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Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft (Abschiebungshaftvollzugsgesetz - AbschhVG)

Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft (Abschiebungshaftvollzugsgesetz - AbschhVG)
vom 19. März 1996
(GVBl.I/96, [Nr. 08], S.98)

zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. April 2014
(GVBl.I/14, [Nr. 21])

Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1
Abschiebungshafteinrichtung

Die Abschiebungshaft nach § 62 des Aufenthaltsgesetzes wird in Abschiebungshafteinrichtungen vollzogen.

§ 2
Grundsätze der Gestaltung des Abschiebungshaftvollzuges

(1) Den in Abschiebungshafteinrichtungen untergebrachten Personen dürfen nur die Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Abschiebungshaft oder die Ordnung in der Abschiebungshafteinrichtung erfordert.

(2) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.

(3) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken.

(4) Die Gewährung von Urlaub oder Ausgang ist unzulässig. Zur Erledigung notwendiger Behördengänge oder privater Angelegenheiten können die Abschiebungshäftlinge ausgeführt werden.

§ 3
Unterbringung

(1) Abschiebungshäftlinge werden grundsätzlich gemeinsam untergebracht. Sie werden bei einer Haftdauer von mehr als sechs Monaten, wenn sie dies wünschen, regelmäßig allein in einem Haftraum untergebracht. Es bleibt bei der gemeinschaftlichen Unterbringung, wenn der Abschiebungshäftling ihr zustimmt, wenn er hilfsbedürftig ist oder sonst eine Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit besteht.

(2) Frauen und Männer sind grundsätzlich in verschiedenen Bereichen der Abschiebungshafteinrichtung unterzubringen.

(3) Sofern gegen mehrere Angehörige derselben Familie zusammen Abschiebungshaft vollzogen wird, soll ihnen auch in der Abschiebungshaft abweichend von Absatz 2 auf Wunsch ein Zusammenleben ermöglicht werden. Im übrigen sollen Wünsche von Abschiebungshäftlingen, die einander nahestehen, nach einer gemeinsamen Unterbringung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens bei Unterbringungsentscheidungen berücksichtigt werden.

(4) Bei der Unterbringung ist auf die religiöse und ethnische Zugehörigkeit zu achten.

§ 4
Aufnahme

(1) Abschiebungshäftlinge sind bei ihrer Aufnahme in einer für sie verständlichen Sprache über ihre Rechte und Pflichten zu unterrichten.

(2) Nach der Aufnahme werden Abschiebungshäftlinge alsbald ärztlich untersucht und dem sozialen Dienst vorgestellt. Abschiebungshäftlinge sind verpflichtet, die ärztliche Untersuchung einschließlich einer Röntgenaufnahme der Lunge zu dulden. § 36 Absatz 4 des Infektionsschutzgesetzes gilt entsprechend.

§ 5
Versorgung

(1) Abschiebungshäftlinge werden angemessen verpflegt. Auf Gewohnheiten, die sich aus ihrer Religionsausübung oder kulturellen Herkunft ergeben, wird Rücksicht genommen.

(2) Abschiebungshäftlinge können von den auf dem Gelände der Abschiebungshafteinrichtung vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel Gebrauch machen.

(3) Abschiebungshäftlinge tragen eigene Kleidung. Bei Bedarf ist ihnen Kleidung zur Verfügung zu stellen.

(4) Abschiebungshäftlingen werden die zur Körperpflege notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt.

§ 6
Soziale Betreuung und ärztliche Versorgung

(1) Abschiebungshäftlinge werden durch Sozialarbeiterinnen oder Sozialarbeiter betreut.

(2) Abschiebungshäftlinge werden im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften ärztlich versorgt und behandelt. Ist eine ärztliche Behandlung in der Abschiebungshafteinrichtung nicht möglich oder eine stationäre Behandlung nötig, werden Abschiebungshäftlinge in einem geeigneten Krankenhaus, einer entsprechenden Einrichtung oder der Krankenabteilung einer Justizvollzugsanstalt untergebracht.

