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Gesetz zum Schutz und zur Förderung der niederdeutschen Sprache im Land Brandenburg (Brandenburgisches Niederdeutsch-Gesetz - BbgNdG)

Gesetz zum Schutz und zur Förderung der niederdeutschen Sprache im Land Brandenburg (Brandenburgisches Niederdeutsch-Gesetz - BbgNdG)
vom 9. Juli 2024
(GVBl.I/24, [Nr. 41])

Präambel

In Anerkennung des Willens der Angehörigen der niederdeutschen Sprachgruppe, die seit Jahrhunderten im Land Brandenburg beheimatete niederdeutsche Sprache trotz vielfältiger Assimilierungsversuche auch in Zukunft zu bewahren und zu stärken,

  • im Bewusstsein, dass der Schutz und die Förderung der niederdeutschen Sprache im Interesse des Landes Brandenburg liegen,
  • im Bestreben, dabei mit den Bundesländern des niederdeutschen Sprachraumes zusammenzuarbeiten,
  • unter Berücksichtigung der von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen internationalen Verpflichtungen zum Schutz und zur Förderung der Regionalsprache Niederdeutsch und der Sprachenvielfalt, besonders der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen,
  • unter Berufung auf Artikel 3 des Grundgesetzes sowie auf Artikel 12 und Artikel 34 der Verfassung des Landes Brandenburg

beschließt der Landtag das folgende Gesetz:

§ 1
Niederdeutsche Sprachgruppe

(1) Die niederdeutsche Sprachgruppe im Land Brandenburg besteht aus allen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes, die sich dieser Gruppe zurechnen. Der Grad und die Form der Sprachbeherrschung sowie die Herkunft aus einer bestimmten niederdeutschen Mundartregion sind dafür nicht ausschlaggebend.

(2) Das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zur niederdeutschen Sprachgruppe ist frei und darf weder bestritten noch nachgeprüft werden. Aus diesem Bekenntnis dürfen der Bürgerin und dem Bürger keine Nachteile erwachsen.

(3) Die Angehörigen der niederdeutschen Sprachgruppe haben das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer sprachlichen Identität sowie das Recht, diese frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln, frei von jeglichen Versuchen, sie gegen ihren Willen sprachlich zu assimilieren.

(4) Das Land fördert Bedingungen, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, ihre niederdeutsche Sprache zu bewahren und weiterzuentwickeln. Die Gemeinden und Gemeindeverbände im niederdeutschen Sprachgebiet wirken daran im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung mit. Die Gemeinden und Gemeindeverbände nehmen ihre Aufgaben nach diesem Gesetz als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe wahr.

§ 2
Niederdeutsches Sprachgebiet und Ortsbezeichnungen

(1) Das traditionelle niederdeutsche Sprachgebiet im Land Brandenburg liegt in den Landkreisen Barnim, Elbe-Elster, Havelland, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Oder-Spree, Ostprignitz-Ruppin, Potsdam-Mittelmark, Prignitz, Teltow-Fläming, Uckermark sowie den kreisfreien Städten Brandenburg an der Havel, Frankfurt (Oder) und Potsdam.

(2) Innerhalb des Gebietes nach Absatz 1 können bei entsprechendem Bedarf gebietsbezogene Regelungen dieses Gesetzes durch das Land, die Kommunen, ihre Behörden, ihrer Aufsicht unterstehende Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts angewendet werden. Zur Feststellung des Bedarfes soll der Dachverband nach § 3 gehört werden. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung steht es den Kommunen im Gebiet nach Absatz 1 frei, Beschlüsse zur Anwendung dieses Gesetzes zu fassen oder weitere Regelungen zur Sprachförderung zu treffen.

(3) Innerhalb des Gebietes nach Absatz 1 können traditionell überlieferte niederdeutsche Ortsbezeichnungen wie Siedlungs-, Landschafts- oder Flurnamen auch im Rahmen von Verwaltungshandeln und für zweisprachige Beschriftungen nach § 8 genutzt werden. Die korrekte Schreibweise ist durch eine Beteiligung des Dachverbandes nach § 3 sicherzustellen.

