Grundsätze der Landesregierung für die Überprüfung von Dienstkräften des Landes Brandenburg hinsichtlich einer Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS)
vom 10. Oktober 1995
(ABl./95, [Nr. 74], S.914)
Auf der Grundlage der Landtagsbeschlüsse vom 16. Juni 1994 „Mit menschlichem Maß die Vergangenheit bewerten“ und vom 26. April 1995 „Weiteres Verfahren der Anfrage beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“ beschließt die Landesregierung:
1. Differenzierte Überprüfung
Für die im Rahmen der Einstellungsverfahren für Dienstkräfte des Landes Brandenburg beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden Bundesbeauftragter genannt) durchzuführenden Anfragen gemäß §§ 19 bis 21 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBI. I S. 2272) wird die vorgesehene Tätigkeit und Position im Landesdienst berücksichtigt und die Anfrage beim Bundesbeauftragten auf bestimmte Zeiträume beschränkt. Ein differenziertes Verfahren soll dem inzwischen vorangeschrittenen Prozess des Aufarbeitens und des Zusammenwachsens stärker Rechnung tragen.
2. Personenkreis
Erstmalig einzustellende bzw. zu berufende Personen sind durch eine Anfrage beim Bundesbeauftragten auf eine Tätigkeit für das MfS/AfNS insbesondere zu überprüfen bei
- begründetem Verdacht auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS,
- Übertragung wichtiger Leitungsaufgaben,
- Übertragung
- sicherheitsempfindlicher Aufgaben,
- von Aufgaben in besonderer Vertrauensstellung,
- von Aufgaben, die aus Sicht der Öffentlichkeit eine besondere Integrität erfordern.
Die Ressorts entscheiden unter Berücksichtigung der jeweiligen fachspezifischen Besonderheiten in eigener Verantwortung, ob eine Überprüfung unter den genannten Voraussetzungen erforderlich ist.
Die genannten Kriterien gelten auch für Beamte auf Zeit und amtlich beliehene Personen (z. B. Notare und Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure) sowie für Ehrenbeamte, Gremien- und Ausschussmitglieder, wenn sie Aufgaben wahrnehmen, die bei hauptberuflicher Tätigkeit im Dienst des Landes Brandenburg zu einer Überprüfung beim Bundesbeauftragten führen würden.
3. Lebensalter
Personen, die am 1. Dezember 1989 (Zeitpunkt der Umwandlung des MfS in das Amt für Nationale Sicherheit -AfNS-) das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, sind nicht zu überprüfen.
4. Zeitraum
Die Anfrage beim Bundesbeauftragten ist grundsätzlich auf Tätigkeiten für das MfS/AfNS,
- die am 1. Januar 1980 oder danach begannen oder
- vor dem 1. Januar 1980 begannen und über diesen Zeitpunkt hinaus andauerten,
zu beschränken.
Bei der Besetzung herausgehobener Positionen (z. B. Hochschullehrer, Richter, Staatsanwälte, Behördenleiter, Beamte des höheren Dienstes) oder bei der Wahrnehmung von Aufgaben, die eine besondere Vertrauenswürdigkeit oder aus Sicht der Öffentlichkeit eine besondere Integrität erfordern (z. B. Lehrer), kann eine zeitlich unbeschränkte Anfrage an den Bundesbeauftragten gerichtet werden. Das gilt auch bei Vorliegen von Verdachtsmomenten gemäß Nummer 2a). Die Ressorts entscheiden über das Erfordernis einer unbeschränkten Anfrage in eigener Verantwortung.
5. Antragstellung
Die Anfrage an den Bundesbeauftragten für die in Nummer 8 Abs. 1 genannten Personen ist unverzüglich nach der Auswahlentscheidung zu stellen. Bei der Berufung in das Beamtenverhältnis muss die Überprüfung nicht abgeschlossen, aber eingeleitet, sein.
6. Datenschutz
Die Anfrage an den Bundesbeauftragten ist unverzüglich zurückzuziehen, wenn die beabsichtigte Einstellung nicht zustande kommt oder die Übertragung einer der genannten Positionen rückgängig gemacht wird. Gleiches gilt für Personen, die vor Eingang der Auskunft des Bundesbeauftragten versetzt werden oder aus dem Dienst des Landes Brandenburg ausscheiden oder ihr Amt niederlegen.
Mitteilungen des Bundesbeauftragten, die in den Fällen des Absatzes 1 bei den Personalverwaltungen noch eingehen, sind - mit einem entsprechenden Vermerk versehen - dem Bundesbeauftragten zurückzusenden.
Die Antworten und Auskünfte des Bundesbeauftragten und die im Zusammenhang mit dieser Anfrage entstandenen Vorgänge sind Bestandteil der Personalakte; sie sind als Teilakte zu führen und in einem verschlossenen Umschlag grundsätzlich räumlich getrennt von der Grundakte aufzubewahren. Der Umschlag darf nur auf Anweisung des Behördenleiters oder des Leiters der Personalabteilung oder deren Vertreter im Amt aus wichtigem Grund geöffnet werden. Ein wichtiger Grund kann z. B. der auf Tatsachen gegründete Hinweis eines Bürgers auf MfS-Zusammenarbeit eines Beschäftigten oder eine Veröffentlichung in den Medien sein sowie jeder andere Sachverhalt, der geeignet ist, das Erscheinungsbild der Behörde und das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung zu beeinträchtigen. Grund und Datum des Öffnens und Datum des Schließens sowie der Name des Öffnenden und Schließenden sind auf dem Umschlag zu vermerken. Zur Grundakte darf lediglich die Mitteilung der Personalstelle über das Ergebnis der Anfrage genommen werden.
7. Geltungsbereich
Diese Grundsätze gelten für die Beschäftigten des Landes Brandenburg. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden des Landes Brandenburg wird empfohlen, sie entsprechend anzuwenden.
8. Stichtag
Die vorstehenden Grundsätze gelten für Personen, die ab 1. September 1995 erstmalig in den Dienst des Landes Brandenburg eingestellt bzw. berufen werden.
Personalrechtliche Entscheidungen, die vor Vereinbarung dieser Grundsätze nach Maßgabe einer zeitlich unbeschränkten Anfrage an den Bundesbeauftragten im Wege der Einzelfallprüfung getroffen wurden, bleiben unberührt.
9. Inkrafttreten
Diese Grundsätze gelten mit Wirkung vom 1. September 1995
Potsdam, den 10. Oktober 1995
Für die Landesregierung Brandenburg
Der Ministerpräsident
Manfred Stolpe
Der Minister des Innern
Alwin Ziel