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Rundschreiben 11/08 (RS 11/08)
Rundschreiben 11/08 (RS 11/08)
vom 6. Oktober 2008
(Abl. MBJS/08, [Nr. 9], S.402)
Außer Kraft getreten am 8. Dezember 2018 durch Rundschreiben 17/18 vom 3. Dezember 2018
(Abl. MBJS/18, [Nr. 31], S.408)
Handlungsanleitung zur Umsetzung des § 41 Abs. 4 BbgSchulG
Durchsetzung der Schulpflicht als ultima ratio
Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums des Innern (IV/1.1 - 423 - 10) und des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (11/08)
Vorwort
Die mit der Schulgesetzänderung zum 1. August 2007 in Kraft getretenen Ergänzungen des § 41 BbgSchulG verstärken noch einmal die Bedeutung der Verantwortung, die den Eltern und den Schulen bei der Durchsetzung der Schulpflicht zukommt. Als besondere Maßnahme ist es den staatlichen Schulämtern des Landes nunmehr möglich, Schülerinnen und Schüler, die gegen die Schulpflicht verstoßen bzw. die in § 37 Abs. 1 und § 45 Abs. 2 BbgSchulG genannten Untersuchungen verweigern, mit unmittelbarem Zwang der Schule zuzuführen. Die entsprechenden formalen rechtlichen Voraussetzungen sind den Schulämtern bekannt. Die staatlichen Schulämter als Vollstreckungsbehörden entscheiden, ob sie für die Durchführung des unmittelbaren Zwangs die Polizei um Vollzugshilfe bitten oder die Maßnahme selbständig durchführen. Soweit die Polizei um Vollzugshilfe gebeten wird, soll die Handlungsanleitung den staatlichen Schulämtern und der Polizei eine Orientierungshilfe für die praktische Umsetzung einer solchen Maßnahme geben. Sie ist so gestaltet, dass die praktische Umsetzung pädagogisch sinnvoll wirkt und die Durchführung der Maßnahme keine negative Entwicklung bei den Schülerinnen und Schülern hervorruft. Hierauf haben die staatlichen Schulämter als auch die Polizeikräfte stets zu achten.
1. Pädagogisches Handeln
Vor der Zuführung der Schülerin oder des Schülers müssen die Schulleiterin oder der Schulleiter nachweislich prüfen, ob alle pädagogischen Möglichkeiten, die unterhalb der Anwendung des unmittelbaren Zwangs stehen, ausgeschöpft wurden. Dem staatlichen Schulamt geht eine Gesamtübersicht aller bisher eingeleiteten Maßnahmen zu. Hierzu gehört u. a., dass die Schülerin oder der Schüler
- eindringlich und wiederholt auf die Folgen der Schulverweigerung hingewiesen wurde,
- mit ihr oder ihm versucht wurde, die Probleme, die in Zusammenhang mit der Verweigerung des Schulbesuchs stehen zu lösen und
- die Eltern einbezogen wurden.
Vertiefend wird zu der Verpflichtung, durch pädagogisches und verfahrensmäßiges Handeln unentschuldigtes Fernbleiben von der Schule zu verhindern, auf das Rundschreiben 31/01 des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 2. November 2001 “Grundsätze zur Vermeidung, Feststellung und Behandlung von Schulverweigerung“ hingewiesen, das im Rahmen der Verwaltungspraxis weiterhin anzuwenden ist. Von ganz besonderer Bedeutung ist, dass die Eltern frühzeitig und umfassend einbezogen worden sind. Soweit dies gar nicht oder kaum möglich war, ist das Jugendamt zu beteiligen.
Die Maßnahmen der Verordnung über Konfliktschlichtung, Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen (Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen Verordnung - EOMV) sind in der Regel vor der Durchführung des unmittelbaren Zwangs anzuwenden. In besonders begründeten Einzelfällen kann das staatliche Schulamt darauf verzichten und die Schülerin oder den Schüler sofort durch unmittelbaren Zwang der Schule zuführen.
2. Durchsetzung der Schulpflicht
Die Durchsetzung der Schulpflicht soll unterbleiben, wenn für die Lehrkräfte der Schule erkennbar ist, das für das Fernbleiben der Schülerin oder des Schülers vom Unterricht nicht die Schülerin oder der Schüler verantwortlich ist, sondern das Fernbleiben vom Unterricht in dem Verhalten der Eltern begründet ist. In diesen Fällen ist grundsätzlich von der Schulleitung oder dem Schulamt das Jugendamt einzuschalten.