(4) Landkreise, Städte, Gemeinden, Ämter, Verbandsgemeinden sowie Orts- und Gemeindeteile können zusätzlich zu dem hochdeutschen Namen auch einen niederdeutschen Namen führen. Bei dem niederdeutschen Namen muss es sich um eine historisch nachweisbare Namensform handeln. Der hoch- und der niederdeutsche Name müssen unterscheidbar sein. Für eine Namensänderung sind die jeweiligen Vorschriften der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg über die Änderung des Namens von Landkreisen, Städten, Gemeinden, Ämtern, Verbandsgemeinden sowie Orts- und Gemeindeteilen entsprechend anzuwenden. Absatz 3 Satz 2 ist anzuwenden.

(5) Abweichend von den Absätzen 3 und 4 ist die Neubildung von niederdeutschen Ortsbezeichnungen zulässig, wenn im Hochdeutschen neue Bezeichnungen gebildet werden.

§ 3
Dachverband niederdeutscher Verbände und Vereine und Verbandsklagerecht

(1) Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, die der niederdeutschen Sprachgruppe angehören, können auf Landes- und kommunaler Ebene von einem anerkannten Dachverband der niederdeutschen Verbände und Vereine wahrgenommen werden.

(2) Die Anerkennung des Dachverbandes der niederdeutschen Verbände und Vereine erfolgt durch das für die Angelegenheiten des Niederdeutschen zuständige Ministerium nach Anhörung des Bundesrates für Niederdeutsch, wenn der Verband

  1. nach seiner Satzung nicht nur vorübergehend die Belange der niederdeutschen Sprache fördert,
  2. zum Zeitpunkt der Anerkennung mindestens drei Jahre besteht und in diesem Zeitraum im Sinne der Nummer 1 tätig gewesen ist,
  3. die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bietet; dabei sind Art und Umfang seiner bisherigen Tätigkeit, der Mitgliederkreis, eine demokratische Binnenstruktur sowie die Leistungsfähigkeit des Verbandes zu berücksichtigen, und
  4. wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke nach § 5 Absatz 1 Nummer 9 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuer befreit ist.

(3) Das Land Brandenburg unterstützt den Dachverband finanziell jährlich mit Projektmitteln in Höhe von in der Regel 50 000 Euro. Für bundesländerübergreifende Vorhaben, die sich auch auf Brandenburg erstrecken und mit dem Dachverband nach Absatz 1 abgestimmt sind, unterstützt das Land den Bundesrat für Niederdeutsch finanziell mit Projektmitteln in Höhe von bis zu 5 000 Euro jährlich. Darüber hinaus können weitere Vorhaben zu Erhalt und Förderung der niederdeutschen Sprache zusätzlich gefördert werden.

(4) Der nach Absatz 2 anerkannte Verband kann, ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen Maßnahmen des Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft oder gegen ihre Unterlassung einlegen, wenn geltend gemacht wird, dass die Maßnahme oder ihr Unterlassen zu Vorschriften des Landesrechts in Widerspruch steht, die Rechte der niederdeutschen Sprachgruppe oder ihrer Angehörigen begründen. Soweit eine Angehörige oder ein Angehöriger der niederdeutschen Sprachgruppe selbst seine Rechte durch eine Klage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, sind Rechtsbehelfe nach Satz 1 unzulässig.

§ 4
Beirat für Niederdeutsch bei der Landesregierung

(1) Bei dem für Angelegenheiten des Niederdeutschen zuständigen Ministerium wird ein ständiger Beirat für Niederdeutsch eingerichtet, der dem Austausch zwischen Land und Sprachgruppe dient.

(2) Der Beirat tagt mindestens jährlich sowie zusätzlich, wenn seitens eines Ministeriums oder des Dachverbandes nach § 3 Bedarf besteht.

