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Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)
Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)
vom 25. November 1991
(JMBl/91, [Nr. 9], S.90)
zuletzt geändert durch Allgemeine Verfügung vom 31. Juli 2014
(JMBl/14, [Nr. 8], S.102)
Die Richtlinien für das Straf - und Bußgeldverfahren vom 1. Januar 1977 setze ich hiermit für das Land Brandenburg in Kraft.
Richtlinien für das Strafverfahren
Allgemeiner Teil
I. Abschnitt
Vorverfahren
1. Allgemeines
1 Der Staatsanwalt
Das vorbereitende Verfahren liegt in den Händen des Staatsanwalts. Er ist Organ der Rechtspflege. Im Rahmen der Gesetze verfolgt er Straftaten und leitet verantwortlich die Ermittlungen der sonst mit der Strafverfolgung befassten Stellen.
2 Zuständigkeit
(1) Die Ermittlungen führt grundsätzlich der Staatsanwalt, in dessen Bezirk die Tat begangen ist.
(2) Für Sammelverfahren und in den Fällen des § 18 des Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (BKAG) gelten die Nr. 25 bis 29.
3 Persönliche Ermittlungen des Staatsanwalts
(1) Der Staatsanwalt soll in bedeutsamen oder in rechtlich oder tatsächlich schwierigen Fällen den Sachverhalt vom ersten Zugriff an selbst aufklären, namentlich den Tatort selbst besichtigen, die Beschuldigten und die wichtigsten Zeugen selbst vernehmen. Bei der Entscheidung, ob er den Verletzten als Zeugen selbst vernimmt, können auch die Folgen der Tat von Bedeutung sein.
(2) Auch wenn der Staatsanwalt den Sachverhalt nicht selbst aufklärt, sondern seine Ermittlungspersonen (§ 152 Abs. 1 GVG), die Behörden und Beamten des Polizeidienstes (§ 161 Abs. 1 StPO) oder andere Stellen damit beauftragt, hat er die Ermittlungen zu leiten, mindestens ihre Richtung und ihren Umfang zu bestimmen. Er kann dabei auch konkrete Einzelweisungen zur Art und Weise der Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilen (vgl. auch Anlage A).
(3) Bei formlosen mündlichen Erörterungen mit dem Anzeigenden, dem Beschuldigten oder mit anderen Beteiligten sind die Vorschriften der §§ 52 Abs. 3 Satz 1, 55 Abs. 2, 163a Abs. 3 Satz 2 StPO zu beachten. Über das Ergebnis der Erörterung ist ein Vermerk niederzulegen.
4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insbesondere bei Eingriffen in grundgesetzlich geschützte Rechte (z. B. Freiheit der Person, Unverletzlichkeit der Wohnung, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Pressefreiheit) zu berücksichtigen; dies gilt vor allem bei der Anordnung von Maßnahmen, von denen Unverdächtige betroffen werden (z. B. Einrichtung von Kontrollstellen, Durchsuchung von Gebäuden).
4 a Keine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten
Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann. Das gilt insbesondere im Schriftverkehr mit anderen Behörden und Personen. Sollte die Bezeichnung des Beschuldigten oder der ihm zur Last gelegten Straftat nicht entbehrlich sein, ist deutlich zu machen, dass gegen den Beschuldigten lediglich der Verdacht einer Straftat besteht.
4 b Ermittlungen gegen eine Vielzahl von Personen
Wird bei der Suche nach einem Täter gegen eine Vielzahl von Personen ermittelt, so achtet der Staatsanwalt darauf, dass diesen die Erforderlichkeit einer gegen sie gerichteten Maßnahme erläutert wird, soweit der Untersuchungszweck nicht entgegensteht.
4 c Rücksichtnahme auf den Verletzten
Der Staatsanwalt achtet darauf, dass die für den Verletzten aus dem Strafverfahren entstehenden Belastungen möglichst gering gehalten und seine Belange im Strafverfahren berücksichtigt werden.
5 Beschleunigung
(1) Die Ermittlungen sind zunächst nicht weiter auszudehnen, als nötig ist, um eine schnelle Entscheidung über die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einstellung des Verfahrens zu ermöglichen. Hierbei sind insbesondere die Möglichkeiten der §§ 154, 154 a StPO zu nutzen.
(2) Die Ermittlungshandlungen sind möglichst gleichzeitig durchzuführen (vgl. Nr. 12.)
(3) Der Sachverhalt, die Einlassung des Beschuldigten und die für die Bemessung der Strafe oder für die Anordnung einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) wichtigen Umstände sind so gründlich aufzuklären, dass die Hauptverhandlung reibungslos durchgeführt werden kann.
(4) In Haftsachen sind die Ermittlungen besonders zu beschleunigen. Das gleiche gilt für Verfahren wegen Straftaten, die den öffentlichen Frieden nachhaltig gestört oder die sonst besonderes Aufsehen erregt haben, und für Straftaten mit kurzer Verjährungsfrist.
5 a Kostenbewusstsein
Die Ermittlungen sind so durchzuführen, dass unnötige Kosten vermieden werden (vgl. auch Nr. 20 Abs. 1, Nr. 58 Abs. 3). Kostenbewusstes Handeln ist etwa möglich durch
- die frühzeitige Planung der Ermittlungen und Nutzung der gesetzlichen Möglichkeiten, von der Strafverfolgung oder der Erhebung der öffentlichen Klage abzusehen (vgl. auch Nr. 101 Abs. 1, Nr. 101 a Abs. 1 Satz 2),
- die Nutzung der Möglichkeit zu standardisiertem Arbeiten (Textbausteine, Abschlussentscheidungen nach Fallgruppen),
- den Verzicht auf die förmliche Zustellung, etwa wenn keine Zwangsmaßnahmen zu erwarten sind (vgl. auch Nr. 91 Abs. 2),
- die Vermeidung einer Verwahrung, jedenfalls die rasche Rückgabe von Asservaten (vgl. auch Nr. 75 Abs. 1).
5 b Vorläufige Aufzeichnung von Protokollen
Bei der vorläufigen Aufzeichnung von Protokollen (§ 168 a Abs. 2 StPO) soll vom Einsatz technischer Hilfsmittel (insbesondere von Tonaufnahmegeräten) möglichst weitgehend Gebrauch gemacht werden. Die Entscheidung hierüber trifft jedoch allein der Richter, in den Fällen des § 168 b StPO der Staatsanwalt.
6 Verfolgung von Antragsdelikten
(1) Wegen einer Straftat, die nur auf Antrag zu verfolgen ist, wird der Staatsanwalt in der Regel erst tätig, wenn ein ordnungsgemäßer Strafantrag vorliegt. Ist zu befürchten, dass wichtige Beweismittel verloren gehen, so kann es geboten sein, mit den Ermittlungen schon vorher zu beginnen.
(2) Hält der Staatsanwalt eine Strafverfolgung im öffentlichen Interesse für geboten und ist die Straftat oder das Antragserfordernis dem Antragsberechtigten offenbar noch unbekannt, so kann es angebracht sein, ihn von der Tat zu unterrichten und anzufragen, ob ein Strafantrag gestellt wird.
(3) Enthält eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat zugleich eine nur auf Antrag verfolgbare Tat, so verfährt der Staatsanwalt nach Abs. 2.
(4) Wird der Strafantrag zu Protokoll gestellt, so soll der Antragsteller über die möglichen Kostenfolgen bei Rücknahme des Strafantrages (§ 470 StPO) und darüber belehrt werden, dass ein zurückgenommener Antrag nicht nochmals gestellt werden kann. (§ 77 d Abs. 1 Satz 3 StGB).
(5) Kommt eine Ermächtigung eines obersten Staatsorgans des Bundes oder eines Landes zur Strafverfolgung (§§ 90 Abs. 4, 90 b Abs. 2, 97 Abs. 3, 104 a, 129b Abs. 1 Satz 3, 194 Abs. 4, 353 a Abs. 2, 353 b Abs. 4 StGB) oder ein Strafantrag eines solchen Organs wegen Beleidigung (§ 194 Abs. 1, 3 StGB) in Betracht, so sind die besonderen Bestimmungen der Nr. 210 Abs. 1, 2, Nr. 211 Abs. 1, 2, Nr. 212, 213 zu beachten.
7 Haftbefehl bei Antragsdelikten
(1) Wird der Beschuldigte vorläufig festgenommen oder gegen ihn ein Haftbefehl erlassen, bevor ein Strafantrag gestellt ist, so hat der Staatsanwalt alle Ermittlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub dulden.
(2) Ist eine Tat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar, so gilt Abs. 1 sinngemäß.
8 Namenlosen Anzeigen
Auch bei namenlosen Anzeigen prüft der Staatsanwalt, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Es kann sich empfehlen, den Beschuldigten erst dann zu vernehmen, wenn der Verdacht durch andere Ermittlungen eine gewisse Bestätigung gefunden hat.
9 Benachrichtigung des Anzeigenden
Wird ein Ermittlungsverfahren auf Grund einer Anzeige eingeleitet, so wird der Eingang der Anzeige bestätigt, sofern dies nicht nach den Umständen entbehrlich ist.
10 Richterliche Untersuchungshandlungen
Der Staatsanwalt beantragt richterliche Untersuchungshandlungen, wenn er sie aus besonderen Gründen für erforderlich erachtet, z. B. weil der Verlust eines Beweismittels droht, ein Geständnis festzuhalten ist (§ 254 StPO) oder, wenn eine Straftat nur durch Personen bewiesen werden kann, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind.