§ 7
Verkehr mit der Außenwelt

(1) Abschiebungshäftlinge dürfen zu den allgemein vorgegebenen Zeiten Besuch empfangen. Dieses Recht darf nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung eingeschränkt werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Besuche durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie durch Angehörige der zuständigen Konsularbehörden, die jederzeit erfolgen können.

(2) Abschiebungshäftlinge dürfen grundsätzlich ohne Beschränkungen Briefe, Pakete, andere Post und Geschenke erhalten und auf eigene Kosten versenden.

(3) Aus Gründen der Sicherheit können Sichtkontrollen der eingehenden Post vorgenommen werden. Weitergehende Überwachungen der Post sind bei konkretem Verdacht auf Gefährdung der Sicherheit der Anstalt oder einer Person zulässig. Die Maßnahme ist der betroffenen Person bekanntzugeben. Dabei ist sie darauf hinzuweisen, daß sie die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vor Gericht überprüfen lassen kann.

(4) Absatz 3 Satz 2 bis 4 gilt nicht für den Schriftwechsel mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Nicht überwacht werden ferner Schreiben der Abschiebungshäftlinge an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und die absendende Person zutreffend angeben. Entsprechendes gilt für Schreiben an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, den Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, den zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und die entsprechenden nationalen Präventionsmechanismen, die konsularische Vertretung des Heimatlandes und weitere Einrichtungen, mit denen der Schriftverkehr aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland geschützt ist. Satz 1 gilt auch für den Schriftverkehr mit Gerichten und Behörden sowie mit den Integrations- und Ausländerbeauftragten und den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Schreiben der in den Sätzen 1 bis 3 genannten Stellen, die an die Abschiebungshäftlinge gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität der absendenden Person zweifelsfrei feststeht.

(5) Abschiebungshäftlinge können ohne Beschränkung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auf eigene Kosten die vorhandenen Telefone in der Abschiebungshafteinrichtung nutzen.

§ 8
Religiöse Betätigung und Freizeitgestaltung

(1) Abschiebungshäftlingen ist auf ihren Wunsch die Möglichkeit zu verschaffen, mit einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.

(2) Auf dem Gelände und in dem Gebäude der Abschiebungshafteinrichtung vorhandene Freizeitmöglichkeiten können durch die Abschiebungshäftlinge genutzt werden.

(3) Abschiebungshäftlinge können auf eigene Kosten Zeitungen, Zeitschriften und andere Druckerzeugnisse beziehen. Ausgeschlossen sind Druckerzeugnisse, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist oder die die Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung erheblich gefährden.

(4) Abschiebungshäftlinge können im Rahmen der in der Abschiebungshafteinrichtung gegebenen Möglichkeiten am gemeinschaftlichen Hörfunk und Fernsehempfang teilnehmen. Sofern es den Vollzugszweck nicht behindert, kann die Nutzung eigener Empfangsgeräte und eigener kommunikationstechnischer Geräte zugelassen werden.

§ 9
Arbeit

(1) Soweit die Sicherheit und Ordnung der Abschiebungshafteinrichtung dies zulassen, soll den Abschiebungshäftlingen Arbeit mit einer entsprechenden Aufwandsentschädigung im Sinne von § 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes gegeben werden.

(2) Abschiebungshäftlinge haben bei der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sauberkeit in ihrem Umfeld und bei der Ausgabe der Verpflegung mitzuwirken.

§ 10
Beschwerderecht

Abschiebungshäftlinge haben das Recht, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an die Leitung der Abschiebungshafteinrichtung zu wenden. Dem Wunsch nach einem Gespräch mit der Leitung der Abschiebungshafteinrichtung ist unverzüglich zu entsprechen.

