in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Nebenakkreditierung). 2Sofern eine unmittelbare Kommunikation mit Behörden im Herkunftsstaat erforderlich ist, ist diese ebenfalls zumutbar.

5.3 1Die Mitwirkung oder Duldung von Maßnahmen darf nicht zu einer unzumutbaren Härte führen. 2Bei einer vollziehbaren Ausreisepflicht ist davon auszugehen, dass von Kontakten mit Stellen des Herkunftsstaats keine aufenthalts- oder asylrechtlich relevante Gefahr ausgeht. 3Wird behauptet, dass solche Gefahren vorliegen, ist dies im Rahmen eines Asylverfahrens oder im Verfahren nach § 79 Absatz 1 Satz 2 und § 72 Absatz 2 AufenthG zu klären. 4Liegt im Ergebnis dieser Verfahren eine bestandskräftige Klärung vor, ist sie auch der Anwendung des § 60b AufenthG zu Grunde zu legen. 5Auf § 60b Absatz 2 Satz 2 AufenthG wird in diesem Zusammenhang hingewiesen. 6Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse sind im dafür vorgesehenen Verfahren, nicht im Verfahren nach § 60b AufenthG geltend zu machen. 7Dies gilt auch in dem Fall, dass im Herkunftsstaat Strafverfahren gegen die betroffene Person anhängig sind. 8Machen Ausreisepflichtige eine unzumutbare Härte geltend, weil infolge des Kontakts mit Stellen des Herkunftsstaats Dritte im Herkunftsstaat konkret gefährdet würden, haben sie dies gegenüber der Ausländerbehörde zu belegen.

5.4 1Es ist regelmäßig zumutbar, geeignete Personen im Herkunftsstaat oder in Drittstaaten, insbesondere dort zugelassene Rechtsanwält*innen, mit der Beschaffung von Dokumenten oder der Erledigung anderer behördlicher Kontakte zu befassen. 2Die Kosten haben die passbeschaffungspflichtigen Ausländer*innen zu tragen. 3Eine Unzumutbarkeit liegt nicht allein auf Grund des Umstandes vor, dass Ausländer*innen die Kosten der Passbeschaffung nicht begleichen können. 4Bei der Feststellung der individuellen Zumutbarkeit ist zu berücksichtigen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ausreisepflichtige Personen eine vollständige oder teilweise Erstattung – beispielsweise bei Vorliegen einer Verpflichtungserklärung – durch Dritte oder aus öffentlichen Mitteln erhalten können.

5.5 1Gesetzlich ist ausdrücklich vorgesehen, dass sich die Behandlung des Antrags nach dem Recht des Herkunftsstaats richtet und dies von den Ausländer*innen hinzunehmen ist. 2Damit wird klargestellt, dass – im engen Rahmen des ordre public – die Anwendung des Rechts und die Verwaltungspraxis des jeweiligen Herkunftsstaats zu akzeptieren sind. 3Dies gilt auch für den Fall, dass danach eine Stellvertretung ausgeschlossen ist oder sich die Ausländer*innen – nur oder jedenfalls – von Personen vertreten lassen können, die dafür im Herkunftsland zugelassen sind.

6 Teilnahme an Verwaltungsverfahren des Herkunftsstaats

6.1 Nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 AufenthG ist die dort näher beschriebene Teilnahme an Verwaltungsverfahren des Herkunftsstaats mit dem Ziel der Passbeschaffung regelmäßig zumutbar.

6.2 1Die Verpflichtung zur Vorsprache und zur Teilnahme an Anhörungen ist auf eine aktive, das Verfahren unterstützende mitwirkende Teilnahme gerichtet. 2Die bloße passive Anwesenheit bei entsprechenden Terminen genügt nicht zur Erfüllung der Verpflichtung, wenn sie zur Herbeiführung des Erfolges der Passausstellung nicht ausreicht.

6.3 1Klargestellt wird zudem, dass die Anfertigung von Lichtbildern nach den Vorgaben des Herkunftsstaats regelmäßig zumutbar ist. 2Dies gilt auch für ungewöhnliche Formate, die gegebenenfalls nur von professionellen Fotografen angefertigt werden können. 3Die Anordnung des Tragens einer Kopfbedeckung oder der Anfertigung des Lichtbilds ohne Kopfbedeckung kann in beiden Varianten auch nach deutschem Recht erfolgen (§ 60 Absatz 1 Satz 3 AufenthV), so dass entsprechende Regelungen des Herkunftsstaats ebenfalls als zumutbar anzusehen sind.

6.4 Fingerabdrücke müssen auch dann abgegeben werden, wenn sie vom Herkunftsstaat für Zwecke über die Ausstellung eines Passes oder Passersatzes hinaus verwendet werden.

6.5 1Zu den nach der Rechts- und Verwaltungspraxis des Herkunftsstaats erforderlichen Angaben und Erklärungen gehören im Rahmen der engen Grenzen des ordre public auch Angaben, die über diejenigen zur Identität hinausgehen. 2Zumutbar ist es insbesondere, Fragen zu den in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten richtig zu beantworten. 3Auch die korrekte Beantwortung von Fragen zu verhängten Vorstrafen ist zumutbar; unzumutbar wird eine Offenlegung von Vorstrafen § 53 Absatz 1 Nummer 2 BZRG entsprechend erst nach Eintritt der Tilgungsreife einer Vorstrafe. 4Etwaige Nachteile aus strafrechtlichen Verurteilungen im Bundesgebiet22 sind erst erheblich, wenn sie ein Abschiebungshindernis begründen; dies ist nicht im Verwaltungsverfahren nach § 60b des AufenthG, sondern im dafür vorgesehenen Verfahren zu klären oder wäre im dafür vorgesehenen Verfahren zu klären gewesen.

7 Freiwilligkeitserklärung

7.1 Die Abgabe einer vom Herkunftsstaat geforderten Freiwilligkeitserklärung ist, sofern der Herkunftsstaat diese für die Ausstellung eines Passes oder Passersatzes verlangt, in der Regel zumutbar (§ 60b Absatz 3 Nummer 3), weil von den Ausländer*innen erwartet werden kann, dass sie ihren rechtlichen Pflichten – hier die Pflicht zum Verlassen der Europäischen Union und des Schengen-Raums – freiwillig nachkommen.

7.2 1Nach dem Wortlaut der Vorschrift (§ 60b Absatz 3 Nummer 3 AufenthG) muss sich die zu erklärende Freiwilligkeit nur auf den Rahmen der rechtlichen Verpflichtung zur Ausreise beziehen; damit ist klargestellt, dass durch die Abgabe der Erklärung die Pflichten der Ausländer*innen zum Verlassen der Europäischen Union und des Schengen- Raums nicht über das nach deutschem Recht gesetzliche Maß hinaus ausgedehnt werden. 2Insbesondere müssen sich Ausländer*innen nicht freiwillig verpflichten, einen unzumutbaren Militärdienst im Herkunftsland abzuleisten oder sich dorthin aus sonstigen unzumutbaren Gründen zurückbeordern zu lassen. 4In der Regel gehört auch eine Flugbuchung zur Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise nicht zu den Mitwirkungspflichten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, 3 S 111.19, Beschluss vom 7.11.2019).