11 Ermittlungen durch andere Stellen
(1) Den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den anderen Stellen, die zu den Ermittlungen herangezogen werden, ist möglichst genau anzugeben, welche Erhebungen sie vornehmen sollen; Wendungen wie „zur Erörterung“, „zur weiteren Aufklärung“ oder „zur weiteren Veranlassung“ sind zu vermeiden.
(2) Ist zu erwarten, dass die Aufklärung einer Straftat schwierig sein wird oder umfangreiche Ermittlungen erforderlich werden, empfiehlt es sich, die durchzuführen den Maßnahmen und deren Reihenfolge mit den beteiligten Stellen zu besprechen.
12 Versendung der Akten, Hilfs- oder Doppelakten
(1) Ermittlungsersuchen sind möglichst so zu stellen, dass die Ermittlungen gleichzeitig durchgeführt werden können (Nr. 5 Abs. 2, Nr. 10, 11). Von der Beifügung der Ermittlungsakten ist abzusehen, wenn durch die Versendung eine Verzögerung des Verfahrens eintreten würde und wenn der für die Ermittlung maßgebliche Sachverhalt in dem Ersuchen dargestellt oder aus einem Aktenauszug entnommen werden kann.
(2) In geeigneten Fällen sind Hilfs- oder Doppelakten anzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn Haftprüfungen oder Haftbeschwerden zu erwarten sind.
13 Feststellung der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten
(1) Die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, besonders die richtige Schreibweise seines Familien- und Geburtsnamens, sein Geburtstag und Geburtsort und seine Staatsangehörigkeit, sind sorgfältig festzustellen; führt er einen abgekürzten Vornamen, so ist auch der volle Vorname anzugeben. Bei Ausländern sind die Passnummer und die Namen der Eltern (einschließlich deren Geburtsnamen) festzustellen. Wird bei einer Vernehmung auf die Angaben zur Person in einer früheren polizeilichen Vernehmung verwiesen, so sind diese mit dem Beschuldigten im einzelnen durchzusprechen und, wenn nötig, zu ergänzen. Können die Eintragungen im Bundeszentralregister für die Untersuchung von Bedeutung sein und ist eine Registerauskunft bei den Akten, so ist der Beschuldigte auch hierüber zu vernehmen. Bestreitet er, die in der Auskunft genannte Person zu sein, oder behauptet er, die Eintragungen seien unrichtig, so ist auch dies in die Niederschrift aufzunehmen.
(2) Der Beschuldigte soll ferner befragt werden, ob er sozialleistungsberechtigt ist (Angaben über Rentenbescheid, Versorgungsbescheid, Art der Verletzung), ob er Betreuungen, Vormundschaften oder Pflegschaften führt, ob er die Erlaubnis zum Führen von Kraft-, Luft- oder Wasserfahrzeugen, eine gewerbliche Erlaubnis oder Berechtigung, einen Jagd- oder Fischereischein, eine waffen- oder sprengstoffrechtliche Erlaubnis oder Genehmigung, ein Schiffer- oder Lotsenpatent besitzt (Angabe der ausstellenden Behörde und der Nummer des Ausweises), ob er für die laufende oder für die nächste Wahlperiode als Schöffe gewählt oder ausgelost ist (Angabe des Ausschusses nach § 40 GVG) und ob er ein richterliches oder ein anderes Ehrenamt in Staat oder Gemeinde ausübt.
(3) Ist der Beschuldigte ein Soldat der Bundeswehr, so sind der Dienstgrad, der Truppenteil oder die Dienststelle sowie der Standort des Soldaten festzustellen. Bei Reservisten der Bundeswehr genügt die Angabe des letzten Dienstgrades.
(4) Besteht Fluchtgefahr, so ist festzustellen, ob der Beschuldigte einen Pass oder einen Personalausweis besitzt.
(5) Nach dem Religionsbekenntnis darf der Beschuldigte nur gefragt werden, wenn der Sachverhalt dazu Anlass gibt.
(6) Die Angaben des Beschuldigten sind, soweit veranlasst, nachzuprüfen; wenn nötig, ist eine Geburtsurkunde anzufordern.
14 Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten
(1) Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten sind aufzuklären. Es ist festzustellen, welchen Beruf der Beschuldigte erlernt hat und welchen er ausübt (Angabe des Arbeitgebers). Bei verheirateten Beschuldigten ist auch der Beruf des Ehegatten, bei Minderjährigen auch der der Eltern anzugeben. Es ist ferner zu ermitteln, wie viel der Beschuldigte verdient, welche anderen Einkünfte, z. B. Zinsen aus Kapital, Mieteinnahmen er hat, ob er Grundstücke oder anderes Vermögen besitzt und welche Umstände sonst für seine Zahlungsfähigkeit von Bedeutung sind. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte befragt werden, ob er die Finanz- und Steuerbehörden ermächtigt, den Justizbehörden Auskunft zu erteilen. Dabei kann er auch darauf hingewiesen werden, dass seine Einkünfte, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes geschätzt werden können (§ 40 Abs. 3 StGB).
(2) Ist der Beschuldigte erwerbslos, so ist zu ermitteln, wie viel Unterstützung er erhält und welche Kasse sie zahlt.
(3) Bestehen gegen die Angaben des Beschuldigten über seine wirtschaftlichen Verhältnisse Bedenken oder wird vermutet, dass sie sich nachträglich wesentlich geändert haben, so kann sich der Staatsanwalt der Gerichtshilfe (§ 160 Abs. 3 StPO) bedienen. In manchen Fällen wird es genügen, eine Auskunft des Gerichtsvollziehers oder des Vollziehungsbeamten der Justiz oder eine Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts einzuholen. Ist es nicht vermeidbar, eine Polizei-, Gemeinde- oder andere Behörde um eine Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu ersuchen, so soll sich das Ersuchen möglichst auf bestimmte Fragen beschränken.
15 Aufklärung der für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat bedeutsamen Umstände
(1) Alle Umstände, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Verfalls oder sonstiger Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) von Bedeutung sein können, sind schon im vorbereitenden Verfahren aufzuklären. Dazu kann sich der Staatsanwalt der Gerichtshilfe bedienen.
(2) Gemäß Abs. 1 ist der dem Verletzten durch die Tat entstandene Schaden aufzuklären, soweit er für das Strafverfahren von Bedeutung sein kann. Der Staatsanwalt prüft auch, ob und mit welchem Erfolg sich der Beschuldigte um eine Wiedergutmachung bemüht hat.
(3) Gehört der Beschuldigte zum Leitungsbereich einer juristischen Person oder Personenvereinigung und kommt die Festsetzung einer Geldbuße gegen diese in Betracht (Nr. 180 a), so sind schon im vorbereitenden Verfahren Ermittlungen zur Höhe des durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Vorteils zu führen.
(4) Bei Körperverletzungen sind Feststellungen über deren Schwere, die Dauer der Heilung, etwaige Dauerfolgen und über den Grad einer etwaigen Erwerbsminderung zu treffen. Bei nicht ganz unbedeutenden Verletzungen wird ein Attest des behandelnden Arztes anzufordern sein.
16 Feststellung von Eintragungen im Bundeszentralregister
(1) Für die öffentliche Klage ist in der Regel eine Auskunft aus dem Zentralregister, gegebenenfalls auch aus dem Erziehungsregister, einzuholen. Gleiches gilt, wenn ein Absehen von der öffentlichen Klage (§ 153 a StPO) in Betracht kommt.
(2) Bei der Erörterung von Eintragungen im Bundeszentralregister ist darauf zu achten, dass dem Beschuldigten oder seiner Familie durch das Bekanntwerden der eingetragenen Tatsachen keine Nachteile entstehen, die vermeidbar sind oder zur Bedeutung der Strafsache außer Verhältnis stehen. werden die Akten an andere mit dem Strafverfahren nicht unmittelbar befasste Stellen versandt, so ist die Registerauskunft zurückzubehalten; wird ihnen Akteneinsicht gewährt, so ist sie aus den Akten herauszunehmen.
(3) Sind Anhaltspunkte dafür gegeben, dass ein Widerruf der Beseitigung des Strafmakels hinsichtlich einer früher erkannten Jugendstrafe in Betracht kommt (§ 101 JGG), so empfiehlt sich ein ausdrückliches Ersuchen um Auskunft aus dem Zentralregister im Sinne des § 41 Abs. 3 und 4 BZRG.
16 a DNA-Maßnahmen für künftige Strafverfahren
Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass bei Beschuldigten, bei denen die Voraussetzungen des § 81 g StPO gegeben sind, unverzüglich die erforderlichen DNA-Maßnahmen für Zwecke künftiger Strafverfahren erfolgen.
17 Mehrere Strafverfahren gegen denselben Beschuldigten
(1) Die Ermittlungen sollen sich auch darauf erstrecken, ob gegen den Beschuldigten noch weitere Strafverfahren anhängig sind und ob er eine frühere Strafe noch nicht voll verbüßt hat.
(2) Hat jemand mehrere selbständige Straftaten begangen, so sorgt der Staatsanwalt dafür, dass die Verfahren verbunden oder die Ergebnisse des einen Verfahrens in dem anderen berücksichtigt werden. Nr. 2 ist zu beachten (vgl. auch Nr. 114).
(3) Vor Anordnung oder Beantragung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme prüft der Staatsanwalt nach Möglichkeit, zum Beispiel anhand des Auszugs aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister, ob gegen den Betroffenen der Maßnahme weitere Ermittlungsverfahren anhängig sind. In geeigneten Fällen, insbesondere wenn anhängige Ermittlungsverfahren Straftaten von erheblicher Bedeutung betreffen können, stimmt er sein Vorgehen mit dem das weitere Ermittlungsverfahren führenden Staatsanwalt ab, um unkoordinierte Ermittlungsmaßnahmen zu verhindern.