§ 11
Sicherheit und Ordnung

(1) Abschiebungshäftlinge dürfen durch ihr Verhalten das geordnete Zusammenleben in der Abschiebungshafteinrichtung nicht beeinträchtigen. Den Anordnungen des Aufsichtspersonals haben sie Folge zu leisten.

(2) Abschiebungshäftlinge haben sich nach der Tageseinteilung in der Abschiebungshafteinrichtung (insbesondere Freizeit und Ruhezeit) zu richten. Sie können sich auch tagsüber in ihrem Haftraum aufhalten.

(3) Abschiebungshäftlinge können ihre persönlichen Wertgegenstände und Bargeld der Leitung der Einrichtung gegen Bestätigung in Verwahrung geben. Gegenstände, mit denen die Abschiebungshäftlinge sich und andere gefährden oder verletzen oder die zur Vereitelung des Vollzuges oder zur Beschädigung von Sachen führen können, sind durch die Leitung der Hafteinrichtung einzuziehen und zu verwahren.

(4) Abschiebungshäftlinge, ihre Sachen und die Hafträume können zur Wahrung der Sicherheit der in der Einrichtung tätigen Dienstkräfte und der untergebrachten Personen und zur Verhinderung von Selbst- oder Fremdschädigungen durchsucht werden. Die Durchsuchung von männlichen Personen ist durch männliche und die von weiblichen Personen durch weibliche Dienstkräfte unter Beachtung der Menschenwürde in einem geschlossenen Raum durchzuführen.

(5) Abschiebungshäftlinge können in einem besonders gesicherten Raum untergebracht oder in eine andere Einrichtung verlegt oder zeitweise überstellt werden, wenn die Mittel der Abschiebungshafteinrichtung zur Sicherung des Abschiebungshäftlings nicht ausreichen. 

(6) Für die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Bediensteten der Abschiebungshafteinrichtung gelten die Vorschriften des Abschnittes 14 des Brandenburgischen Justizvollzugsgesetzes entsprechend. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch körperliche Fixierung (Fesselung) ist nur zulässig zur Verhinderung einer unmittelbar drohenden Selbst- oder Fremdverletzung. Sie ist auf die unumgänglich notwendige Dauer zu beschränken. Es ist unverzüglich ärztliches Personal hinzuzuziehen, das über die Fortdauer der Fixierung entscheidet. Für die Dauer der Fixierung ist der Abschiebungshäftling durch Bedienstete ständig und in unmittelbarem Sichtkontakt zu beobachten. Die Anwendung des Zwangsmittels, ihre Dauer sowie die Hinzuziehung ärztlichen Personals sind zeitgenau aktenkundig zu machen.

(7) Beim Vollzug der Abschiebungshaft in Abschiebungshafteinrichtungen dürfen zur Vereitelung der Flucht oder Wiederergreifung des Abschiebungshäftlings keine Schußwaffen eingesetzt werden.

§ 12
Gewahrsamsordnung

Einzelheiten zu den §§ 2 bis 11 regelt das Ministerium des Innern in einer Gewahrsamsordnung.

§ 13
Beirat

(1) Je Abschiebungshafteinrichtung wird ein externer Beirat errichtet. Der Beirat wirkt bei der Gestaltung des Vollzugs der Abschiebungshaft und der Betreuung der Abschiebungshäftlinge mit. Er berät die Leitung und setzt sich für die Interessen der Abschiebungshäftlinge ein. Die Mitglieder nehmen ihre Aufgabe ehrenamtlich wahr.

(2)Das Nähere, insbesondere zu Zusammensetzung und Befugnissen des Beirats, wird durch das Ministerium des Innern geregelt.

§ 14
Einschränkung von Grundrechten

Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes und Artikel 8 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg, der Freiheit der Person nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes und Artikel 9 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg sowie des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes und Artikel 16 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

§ 15
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Potsdam, den 19. März 1996

Der Präsident
des Landtages Brandenburg
Dr. Herbert Knoblich