8 Erklärung zur Erfüllung der Wehrpflicht und sonstiger staatsbürgerlicher Pflichten23

8.1 1Nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 AufenthG sind die Ausländer*innen zudem verpflichtet, eine Freiwilligkeitserklärung hinsichtlich der Erfüllung der Wehrpflicht oder sonstiger staatsbürgerlicher Pflichten abzugeben.

8.2 Da die Erfüllung der Wehrpflicht stets eine Härte beinhaltet, zugleich aber zu den überkommenen staatsbürgerlichen Pflichten zählt, ist hier der Maßstab der Zumutbarkeit nach dem Gesetzeswortlaut – wie auch bereits in § 5 Absatz 2 Nummer 3 AufenthV – enger formuliert.

8.2.1 Nicht zumutbar ist die Rückkehr in Kriegsgebiete, insbesondere sofern die Abschiebung dorthin ausgesetzt ist, als aktiv wehrdienstleistende Person; dementsprechend können auch solche Verpflichtungserklärungen während der Dauer des bewaffneten Konflikts nicht gefordert werden.

8.2.2 1Weiterer Maßstab sind zudem die allgemeinen menschenrechtlichen Maßstäbe, wie sie insbesondere durch die Europäische Menschenrechtskonvention vorgegeben sind. 2Ist, beispielsweise, während des Wehrdienstes regelmäßig mit einer grausamen und erniedrigenden Behandlung zu rechnen, ist seine Ableistung zwingend als nicht zumutbar zu beurteilen.

8.2.3 Erschwernisse sind vor allem dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie typischerweise mit einem Wehrdienst einhergehen.

8.2.4 Die Zumutbarkeit der Ableistung eines Wehrdienstes ist nicht vom Geschlecht der betroffenen Person abhängig.

8.2.5 1Die Erfüllung von Forderungen nach Abstandszahlungen als Ersatz für den Wehrdienst ist regelmäßig nicht unzumutbar. 2Dies gilt insbesondere, wenn die zu zahlenden Beträge geringer sind als der mögliche Gewinn durch die Ausübung einer durchschnittlichen Erwerbstätigkeit während der Zeit, in der ansonsten mit geringerer Besoldung im Heimatstaat Wehrdienst zu leisten wäre.

8.2.6 Die Verpflichtung, die Bereitschaft zur Erfüllung der Wehrpflicht zu erklären, umfasst die Verpflichtung, mit der Wehrpflicht zusammenhängende Pflichten, denen bereits in Deutschland nachgekommen werden kann, auch zu erfüllen, beispielsweise die Pflicht zur Meldung für eine Wehrerfassung.

8.3 1Zu den sonstigen staatsbürgerlichen Pflichten, deren Erfüllung regelmäßig zumutbar sind, gehören andere Dienstpflichten, wie etwa eine Feuerwehrpflicht oder eine Verfügbarkeit im Rahmen des Katastrophenschutzes, aber auch die Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten. 2Eine Abgabe von Steuererklärungen und die Zahlung von Steuern nach dem Recht des Herkunftsstaats ist in der Regel insbesondere auch dann zumutbar, wenn in Deutschland ebenfalls eine Steuerpflicht besteht. 3Zu den zumutbaren staatsbürgerlichen Pflichten zählen in der Regel auch die Übernahme von Ehrenämtern und die Erfüllung behördlicher Meldepflichten.

9 Gebührenzahlung

9.1 Mit § 60b Absatz 3 Nummer 5 AufenthG ist klargestellt, dass auch die Zahlung von Gebühren an den Herkunftsstaat grundsätzlich zumutbar ist.

9.2 Die zumutbaren Gebühren für Passbeschaffungsmaßnahmen umfassen auch Gebühren für die Beschaffung von Dokumenten und für andere Amtshandlungen, die als Zwischenschritt zur Passbeschaffung erforderlich sind, beispielsweise Gebühren für die Ausstellung von Personenstandsurkunden, für Beglaubigungen, Apostillen und Legalisationen, für amtliche Übersetzungen und für die Aufnahme von Daten in amtliche Register, zum Beispiel in Personenstands- oder Bevölkerungsregister des Herkunftsstaats.

9.3 1Mit der Beschränkung der Verpflichtung auf die Zahlung der allgemein festgelegten Gebühren wird klargestellt, dass die Zahlung von Schmier- und Bestechungsgeldern nicht zum Pflichtenkreis ausreisepflichtiger Ausländer*innen zählt. 2Es kommt nicht darauf an, in welcher Form – beispielsweise durch Gesetz, Dekret oder behördliche Verfügung – die Gebühren im Herkunftsstaat allgemein festgelegt sind. 3Auch Rahmengebühren können allgemein festgelegte Gebühren sein. 4Beschleunigungsgebühren zählen, sofern sie vom Herkunftsstaat offiziell eingeführt sind, ebenfalls zum Kreis der allgemein festgelegten Gebühren. 5Zu den allgemein festgelegten Gebühren zählen auch Gebühren, die Beliehene vereinnahmen, wie dies in Deutschland etwa bei Notaren der Fall ist; vgl. auch Nummer 5.4.

10 Pflicht zur Wiederholung von Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes

10.1 Nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 6 AufenthG ist es regelmäßig zumutbar, die in § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 bis 5 AufenthG genannten Handlungen erneut vorzunehmen und insbesondere erneut um die Ausstellung eines Passes oder Passersatzes nachzusuchen, sofern diese Handlungen selbst jeweils als zumutbar anzusehen sind.

10.2 Das insoweit zumutbare "Nachsuchen" umfasst nicht nur förmliche Anträge, sondern auch formlose Nachfragen oder Schreiben im laufenden Passantragsverfahren, sofern diese bei den Stellen des Herkunftsstaats zu einem Erfolg führen können; vgl. Nummer 10.3.

10.3 1Nach den Umständen des Einzelfalles sinnvolle Nachfragen nach dem Bearbeitungsstand eines Pass- oder Passersatzantrags sind keine Wiederholungshandlungen (Nummer 10.1), sondern ohne Einschränkung und ohne Aufforderung durch die Ausländerbehörde im Rahmen der originären besonderen Passbeschaffungspflicht vorzunehmen. 2Dasselbe gilt für andere Handlungen, die innerhalb eines Verfahrens sinnvollerweise wiederholt werden, ohne den Bereich des Üblichen zu überschreiten, beispielsweise ein erneuter späterer Anruf zu einer Terminvereinbarung nach Besetztzeichen bei einem ersten Anruf oder eine Anfrage, ob ein E- Mail oder ein Brief eingegangen sind. 3Für wiederholte Handlungen in einem bereits begonnenen, noch laufenden Verfahren ist daher keine besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde erforderlich; § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 6 AufenthG bezieht sich auf Folgehandlungen, die wegen einer Änderung der Sach- und Rechtslage nach dem erfolglosen Abschluss eines vorherigen Verfahrens oder nach der Erfolglosigkeit eines solchen vorherigen Verfahrens wegen der Nichtbehandlung eines vor geraumer Zeit gestellten Antrages sinnvoll werden.