18 Gegenüberstellung
Soll durch eine Gegenüberstellung geklärt werden, ob der Beschuldigte der Täter ist, so ist dem Zeugen nicht nur der Beschuldigte, sondern zugleich auch eine Reihe anderer Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung gegenüberzustellen, und zwar in einer Form, die nicht erkennen lässt, wer von den Gegenübergestellten der Beschuldigte ist (Wahlgegenüberstellung). Entsprechendes gilt bei der Vorlage von Lichtbildern. Die Einzelheiten sind aktenkundig zu machen.
19 Vernehmung von Kindern und Jugendlichen
(1) Eine mehrmalige Vernehmung von Kindern und Jugendlichen vor der Hauptverhandlung ist wegen der damit verbundenen seelischen Belastung dieser Zeugen nach Möglichkeit zu vermeiden.
(2) Bei Zeugen unter achtzehn Jahren soll zur Vermeidung wiederholter Vernehmungen von der Möglichkeit der Aufzeichnung auf Bild-Ton-Träger Gebrauch gemacht werden (§ 58 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 255 a Abs. 1 StPO). Hierbei ist darauf zu achten, dass die vernehmende Person und der Zeuge gemeinsam und zeitgleich in Bild und Ton aufgenommen und dabei im Falle des § 52 StPO auch die Belehrung und die Bereitschaft des Zeugen zur Aussage (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StPO) dokumentiert werden. Für die Anwesenheit einer Vertrauensperson soll nach Maßgabe des § 406 f Abs. 3 StPO Sorge getragen werden. Mit Blick auf eine spätere Verwendung der Aufzeichnung als Beweismittel in der Hauptverhandlung (§ 255 a StPO) empfiehlt sich eine richterliche Vernehmung (§§ 168 c, 168 e StPO). Bei Straftaten im Sinne des § 255 a Abs. 2 Satz 1 StPO soll rechtzeitig darauf hingewirkt werden, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit haben, an der Vernehmung mitzuwirken.
(3) In den Fällen des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO wirkt der Staatsanwalt möglichst frühzeitig auf die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft (§ 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB) durch das zuständige Familiengericht (§ 152 FamFG) hin.
(4) Alle Umstände, die für die Glaubwürdigkeit eines Kindes oder eines Jugendlichen bedeutsam sind, sollen möglichst frühzeitig festgestellt werden. Es ist zweckmäßig, hierüber Eltern, Lehrer, Erzieher oder andere Bezugspersonen zu befragen; gegebenenfalls ist mit dem Jugendamt Kontakt aufzunehmen.
(5) Bleibt die Glaubwürdigkeit zweifelhaft, so ist ein Sachverständiger, der über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinderpsychologie verfügt, zuzuziehen.
19 a Vernehmung des Verletzten als Zeuge
(1) Ist erkennbar, dass mit der Vernehmung als Zeuge für den Verletzten eine erhebliche psychische Belastung verbunden sein kann, wird ihm bei der Vernehmung mit besonderer Einfühlung und Rücksicht zu begegnen sein; auf §§ 68 a, 68 b StPO wird hingewiesen. Einer Vertrauensperson nach § 406 f Abs. 2 StPO ist die Anwesenheit zu gestatten, wenn der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird.
(2) Bei der richterlichen Vernehmung des Verletzten wirkt der Staatsanwalt durch Anregung und Antragstellung auf eine entsprechende Durchführung der Vernehmung hin. Er achtet insbesondere darauf, dass der Verletzte durch Fragen und Erklärungen des Beschuldigten und seines Verteidigers nicht größeren Belastungen ausgesetzt wird, als im Interesse der Wahrheitsfindung hingenommen werden muss.
(3) Eine mehrmalige Vernehmung des Verletzten vor der Hauptverhandlung kann für diesen zu einer erheblichen Belastung führen und ist deshalb nach Möglichkeit zu vermeiden.
19 b Widerspruchsrecht des Zeugen im Falle der Bild-Ton-Aufzeichnung
Wird die Vernehmung eines Zeugen auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet (§ 58a StPO), ist dieser darauf hinzuweisen, dass er der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung im Wege der Akteneinsicht an den Verteidiger oder den Rechtsanwalt des Verletzten widersprechen kann.
20 Vernehmung von Gefangenen und Verwahrten
(1) Personen, die sich in Haft oder sonst in amtlicher Verwahrung befinden, sind in der Regel in der Anstalt zu vernehmen; dies gilt vor allem dann, wenn die Gefahr des Entweichens besteht oder die Vorführung besondere Kosten verursacht.
(2) Erscheint auf Grund der Vernehmung die Besorgnis begründet, dass ein Gefangener oder Verwahrter die Ordnung in der Anstalt beeinträchtigt oder sich selbst gefährdet, so ist der Anstaltsleiter zu unterrichten (vgl. auch Nr. 7 UVollzO).
21. Umgang mit behinderten Menschen.
(1) Behinderten Menschen ist mit besonderer Rücksichtnahme auf ihre Belange zu begegnen.
(2) Im Hinblick auf die Ausübung des Wahlrechts nach § 186 Abs. 1 GVG teilt der Staatsanwalt mit Erhebung der öffentlichen Klage in geeigneter Form eine ihm bekannt gewordene Hör- oder Sprachbehinderung mit.
(3) Es empfiehlt sich, hörbehinderte Personen zur Wiederholung dessen zu veranlassen, was sie von Fragen, Zeugenaussagen oder mündlichen Erörterungen verstanden haben. Wenn sie auch mit technischen Hilfsmitteln zu einer Wiederholung nicht in der Lage sind oder von ihrem Wahlrecht nach § 186 Abs. 1 GVG keinen Gebrauch gemacht haben, ist darauf hinzuwirken, dass eine die Verständigung ermöglichende Maßnahme nach § 186 Abs. 2 GVG ergriffen wird.
(4) Bei Vernehmungen von geistig behinderten oder lernbehinderten Zeugen empfiehlt es sich, in geeigneten Fällen darauf hinzuwirken, dass nach Möglichkeit eine Vertrauensperson des Behinderten an der Vernehmung teilnimmt, die in der Lage ist, sprachlich zwischen diesem und dem Vernehmenden zu vermitteln.
(5) Bei Vernehmungen von hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten, Verurteilten oder nebenklageberechtigten Personen im vorbereitenden Verfahren soll, sofern dies zur Ausübung der strafprozessualen Rechte dieser Personen erforderlich ist, der Staatsanwalt darauf hinwirken, dass ein Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen wird.
22 Unterbrechung der Verjährung
Der Staatsanwalt hat während des ganzen Verfahrens darauf zu achten, dass die Verjährung rechtzeitig unterbrochen wird, besonders wenn kürzere Verjährungsfristen laufen. Dabei ist jedoch der Grundgedanke der Verjährung zu berücksichtigen und deren Eintritt nicht wahllos, vor allem nicht in minder schweren Fällen, die erst nach Jahren zur Aburteilung kämen, zu verhindern. Auf Nr. 274 wird hingewiesen.
23 Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk
(1) Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit ist mit Presse, Hörfunk und Fernsehen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben und ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zusammenzuarbeiten. Diese Unterrichtung darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden. Auch ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Interesse der Öffentlichkeit an einer vollständigen Berichterstattung gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten oder anderer Beteiligter, insbesondere auch des Verletzten, überwiegt. Eine unnötige Bloßstellung dieser Person ist zu vermeiden. Dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird in der Regel ohne Namensnennung entsprochen werden können. Auf die Nr. 129 Abs. 1, Nr. 219 Abs. 1 wird hingewiesen. Die entsprechenden Verwaltungsvorschriften der Länder sind zu beachten (vgl. auch Anlage B).
(2) Über die Anklageerhebung und Einzelheiten der Anklage darf die Öffentlichkeit grundsätzlich erst unterrichtet werden, nachdem die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder sonst bekannt gemacht worden ist.
24 Verkehr mit ausländischen Vertretungen
Für den Verkehr mit ausländischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik sind die Nr. 133 bis 137 RiVASt zu beachten.
2. Sammelverfahren, Fälle des § 18 BKAG und kontrollierte Transporte
25 Sammelverfahren
Im Interesse einer zügigen und wirksamen Strafverfolgung ist die Führung einheitlicher Ermittlungen als Sammelverfahren geboten, wenn der Verdacht mehrerer Straftaten besteht, eine Straftat den Bezirk mehrerer Staatsanwaltschaften berührt oder ein Zusammenhang mit einer Straftat im Bezirk einer anderen Staatsanwaltschaft besteht. Dies gilt nicht, sofern die Verschiedenartigkeit der Taten oder ein anderer wichtiger Grund entgegensteht.
26 Zuständigkeit
(1) Die Bearbeitung von Sammelverfahren obliegt dem Staatsanwalt, in dessen Bezirk der Schwerpunkt des Verfahrens liegt.
(2) Der Schwerpunkt bestimmt sich nach den gesamten Umständen des Tatkomplexes. Dabei sind vor allem zu berücksichtigen:
- die Zahl der Einzeltaten, der Täter oder der Zeugen;
- der Sitz einer Organisation;
- der Ort der geschäftlichen Niederlassung, wenn ein Zusammenhang mit der Tat besteht;
- der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des (Haupt-)Beschuldigten, wenn dieser für Planung, Leitung oder Abwicklung der Taten von Bedeutung ist;
- das Zusammenfallen des Wohnsitzes mit einem Tatort.
