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Entnahme von Blutproben
Entnahme von Blutproben
vom 8. November 2017
(JMBl/18, [Nr. 1], S.2)
I.
Nach der am 24. August 2017 in Kraft getretenen Einfügung eines weiteren Satzes in § 81a Absatz 2 StPO bedarf es in Abweichung von der Regelung des Absatzes 2 Satz 1 bei dem Verdacht von Straftaten nach § 315a Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3, § 315c Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Absatz 2 und 3 und § 316 StGB keiner richterlichen Anordnung einer Blutprobenentnahme mehr. Dasselbe gilt nach Einfügung eines neuen Satzes 2 in § 46 Absatz 4 OWiG bei Verdacht von Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24a und 24c StVG („Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17. August 2017, Artikel 3 Nummer 5 und Artikel 5 Nummer 1, BGBl. I, 3202). Da gemäß § 46 Absatz 2 OWiG die Verfolgungsbehörde (und ihre Ermittlungspersonen) im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten hat, muss die Staatsanwaltschaft bei Verdacht dieser und anderer Ordnungswidrigkeiten wie bisher nicht kontaktiert werden. Ein Straftatverdacht hat in diesen Fällen eine grundsätzlich gleichrangige Anordnungskompetenz von Staatsanwaltschaft und Polizei zur Folge; davon aufgrund der Sachleitungskompetenz der Staatsanwaltschaft abzuweichen, sehe ich derzeit keinen Anlass. Dies entspricht der einhelligen Meinung im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 18/11272: Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 5 und 21, Stellungnahme des Bundesrats in Anlage 4, S. 44, Gegenäußerung der Bundesregierung in Anlage 5, S. 48; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz – BT-Drs. 18/12785, S. 46).
II.
Bei Verdacht von anderen als den unter I. genannten Straftaten gilt Folgendes:
- Die Entscheidung über die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a Absatz 1 Satz 2 StPO steht gemäß § 81a Absatz 2 Satz 1 StPO „bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu.“ Der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts hat in seinem Beschluss vom 25. März 2009 (1 Ss 15/09) unter anderen ausgeführt, dass der Begriff „Gefahr im Verzug“ nicht nur wegen der grundrechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts eng auszulegen sei (S. 6):
„Hiernach reicht die beim Nachweis von Alkohol und Drogen typischerweise bestehende abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis zumindest erschwert wird, für die Annahme von ‚Gefahr im Verzug’ nicht aus. So wird gerade bei einem höheren Alkoholisierungsgrad, der durch körperliche Ausfallerscheinungen und das Ergebnis einer Atemalkoholmessung zu Tage tritt, der mögliche Abbau in aller Regel so gering sein, dass kurzfristige Verzögerungen, bedingt durch die Einschaltung des Gerichts, mittels Rückrechnung ohne weiteres ausgeglichen werden können (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. November 2007, NStZ 2008, 238f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 4. Februar 2008, NJW 2008, 2597; LG Berlin, Beschluss vom 23. April 2008 – 528 Qs 42/08 – bei juris; Thüringer OLG, Beschluss vom 25. November 2008 – 1 Ss 230/08 – bei juris; offen gelassen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 1 Ss 151/07 – bei juris; OLG Köln, Beschluss vom 26. September 2008 – 83 Ss 69/08 – bei juris; Brandenburgisches OLG, 2. Strafsenat, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 2 Ss 69/08 – bei juris). Je unklarer aber andererseits das Ermittlungsbild in der Situation oder je komplexer der Sachverhalt als solcher ist und je genauer deswegen die Analyse der Blutwerte sein muss, desto eher werden die Ermittlungsbehörden Gefahr im Verzug annehmen und nötigenfalls ohne richterliche Entscheidung handeln dürfen (vgl. OLG Hamburg a. a. O.; Thüringer OLG a. a. O.).“
Weiter heißt es (S. 7):
„Auch kann die Annahme von Gefahr im Verzug vorliegend – der Angeklagte wurde gemäß der getroffenen Feststellungen am Samstagabend um 21:10 Uhr angetroffen – nicht mit den zeitlichen Umständen begründet werden, weil eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters stets zu gewährleisten (vgl. BVerfG in NJW 2001, 1121 ff.; Thüringer OLG a. a. O.).“
Ausdrücklich hat der Senat festgestellt (S. 5):
„Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 2 BvR 273/06 – m. w. N, bei juris). Dabei kann die Annahme von Gefahr im Verzug nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen. Dies korrespondiert mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2001; 1121 ff.).“
Daraus folgt, dass bei fehlendem Einverständnis des urteilsfähigen Beschuldigten zur Blutentnahme sich die Polizei nunmehr wegen der Anordnung von Blutproben grundsätzlich an die Staatsanwaltschaft zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung zu wenden hat, sofern ein Richter überhaupt erreichbar ist. Von Unerreichbarkeit ist auszugehen, falls für bestimmte Zeiten (noch) kein richterlicher Eil- oder Notdienst besteht. - Ist kein Richter erreichbar oder liegen trotz seiner Erreichbarkeit ausnahmsweise die Voraussetzungen für eine Eilanordnung vor, kann diese sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Polizei getroffen werden. Ist neben einem Polizeibeamten ein Staatsanwalt vor Ort, so obliegt diesem die Entscheidung, weil die Anordnungskompetenz der „Ermittlungsperson“ der des Staatsanwalts „nachrangig“ ist. Ein derartiger Fall lag dem vorgenannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, der die staatsanwaltliche Anordnung der Entnahme einer Blutprobe während einer Wohnungsdurchsuchung zur Feststellung des Konsums von Betäubungsmitteln betraf. Der 2. Strafsenat des Brandenburgische Oberlandesgericht hat im Urteil vom 16. Dezember 2008 (2 Ss 63/08) ausgeführt (S. 7), durch die Verwendung der Formulierung „nachrangig“ habe das Bundesverfassungsgericht „lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Staatsanwaltschaft die Herrin des Ermittlungsverfahrens ist (§§ 158 f. StPO) und ihre Ermittlungspersonen verpflichtet sind, ihren Anordnungen Folge zu leisten (§ 152 Absatz 1 GVG). Danach ist eine von der Staatsanwaltschaft getroffene Entscheidung zur Anordnung einer Blutprobenentnahme für ihre Ermittlungspersonen bindend; diese sind nicht befugt, eine von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft abweichende eigene Anordnung zu treffen. Ist die Staatsanwaltschaft am Verfahren aber noch gar nicht beteiligt so kann und darf eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft die Anordnung einer Blutprobenentnahme in eigener Eilkompetenz treffen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.“
Eine nicht nur überflüssige Verfahrensweise ist es, wenn der vor Ort befindliche Polizeibeamte die Eilanordnung nicht selbst trifft, sondern zu einem nicht vor Ort befindlichen, ebenfalls anordnungsbefugten Staatsanwalt Verbindung aufnimmt, der mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten seine Entscheidung allein auf Grund der Angaben des selbst anordnungsbefugten Polizeibeamten treffen und daher dessen Vorschlag folgen wird. Ein derartiges polizeiliches Vorgehen bewirkt zudem, dass der Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Betroffenen länger andauert als unbedingt erforderlich, und kann sogar zu einer den Untersuchungserfolg gefährdenden Zeitverzögerung führen, die durch das Institut der Anordnung bei Gefahr im Verzug gerade verhindert werden soll.
III.
Diese Rundverfügung tritt sofort in Kraft. Zugleich wird die Rundverfügung vom 7. April 2009 aufgehoben.
Brandenburg an der Havel, den 8. November 2017
Der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg
In Vertretung
Larres
Leitender Oberstaatsanwalt