10.4 1Von vornherein nutzlose Wiederholungen der entsprechenden Handlungen können nicht verlangt werden. 2Voraussetzung ist eine Änderung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem ersten erfolglosen Versuch der Ausländer*innen zur Passbeschaffung. 3Dazu zählen auch eine neu eingetretene Verfügbarkeit von erforderlichen Dokumenten oder eine Änderung der Verwaltungspraxis des Herkunftsstaats, auch wenn diese nur faktisch erfolgt ist.

10.5 1Wie hinreichend die Wahrscheinlichkeit sein muss, dass eine Wiederholung der betreffenden Handlungen zum Erfolg führen kann und somit vorzunehmen ist, sollte anhand einer Abwägung zwischen dem Aufwand und der Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Nutzens bestimmt werden. 2Je geringer der mit der Wiederholung verbundene Aufwand ist, um so eher ist auch bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts eine Wiederholung zumutbar.

10.6 1Voraussetzung dafür, dass die betreffende Handlung erneut vorzunehmen ist, ist eine entsprechende Aufforderung der Ausländerbehörde, die auch die Handlung so hinreichend zu bestimmen hat, dass einer durchschnittlich verständigen Person verständlich wird, was sie konkret unternehmen muss. 2Die Aufforderung ist, wenn sie nicht auch auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt wird – beispielsweise § 48 Absatz 3, § 82 Absatz 4 oder § 61 Absatz 1e AufenthG –, nicht isoliert vollziehbar und stellt somit keinen eigenständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar. 3Ihre Rechtmäßigkeit wäre dann, soweit entscheidend, inzident im Rahmen von Rechtsbehelfen gegen die Erteilung einer Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" nach § 60b AufenthG zu prüfen.

11 Hinweis auf die Pflichten durch die Ausländerbehörde; kein mehrstufiges Verfahren

11.1 1Nach § 60b Absatz 3 Satz 2 AufenthG sind die Ausländer*innen auf die in § 60b Absatz 3 Satz 1 AufenthG genannten Pflichten hinzuweisen. 2Zweck des Hinweises soll es sein, die Ausländer*innen dazu zu bewegen, diese Pflichten auch zu erfüllen. 3Es ist zu berücksichtigen, dass die ersatzweise Beschaffung eines nicht oder nicht mehr vorhandenen Passes weltweit zu den selbstverständlichen Obliegenheiten einer Person gehört, die sich im Ausland aufhält, so dass die Anforderungen an den Hinweis nicht überspannt werden dürfen.

11.2 1Wie der Hinweis erfolgt, ist in das pflichtgemäße Ermessen der Ausländerbehörde gestellt. 2Ein Mustertext in deutscher Sprache ist als Anlage 1 beigefügt. 3Das BMI hat einen entsprechenden Mustertext auch in zahlreichen Fremdsprachen zur Verfügung gestellt24. 4Es bleibt der Ausländerbehörde unbenommen, auf die rechtlichen Nachteile der mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" ausgestellten Duldung hinzuweisen; rechtlich verpflichtend ist ein solcher Hinweis jedoch nicht.

11.3 Der Hinweis muss nicht den Pflichtenkreis des § 60b Absatz 3 Satz 1 AufenthG in einem hohen Detaillierungsgrad wiedergeben und kann sich hinsichtlich der Form und der Formulierung an den Erfahrungen der Ausländerbehörde orientieren.

11.4 1Es ist den Ausländer*innen zuzumuten, sich bei ihrem eigenen Herkunftsstaat selbst zu erkundigen, welche Voraussetzungen die Behörden ihres Staates an die Ausstellung eines ausreichenden Dokuments im Ausland stellen. 2Ein in allgemeiner Form gegebener Hinweis, dass die Ausländer*innen sich selbst in zumutbarer Weise bei ihrem Herkunftsstaat um einen Pass oder Passersatz zu bemühen haben, reicht daher aus rechtlicher Sicht aus. 3Im Sinne einer Beschleunigung des Verfahrens kann es sinnvoll sein, konkrete Hinweise zu geben.

11.5 1Keinesfalls ist die Ausländerbehörde verpflichtet, eine Beratung zu den Verfahren der Verwaltung eines anderen Staats zu leisten. 2Verbindliche Auskünfte über Verfahren dritter Staaten können nur die zuständigen Stellen dieser Staaten selbst geben.

11.6 Sofern die Ausländerbehörde, die dazu nicht verpflichtet ist (Nummer 11.5), den Ausländer*innen gleichwohl Hinweise zu den Verfahren des Herkunftsstaats gibt, sollte sie dabei klarstellen, dass sich die Hinweise auf ihren derzeitigen Kenntnisstand stützen, die Verfahren des Herkunftsstaats sich jederzeit, auch ohne Ankündigung, ändern und verbindliche Auskünfte nur von den zuständigen Stellen des Herkunftsstaats erteilt werden können.

11.7 1Der Hinweis muss nicht zwingend in Schriftform erfolgen. 2Zu ihrem Zweck kann im Einzelfall ein mündlicher Hinweis, zu dem gegebenenfalls sofort Rückfragen gestellt werden können, sachdienlicher sein als die Verwendung eines bloßen Textbausteins. 3Zur rechtssicheren Dokumentation ist die Schriftform oder ein gegengezeichneter Vermerk, dass ein mündlicher Hinweis erteilt wurde, sachgemäß.

11.8 Der Hinweis kann – zusammen mit einer Fristsetzung des Nachweises der Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht – auch im Rahmen einer schriftlichen oder mündlichen Anhörung vor der Erteilung einer Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" erfolgen.

11.9 Wenn die betroffene Person nicht über entsprechende Deutschkenntnisse verfügt, ist eine Übersetzung in eine für sie verständliche Sprache geboten.

11.10 1Nach dem Gesetzeswortlaut entsteht die besondere Passbeschaffungspflicht nicht erst, wenn der Hinweis nach § 60b Absatz 3 Satz 2 AufenthG erteilt wurde. 2Dies würde gegenüber den Ausländer*innen, die nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind, der allgemeinen Passpflicht unterliegen und diese Pflicht ohne Hinweis erfüllen müssen, eine nicht beabsichtigte Privilegierung bedeuten. 3Deshalb ist das Unterlassen des Hinweises zwar rechtswidrig, hat aber keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Verpflichtungen der Ausländer*innen.

11.11 Ist der Hinweis, der spätestens bei der Anhörung erteilt werden sollte, erfolgt und die Passbeschaffungspflicht nicht innerhalb eines im Einzelfall angemessenen Zeitraums vollständig erfüllt, muss die Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" unverzüglich erteilt werden.

