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Brandenburgisches Vorschriftensystem (BRAVORS)

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Aktuelle Fassung

Ordnungsbehördliche Maßnahmen zur Abwehr von getarnten Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg


vom 7. Oktober 1994
(ABl./94, [Nr. 75], S.1562)

1. Allgemeines

Rechtsextremistische Gruppierungen, Organisationen und Parteien bemühen sich mit zunehmendem propagandistischem Aufwand um eine breitere Basis zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Eine Vielzahl von Anlässen (z. B. Gedenktage, Musikveranstaltungen) werden zu öffentlichen Auftritten genutzt.

Seit einiger Zeit versuchen Anhänger und Aktivisten der rechtsextremistischen Szene derartige Veranstaltungen konspirativ vorzubereiten, um ein Eingreifen oder ein Verbot durch staatliche Organe zu erschweren. Sie bedienen sich dazu in ihren Einladungen und Veranstaltungsankündigungen unverdächtiger und somit verharmlosender Bezeichnungen ihrer Vorhaben.

2. Zuständigkeit

Nach dem Ordnungsbehördengesetz sind die Ordnungsbehörden zuständig für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dazu gehört auch die Abwehr von Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung aus dem  extremistischen Bereich, soweit nicht auf Grund von Spezialgesetzen [§ 1 des Vorschaltgesetzes zum Polizeigesetz des Landes Brandenburg (VGPolG Bbg) vom 11. Dezember 1991 (GVBl. S. 636) in Verbindung mit dem Gesetz über Aufgaben und Befugnisse der Polizei (PAG) vom 13. September 1990 (GBl. I Nr. 61 S. 1489); Verordnung zur Übertragung der Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz (ZustVO VersamG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 470)] die Polizeibehörden zuständig sind. Es wird hierzu auf den Runderlaß des Ministers des Innern vom 22. November 1993 über Ordnungsbehördliche Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren bei Veranstaltungen mit rechtsextremistischer Ausrichtung verwiesen (ABl. S. 1710).

Bei der Frage der Zuständigkeit wird darauf hingewiesen, daß dem effizienten Zusammenwirken der verschiedenen Behörden (örtliche Ordnungsbehörde, Kreisordnungsbehörde, zuständiges Polizeipräsidium) durch überörtliche Koordinierung eine besondere Bedeutung zukommt, insbesondere bei der Klärung der Frage, ob im Einzelfall von einer rechtsextremistisch orientierten Zielsetzung eines Veranstalters oder einer Veranstaltung auszugehen ist.

3. Erkenntnisgewinnung im Vorfeld von Veranstaltungen

Bereits im Vorfeld von Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen ergeben sich aus den Begleitumständen der Anmeldung vielfach Hinweise, die eine Einordnung durch die Ordnungsbehörden erleichtern.

Um Aufschluß über den wahren Charakter von angekündigten Veranstaltungen zu gewinnen und eventuelle Verbotsverfügungen vorbereiten zu können, sollten folgende Punkte mit besonderer Aufmerksamkeit geklärt werden:

3.1 Person des Antragstellers/Veranstalters

Erkenntnisse über die Person des Antragstellers/Veranstalters und der Teilnehmer, deren Absichten sowie über den Anlaß, Zweck, Zeitpunkt und Ablauf von geplanten Veranstaltungen ermöglichen eine sachgerechte Bewertung, ob es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine extremistische Veranstaltung handelt.

Erkenntnisse können insbesondere gewonnen werden durch:

  • das äußere Erscheinungsbild und das Auftreten des Antragstellers (Trägt der Antragsteller besondere Abzeichen? Tritt der Antragsteller in einer uniformähnlichen Bekleidung auf? Wird der Antrag persönlich gestellt? Meldet der Antragsteller eine Veranstaltung für einen "Dritten" an, der nicht genannt werden möchte? Wird für die Veranstaltung öffentlich geworben, z. B. durch Plakataushang?),
  • die Herkunft des Antragstellers (Ist der Antragsteller der Ordnungsbehörde persönlich bekannt? Liegen Informationen über den Wohnort des Anmeldenden/Veranstalters vor?),
  • ungenaue Angaben über die Anschrift des Antragstellers/ Veranstalters (Wird lediglich eine Postfachnummer, Faxnummer oder Telefonnummer, ggf. eines "Dritten", angegeben?),
  • einen besonderen Sprachgebrauch (Werden Worte wie national, deutschnational, deutsche Kultur, nationales Kulturgut, Kameradschaft, Bewegung etc. verwendet?). Hier ist jedoch anzumerken, daß Antragsteller aus der rechtsextremistischen Szene inzwischen sehr vorsichtig in ihrer Wortwahl geworden sind.

3.2 Veranstalter/auftretende Redner oder Sänger

Sofern hinreichende Anhaltspunkte für eine getarnte Veranstaltung bestehen, ist über das Landeskriminalamt oder die zuständige oberste Landesbehörde (Verfassungsschutz-, Polizeiabteilung des Ministeriums des Innern) zu klären, ob der Veranstalter im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Aktivitäten bekannt geworden ist und ob er das Versammlungsrecht verwirkt hat. Die Namen der geplanten Redner, Sänger oder Musikgruppen sollten vom Veranstalter erfragt werden und gegebenenfalls mit den Listen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften oder den in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und des Landes Brandenburg erscheinenden Auflistungen abgeglichen werden.

3.3 Art der Veranstaltung

Auch die Zielsetzung der Veranstaltung kann einen Hinweis auf rechtsextremistische Aktivitäten geben.

Da als tatbestandliche Voraussetzung einer möglichen Verbotsverfügung die drohende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend konkret belegt werden muß, sollte sichergestellt werden, daß

  • durch eine Anhörung des Antragstellers/Leiters die Zielsetzungen einer Veranstaltung detailliert hinterfragt werden; verfahrensmäßig ist zu beachten, daß rechtsextremistische Veranstalter häufig Kooperationsbereitschaft nur vortäuschen. Die Angaben des oder der Anmelder sollten daher sehr sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.
  • die Anzahl und Herkunft der Teilnehmer präzise mitgeteilt wird (Läßt der Teilnehmerkreis Rückschlüsse zu? Nehmen an der Veranstaltung ausländische Personen teil?).
  • im Vorfeld ein intensiver Informationsaustausch mit allen Behörden stattfindet, die über entsprechende Aufklärungsergebnisse verfügen.

Die bisherigen Erfahrungen in Brandenburg haben gezeigt, daß

"Geburtstagsfeiern" z. B. Konzerte rechtsextremistischer Skinhead-Bands sein können.

bei "Liederabenden", "Gitarrenkonzerten", "Volkslieder-" oder "Volkstanzabenden" möglicherweise nur Liedgut mit nationalsozialistischem bzw. sonstigem rechtsextremistischem Inhalt dargeboten wird. Damit verbunden sind vielfach Propagandareden sowie die Verbreitung von Propagandamaterial.

"Grillfest" oder "Grillparty" als Tarnbezeichnung für Treffen von Rechtsextremisten aus dem In- und Ausland verwandt werden kann.

"Heldengedenkfeiern" oder ähnliche Jubiläumsfeiern der Fortführung nationalsozialistischer Kriegspropaganda in Anknüpfung an Ereignisse des Zweiten Weltkrieges dienen können.

"Demonstrationen", die unter irreführenden Bezeichnungen wie z. B. "gegen Kindesmißbrauch" angemeldet wurden, als Aufmärsche von Rechtsextremisten geplant waren.

"Sportfeste" ggf. weniger oder gar nicht dem sportlichen Wettbewerb, sondern der Kommunikation  innerhalb der rechtsextremistischen Szene sowie als eine Art "Wehrertüchtigung" dienen können.

"Gedenktage" für "Märtyrer der Bewegung" oder Gedenkfeiern anläßlich von Geburts- oder Todestagen von Personen, die in der rechtsextremistischen Szene Verehrung genießen, getarnte Veranstaltungen sein können.

