Handhabung des Gesetzes zur Haftungsfreistellung der Kommunen von der Staatshaftung bei investitionsfördernden Entscheidungen
vom 25. August 1992
(ABl./92, [Nr. 70], S.1283)
1. Allgemeine Hinweise
Bei der Stellung eines Antrages auf Haftungsfreistellung sind zwei rechtliche Beziehungen zu unterscheiden.
Rechtsverhältnis 1 (Haftungsverhältnis, Staatshaftungsanspruch)
Verhältnis 1 ist das Verhältnis zwischen der natürlichen oder juristischen Person, die gegenüber der Kommune einen Schadenersatzanspruch wegen einer fehlerhaften investitionsfördernden Entscheidung geltend macht.
Zuständiges Gericht für die Geltendmachung der Ansprüche nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB (Amtshaftungsanspruch) oder § 1 i. V. m. § 6a Staatshaftungsgesetz (Staatshaftungsanspruch) ist gemäß Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe e des Einigungsvertrages das örtlich zuständige Kreisgericht. Zwischen Amtshaftungsanspruch und Staatshaftungsanspruch besteht nach gegenwärtiger Rechtslage Anspruchskonkurrenz; als nur auf die Rechtswidrigkeit abstellende Haftungsnorm unterliegt der Staatshaftungsanspruch geringeren Anforderungen als der auf Verschulden beruhende Amtshaftungsanspruch.
Rechtsverhältnis 2 (Haftungsfreistellungsverhältnis, Haftungsfreistellungs- und Erstattungsanspruch)
Verhältnis 2 ist das Verhältnis zwischen der Gemeinde oder dem Gemeindeverband, die (der) beantragt, daß auf Grund von Verhältnis 1 geleisteter Schadenersatz erstattet wird.
Zuständige Behörde i. S. von § 2 Haftungsfreistellungsgesetz, bei der Gemeinden und Gemeindeverbände Anträge auf Haftungsfreistellung stellen können, ist das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie.
Für Klagen der Gemeinden oder Gemeindeverbände wegen der Versagung der Erstattung ist das Kreisgericht, Kammer für Verwaltungssachen, zuständig.
Beide Rechtsverhältnisse dürfen nicht miteinander vermischt werden und sind voneinander unabhängig. Dies bedeutet unter anderem:
- Das Haftungsfreistellungsgesetz führt nicht dazu, daß das Land anstelle der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes Beklagter in einem Schadenersatzprozeß wird. Ein gesetzlicher Beklagtenwechsel findet nicht statt (Rechtsverhältnis 1).
- Das Land kann nicht unmittelbar vom Anspruchsteller in Anspruch genommen werden, eine solche Klage wäre unbegründet (Rechtsverhältnis 1).
- Es besteht aber ein Anspruch der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes gegenüber dem Land auf Erstattung des von der Gemeinde oder dem Gemeindeverband geleisteten Schadenersatzes (Rechtsverhältnis 2).
2. Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Haftungsfreistellungsgesetz
2.1. Antrag
Die Gemeinde oder der Gemeindeverband hat einen Antrag auf Erstattung zu stellen. Dieser ist beim
Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Brandenburg, Referat 14, Heinrich-Mann-Allee 107, O-1561 Potsdam,
zu stellen.
2.1.1. Inhalt der Antragsschrift
Der formlose Antrag (Formular wird entwikelt) hat folgende Angaben zu enthalten:
2.1.1.1. Den vom Bürgermeister/Oberbürgermeister/Amtsdirektor/Landrat unterzeichneten Antrag, wonach die Gemeinde oder der Gemeindeverband beantragt, daß in dem Verwaltungsverfahren (Aktenzeichen....) ....... (Anspruchsteller) gegen ........ (Gemeinde oder der Gemeindeverband) geleisteter Schadenersatz vom Land erstattet wird.
2.1.1.2. Die Höhe des geltend gemachten Schadens.
2.1.1.3. Name, Anschrift, Telefonnummer der/des Anspruchsteller(s) und der Prozeßbevollmächtigten der/des Anspruchsteller(s).
2.1.1.4. Kontonummer und Bankleitzahl der Gemeinde/oder des Gemeindeverbandes, auf das der Erstattungsbetrag überwiesen werden soll.
2.1.1.5. Name, dienstl. Anschrift, Telefonnummer eines Ansprechpartners in der Dienststelle, die
- die Entscheidung nach § 3a Vermögensgesetz getroffen/vorbereitet hat oder
- die Investitionsbescheinigung oder
- die Grundstücksverkehrsgenehmigung
erteilt/vorbereitet hat und für Rückfragen zur Verfügung steht.