(3) Lässt sich der Schwerpunkt nicht feststellen, so ist der Staatsanwalt zuständig, der zuerst mit dem (Teil-)Sachverhalt befasst war.
(4) Die Führung eines Sammelverfahrens darf nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, dass wegen eines Teils der Taten bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist.
27 Verfahren bei Abgabe und Übernahme
(1) Ist die Führung eines Sammelverfahrens geboten, so soll der Staatsanwalt bei ihm anhängige Einzelverfahren unverzüglich unter Bezeichnung der Umstände, aus denen sich der Schwerpunkt des Verfahrens ergibt (Nr. 26 Abs. 2), an den für das Sammelverfahren zuständigen Staatsanwalt abgeben.
(2) Der um Übernahme gebetene Staatsanwalt hat unverzüglich, möglichst binnen drei Tagen, zu entscheiden, ob er das Verfahren übernimmt. Die Ablehnung der Übernahme ist zu begründen.
(3) Verbleibt der Staatsanwalt, dessen Verfahren nicht übernommen worden ist, bei seinem Standpunkt, so berichtet er dem Generalstaatsanwalt. Können die Generalstaatsanwälte eines Landes sich nicht binnen einer Woche über die Frage des Schwerpunkts einigen, so ist unverzüglich eine Entscheidung der Landesjustizverwaltung herbeizuführen; im übrigen ist nach § 143 Abs. 3 GVG zu verfahren.
(4) Bis zur Entscheidung über die Übernahme des Verfahrens hat der abgebende Staatsanwalt alle Amtshandlungen vorzunehmen, bei denen Gefahr im Verzuge ist.
(5) Der übernehmende Staatsanwalt setzt den Anzeigenden von der Übernahme des Verfahrens in Kenntnis, sofern dies nicht nach den Umständen entbehrlich ist.
28 Regelung zu § 18 BKAG
(1) Unterrichtet das Bundeskriminalamt die Generalstaatsanwälte nach § 18 BKAG darüber, dass es angezeigt erscheine, die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung einheitlich wahrzunehmen, so ist wie folgt zu verfahren:
- Der Generalstaatsanwalt, in dessen Bezirk ein Sammelverfahren geführt wird, stellt, wenn er eine Zuweisungsanordnung nach § 18 BKAG für erforderlich hält, unverzüglich, mö glichst binnen drei Tagen, das Einvernehmen für diese Anordnung mit der obersten Behörde der Innenverwaltung seines Landes her.
- Hält das Bundeskriminalamt es für angezeigt, dass die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung einem anderen als dem Land übertragen werden, in dem das staatsanwaltschaftliche Sammelverfahren geführt wird, so verständigen sich die beteiligten Generalstaatsanwälte unverzüglich, möglichst binnen drei Tagen, darüber, ob eine Zuweisungsanordnung erforderlich ist und ob das Sammelverfahren von einer Staatsanwaltschaft des vom Bundeskriminalamt bezeichneten Landes übernommen werden soll. Der Generalstaatsanwalt, in dessen Bezirk das Sammelverfahren übernommen werden soll, führt unverzüglich das für die Zuweisungsanordnung erforderliche Einvernehmen mit der obersten Behörde der Innenverwaltung seines Landes herbei .
- wird ein staatsanwaltschaftliches Sammelverfahren noch nicht geführt, so verständigen sich die beteiligten Generalstaatsanwälte fernmündlich oder fernschriftlich unverzüglich, möglichst binnen drei Tagen, darüber, ob die Einleitung eines Sammelverfahrens angezeigt ist und welche Staatsanwaltschaft das Sammelverfahren führen soll. Hält der Generalstaatsanwalt, in dessen Bezirk das Sammelverfahren geführt werden soll, eine Zuweisungsanordnung für erforderlich, so stellt er das Einvernehmen für diese Zuweisungsanordnung mit der obersten Behörde der Innenverwaltung seines Landes her.
(2) Bei der Entscheidung darüber, welche Staatsanwaltschaft ein Sammelverfahren führen soll, kann vor den sonstigen für die Führung von Sammelverfahren maßgebenden Gesichtspunkten kriminaltaktischen Erwägungen besondere Bedeutung zukommen. Können die Generalstaatsanwälte sich nicht einigen, so sind die zuständigen Landesjustizverwaltungen zu beteiligen.
(3) Der Generalstaatsanwalt, in dessen Bezirk das Sammelverfahren geführt wird, unterrichtet unverzüglich das Bundeskriminalamt über das Ergebnis seiner Verhandlungen mit der obersten Behörde der Innenverwaltung seines Landes und benennt gegebenenfalls die das Sammelverfahren führende Staatsanwaltschaft, deren Aktenzeichen sowie die sachbearbeitende Polizeidienststelle.
(4) Auch wenn die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Sammelverfahrens nicht in Betracht kommt, ist unter Berücksichtigung kriminaltaktischer Erwägungen zu prüfen, ob eine Zuweisungsanordnung nach § 18 BKAG erforderlich ist. Die beteiligten Generalstaatsanwälte verständigen sich unverzüglich, möglichst binnen drei Tagen, darüber, ob das Einvernehmen erklärt werden soll. Vor einer Entscheidung, dass das Einvernehmen zu einer Zuweisungsanordnung nicht erklärt werden soll, sind die zuständigen Landesjustizverwaltungen zu unterrichten. Ein beteiligter Generalstaatsanwalt des Landes, dem die polizeilichen Aufgaben insgesamt zugewiesen werden sollen, stellt das Einvernehmen für die Zuweisungsanordnung mit der obersten Behörde der Innenverwaltung seines Landes her und unterrichtet unverzüglich das Bundeskriminalamt über das Ergebnis der Verhandlungen.
(5) Hält der ein Sammelverfahren bearbeitende Staatsanwalt eine Zuweisungsanordnung des Bundeskriminalamtes für angezeigt, so berichtet er dem Generalstaatsanwalt. Hält der Generalstaatsanwalt eine solche Anordnung des Bundeskriminalamtes für erforderlich, so stellt er unverzüglich das Einvernehmen mit der obersten Behörde der Innenverwaltung seines Landes her und regt beim Bundeskriminalamt eine Zuweisungsanordnung an.
29 Mitteilung an das Bundeskriminalamt
Der Staatsanwalt, der ein Sammelverfahren führt, bittet alsbald das Bundeskriminalamt, dies in das Bundeskriminalblatt aufzunehmen.
29 a Kontrollierter Transport
Kontrollierte Durchfuhr ist der von den Strafverfolgungsbehörden überwachte illegale Transport von Betäubungsmitteln, Waffen, Diebesgut, Hehlerware u.ä. vom Ausland durch das Inland in ein Drittland; kontrollierte Ausfuhr ist der vom Inland ausgehende überwachte illegale Transport in das Ausland; kontrollierte Einfuhr ist der überwachte illegale Transport vom Ausland in das Inland.
29 b Voraussetzungen
(1) Ein kontrollierter Transport kommt nur in Betracht, wenn auf andere Weise die Hintermänner nicht ermittelt oder Verteilerwege nicht aufgedeckt werden können. Die Überwachung ist so zu gestalten, dass die Möglichkeit des Zugriffs auf Täter und Tatgegenstände jederzeit sichergestellt ist.
(2) Im übrigen müssen für Durchfuhr und Ausfuhr folgende Erklärungen der ausländischen Staaten vorliegen:
- Einverständnis mit der Einfuhr oder Durchfuhr;
- Zusicherung, den Transport ständig zu kontrollieren;
- Zusicherung, gegen die Kuriere, Hintermänner und Abnehmer zu ermitteln, die Betäubungsmittel, Waffen, das Diebesgut, die Hehlerware u. ä. sicherzustellen und die Verurteilung der Täter sowie die Strafvollstreckung anzustreben;
- Zusicherung, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden fortlaufend über den jeweiligen Verfahrensstand unterrichtet werden.
29 c Zuständigkeit
Bei der kontrollierten Durchfuhr führt, wenn wegen der Tat noch kein Ermittlungsverfahren bei einer deutschen Staatsanwaltschaft anhängig ist, das Verfahren grundsätzlich der Staatsanwalt, in dessen Bezirk der Grenzübergang liegt, über den die Tatgegenstände in das Inland verbracht werden. Dies gilt auch bei der kontrollierten Einfuhr. Bei der kontrollierten Ausfuhr führt das Verfahren grundsätzlich der Staatsanwalt, in dessen Bezirk der Transport beginnt.
29 d Zusammenarbeit
(1) Die Entscheidung über die Zulässigkeit des kontrollierten Transports trifft der zuständige Staatsanwalt (Nr. 29 c). Er unterrichtet den Staatsanwalt, in dessen Bezirk ein Transport voraussichtlich das Inland verlässt. Auch der für den Einfuhrort zuständige Staatsanwalt ist zu unterrichten, wenn ein anderer als dieser das Verfahren führt.
(2) Die Behörden und Beamten des Polizei- und Zolldienstes wenden sich grundsätzlich an den nach Nr. 29 c zuständigen Staatsanwalt.
3. Fälle des § 4 Abs. 1 bis 3 BKAG
30 Allgemeines
(1) Wird dem Staatsanwalt ein Sachverhalt bekannt, der den Verdacht einer der in § 4 Abs. 1 Satz 1 BKAG bezeichneten Straftaten begründet, so unterrichtet er unverzüglich, erforderlichenfalls fernschriftlich oder fernmündlich, das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt. Er erörtert die Art der Ermittlungsführung in dem erforderlichen Umfange mit dem Bundeskriminalamt.