"Sonnenwendfeiern", auf denen "germanisches Brauchtum" gepflegt werden soll, als Anlaß für Zusammenkünfte und Aktionen rechtsextremistischer Gruppen dienen können.

3.4 Ort der Veranstaltung

Auch Erkenntnisse über den gewählten Ort der Veranstaltung können mit Aufschluß geben, ob es sich um eine rechtsextremistische Veranstaltung handelt.

Von Antragstellern aus der rechtsextremistischen Szene wird immer häufiger versucht, den Veranstaltungsort bis kurz vor Beginn der Veranstaltung auch vor den Teilnehmern geheimzuhalten oder spontan zu ändern. Teilnehmer werden zu einem Treffpunkt eingeladen, von wo aus sie zum tatsächlichen Ort der Veranstaltung dann weitergeleitet werden. Die Ordnungsbehörden sollten darauf achten, daß die genaue Anschrift des Veranstaltungsortes zum Zeitpunkt der Anmeldung angegeben wird (Erfolgt der Hinweis, daß der Veranstaltungsort erst später bekanntgegeben wird? Handelt es sich um eine Veranstaltung, die erstmalig am Veranstaltungsort angemeldet wird?).

Darüber hinaus melden Rechtsextremisten Veranstaltungen mit häufig unverfänglich klingenden Bezeichnungen auch an Orten an, die für sie Symbolwert besitzen (z. B. in der Nähe eines Soldatenfriedhofs, an einem Kriegerdenkmal oder in Nähe einer KZ-Gedenkstätte).

3.5 Zeitpunkt der Veranstaltung

Es werden für Veranstaltungen rechtsextremistischer Gruppen nicht selten Zeitpunkte gewählt, die einen Bezug zu bestimmten historischen Ereignissen aufweisen oder einen Bezug zu persönlichen Daten von Personen besitzen, die bei Rechtsextremisten Verehrung genießen. Eine (nicht abschließende) Übersicht derartiger Daten ist als Anlage beigefügt. Zu beachten ist, daß häufig auch die Wochenenden vor oder nach einem solchen Datum als Veranstaltungszeitpunkt gewählt werden.

3.6 Zeitpunkt der Anmeldung

In Erwartung einer nur eingeschränkten personellen Besetzung der Ordnungsbehörden werden vielfach Veranstaltungen mit unzureichenden Programmplänen und unvollständigen Beschreibungen des Veranstaltungsablaufes erst Freitag mittags angemeldet in der Hoffnung, so ein Eingreifen oder Verbot der zuständigen Behörde zu erschweren.

Sofern sich abzeichnet, daß an bestimmten Wochenenden zeit- oder situationsbedingt mit rechtsextremistischen Veranstaltungen zu rechnen ist, ist für einen Bereitschaftsdienst zumindest bei den Kreisordnungsbehörden Sorge zu tragen.

4. Nutzungsverträge bzw. Nutzungsgenehmigungen bei Liegenschaften in öffentlicher Hand

Soweit Veranstaltungen in oder auf nicht kommunalen Liegenschaften geplant sind, ist präventiv zu klären, wem das Hausrecht zusteht. Bei geplanten Veranstaltungen in oder auf öffentlichen kommunalen Einrichtungen ist zu berücksichtigen, daß ein grundsätzlicher Zulassungsanspruch zur Nutzung kommunaler öffentlicher Einrichtungen nach § 14 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (GO) vom 15. Oktober 1993 (GVBl. I S. 398) sowie § 13 der Landkreisordnung für das Land Brandenburg (LKrO) vom 15. Oktober 1993 (GVBl. I S. 433) besteht.

Durch die bisherige Vergabepraxis bindet sich die Kommune auch für zukünftige Zulassungsentscheidungen selbst und ist zur Gleichbehandlung aller Parteien und Personenvereinigungen verpflichtet. Der Zulassungsanspruch kann auch von Parteien und Personenvereinigungen geltend gemacht werden, die ihren Sitz nicht in der Gemeinde haben.