11.12 Die Einleitung eines Verfahrens nach § 60b AufenthG ist indiziert, wenn ein gültiger und anerkannter Pass oder Passersatz nicht vorhanden ist.

11.13 Das nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht bestehende Erfordernis einer Anhörung vor Erlass des Verwaltungsakts bleibt unberührt.

12 Glaubhaftmachung; Fristsetzung; Erklärung an Eides statt

12.1 Nach § 60b Absatz 3 Satz 3 AufenthG gilt die besondere Passbeschaffungspflicht als erfüllt, wenn die Ausländer*innen glaubhaft machen, dass sie die Handlungen, die in § 60b Absatz 3 Satz 1 AufenthG aufgezählt sind, erfüllt haben.

12.2 1Legen Ausländer*innen einen gültigen und anerkannten Pass oder Passersatz vor, ist eine weitere Glaubhaftmachung, etwa zu den Handlungen, die zum Besitz des Passes oder Passersatzes geführt haben, nicht erforderlich. 2Die besondere Passbeschaffungspflicht ist dann erfüllt.

12.3 1Die Glaubhaftmachung ist in § 294 ZPO gesetzlich geregelt. 2Wann eine Tatsache glaubhaft gemacht ist, ist durch ständige Rechtsprechung in verschiedenen Rechtsbereichen definiert.

12.3.1 1Im Rahmen der Glaubhaftmachung ist es nicht erforderlich, eine Tatsache mit demselben Beweismaß zu belegen wie bei einem Strengbeweis. 2Zum einen ist die Glaubhaftmachung nicht an bestimmte vorgeschriebene Beweismittel gebunden, zum anderen muss nicht eine Überzeugung jenseits vernünftiger Zweifel herbeigeführt werden. 3Glaubhaft gemacht ist eine Behauptung, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft.

12.3.2 Mit Angaben, die schon nicht schlüssig (nicht plausibel) sind, insbesondere mit in sich selbst widersprüchlichen Angaben oder mit Angaben, deren angeblicher sachlicher Richtigkeit bekannte Tatsachen – etwa zur Passausstellungspraxis eines Herkunftsstaats – entgegenstehen, ist eine behauptete Tatsache nicht glaubhaft gemacht.

12.3.3 Werden Beurteilungen auf Erklärungen Dritter gestützt, genügt es nicht, dass, gegebenenfalls, die Erklärungen ihrem Inhalt nach hinreichend glaubhaft erscheinen; außerdem müssen die erklärenden Personen hinreichend glaubwürdig sein.

12.3.4 1Nach § 294 Absatz 2 ZPO sind in einem Prozess nur präsente Beweismittel zulässig, das heißt Beweismittel, die eine sofortige Beweisaufnahme ermöglichen. 2Der Kontext des Aufenthaltsrecht konkretisiert diesen Grundsatz. 3Eigenständige Anforderungen von Beweisen – beispielsweise Zeugenladungen, schriftliche Zeugenbefragungen oder Sachverständigengutachten – durch die Ausländerbehörde, der gegenüber die Erfüllung einer bestimmten Handlung oder mehrerer bestimmter Handlungen nach § 60b Absatz 3 Satz 1 AufenthG glaubhaft zu machen sind (§ 60b Absatz 3 Satz 3 AufenthG), erfolgen nicht. 4Der bereits durch § 82 Absatz 1 AufenthG eingeschränkte Amtsermittlungsgrundsatz wird vielmehr durch § 60b Absatz 3 Satz 4 AufenthG noch weiter modifiziert. 5Danach kann die Ausländerbehörde die Ausländer*innen darauf hinzuweisen, dass deren bisherigen Darlegungen und Nachweise für eine Glaubhaftmachung der Handlungen nicht ausreichen. 6Es ist dann Sache der Ausländer*innen, weitere Nachweise beizubringen.

12.4 1Sind die bisherigen Darlegungen und Nachweise der Ausländer*innen für eine Glaubhaftmachung der Handlungen (§ 60b Absatz 3 Satz 3 AufenthG) nicht ausreichend, kann die Ausländerbehörde die Ausländer*innen auffordern, die Vornahme der Handlungen nach § 60b Absatz 3 Satz 1 AufenthG durch Erklärung an Eides statt glaubhaft zu machen, § 60b Absatz 3 Satz 4 AufenthG. 2Die Begriffe der "Erklärung an Eides statt" (§ 60b Absatz 3 Satz 4 AufenthG) und der "Versicherung an Eides statt" (§ 27 VwVfG; § 156 StGB) sind bedeutungsgleich.

12.4.1 1Die Ausländerbehörde prüft und entscheidet gemäß § 60b Absatz 3 Satz 4 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen, ob sie von der Möglichkeit, eine Erklärung an Eides statt zu verlangen, Gebrauch macht und damit zugleich dieses Mittel der Glaubhaftmachung zulässt. 2Ihre Entscheidung dazu ist kein selbständig rechtsbehelfsfähiger Verwaltungsakt, sondern eine unselbständige Verfahrensentscheidung, deren Rechtmäßigkeit nur zusammen mit dem Verwaltungsakt überprüft werden kann, der zum Abschluss des laufenden Verwaltungsverfahrens erlassen wird, beispielsweise mit der Entscheidung, eine Duldung "für Personen mit ungeklärter Identität" zu erteilen.

12.4.2 1Gegenstand einer Erklärung an Eides statt können insbesondere solche entscheidungserheblichen Tatsachen sein, zu denen typischerweise keine Belege existieren, etwa zu telefonischen Kontakten zu Vertretungen des Heimatstaates. 2Die Erklärung an Eides statt kann insoweit insbesondere andere vorhandene Mittel zur Glaubhaftmachung unterstützen, so dass der gesamte relevante Sachverhalt durch Mittel der Glaubhaftmachung abgedeckt wird.

12.4.3 Andere zugängliche Mittel der Glaubhaftmachung sind gegenüber dem Mittel einer Erklärung an Eides statt vorrangig zu verwenden.

12.4.4 1Auch nach der Abgabe einer Erklärung an Eides statt ist die besondere Passbeschaffungspflicht nicht zwingend und stets als erfüllt anzusehen. 2Die Versicherung an Eides statt geht ebenso wie alle anderen beigebrachten Belege und Nachweise in die Gesamtwürdigung des Vortrages der Ausländer*innen ein.

12.4.5 1Die Ausländerbehörde kann für die Beibringung einer Erklärung an Eides statt eine angemessene Frist setzen. 2Die Länge der Frist orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls; in der Regel ist jedenfalls eine Frist von drei Wochen als ausreichend anzusehen. 3Nach Ablauf der Frist kann die Ausländerbehörde entscheiden, ohne ein weiteres Vorbringen der Ausländer*innen abzuwarten. 4Eine Fristsetzung ist nur bei erstmaliger Entscheidung über die Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG erforderlich. 5Sind Ausländer*innen bereits im Besitz einer solchen Duldung, kommt einer Fristsetzung keine Bedeutung zu, weil die Ausländer*innen die erforderlichen Handlungen nach § 60b Absatz 4 AufenthG jederzeit vornehmen können. 6Es wäre deshalb im Ergebnis folgenlos, wenn sie eine von der Ausländerbehörde gesetzte Frist verstreichen lassen.