(2) Hält der Staatsanwalt zu Beginn oder im weiteren Verlaufe des Verfahrens Sofortmaßnahmen für erforderlich, die von dem Bundeskriminalamt nicht getroffen werden können, so erteilt er die notwendigen Aufträge bei gleichzeitiger Benachrichtigung des Bundeskriminalamtes an die sonst zuständigen Polizeibehörden (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 BKAG).
(3) Die Benachrichtigung der in § 4 Abs. 3 Satz 1 BKAG bezeichneten Stellen obliegt in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BKAG dem Bundeskriminalamt, in den Fällen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BKAG der Stelle, von der die Anordnung oder der Auftrag ausgeht, es sei denn, diese Stellen übertragen im Einzelfalle die Benachrichtigung dem Bundeskriminalamt.
31 Verfahren in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKAG
(1) Die Frage, ob eine Zusammenhangstat im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKAG vorliegt, ist nach § 3 StPO zu beurteilen. Vor seiner Entscheidung soll sich der Staatsanwalt mit den beteiligten Polizeibehörden und dem Bundeskriminalamt ins Benehmen setzen.
(2) Bei seiner Entscheidung, ob die Ermittlungen einer anderen sonst zuständigen Polizeibehörde übertragen werden (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKAG), berücksichtigt der Staatsanwalt insbesondere, ob eine rasche und wirksame Aufklärung besser durch zentrale Ermittlungen des Bundeskriminalamtes oder durch Ermittlungen der Landespolizeibehörden erreicht werden kann. Vor seiner Entscheidung erörtert der Staatsanwalt die Sachlage mit dem Bundeskriminalamt und den Polizeidienststellen, die für die weitere Durchführung der Ermittlungen in Betracht kommen.
32 Verfahren in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 b BKAG
In den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 b BKAG führt der Staatsanwalt zugleich mit der Unterrichtung des Bundeskriminalamts (vgl. Nr. 30 Abs. 1) unmittelbar die nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BKAG erforderliche Zustimmung des Bundesministeriums des Innern herbei, es sei denn, dem Bundeskriminalamt ist wegen der Eilbedürftigkeit bereits die Zustimmung erteilt worden.
4. Leichenschau und Leichenöffnung
33 Voraussetzungen
(1) Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist oder wird die Leiche eines Unbekannten gefunden, so prüft der Staatsanwalt, ob eine Leichenschau oder eine Leichenöffnung erforderlich ist, Eine Leichenschau wird regelmäßig schon dann nötig sein, wenn eine Straftat als Todesursache nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Die Leichenschau soll möglichst am Tatort oder am Fundort der Leiche durchgeführt werden.
(2) Lässt sich auch bei der Leichenschau eine Straftat als Todesursache nicht ausschließen oder ist damit zu rechnen, dass die Feststellungen später angezweifelt werden, so veranlasst der Staatsanwalt grundsätzlich die Leichenöffnung. Dies gilt namentlich bei Sterbefällen von Personen, die sich in Haft oder sonst in amtlicher Verwahrung befunden haben.
(3) Die Leichenschau nimmt in der Regel der Staatsanwalt vor. Die Vornahme der Leichenschau durch den Richter und die Anwesenheit des Richters bei der Leichenöffnung sollen nur beantragt werden, wenn dies aus besonderen Gründen, etwa um die Verlesung der Niederschrift nach § 249 StPO zu ermöglichen, erforderlich ist.
(4) Der Staatsanwalt nimmt an der Leichenöffnung nur teil, wenn er dies nach seinem pflichtgemäßen Ermessen im Rahmen einer umfassenden Sachaufklärung für geboten erachtet, Eine Teilnahme des Staatsanwalts wird in der Regel in Betracht kommen in Kapitalsachen, nach tödlichen Unfällen zur Rekonstruktion des Unfallgeschehens, bei Todesfällen durch Schusswaffengebrauch im Dienst, bei Todesfällen im Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen oder in Verfahren, die ärztliche Behandlungsfehler zum Gegenstand haben.
34 Exhumierung
Bei der Ausgrabung einer Leiche sollte einer der Obduzenten anwesend sein. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist das Mittelstück der Bodenfläche des Sarges herauszunehmen und aufzubewahren; von dem Erdboden, auf dem der Sarg stand, und von dem gewachsenen Boden der Seitenwände des Grabes sind zur chemischen Untersuchung und zum Vergleich Proben zu entnehmen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, zur Ausgrabung und zur Sektion der Leiche den chemischen Sachverständigen eines Untersuchungsinstitutes beizuziehen, damit er die Aufnahme von Erde, Sargschmuck, Sargteilen, Kleiderstücken und Leichenteilen selbst vornehmen kann.
35 Entnahme von Leichenteilen
(1) Der Staatsanwalt hat darauf hinzuwirken, dass bei der Leichenöffnung Blut- und Harnproben, Mageninhalt oder Leichenteile entnommen werden, falls es möglich ist, dass der Sachverhalt durch deren eingehende Untersuchung weiter aufgeklärt werden kann. Manchmal, z. B. bei mutmaßlichem Vergiftungstod, wird es sich empfehlen, einen besonderen Sachverständigen zuzuziehen, der diese Bestandteile bezeichnet.
(2) Werden Leichenteile zur weiteren Begutachtung versandt, so ist eine Abschrift der Niederschrift über die Leichenöffnung beizufügen, Die Ermittlungsakten sind grundsätzlich nicht zu übersenden (vgl. Nr. 12).
36 Beschleunigung
(1) Leichenschau und Leichenöffnung sind mit größter Beschleunigung herbeizuführen, weil die ärztlichen Feststellungen über die Todesursache auch durch geringe Verzögerungen an Zuverlässigkeit verlieren können.
(2) Dies gilt besonders bei Leichen von Personen, die möglicherweise durch elektrischen Strom getötet worden sind; die durch Elektrizität verursachten Veränderungen werden durch Fäulniserscheinungen rasch verwischt. In der Regel wird es sich empfehlen, bereits bei der Leichenöffnung einen auf dem Gebiet der Elektrotechnik erfahrenen Sachverständigen zu beteiligen, In den Fällen, in denen eine Tötung durch elektrischen Strom wahrscheinlich ist, können Verletzungen oder andere Veränderungen oft gar nicht oder nur von einem besonders geschulten Sachverständigen festgestellt werden; daher kann es ferner geboten sein, in schwierig zu deutenden Fällen außer dem elektrotechnischen Sachverständigen nach Anhörung des Gerichtsarztes auch einen erfahrenen Pathologen zu der Leichenöffnung zuzuziehen.
37 Leichenöffnung in Krankenhäusern
Besteht der Verdacht, dass der Tod einer Person, die in einem Krankenhaus gestorben ist, durch eine Straftat verursacht wurde, so haben der Staatsanwalt und seine Ermittlungspersonen darauf hinzuwirken, dass die Leiche nicht von den Krankenhausärzten geöffnet wird. Da die Krankenhausärzte indes an der Leichenöffnung vielfach ein erhebliches wissenschaftliches Interesse haben, empfiehlt es sich, ihnen die Anwesenheit zu gestatten, sofern nicht gewichtige Bedenken entgegenstehen, Hat das Krankenhaus einen pathologisch besonders ausgebildeten Arzt zur Verfügung, so kann es zweckmäßig sein, auch ihn zu der Leichenöffnung zuzuziehen.
38 Feuerbestattung
Aus dem Bestattungsschein muss sich ergeben, ob auch die Feuerbestattung genehmigt wird. Bestehen gegen diese Bestattungsart Bedenken, weil dadurch die Leiche als Beweismittel verloren geht, so wird die Genehmigung hierfür zu versagen sein. Solange der Verdacht eines nicht natürlichen Todes besteht, empfiehlt es sich, die Feuerbestattung nur im Einvernehmen mit dem Arzt (§ 87 Abs. 2 Satz 3 StPO) zu genehmigen.
5. Fahndung
39 Allgemeines
(1) Ist der Täter nicht bekannt, hält er sich im Ausland auf oder ist sein Aufenthalt oder der eines wichtigen Zeugen nicht ermittelt, so veranlasst der Staatsanwalt die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen nach Maßgabe der §§ 131 bis 131 c StPO.
(2) Soweit erforderlich, veranlasst der Staatsanwalt nach Wegfall des Fahndungsgrundes unverzüglich die Rücknahme aller Fahndungsmaßnahmen.
40 Fahndungshilfsmittel
(1) Fahndungshilfsmittel des Staatsanwalts, die auch dann eingesetzt werden können, wenn die Voraussetzungen einer Öffentlichkeitsfahndung nicht gegeben sind, sind neben Auskünften von Behörden oder anderen Stellen insbesondere:
- das Bundeszentralregister,
das Verkehrszentralregister,
das Gewerbezentralregister,
das Ausländerzentralregister, - das EDV-Fahndungssystem der Polizei (INPOL),
- Dateien nach §§ 483 ff. StPO, die Fahndungsinformationen enthalten,
- das Bundeskriminalblatt und die Landeskriminalblätter,
- das Schengener Informationssystem (SIS).
(2) Sollen für eine Öffentlichkeitsfahndung Publikationsorgane in Anspruch genommen oder öffentlich zugängliche elektronische Medien wie das Internet genutzt werden, ist Anlage B zu beachten.