(3) Ständige Mitglieder sind die für Niederdeutsch, Kultur und Bildung zuständigen Ministerien, der Dachverband nach § 3, die Brandenburger Mitglieder im Bundesrat für Niederdeutsch sowie das länderübergreifende Niederdeutschsekretariat. Weitere Ministerien und Gäste können bei Bedarf hinzugezogen werden. Der Dachverband nach § 3 soll seine Mitglieder so benennen, dass die verschiedenen Niederdeutsch-Mundarten Brandenburgs angemessen vertreten sind.

(4) In dem Beirat kann je eine Vertreterin oder ein Vertreter der kommunalen Spitzenverbände mitwirken.

§ 5
Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Angelegenheiten des Niederdeutschen

(1) Bei den Landkreisen, Ämtern, den amtsfreien Städten und Gemeinden sowie den Verbandsgemeinden im niederdeutschen Sprachgebiet gemäß § 2 Absatz 1 sollen bei Bedarf und erfüllten finanziellen Voraussetzungen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung eine Ansprechpartnerin oder ein Ansprechpartner für die Angelegenheiten des Niederdeutschen benannt oder andere geeignete Maßnahmen zur Förderung der niederdeutschen Sprache getroffen werden.

(2) Die Benannten fungieren als Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner für die Angehörigen der niederdeutschen Sprachgruppe und Belange der niederdeutschen Sprache. Sie fördern ein gedeihliches Zusammenleben von Angehörigen der niederdeutschen Sprachgruppe und Nicht-Sprecherinnen und Nicht-Sprechern der niederdeutschen Sprache. Sie können Maßnahmen zur Revitalisierung und zur Förderung des Gebrauchs des Niederdeutschen entwickeln.

§ 6
Sprache

(1) Das Land erkennt die traditionell in Brandenburg gesprochene Regionalsprache Niederdeutsch und ihre Mundarten als Ausdruck des geistigen und kulturellen Reichtums des Landes an und ermutigt zu ihrem Gebrauch. Ihr Gebrauch ist frei. Ihre Anwendung in Wort und Schrift im öffentlichen Leben wird geschützt und gefördert.

(2) Dort, wo innerhalb des niederdeutschen Sprachgebietes die personellen Voraussetzungen erfüllt sind, können sich Einwohnerinnen und Einwohner bei Behörden des Landes, den seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie vor kommunalen Verwaltungen der niederdeutschen Sprache bedienen, Anträge in niederdeutscher Sprache stellen und Eingaben, Belege, Urkunden und sonstige Schriftstücke in niederdeutscher Sprache vorlegen. In niederdeutscher Sprache vorgetragene Anliegen können in niederdeutscher Sprache beantwortet und entschieden werden. Nachteile dürfen der Einwohnerin oder dem Einwohner hieraus nicht entstehen.

(3) Behörden und Verwaltungen des Landes sowie der Kommunen können offizielle Formulare und öffentliche Bekanntmachungen sowie Briefköpfe zweisprachig in hoch- und niederdeutscher Sprache ausführen und die Verwendung der niederdeutschen Sprache im Rahmen des E-Governments vorsehen.

(4) Die Einwohnerinnen und Einwohner können im niederdeutschen Sprachgebiet in Gerichtsverfahren Urkunden und Beweismittel in niederdeutscher Sprache vorlegen.

(5) Das Land Brandenburg sowie die Kommunen im niederdeutschen Sprachgebiet berücksichtigen unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Vorranges von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes) niederdeutsche Sprachkenntnisse bei Stellenbesetzungen, soweit es im Einzelfall bei der Wahrnehmung einer konkreten Tätigkeit als erforderlich oder wünschenswert erachtet wird. Sie gestalten ihre Ausschreibungen entsprechend.

§ 7
Bildung

(1) In der Kindertagesbetreuung kann und in Schulen soll bei genug Nachfrage die niederdeutsche Sprache altersgerecht in die Spielgestaltung und Bildungsarbeit einbezogen werden.