12.4.6 1Die Ausländerbehörde ist die zur Abnahme von Erklärungen an Eides statt nach § 60b Absatz 3 Satz 4 AufenthG zuständige Behörde im Sinne des § 156 StGB, § 60b Absatz 3 Satz 5 AufenthG. 2Die vorsätzliche Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt ist nach § 156 StGB strafbar. 3Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass Ausländer*innen eine von ihnen nach § 60b Absatz 3 Satz 4 AufenthG verlangte Erklärung an Eides statt falsch abgegeben haben, liegt eine Strafverfolgung in der Regel im öffentlichen Interesse25.

12.4.7 1Es ist zwischen der "Abnahme" und der "Aufnahme" einer Erklärung an Eides statt zu unterscheiden. 2Die "Abnahme" ist möglich bei einer schriftlich oder bereits zur anderweitig erfolgten Niederschrift mündlich abgegebenen Erklärung an Eides statt; die Erklärenden können auch die elektronische Form – mit qualifizierter elektronische Signatur – wählen. 3Der Begriff der "Aufnahme" steht hingegen für eine mündliche Erklärung an Eides statt, die zur Niederschrift durch die Ausländerbehörde selbst erfolgt, das heißt, von ihr selbst aufgenommen wird. 4Das Verfahren der Aufnahme einer mündlichen Erklärung an Eides statt zur Niederschrift durch die Ausländerbehörde richtet sich nach § 27 Absatz 2 bis 5 VwVfG, § 1 Absatz 1 VwVfGBbg. 5Diese Formvorschriften gelten nur für zur Niederschrift durch die Behörde vor ihr mündlich abgegebene Erklärungen, nicht für die Abnahme (Entgegennahme) einer rein schriftlichen oder elektronischen, insbesondere einer von der erklärenden Person selbst – schriftlich oder elektronisch – verfassten Erklärung an Eides statt. 6Auch die besondere Belehrungspflicht nach § 27 Absatz 4 VwVfG, § 1 Absatz 1 VwVfGBbg gilt nur für Erklärungen an Eides statt, die von der Behörde zur Niederschrift aufgenommen werden. 7Die Strafbarkeit einer falschen Versicherung an Eides Statt nach § 156 StGB knüpft an die Abnahme, nicht an die Aufnahme der Erklärung an; sie erstreckt sich deshalb auch auf Versicherungen an Eides Statt die rein schriftlich oder elektronisch falsch abgegeben werden.

12.4.7 Aus einer schriftlichen oder elektronischen Erklärung muss hervorgehen, dass es sich um eine Erklärung an Eides statt handeln soll.

13 Nachholung der zumutbaren Handlungen und Heilung der Pflichtverletzung

13.1 1In § 60b Absatz 4 Satz 1 AufenthG ist klargestellt, dass Ausländer*innen, die zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht erforderliche Handlungen unterlassen haben, diese Handlungen jederzeit nachholen können. 2Bei einer Nachholung der Handlungen tritt eine Heilung der Pflichtverletzung ein. 3Dies bedeutet, dass die Rechtsfolgen des § 60b Absatz 5 AufenthG für die Zukunft – vom Eintritt der Heilung an (mit Wirkung ex nunc) – geheilt werden, das heißt aufgehoben sind (wegfallen); den Ausländer*innen ist dann die Duldung ohne den Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" auszustellen26.

13.2 1Für die Glaubhaftmachung des Nachholens der zumutbaren Handlungen nach § 60b Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 AufenthG gilt wiederum Nummern 12.3 und 12.4. 2Da der Ausländerbehörde die Nachholung der Handlungen nicht bekannt sein wird, setzen die Heilung und die Ausstellung der Duldung ohne den Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" in der Regel einen entsprechenden Antrag oder ein entsprechendes Vorbringen der Ausländer*innen voraus. 3Eine Erkundigungspflicht oder gar eine Pflicht zur Durchführung entsprechender Ermittlungen von Amts wegen trifft die Ausländerbehörde gemäß § 82 Absatz 1 AufenthG nicht.

13.3 Mit der Nachholung der zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht erforderlichen und zumutbaren Handlungen nach § 60b Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 AufenthG entfallen die folgenden Rechtsfolgen:

13.3.1 das absolute Verbot der Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit; die Erlaubnis der Erwerbstätigkeit richtet sich mit der Nachholung nach den allgemeinen Regeln.

13.3.2 die Wohnsitzauflage nach § 61 Absatz 1d AufenthG; jedoch ist damit die Erteilung einer Wohnsitzauflage und einer räumlichen Beschränkung nach allgemeinen Regeln nicht ausgeschlossen.

13.3.3 die Nichtanrechnung der künftigen Zeiten der Duldung als Vorduldungszeit, etwa im Zusammenhang mit §§ 25a, 25b AufenthG; vgl. Nummer 15.

14 Ausstellung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität"

14.1 Die Duldung ist durch die zuständige Behörde mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" auszustellen.

14.2 Da es sich um einen Unterfall der Duldung handelt, ist kein eigenständiger Vordruck eingeführt.

14.3 Der Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" sollte auf dem Etikett der Duldung sowie auf dem Trägervordruck der Anlage 2 entsprechend angebracht werden.

14.3.1 Eine Angabe der Rechtsgrundlage – § 60b AufenthG – ist nicht erforderlich.

14.3.2 Sofern aus technischen Gründen (Ausfüllprogramm) gleichwertige abweichende Lösungen zur Anbringung des Vermerks genutzt werden sollen, bestehen keine Bedenken.

14.3.4 Der Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" ist gesetzlich vorgegeben; Abkürzungen oder andere Formulierungen dürfen deshalb nicht gewählt werden.

15 Rechtsfolgen der Ausstellung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität"

15.1 Nach § 60b Absatz 5 Satz 1 AufenthG werden Zeiten ab der Ausstellung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" nicht als Zeiten angerechnet, die tatbestandlich als Zeiten des Besitzes einer Duldung anzusehen sind.

15.2 Kommt es zu einer Nachholung der zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht erforderlichen und zumutbaren Handlungen nach § 60b Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 AufenthG (§ 60b Absatz 4 AufenthG), sind die Zeiten zwischen der Ausstellung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" und dem Eintritt der Heilung (Nummer 13.1) auch bei Entscheidungen, die erst nach der Heilung getroffen werden, nicht anzurechnen, § 60b Absatz 4 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 1 AufenthG.