41 Fahndung nach dem Beschuldigten
(1) In den Fällen des § 131 StPO veranlasst der Staatsanwalt die Ausschreibung des Beschuldigten zur Festnahme und die Niederlegung eines entsprechenden Suchvermerks im Bundeszentralregister. Die Ausschreibung ist grundsätzlich auch dann bei der Polizeidienststelle zu veranlassen, die für die Dateneingabe in das Informationssystem der Polizei (INPOL) und ggf. auch in das Schengener Informationssystem (SIS) zuständig ist (vgl. auch Nr. 43), wenn der Haftbefehl (Unterbringungsbefehl) zur Auslösung einer gezielten Fahndung der für den mutmaßlichen Wohnsitz des Gesuchten zuständigen Polizeidienststelle übersandt wird. Der für die Dateneingabe zuständigen Polizeidienststelle ist eine beglaubigte Abschrift der Haftunterlagen zu übersenden. Wenn die überörtliche Ausschreibung aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht in Frage kommt, ist dies gegenüber der zur örtlichen Fahndung aufgeforderten Polizeidienststelle zum Ausdruck zu bringen.
(2) Bei auslieferungsfähigen Straftaten soll gleichzeitig mit Einleitung der nationalen Fahndung zur Festnahme einer Person auch international in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz gefahndet werden, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte vor, dass sich die gesuchte Person im Inland aufhält. Erfolgt keine internationale Fahndung zur Festnahme, ist die gesuchte Person im SIS zur Aufenthaltsermittlung auszuschreiben (Artikel 98 SDÜ - vgl. Anlage F). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen.
(3) Erfolgt eine Ausschreibung zur Festnahme nach Absatz 1, ohne dass ein Haft- oder Unterbringungsbefehl vorliegt, ist § 131 Abs. 2 Satz 2 StPO zu beachten. Nach Erlass des Haft- oder Unterbringungsbefehls ist die Ausschreibung entsprechend zu aktualisieren.
(4) Ist der Beschuldigte ausländischer Staatsangehöriger und liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass er sich im Ausland befindet, so setzt sich der Staatsanwalt, bevor er um Ausschreibung zur Festnahme ersucht, in der Regel mit der Ausländerbehörde in Verbindung. Besteht ein Aufenthaltsverbot oder sind bei einer späteren Abschiebung Schwierigkeiten zu erwarten, so prüft der Staatsanwalt bei Straftaten von geringerer Bedeutung, ob die Ausschreibung unterbleiben kann.
(5) Liegen die Voraussetzungen des § 131 StPO nicht vor, so veranlasst der Staatsanwalt die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung (§ 131 a StPO) und die Niederlegung eines entsprechenden Suchvermerkes im Bundeszentralregister. Er veranlasst ggf. daneben die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung im SIS nach Artikel 98 SDÜ.
(6) Ist der Beschuldigte im Zusammenhang mit einer Haftverschonung nach § 116 Abs. 1 Satz 2 StPO angewiesen worden, den Geltungsbereich der Strafprozessordnung nicht zu verlassen, so veranlasst der Staatsanwalt die Ausschreibung zur Festnahme im geschützten Grenzfahndungsbestand.
(7) Eine Fahndung zur polizeilichen Beobachtung wird unter den Voraussetzungen des § 163e StPO auch in Verbindung mit § 463a StPO durchgeführt. Liegen zusätzlich die Voraussetzungen des Artikels 99 Abs. 2 SDÜ vor, so kann auch eine Ausschreibung im SIS zur verdeckten Registrierung erfolgen (vgl. Anlage F).
42 Fahndung nach einem Zeugen
Ist der Aufenthalt eines wichtigen Zeugen nicht bekannt, so kann der Staatsanwalt nach Maßgabe der § 131a Abs. 1, Abs. 3 bis 5, § 131b Abs. 2 und 3, § 131c StPO eine Fahndung veranlassen. Ersuchen zur Aufnahme von Zeugen in die INPOL-Fahndung und ggf. in das SIS nach Artikel 98 SDÜ (vgl. Anlage F) sind an die für die Dateneingabe zuständige Polizeidienststelle zu richten.
43. Internationale Fahndung.
(1) In den in Nr. 41 Abs. 2 Satz 1 genannten Staaten wird durch das SIS gefahndet. In anderen Staaten erfolgt die Fahndung durch INTERPOL.
(2) Liegen Anhaltspunkte vor, dass sich die gesuchte Person in einem bestimmten Staat aufhält, so kann eine internationale Fahndung durch ein gezieltes Mitfahndungsersuchen veranlasst werden.
(3) Alle in Abs. 1 und 2 genannten Ausschreibungen zur internationalen Fahndung können zur Festnahme oder Aufenthaltsermittlung erfolgen. Die internationale Fahndung zur Festnahme ist nur einzuleiten, wenn beabsichtigt ist, ein Auslieferungsersuchen anzuregen oder zu stellen.
(4) Zeugen können zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben werden.
(5) Für die internationale Fahndung nach Personen, einschließlich der Fahndung nach Personen im SIS und aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, gelten die hierfür erlassenen Richtlinien (vgl. Anlage F).
6. Vernehmung des Beschuldigten
44 Ladung und Aussagegenehmigung
(1) Die Ladung eines Beschuldigten soll erkennen lassen, dass er als Beschuldigter vernommen werden soll. Der Gegenstand der Beschuldigung wird dabei kurz anzugeben sein, wenn und soweit es mit dem Zweck der Untersuchung vereinbar ist. Der Beschuldigte ist durch Brief, nicht durch Postkarte, zu laden.
(2) In der Ladung zu einer richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmung sollen Zwangsmaß nahmen für den Fall des Ausbleibens nur angedroht werden, wenn sie gegen den unentschuldigt ausgebliebenen Beschuldigten voraussichtlich auch durchgeführt werden.
(3) Soll ein Richter, Beamter oder eine andere Person des öffentlichen Dienstes als Beschuldigter vernommen werden und erstreckt sich die Vernehmung auf Umstände, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen können, so ist der Beschuldigte in der Ladung darauf hinzuweisen, dass er, sofern er sich zu der Beschuldigung äußern will, einer Aussagegenehmigung des Dienstherrn bedarf. Erklärt der Beschuldigte seine Aussagebereitschaft, soll ihm Gelegenheit gegeben werden, diese Aussagegenehmigung einzuholen. Im Übrigen gilt Nr. 66 Abs. 2 und 3 entsprechend.
45 Form der Vernehmung und Niederschrift
(1) Die Belehrung des Beschuldigten vor seiner ersten Vernehmung nach §§ 136 Abs. 1, 163 a Abs. 3 Satz 2 StPO ist aktenkundig zu machen.
(2) Für bedeutsam Teile der Vernehmung empfiehlt es sich, die Fragen, Vorhalte und Antworten möglichst wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen, Legt der Beschuldigte ein Geständnis ab, so sind die Einzelheiten der Tat möglichst mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Es ist darauf zu achten, dass besonders solche Umstände aktenkundig gemacht werden, die nur der Täter wissen kann. Die Namen der Personen, die das Geständnis mit angehört haben, sind zu vermerken.
7. Untersuchungshaft, einstweilige Unterbringung und sonstige Maßnahmen zur Sicherstellung der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung
46 Begründung der Anträge in Haftsachen
(1) Der Staatsanwalt hat alle Anträge und Erklärungen, welche die Anordnung, Fortdauer und Aufhebung der Untersuchungshaft betreffen, zu begründen und dabei die Tatsachen anzuführen, aus denen sich
- der dringende Tatverdacht,
- der Haftgrund
ergeben.
(2) Wenn die Anwendung des § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO nahe liegt, hat der Staatsanwalt darzulegen, weshalb er auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Anordnung der Untersuchungshaft für geboten hält.
(3) Soweit durch Bekanntwerden der angeführten Tatsachen die Staatssicherheit gefährdet wird, ist auf diese Gefahr besonders hinzuweisen (§ 114 Abs. 2 Nr. 4 StPO).
(4) Besteht in den Fällen des § 112 Abs. 3 und des § 112 a Abs. 1 StPO auch ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO, so sind die Feststellungen hierüber aktenkundig zu machen.
47 (gestrichen)
48 Abschrift des Haftbefehls für den Beschuldigten
(1) Um sicherzustellen, dass dem Beschuldigten bei der Verhaftung eine Abschrift des Haftbefehls und gegebenenfalls eine Übersetzung in einer für ihn verständlichen Sprache ausgehändigt wird (vgl. § 114a Satz 1 StPO), empfiehlt es sich, entsprechende Abschriften bei den Akten bereitzuhalten.
(2) Wird eine bestimmte Polizeibehörde auf Grund eines Haftbefehls um die Festnahme des Beschuldigten ersucht, so ist dem Ersuchen eine Abschrift des Haftbefehls und gegebenenfalls eine Übersetzung für den Beschuldigten beizufügen, wenn dies möglich ist.
49 Unterrichtung der Vollzugsanstalt
Umstände, welche die Besorgnis begründen, dass ein Untersuchungsgefangener die Ordnung in der Anstalt beeinträchtigt oder sich selbst gefährdet, sind der Vollzugsanstalt unverzüglich mitzuteilen (vgl. § 114d Abs. 1 Satz 2 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 StPO).
50 Untersuchungshaft bei Soldaten der Bundeswehr
Kann den Erfordernissen der Untersuchungshaft während des Vollzuges von Freiheitsstrafe, Strafarrest, Jugendarrest oder Disziplinararrest durch Behörden der Bundeswehr nicht Rechnung getragen werden, so prüft der Staatsanwalt, ob der Soldat im dortigen Vollzug verbleiben kann oder ob die Vollstreckung zu unterbrechen oder die Übernahme des Soldaten in den allgemeinen Vollzug erforderlich ist.