2.1.1.6. Soweit der Anspruchsteller schon geklagt hat, das gerichtliche Aktenzeichen.
2.1.1.7. Name, Anschrift und Telefonnummer des Prozeßbevollmächtigten der beklagten Gemeinde oder des Gemeindeverbandes.
2.1.1.8. Die Akte des Verwaltungsvorgangs im Original mit sämtlichen Beiakten.
2.1.1.9. Eine Stellungnahme der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes zur Berechtigung des Anspruches.
2.2. Schadenseintritt
Es muß ein bezifferbarer Schaden eingetreten sein. Eine Erstattungszusage des Landes nur dem Grunde nach, ohne daß überhaupt ein Schaden absehbar ist, scheidet aus. Ebenfalls scheidet die Stellung eines Haftungsfreistellungsantrages, bevor eine investitionsfördernde Entscheidung i. S. v. § 1 Abs. 1 Haftungsfreistellungsgesetz getroffen worden ist, aus.
Damit soll einer eventuellen Verwaltungspraxis, die investitionsfördernde Entscheidung und Haftungsfreistellungsantrag verbindet, um das Haftungsrisiko sofort auf das Land abzuwälzen, im Sinne der Stärkung der Verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung vorgebeugt werden.
2.3. Rechtswidrigkeit
Der Eintritt des Schadens muß auf die rechtsfehlerhafte Anwendung folgender Bestimmungen zurückzuführen sein:
- § 2 Investitionsgesetz (Erteilung einer Investitionsbescheinigung) oder
- § 3a Vermögensgesetz (Verfügung über Grundstücke bei Vorliegen investiver Zwecke nach § 3a des Vermögensgesetzes) oder
- § 1 der Grundstücksverkehrsverordnung (Erteilung von Grundstücksverkehrsgenehmigungen)
Eine Haftungsfreistellung wegen der rechtsfehlerhaften Anwendung von Bestimmungen anderer Gesetze oder anderer Bestimmungen des Vermögensgesetzes, des Investitionsgesetzes oder der Grundstücksverkehrsverordnung scheidet aus.
2.4. Verschulden
Die rechtswidrige investitionsfördernde Entscheidung darf nur schuldlos oder fahrlässig getroffen worden sein. Soweit die oben genannten Bestimmungen grob fahrlässig oder vorsätzlich rechtsfehlerhaft angewandt worden sind, scheidet eine Erstattung durch das Land aus.
Die Fahrlässigkeit bestimmt sich nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB und setzt begrifflich Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit voraus.
- Fahrlässigkeit bedeutet:
Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt - Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist.
Es ist ein objektiver Verschuldensmaßstab zugrundezulegen.
Es ist daher nicht auf den konkreten Amtswalter, sondern auf den "pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten" abzustellen. Maßgebend sind die Fähigkeiten und Kenntnisse, die für die Führung des jeweiligen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Im konkreten Fall genügt der Nachweis, daß das rechtswidrige Verhalten der "Behörde" bei objektiver Betrachtung nicht der gebotenen Sorgfalt entsprach. Mangelnde Rechtskenntnis ist immer fahrlässig.
3. Entscheidung des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (MW)
3.1. Ablehnungsbescheid
Stellt das MW das Nichtbestehen eines Amtshaftungs- oder Staatshaftungsanspruches fest oder ergibt sich ferner, daß grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz bei der investitionsfördernden Entscheidung vorlagen, ergeht ein Feststellungsbescheid, der das Nichtbestehen eines Haftungsfreistellungsanspruches feststellt und die Erstattung geleisteten Schadenersatzes ablehnt.
3.2. Erstattungsbescheid
Stellt das MW das Bestehen eines schuldlos oder fahrlässig verwirkten Staatshaftungsanspruches fest, ergeht ein Feststellungsbescheid, der das Bestehen eines Haftungsfreistellungsanspruches feststellt und die Erstattung geleisteten Schadenersatzes ausspricht.
3.3. Erstattungsbescheid auf Grund eines Urteils
Ein Erstattungsbescheid ergeht ebenfalls, wenn ein Urteil ergeht, welches einen Staatshaftungsanspruch abweichend von einem Ablehnungsbescheid des MW bejaht und das MW die Einlegung von Rechtsmitteln für aussichtslos erachtet.
3.4. Ausschluß der Erstattung
Keine Haftungsfreistellung erfolgt, wenn das Gericht einen Staatshaftungsanspruch bejaht, der auch das Land zur Haftungsfreistellung verpflichtet hätte, aber die Gemeinde oder der Gemeindeverband vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung keinen Erstattungsantrag gestellt hat, also das Land nicht eingeschaltet hat (gilt nicht für anhängige Prozesse zwischen dem 1. Juli 1991 und der Verkündung des Haftungsfreistellungsgesetzes).
4. Umfang der Erstattung
Die Erstattung durch das MW umfaßt auch jeweils die Kosten der notwendigen Rechtsverfolgung im Rahmen des Gerichtskostengesetzes und der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Frei vereinbarte Rechtsanwaltshonorare oberhalb der Sätze der Gebührenordnung werden nur bis zur Höhe der Sätze der Gebührenordnung erstattet.