15.3 1Aus § 4a Absatz 4 AufenthG – zweite Alternative: "andere Erwerbstätigkeit" – ergibt sich, dass geduldete Ausländer*innen einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt unterliegen. 2§ 60b Absatz 5 Satz 2 AufenthG bestimmt ein striktes gesetzliches Verbot, Ausländer*innen, denen die Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" ausgestellt worden ist, die Aufnahme oder Fortführung einer Erwerbstätigkeit zu erlauben. 3Dies ist in der Duldung als eigenständige Anmerkung: "Erwerbstätigkeit nicht erlaubt.", auf dem Duldungsetikett zu vermerken. 4Diese Anmerkung gibt nur die gesetzliche Anordnung wieder; sie wirkt lediglich deklaratorisch, nicht konstitutiv. 5War den Ausländer*innen vor Erteilung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" die Beschäftigung erlaubt, sind sie über diese gesetzliche Folgewirkung einer solchen Duldung im Hinblick auf die in § 404 Absatz 2 Nummer 4 SGB III in Verbindung mit § 4a Absatz 4 AufenthG bestimmte Ordnungswidrigkeit aktenkundig zu belehren.

15.4 1Die Wohnsitzauflage nach § 61 Absatz 1d AufenthG tritt mit der Wirksamkeit der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" kraft Gesetzes ein. 2Ein entsprechender Vermerk sollte zur Klarstellung in die Bescheinigung der Duldung aufgenommen werden. 3Ein solcher Vermerk – in der Duldung oder in einem Bescheid – wirkt ausschließlich deklaratorisch, nicht auch konstitutiv. 4Eine gesonderte Anfechtung der Wohnsitzauflage ist nur möglich, wenn die Ausländerbehörde in ihr einen anderen als den bisherigen Wohnort der Ausländer*innen bestimmt und damit eine eigenständige Regelung trifft. 5Anfechtbar ist dann nur die Bestimmung des Wohnortes, nicht auch die kraft Gesetzes wirksame Wohnsitzauflage selbst.

16 Form

16.1 1Nach § 77 Absatz 1 Nummer 5 AufenthG bedarf die Erteilung einer Duldung, also auch der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität", der Schriftform. 2Diese ist regelmäßig bei Erteilung der Duldung mit den dafür bestimmten Vordrucken erfüllt.

16.2 1Die Erteilung einer Duldung bedarf gemäß §§ 77 Absatz 1 AufenthG keiner Begründung. 2Dies gilt auch für die Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität".

17 Bußgeldbewehrung

17.1 1Gemäß § 98 Absatz 3 Nummer 5b AufenthG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 60b Absatz 1 Satz 2 AufenthG nicht alle zumutbaren Handlungen vornimmt, um einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz zu erlangen. 2Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden, § 98 Absatz 5 AufenthG. 3Es handelt sich bei § 98 Absatz 3 Nummer 5b AufenthG um einen echten Unterlassungstatbestand, dessen Vollendung nicht von der Erteilung einer Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" abhängig ist. 4Die Verweisung in § 98 Absatz 3 Nummer 5b AufenthG auf – unrichtig – § 60b Absatz 1 Satz 2 statt – richtig – auf § 60b Absatz 2 Satz 1 AufenthG ist ein als solches unbeachtliches offensichtliches Redaktionsversehen.

17.2 1Bußgelder sollten ihrem Zweck entsprechend in einer Höhe verhängt werden, in der sie eine abschreckende Wirkung entfalten. 2Sie sind deshalb mindestens in einer Höhe festzusetzen, in der mit ihnen etwaige wirtschaftliche Vorteile eines Verbleibs im Bundesgebiet unter Berücksichtigung des absoluten Existenzminimums abschöpft sind.

18 Wirkung von Rechtsbehelfen

18.1 1Nach § 60b Absatz 6 in Verbindung mit § 84 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 AufenthG haben Widerspruch und Klage gegen eine Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" hinsichtlich des damit kraft Gesetzes eintretenden Verbots einer zuvor erlaubten Erwerbstätigkeit keine aufschiebende Wirkung. 2Insoweit laufende Rechtsbehelfsfristen und eingelegte Rechtsbehelfe führen nicht von selbst zu einer aufschiebenden Wirkung, sondern nur, wenn diese vom Verwaltungsgericht nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO angeordnet wird.

18.2 1Im übrigen haben Widerspruch und Klage gegen die Erteilung der Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" gemäß § 60b Absatz 6 in Verbindung mit § 84 Absatz 2 Satz 1 AufenthG aufschiebende Wirkung. 2Die aufenthaltsrechtliche Wirksamkeit der Maßnahme bleibt unberührt. 3Den Rechtsfolgen bei Verwaltungsakten entsprechend, die die Rechtmäßigkeit eines Aufenthalts beenden, bedeutet dies, dass zwar die Vollziehbarkeit der kraft Gesetzes eintretenden Wohnsitzauflage gehemmt ist, jedoch auch die auf das Rechtsbehelfsverfahren entfallenden Zeiten der erteilten Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" nicht als Vorduldungszeiten angerechnet werden.

18.3 1Wird eine Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben, sind die Ausländer*innen, denen sie erteilt war, gemäß § 60b Absatz 6 in Verbindung mit § 84 Absatz 2 Satz 3 AufenthG rückwirkend (mit Wirkung ex tunc) so zu behandeln, als sei die von ihnen erfolgreich angefochtene Duldung nicht mit diesem Zusatz ausgestellt worden. 2Die Zeiten einer infolgedessen als ohne den Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" erteilt geltenden Duldung sind dann nach allgemeinen Regeln anrechenbar.

19 Übergangsvorschriften

19.1 1Nach der inzwischen wohl weitgehend gegenstandslosen Vorschrift des § 105 Absatz 1 AufenthG hat die Ausländerbehörde frühestens aus Anlass der Prüfung einer Verlängerung der Duldung oder der Erteilung der Duldung aus einem anderen Grund darüber zu entscheiden, ob die Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" erteilt wird; zu den nach § 60a Absatz 2 Satz 4 und 5 AufenthG alte Fassung für die im Ausbildungsvertrag bestimmte Dauer der Berufsausbildung erteilten Duldungen vgl. Nummer 19.5. 2Mit der Regelung soll klargestellt sein, dass die Ausländerbehörden nicht unmittelbar nach Inkrafttreten von Artikel 1 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht27 sämtliche Duldungsfälle danach zu untersuchen hatten, ob die Duldung mit diesem Zusatz zu erteilen war. 3Vielmehr konnten und können sie gegebenenfalls auch weiterhin die nächste Befassung mit dem Einzelfall abwarten.

19.2 1Nach der inzwischen durch Zeitablauf erledigten Vorschrift des § 105 Absatz 2 AufenthG fand § 60b AufenthG bis zum 1. Juli 2020 keine Anwendung auf geduldete Ausländer*innen, wenn sie sich in einem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis befanden. 2Damit sollte ihnen ausreichend Möglichkeit gegeben werden, bis zu diesem Stichtag der besonderen Passbeschaffungspflicht nachzukommen, ohne Gefahr zu laufen, den Ausbildungsplatz oder die Beschäftigung aufzugeben. 3Hat bei Ablauf der Übergangszeit ein gültiger und anerkannter Pass oder Passersatz nicht vorgelegen, gilt Nummer 11.11.