51 Symbolische Vorführung
Kann eine vorläufig festgenommene Person wegen Krankheit nicht in der vorgeschriebenen Frist (§ 128 StPO) dem Richter vorgeführt werden, so sind diesem die Akten innerhalb der Frist vorzulegen, damit er den Festgenommenen nach Möglichkeit an dem Verwahrungsort vernehmen und unverzüglich entscheiden kann, ob ein Haftbefehl zu erlassen ist.
52 Kennzeichnung der Haftsachen
In Haftsachen erhalten alle Verfügungen und ihre Ausfertigungen den deutlich sichtbaren Vermerk "Haft". Befindet sich der Beschuldigte in anderer Sache in Haft, so ist auch dies ersichtlich zu machen.
53. Ausländische Staatsangehörige und staatenlose Personen.
Wird ein ausländischer Staatsangehöriger in Untersuchungshaft genommen (vgl. § 114b Abs. 2 Satz 3 StPO), so sind für seinen Verkehr mit der diplomatischen oder konsularischen Vertretung seines Landes die Nr. 135 und 136 RiVASt und die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften der Länder zu beachten. Dies gilt für staatenlose Personen mit der Maßgabe entsprechend, dass diese berechtigt sind, mit dem nächsten zuständigen Vertreter des Staates, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, in Verbindung zu treten.
54 Überwachung, Haftprüfung
(1) Der Staatsanwalt achtet in jeder Lage des Verfahrens darauf,
- ob die Voraussetzungen der Untersuchungshaft noch vorliegen und ob die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht außer Verhältnis steht (§ 120 StPO);
- ob der Zweck der Untersuchungshaft nicht auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann (§ 116 Abs. 1 bis 3 StPO).
Gegebenenfalls stellt er die entsprechenden Anträge.
(2) Der Staatsanwalt achtet darauf, dass das Gericht einem Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird, einen Verteidiger bestellt (vgl. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO). Es empfiehlt sich, zugleich mit der Belehrung nach § 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StPO zu klären, ob der Beschuldigte bereits einen Verteidiger gewählt hat oder die Bestellung eines Verteidigers seiner Wahl wünscht.
(3) Haftprüfungen und Haftbeschwerden sollen den Fortgang der Ermittlungen nicht aufhalten.
55 Anordnung der Freilassung des Verhafteten
(1) Wird der Haftbefehl aufgehoben, so ordnet das Gericht zugleich die Freilassung des Untersuchungsgefangenen an.
(2) Wird der Haftbefehl in der Hauptverhandlung aufgehoben, so wird der Angeklagte sofort freigelassen, wenn keine Überhaft vorgemerkt ist. Jedoch kann der Hinweis an ihn angebracht sein, dass es sich empfiehlt in die Anstalt zurückzukehren, um die Entlassungsförmlichkeiten zu erledigen.
(3) Der Staatsanwalt achtet darauf, dass der Verhaftete nach Aufhebung des Haftbefehls entlassen wird. Beantragt er vor Erhebung der öffentlichen Klage die Aufhebung des Haftbefehls, so ordnet er gleichzeitig die Freilassung des Beschuldigten an (§ 120 Abs. 3 Satz 2 StPO).
56 Haft über sechs Monate
(1) Ist es geboten, die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten, und liegen die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO vor, so leitet der Staatsanwalt die Akten dem zuständigen Gericht (§§ 122, 125, 126 StPO) so rechtzeitig zu, dass dieses sie durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist dem Oberlandesgericht oder in den Fällen des § 120 GVG dem Bundesgerichtshof vorlegen kann. Liegen die Akten dem zuständigen Gericht bereits vor, so wirkt der Staatsanwalt. auf die rechtzeitige Vorlage der Akten hin, Er legt die Gründe dar, die nach seiner Auffassung die Fortdauer der Haft über sechs Monate hinaus rechtfertigen. Zugleich beantragt er, falls erforderlich, eine dem letzten Ermittlungsstand entsprechende Ergänzung oder sonstige Änderung des Haftbefehls.
(2) Die Akten sind besonders zu kennzeichnen, Sie sind mit Vorrang zu behandeln und beschleunigt zu befördern,
(3) Hat das Oberlandesgericht oder in den Fällen des 120 GVG der Bundesgerichtshof die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet, so sorgt der Staatsanwalt dafür, dass auch die weiteren nach § § 122 Abs. 3 und 4, 122 a StPO erforderlichen gerichtlichen Entscheidungen rechtzeitig herbeigeführt werden.
(4) Soll eine Entscheidung des Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs nicht herbeigeführt werden, so hat der Staatsanwalt dafür Sorge zu tragen, dass der Haftbefehl nach Ablauf der Frist von 6 Monaten aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt wird (§§ 121 Abs. 2, 120 Abs. 3 StPO).
57 Aussetzung des Vollzugs
(1) Hat der Richter den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 StPO ausgesetzt, so überwacht der Staatsanwalt, ob die erteilten Anweisungen befolgt werden.
(2) Liegen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO vor, so beantragt der Staatsanwalt, den Vollzug des Haftbefehls anzuordnen. In den Fällen des § 123 Abs. 1 StPO beantragt er, die nach § 116 StPO angeordneten Maßnahmen aufzuheben.
(3) Bei der Erteilung von Anweisungen nach § 116 StPO an Soldaten der Bundeswehr sollte der Eigenart des Wehrdienstes Rechnung getragen werden. Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass Anweisungen, denen der zur Truppe zurückgekehrte Soldat nur schwer nachkommen kann, oder die dem nicht rückkehrwilligen Soldaten Anlass zu dem Versuch geben könnten, sein Fernbleiben von der Truppe zu rechtfertigen, vermieden werden. Es kann sich daher empfehlen, eine Anweisung an den Soldaten anzuregen, sich bei seiner Einheit (Disziplinarvorgesetzten) zu melden (§ 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO).
58 Unterbringung von Untersuchungsgefangenen in einem Krankenhaus
(1) Muss ein Untersuchungsgefangener in einem Krankenhaus außerhalb der Vollzugsanstalt ärztlich behandelt werden, so rechtfertigt dies allein die Aufhebung des Haftbefehls nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft wegen der Krankheit weggefallen sind.
(2) Hebt der Richter wegen der Art, der Schwere oder der voraussichtlichen Dauer der Krankheit den Haftbefehl auf, so ist es nicht Aufgabe der Justizbehörden, den Beschuldigten in einem Krankenhaus unterzubringen, vielmehr ist es den Verwaltungsbehörden zu überlassen, notwendige Maßnahmen zu treffen.
(3) Wird der Haftbefehl aufgehoben, nachdem der Beschuldigte in einem Krankenhaus untergebracht worden ist, so teilt der Staatsanwalt die Aufhebung des Haftbefehls und die Haftentlassung dem Beschuldigten selbst und dem Krankenhaus unverzüglich mit. Dem Krankenhaus ist gleichzeitig zu eröffnen, dass der Justizfiskus für die weiteren Kosten der Unterbringung und Behandlung nicht mehr aufkommt. Die Polizei darf nicht im voraus ersucht werden, den Beschuldigten nach seiner Heilung erneut vorläufig festzunehmen oder zu diesem Zweck den Heilungsverlauf zu überwachen; auch darf nicht gebeten werden, die Entlassung mitzuteilen, da solche Maßnahmen dahin ausgelegt werden könnten, dass die Untersuchungshaft trotz der Entlassung tatsächlich aufrechterhalten werden soll und der Justizfiskus für die Kosten der Unterbringung und Behandlung in Anspruch genommen werden kann.
(4) Wird der Haftbefehl trotz der Krankheit aufrechterhalten, so rechtfertigt es allein der Umstand, dass der Verhaftete vorübergehend in einem Krankenhaus unterzubringen ist, nicht, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Der Beschuldigte ist vielmehr auf Kosten des Justizfiskus unterzubringen.
59 Einstweilige Unterbringung
Auf die einstweilige Unterbringung sind die Nr. 46 bis 55 sinngemäß anzuwenden.
60 Besondere Maßnahmen zur Sicherung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung
Im Rahmen der besonderen Maßnahmen (§§ 127 a, 132 StPO) zur Sicherung der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung gegen Beschuldigte, die im Geltungsbereich der StPO keinen Wohnsitz haben, sind bei der Bemessung der Sicherheitsleistung die bei einschlägigen Straftaten erfahrungsgemäß festgesetzten Beträge für Geldstrafen und Kosten zugrunde zu legen, Kann der Beschuldigte einen Zustellungsbevollmächtigten eigener Wahl zunächst nicht benennen, so ist er darauf hinzuweisen, dass er einen Rechtsanwalt oder einen hierzu bereiten Beamten der Geschäftsstelle des zuständigen Amtsgerichts bevollmächtigen kann.
8. Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus
61 Allgemeines
(1) Der für die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 81 Abs. 2 Satz 2 StPO) ist auch bei der Vollstreckung der Anordnung zu beachten.
(2) Der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte darf in der Regel erst dann zwangsweise in das psychiatrische Krankenhaus verbracht werden, wenn er unter Androhung der zwangsweisen Zuführung für den Fall der Nichtbefolgung aufgefordert worden ist, sich innerhalb einer bestimmten Frist in dem psychiatrischen Krankenhaus zu stellen, und er dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist. Einer solchen Aufforderung bedarf es nicht, wenn zu erwarten ist, dass der Beschuldigte sie nicht befolgt.