Der grundsätzliche Anspruch besteht jedoch nur, soweit der Rahmen des geltenden Rechts nicht überschritten wird. Dies wäre der Fall, wenn beispielsweise eine rechtsextremistische Gruppierung auf ihrer Veranstaltung nachweislich zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung im Sinne des § 130 des Strafgesetzbuches aufruft. Weitere Grenzen des Zulassungsanspruchs ergeben sich aus dem Widmungszweck, der Benutzungsordnung, der Kapazität der Einrichtung sowie einer dauernden gleichmäßigen Verwaltungsübung.

Hat z. B. die Kommune eine öffentliche Einrichtung in der Vergangenheit mehrfach für Parteiveranstaltungen zur Verfügung gestellt, dann ist sie nach dem Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, diese Einrichtung auch einer rechtsextremistischen, nicht verbotenen Partei zur Verfügung zu stellen, soweit die Gemeinde nicht andere Räumlichkeiten anbieten kann. Bei ihrer Entscheidung kann die Kommune lediglich nach der Größe der jeweiligen Partei und der aktuellen Auslastung der Einrichtung differenzieren.

Es sollte geprüft werden, inwieweit im Einzelfall durch Widmung und Benutzungsordnung der kommunalen Einrichtung vorzusehen ist, daß die Einrichtung nicht für Parteiveranstaltungen zur Verfügung gestellt wird.

Beim Abschluß von Nutzungsverträgen sollten die Vermieter öffentlicher Liegenschaften sich vertraglich das Recht vorbehalten, vom Vertrag zurückzutreten, wenn

  • durch die beabsichtigte Veranstaltung eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder eine Schädigung des Ansehens der Kommune zu befürchten ist,
  • das Programm in wesentlichen Teilen absprachewidrig von den Darlegungen abweicht, von denen bei Vertragsabschluß ausgegangen wurde,
  • der Veranstalter eine Überfüllung der Veranstaltungsräume zuläßt.

Es ist anzuraten, daß Veranstalter öffentlicher Versammlungen bei Nutzung öffentlicher Liegenschaften auch eine schriftliche Zusicherung darüber abgeben, daß die Bestimmungen des Bundesgesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 684) in der jeweils gültigen Fassung beachtet werden.

Ansonsten sollten die Haus- bzw. Benutzungsordnungen (einschließlich Entgelttarife) zum Bestandteil des Vertrages erklärt werden.

Ferner sollten die Verträge Klauseln enthalten, wonach öffentliche Liegenschaften an  Dritte nicht weiter vermietet oder sonst überlassen werden dürfen.

Es empfiehlt sich, in Benutzungsordnungen und Nutzungsverträgen die Regelung aufzunehmen, daß Werbungen jeglicher Art in, an und auf den Gebäuden (Einrichtungen) grundsätzlich unzulässig sind. Bekanntmachungen der Benutzer sollten nur mit Genehmigung des Vermieters angebracht werden können.

Das Wildplakatieren im Zusammenhang mit einer Veranstaltung sollte verboten und zur sofortigen Kündigung des Vertrages gegen Erstattung der Kosten für eine evtl. Entfernung dieser Plakate durch den Veranstalter berechtigen.

Vor einer Nutzungsüberlassung sollte darüber hinaus geprüft werden, ob (z. B. bei der Überlassung einer Halle) der Nachweis einer Haftpflichtversicherung oder die Hinterlegung einer Kaution zur Absicherung möglicher Schäden angemessen ist. Die Ermessensausübung wird sich regelmäßig an der Größe der Veranstaltung, der anzunehmenden Gefährdung von Personen- und Sachwerten sowie der finanziellen Belastbarkeit des Veranstalters orientieren, wobei die Selbstbindung der Verwaltung durch Artikel 3 des Grundgesetzes sowie der Schutz des Versammlungsrechts durch Artikel 8 des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind.

Frühzeitige Abstimmungen über die Handhabung dieser Frage seitens der Ordnungsbehörden dürften dazu beitragen, die Durchführung rechtsextremistischer Veranstaltungen von vornherein zu erschweren.

Anmerkung: Die Anlage wurde nicht aufgenommen.