19.3 1In § 105 Absatz 3 AufenthG wird das Verhältnis zwischen Duldung für Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG) und der zum 1. Januar 2020 eingeführten Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung (§§ 60c, 60d AufenthG) geklärt. 2Falls Ausländer*innen noch eine ihnen nach altem Recht erteilte, weiterhin gültige Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung besitzen sollten, wird keine Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" ausgestellt28. 3Die Bestimmungen des § 98 Absatz 3 Nummer 5b und Absatz 5 AufenthG, die tatbestandlich an die Nichterfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht anknüpfen (vgl. Nummer 17.1), finden dann ebenfalls keine Anwendung. 4Die nach allgemeinen Vorschriften – insbesondere nach § 3 AufenthG und § 56 AufenthV – bestehenden pass- und ausweisrechtlichen Pflichten sowie die Sanktionen, die an eine Verletzung dieser Pflichten anknüpfen, bleiben davon unberührt; sie werden nicht spezialgesetzlich verdrängt.

19.4 1Bei Ausländer*innen, die eine Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung beantragt haben, ist zu beachten, dass sie die Voraussetzungen für ihre Erteilung nur erfüllen, wenn den Bestimmungen des § 60c Absatz 2 Nummer 3 und § 60d Absatz 1 Nummer 1 AufenthG entsprechend auch ihre Identität geklärt ist. 2Die Beantragung einer Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung hindert deshalb, wenn – mangels einer geklärten Identität – die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht vorliegen, die Ausländerbehörde nicht daran, den Ausländer*innen gemäß § 60b Absatz 1 AufenthG eine Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" zu erteilen. 3Dies gilt auch bei Rechtshängigkeit (§ 90 Satz 1 VwGO) einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung und bei Anhängigkeit eines vorgelagerten Widerspruchsverfahrens. 4Ist der Rechtsbehelf erfolgreich und war dementsprechend statt einer Duldung mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" eine Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung zu erteilen, findet § 60b Absatz 6 in Verbindung mit § 84 Absatz 2 Satz 3 AufenthG Anwendung (vgl. Nummer 18.3).

19.5 1Entgegen verbreitetem Sprachgebrauch sind Duldungen, die nach § 60a Absatz 2 Satz 4 ff. AufenthG alte Fassung erteilt wurden, keine Ausbildungsduldungen im Sinne des § 105 Absatz 3 AufenthG. 2Sie unterfallen § 105 Absatz 1 und 2 AufenthG (siehe Nummern 19.1 und 19.2). 3Eine Duldung nach § 60b AufenthG war und ist deshalb gemäß § 105 Absatz 1 AufenthG in der Regel nur zu erteilen, wenn die Gültigkeit einer nach § 60 Absatz 2 Satz 4 AufenthG alte Fassung erteilten Duldung endete beziehungsweise endet.

III Schlussbestimmungen

1 Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz bleiben unberührt.

2 Diese Allgemeine Weisung tritt mit Veröffentlichung in Kraft. Meine Allgemeine Weisung Nummer 06/2019 ist aufgehoben.

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1 Zu § 60a AufenthG idF vom 30. Mai 2017, soweit diese Anwendungshinweise des BMI weiterhin auf die Bestimmungen der Rechtsvorschrift in ihrer durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1021) geänderten Fassung zu beziehen sind; zu § 60b AufenthG idF vom 14. April 2020.

2 Beachte: 1Zusätzliche Bestimmungen im Text sind durch Kursivdruck der Gliederungsnummern oder Satzzahlen kenntlich gemacht. 2Die in den Fußnoten hinzugefügten Erläuterungen sind für das Verständnis der Bestimmungen maßgeblich.

3 Beachte: 1Soweit die Bestimmungen dieser Allgemeinen Weisung – den Anwendungshinweisen des BMI entsprechend – lediglich informativen Charakter haben, sind die Informationen für den Vollzug des § 60a AufenthG beziehungsweise des § 60b AufenthG maßgeblich und verbindlich. 2Unterrichtungshalber sind zu Ziffer I Nummer 2 aus den Anwendungshinweisen des BMI – verkürzt – auch Informationen übernommen worden, die sich auf die Zuständigkeit der obersten Landesbehörde beziehen.

4 Hinweis: Zu den konkreten Abschiebungsmöglichkeiten kann, soweit dies zweckmäßig ist, Rücksprache mit der ZABH genommen werden; siehe im übrigen Nummer 4.4 AW-AuslR 9/2020.

5 Beachte: Für eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Absatz 2a AufenthG sind die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden zuständig, nicht die Ausländerbehörden (§ 71 Absatz 3 Nummer 2 AufenthG).

6 Beachte: (1) 1Die Prüfung des Vorliegens eines rechtlichen Abschiebungshindernisses wegen unzumutbarer Beeinträchtigung des Rechts auf Wahrung des Ehe- und Familienlebens orientiert sich stark am Einzelfall. 2Ausreisepflichtige Ausländer*innen können im Einklang mit dem Schutz von Familie und Ehe auf die Einholung eines notwendigen Visums und die damit verbundene Ausreise verwiesen werden. 3Allerdings sind die familiären Bindungen der Ausländer*innen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend ihrem Gewicht zur Geltung zu bringen. 4Um zu beurteilen, ob eine unzumutbare Beeinträchtigung des Ehe- und Familienlebens durch die (zeitweise) Trennung vorliegt, ist eine Betrachtung des Einzelfalls geboten. 5Auf der einen Seite sind die familiären Bindungen zu berücksichtigen, auf der anderen Seite alle sonstigen Umstände des Einzelfalls. 6Dabei spielen die Dauer der zur erwartenden Trennung, die Möglichkeit einer gemeinsamen Lebensführung im Heimatstaat und bei einer Trennung von in Deutschland lebenden Kindern deren Alter und die Dauer der Trennung eine Rolle, vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 – 2 BvR 1064/08, juris; VG Trier, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 1 L 671/12.TR. 7Bei der Prüfung, ob familiäre Bindungen zwischen einem – aus persönlichen Gründen (eigenverantwortlich) – getrennt lebenden ausländischen Elternteil und seinem Kind bestehen, sind u. a. folgende Fragen zu klären, vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04:

  • Besteht eine persönliche Verbundenheit zwischen Kind und Elternteil?
  • Haben Kind und Elternteil regelmäßigen Umgang miteinander?
  • Übernimmt der Elternteil Elternverantwortung?
  • Nimmt der Elternteil am Leben und Aufwachsen des Kindes tatsächlich Anteil?
  • Erbringt der Elternteil für das Kind – faktisch – Unterhaltsleistungen (in Geld oder anderer Weise)?

(2) Auch wenn gewichtige familiäre Belange bestehen, kann an einer Beendigung des Aufenthalts straffälliger Ausländer*innen ein überwiegendes öffentliches Interesse begründet sein, sofern sich die Geburt des Kindes nicht als eine Zäsur darstellt, infolge deren sich ihre Lebensführung durchgreifend geändert hat, vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. November 2018 – 13 ME 473/18.