Die zwangsweise Zuführung erfolgt nur bei Schülerinnen und Schüler, die der allgemeinen Schulpflicht unterliegen und sollte nur bei Schülerinnen und Schüler ab dem vollendeten 12. Lebensjahr angewendet werden. Soweit jüngere schulpflichtige Schülerinnen oder Schüler den Schulbesuch verweigern, ist neben der Ausschöpfung aller anderen Maßnahmen wie Zwangsgeld und Bußgeld das Jugendamt zu unterrichten.
Die Zuführung durch unmittelbaren Zwang soll in der Regel nur dann erfolgen, wenn bei einer Schülerin oder einem Schüler 20 Schultage zusammenhängend oder insgesamt 30 Schultage im Schulhalbjahr als unentschuldigte Fehlzeiten festgestellt wurden und von einer systematischen Schulverweigerung ausgegangen werden muss. Soweit alle pädagogischen Maßnahmen ausgeschöpft wurden oder diese in Anbetracht des Einzelfalls keine Aussicht auf Erfolg versprechen, können auch Schülerinnen und Schüler durch unmittelbaren Zwang der Schule zugeführt werden, bei denen noch keine grundsätzliche schulverweigernde Haltung festzustellen ist, aber das unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht bereits regelmäßig auftritt.
Grundsätzlich ist vor der Durchführung des unmittelbaren Zwangs sowohl das Zwangsgeldverfahren als auch das Bußgeldverfahren durchzuführen.
Die hier genannten Maßgaben gelten nicht, soweit eine Schülerin oder ein Schüler eine Untersuchung gemäß § 37 Abs. 1 oder gemäß § 45 Abs. 2 BbgSchulG verweigert.
Die Durchführung der Maßnahme ist in der Schülerakte und in einer Sachakte beim staatlichen Schulamt zu dokumentieren.
3. Vollzugshilfe
- Vor der Durchführung der Maßnahme verständigen sich das Schulamt und die Polizei über die Durchführung der Maßnahme.
- Die Durchführung der Maßnahme obliegt in erster Linie einer Schulrätin oder einem Schulrat des staatlichen Schulamtes. Die Aufgabe der Polizei beschränkt sich in jedem Fall auf die Gewährung von Vollzugshilfe in Form unmittelbaren Zwangs mittels einfacher körperlicher Gewalt.
- Die Schulrätin oder der Schulrat des staatlichen Schulamtes führen mit der Schülerin oder dem Schüler das Gespräch. Sie erläutern der Schülerin oder dem Schüler, um welche Maßnahme es sich handelt und welcher Zweck damit verfolgt wird. Die Schulrätin oder der Schulrat fordert die Schülerin oder den Schüler auf, ihn zur Schule zu begleiten. Erst wenn sich die Schülerin oder der Schüler weigert, die Schulrätin oder den Schulrat zu begleiten, fordern diese die Polizei zur Leistung von Vollzugshilfe auf.
- Das Verbringen der Schülerin oder des Schülers durch die Polizei erfolgt mittels einfacher körperlicher Gewalt.
- Wird die Schülerin oder der Schüler nicht angetroffen, so ist die Maßnahme am darauf folgenden Tag zu wiederholen bzw. der Aufenthalt des Schülers durch das staatliche Schulamt zu prüfen.
- Sollte die Kontaktaufnahme sowohl mit den Eltern als auch mit der Schülerin oder dem Schüler nicht möglich sein, so muss das staatliche Schulamt das Jugendamt informieren, damit von dort aus weitere Schritte unternommen werden.
- Sollten die Eltern bei der Durchführung der Maßnahme mitteilen, dass die Schülerin oder der Schüler erkrankt ist, sollte hierfür von den Eltern an Ort und Stelle eine schriftliche Bestätigung verlangt werden.
- Die Vollzugshilfe durch die Polizeikräfte endet in der Regel im Büro der Schulleiterin oder des Schulleiters der Schule, dem die Schülerin oder der Schüler zugeführt wurde.
- Die Schulleiterin oder der Schulleiter der Schule, der die Schülerin oder der Schüler zugeführt wurde, legt gegenüber der Schülerin oder dem Schüler im Beisein der Schulrätin oder dem Schulrat und der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer noch einmal die Erwartungen der Schule über die Einhaltung der Schulpflicht fest.
4. Evaluierung
Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und das Ministerium des Innern sind sich darüber einig, dass die Handlungsempfehlung ein Jahr nachdem sie unterzeichnet wurde, gemeinsam überprüft wird.
Potsdam, den 6. Oktober 2008
Für das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport | Für das Ministerium des Innern |
Manfred Walhorn | Jürgen Storbeck |