(2) In Schulen kann die niederdeutsche Sprache Gegenstand begegnungssprachlichen und fremdsprachlichen Unterrichts sein, als Unterrichtssprache Verwendung finden und in außerunterrichtlichen Angeboten vermittelt werden.

(3) Das Land fördert in Kooperation mit anderen Bundesländern des niederdeutschen Sprachraumes im Rahmen der Lehrkräftebildung die Qualifikation der Lehrkräfte in der niederdeutschen Sprache.

(4) Für Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten unterstützt das Land die Entwicklung von bedarfsorientierten Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten in der niederdeutschen Sprache.

(5) Das Land unterstützt Aktivitäten zur Beschaffung von Lehr- und Lernmitteln und zur Erprobung und Etablierung von Sprachvermittlungsangeboten in Kindertagesstätten, Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Bei geeigneten Landeswettbewerben, insbesondere für Schülerinnen und Schüler, wird auf eine angemessene Einbindung der niederdeutschen Sprache hingewirkt.

(6) Die Geschichte der niederdeutschen Sprache und Kenntnisse über die niederdeutsche Sprache werden in Schulen angemessen vermittelt.

§ 8
Zweisprachige oder einsprachig niederdeutsche Beschriftung

(1) Öffentliche Gebäude und Einrichtungen, Straßen, Wege, Plätze, Brücken und Ortstafeln im niederdeutschen Sprachgebiet gemäß § 2 Absatz 1 sowie Hinweisschilder hierauf können in hoch- und niederdeutscher Sprache gekennzeichnet werden. Bei traditionellem Gebrauch der niederdeutschen Namensform im Hochdeutschen sind auch einsprachig niederdeutsche Beschilderungen zulässig.

(2) Das Land Brandenburg wirkt darauf hin, dass Behörden des Landes sowie seiner Aufsicht unterstehende Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts insbesondere in den Orten von den Möglichkeiten nach Absatz 1 Gebrauch machen, in denen seitens der Angehörigen der niederdeutschen Sprachgruppe besonderer Bedarf besteht, und wirbt für eine Verwendung der niederdeutschen Sprache in der Öffentlichkeit.

§ 9
Länderübergreifende Zusammenarbeit

(1) Das Land Brandenburg fördert den sprachlichen Austausch zwischen den Sprecherinnen und Sprechern der niederdeutschen Sprache. Zu diesem Zweck arbeitet es eng mit dem Bundesrat für Niederdeutsch und dem länderübergreifenden Niederdeutschsekretariat zusammen.

(2) Bei der Förderung der niederdeutschen Sprache strebt das Land eine enge Zusammenarbeit mit den anderen Bundesländern des niederdeutschen Sprachgebietes, insbesondere Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, an.

§ 10
Verordnungsermächtigungen

(1) Das für Inneres zuständige Mitglied der Landesregierung wird ermächtigt, im Benehmen mit dem für Inneres zuständigen Ausschuss des Landtages und nach Anhörung des Dachverbandes nach § 3 durch Rechtsverordnung das Nähere zur Durchführung von § 2 Absatz 4 sowie § 6 Absatz 2 und 3 zu regeln.

(2) Das für Schule und Kindertagesstätten zuständige Mitglied der Landesregierung wird ermächtigt, im Benehmen mit dem für Schule und Kindertagesstätten zuständigen Ausschuss des Landtages und nach Anhörung des Dachverbandes nach § 3 durch Rechtsverordnung das Nähere zur Durchführung von § 7 zu regeln.

(3) Das für Verkehr zuständige Mitglied der Landesregierung wird ermächtigt, im Benehmen mit dem für Verkehr zuständigen Ausschuss des Landtages und nach Anhörung des Dachverbandes nach § 3 durch Rechtsverordnung das Nähere zu § 8 Absatz 1 zu regeln.

§ 11
Verkündung

Dieses Gesetz wird in hochdeutscher Sprache verkündet und als Anlage eine niederdeutsche Fassung beigefügt.

§ 12
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Potsdam, den 9. Juli 2024

Die Präsidentin
des Landtages Brandenburg

Dr. Ulrike Liedtke

Anlagen