(3) 1Halten sich die Familienangehörigen nicht berechtigterweise im Bundesgebiet auf – beispielsweise weil sie nur im Besitz einer Duldung sind – stellt die Trennung grundsätzlich keine unzumutbare Beeinträchtigung dar, denn die Gefahr einer dauerhaften Familientrennung wird in der Regel nicht bestehen, vgl. VG München, Beschluss vom 5. Mai 2014 – M 11 S 14.50165; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Dezember 2006 – 11 ME 393/06. 2Um die gemeinsame Ausreise der Familienangehörigen zu ermöglichen, soll auf die Erteilung einer Ermessensduldung (Nummer 3.2) zurückgegriffen werden.

(4) 1Eine Ermessensduldung kann auch erteilt werden, wenn sich Familienangehörige ausreisepflichtiger Ausländer*innen noch im laufenden Asylverfahren befinden, es sein denn, dass bereits wegen des Vorliegens eines rechtlichen Abschiebungshindernisses eine Duldungserteilung geboten ist, vgl. § 43 Absatz 3 AsylG. 2Bei der Ermessensentscheidung hat besonderes Gewicht, ob und in welchem Maße Ausländer*innen straffällig geworden sind.

7 Beachte: 1Gemäß § 4 Absatz 4 der Härtefallkommissionsverordnung (HFKV) ordnet die oberste Landesbehörde an, dass die zuständige Ausländerbehörde – außer bei einem feststehenden Rückführungstermin – für die Dauer der Befassung der Härtefallkommission von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen absieht. 2Die Ausländerbehörde erteilt den betroffenen Ausländer*innen eine Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG. 3Die Duldung kann mit der auflösenden Bedingung versehen werden, dass sie mit Beendigung des Härtefallverfahrens erlischt. 4Ein laufendes Härtefallverfahren steht – nach Einzelfallprüfung – der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis grundsätzlich nicht entgegen.

8 Beachte: 1Befinden sich Ausländer*innen im Sinne einer prognostischen Einschätzung im letzten Jahr vor ihrem Schulabschluss an einer weiterführenden Schule oder in den letzten beiden Semestern vor ihrem Studienabschluss, kann auf der Rechtsgrundlage des § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG zur Ermöglichung des Abschlusses eine Ermessensduldung erteilt werden. 2Dass Ausländer*innen in der Schule oder in ihrem Studium Leistungen erbracht haben, die einen erfolgreichen Abschluss der Schule beziehungsweise des Studiums in absehbarer Zeit erwarten lassen, straffrei geblieben sind und ihre Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung nicht zu beanstanden war, ist gegebenenfalls bei der Ermessensausübung mit abzuwägen.

9 Beachte: Die fiskalischen Gründe sind nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig.

10 https://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/erl_nr_8_2016.

11 https://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/erl_nr_03_2017.

12 Beachte: Von einer solchen Gemeinschaft ist bereits dann auszugehen, wenn eine Sorge- und Umgangsberechtigung besteht; eine gelebte Hausgemeinschaft ist nicht erforderlich.

13 Vom 11. März 2016, BGBl. I S. 390 ("Asylpaket II"); in Kraft getreten am 17. März 2016.

14 http://www.bundesaerztekammer.de/service/arztsuche/

15 Beachte: 1Dass sich in aller Regel solche tatsächlichen Anhaltspunkte nur auf Grundlage einer ärztlichen Begutachtung feststellen lassen dürften, schließt nicht aus, dass sie ausnahmsweise auch ohne eine solche Begutachtung offensichtlich sein können. 2Auch dann jedoch ist – insbesondere zur Einschätzung des weiteren zeitlichen Verlaufs der offensichtlichen akuten Erkrankung – ein ärztliches Attest nachzureichen.

16 Vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2424) in der Fassung ihrer Berichtigung vom 9. Januar 2019 (BGBl. I S. 15).

17 Vgl. BR-Drs. 508/18 S. 2.

18 AZRG-Durchführungsverordnung, Anlage Daten, die im Register gespeichert werden, übermittelnde Stellen, Übermittlungs-/Weitergabeempfänger Abschnitt I Nummer 17.

19 Beachte: Um einen Irrtum (Fehlvorstellung) handelt es sich nicht, wenn mangels Mitwirkung der Sachverhalt nicht hinreichend sicher ermittelt und auf der Grundlage belastbarer Nachweise festgestellt werden kann; dies ist dann ein Anwendungsfall von § 60b Absatz 1 Satz 1 Alternative 2 AufenthG (s. Nummer 4).

20 Beachte: Proxi-Pässe sind nur dann geeignete Pässe, wenn sie zur Einreise in die Herkunftsländer beziehungsweise in die aufnahmebereiten Drittstaaten sowie zum Transit berechtigen.

21 Beachte: 1In der Rechtsvorschrift ist die grundsätzliche Zumutbarkeit einer persönlichen Antragstellung bestimmt. 2Die Möglichkeit, dass Ausländer*innen ihrer besonderen Passbeschaffungspflicht auch mit einem gültigen Proxi-Pass nachkommen können, der zur Einreise in die Herkunftsstaaten beziehungsweise die aufnahmebereiten Drittenstatten sowie zum Transit berechtigt (Nummer 4.5), wird davon nicht berührt.

22 Beachte: Schon die Frage, ob ein solcher Nachteil möglicherweise zu besorgen könnte, ist nicht im Verwaltungsverfahren nach § 60b AufenthG zu klären.

23 Beachte: Die das Absehen von der Passpflicht nach § 5 Absatz 3 Satz 2 AufenthG betreffenden Regelungen, die für Entscheidungen über die Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes gelten, sind hier nicht entsprechend anzuwenden.

24 1Die fremdsprachigen Mustertexte des BMI für den Hinweis nach § 60b Absatz 3 Satz 2 AufenthG sind – und werden auch künftig – den Ausländerbehörden vom MIK (Referat 21) mit einfachem E-Mail an ihre Funktionspostfächer mitgeteilt. 2Außerdem kann im Bedarfsfall bei der Aufsichtsbehörde (MIK, Referat 21) nachgefragt werden, ob dort die benötigte Mustertextfassung vorliegt.

25 Beachte: Es ist deshalb regelmäßig ein Strafantrag zu stellen, wenn die Ausländerbehörde tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat, dass eine Erklärung an Eides statt falsch abgegeben wurde.

26 Beachte: 1Die Erteilung einer Duldung setzt selbstverständlich auch dann voraus, dass (noch) ein Duldungsgrund besteht. 2Das Aufenthaltsrecht kennt im übrigen keinen ungeregelten Aufenthalt; insbesondere ist die Ausstellung einer Grenzübertrittsbescheinigung nicht ausreichend (siehe Ziffer I Nummer 1.5).

27 Vom 15. August 2019, BGBl. I S. 1294; in Kraft getreten am 21. August 2019.

28 Beachte: Das Erwerbstätigkeitsverbot nach § 60b Absatz 5 Satz 2 AufenthG gilt nicht für schulische Ausbildungen.

Anlagen