62 Dauer und Vorbereitung der Beobachtung
(1) Der Sachverständige ist darauf hinzuweisen, dass die Unterbringung nicht länger dauern darf, als zur Beobachtung des Beschuldigten unbedingt notwendig ist, dass dieser entlassen werden muss, sobald der Zweck der Beobachtung erreicht ist, und dass das gesetzliche Höchstmaß von 6 Wochen keinesfalls überschritten werden darf.
(2) Der Sachverständige ist zu veranlassen, die Vorgeschichte möglichst vor der Aufnahme des Beschuldigten in die Anstalt zu erheben. Dazu sind ihm ausreichende Zeit vorher die Akten und Beiakten, besonders Akten früherer Straf- und Ermittlungsverfahren, Akten über den Aufenthalt in Justizvollzugsanstalten, in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus (mit Krankenblättern), Betreuungs- Entmündigungs-, Pflegschafts-, Ehescheidungs- und Rentenakten zugänglich zu machen, soweit sie für die Begutachtung von Bedeutung sein können.
(3) Angaben des Verteidigers, des Beschuldigten oder seiner Angehörigen, die für die Begutachtung von Bedeutung sind, z. B. über Erkrankungen, Verletzungen, auffälliges verhalten, sind möglichst schnell nachzuprüfen, damit sie der Gutachter verwerten kann.
(4) Sobald der Beschluss nach § 81 StPO rechtskräftig ist, soll sich der Staatsanwalt mit dem Leiter des psychiatrischen Krankenhauses fernmündlich darüber verständigen, wann der Beschuldigte aufgenommen werden kann.
63 Strafverfahren gegen Hirnverletzte
(1) In Strafverfahren gegen Hirnverletzte empfiehlt es sich in der Regel, einen Facharzt für Nerven- und Gemütsleiden (Neurologie und Psychiatrie) oder einen auf einem dieser Fachgebiete vorgebildeten und besonders erfahrenen Arzt als Gutachter heranzuziehen.
(2) Die Kranken- und Versorgungsakten sind in der Regel für die fachärztliche Begutachtung von Bedeutung; sie sind daher rechtzeitig beizufügen. Soweit möglich, sollte der Staatsanwalt auf die Einwilligung des Beschuldigten hinwirken. Im übrigen sind die Vorschriften der §§ 67 ff. SGB X, insbesondere § 73 SGB X, zu beachten.
9. Zeugen
64 Ladung
(1) Die Ladung eines Zeugen muss erkennen lassen, dass er als Zeuge vernommen werden soll. Der Name des Beschuldigten ist anzugeben, wenn der Zweck der Untersuchung es nicht verbietet, der Gegenstand der Beschuldigung nur dann, wenn dies zur Vorbereitung der Aussage durch den Zeugen erforderlich ist. Mit der Ladung ist der Zeuge auf die seinem Interesse dienenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen und die vorhandene Möglichkeit der Zeugenbetreuung hinzuweisen.
(2) Ist anzunehmen, dass der Zeuge Schriftstücke oder andere Beweismittel besitzt, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können, so soll er in der Ladung aufgefordert werden, sie bei der Vernehmung vorzulegen.
(3) Die Zeugen sollen durch einfachen Brief, nicht durch Postkarte, geladen werden. Nur bei vorliegen besonderer Umstände ist die Ladung zuzustellen. Wegen der Ladung zur Hauptverhandlung wird auf Nr. 117 hingewiesen.
65 Belehrung des Zeugen
Die Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO und sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO (§ 163 a Abs. 5 StPO) ist aktenkundig zu machen, Entsprechendes gilt für eine Belehrung seines gesetzlichen Vertreters.
66 Vernehmung von Personen des öffentlichen Dienstes
(1) Soll ein Richter, ein Beamter oder eine andere Person des öffentlichen Dienstes als Zeuge vernommen werden und erstreckt sich die Vernehmung auf Umstände, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, so holt die Stelle, die den Zeugen vernehmen will, die Aussagegenehmigung von Amts wegen ein. Bestehen Zweifel, ob sich die Vernehmung auf Umstände, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, erstrecken kann, so ist dies vor der Vernehmung durch eine Anfrage bei dem Dienstvorgesetzten zu klären.
(2) Um die Genehmigung ist der Dienstvorgesetzte zu ersuchen, dem der Zeuge im Zeitpunkt der Vernehmung untersteht oder dem er im Falle des § 54 Abs. 4 StPO zuletzt unterstanden hat.
(3) Der Antrag auf Erteilung einer Aussagegenehmigung muss die Vorgänge, über die der Zeuge vernommen werden soll, kurz, aber erschöpfend angeben, damit der Dienstvorgesetzte beurteilen kann, ob Versagungsgründe vorliegen. Der Antrag ist so rechtzeitig zu stellen, dass der Dienstvorgesetzte ihn prüfen und seine Entscheidung noch vor dem Termin mitteilen kann. In eiligen Sachen wird deshalb die Aussagegenehmigung schon vor der Anberaumung des Termins einzuholen sein.
67 Schriftliche Aussage
(1) In geeigneten Fällen kann es ausreichen, dass ein Zeuge sich über bestimmte Fragen zunächst nur schriftlich äußert, vorausgesetzt, dass er glaubwürdig erscheint und eine vollständige Auskunft von ihm erwartet werden kann. In dieser Weise zu verfahren, empfiehlt sich besonders dann, wenn der Zeuge für seine Aussage Akten, Geschäftsbücher oder andere umfangreiche Schriftstücke braucht.
(2) Befindet sich der Zeuge im Ausland, so ist bei der schriftlichen Befragung Nr. 121 RiVASt zu beachten.
68 Behördliches Zeugnis
Die Vernehmung von Zeugen kann entbehrlich sein, wenn zum Beweis einer Tatsache die schriftliche Erklärung einer öffentlichen Behörde genügt. In geeigneten Fällen wird der Staatsanwalt daher ein behördliches Zeugnis einholen, das in der Hauptverhandlung verlesen werden kann (§ 256 StPO).
10. Sachverständige
69 Allgemeines
Ein Sachverständiger soll nur zugezogen werden, wenn sein Gutachten für die vollständige Aufklärung des Sachverhalts unentbehrlich ist. Nr. 68 gilt sinngemäß.
70 Auswahl des Sachverständigen und Belehrung
(1) Während des Ermittlungsverfahrens gibt der Staatsanwalt dem Verteidiger Gelegenheit, vor Auswahl eines Sachverständigen Stellung zu nehmen, es sei denn, dass der Gegenstand der Untersuchung ein häufig wiederkehrender, tatsächlich gleichartiger Sachverhalt (z. B. Blutalkoholgutachten) ist oder eine Gefährdung des Untersuchungszwecks (vgl. § 147 Abs. 2 StPO) oder eine Verzögerung des Verfahrens zu besorgen ist.
(2) Ist dem Staatsanwalt kein geeigneter Sachverständiger bekannt, so ersucht er die Berufsorganisation oder die Behörde um Vorschläge, in deren Geschäftsbereich die zu begutachtende Frage fällt.
(3) Es empfiehlt sich, für die wichtigsten Gebiete Verzeichnisse bewährter Sachverständiger zu führen, damit das Verfahren nicht durch die Auswahl von Sachverständigen verzögert wird.
(4) Sollen Personen des öffentlichen Dienstes als Sachverständige vernommen werden, so gilt Nr. 66 sinngemäß.
(5) Für die Belehrung des Sachverständigen gilt Nr. 65 entsprechend.
71 Arbeitsunfälle
Bei Arbeitsunfällen empfiehlt es sich, der für den Betrieb zuständigen Berufsgenossenschaft oder ihren technischen Aufsichtsbeamten neben den für die Gewerbeaufsicht zuständigen Stellen Gelegenheit zu geben, sich gutachtlich zu äußern. Auch kann es geboten sein, sie schon zur Besichtigung der Unfallstelle zuzuziehen.
72 Beschleunigung
(1) Vor Beauftragung des Sachverständigen soll gegebenenfalls geklärt werden, ob dieser in der Lage ist, das Gutachten in angemessener Zeit zu erstatten.
(2) Dem Sachverständigen ist ein genau umgrenzter Auftrag zu erteilen; nach Möglichkeit sind bestimmte Fragen zu stellen. Oft ist es zweckmäßig, die entscheidenden Gesichtspunkte vorher mündlich zu erörtern.
(3) Bis zur Erstattung des Gutachtens wird der Staatsanwalt sonst noch fehlende Ermittlungen durchfuhren.
(4) Bestehen Zweifel an der Eignung des Sachverständigen, so ist alsbald zu prüfen, ob ein anderer Sachverständiger beauftragt werden muss.
11. Akten über Vorstrafen
73
Ist wegen der Vorstrafen des Beschuldigten zu prüfen, ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) in Betracht kommt, oder kann es für die Strafbemessung wichtig sein, dass der Beschuldigte wegen gleichartiger Straftaten vorbestraft ist, so sind die vollständigen Akten beizuziehen.
11 a. Durchsuchung und Beschlagnahme
73 a
Durchsuchung und Beschlagnahme stellen erhebliche Eingriffe in die Rechte des Betroffenen dar und bedürfen daher im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer sorgfältigen Abwägung. Bei der Prüfung, ob bei einem Zeugnisverweigerungsberechtigten die Voraussetzungen f ür eine solche Maßnahme vorliegen (§ 97 Abs.2 Satz 3, Abs.5 Satz 2 StPO), ist ein strenger Maßstab anzulegen.
12. Behandlung der amtlich verwahrten Gegenstände
74 Sorgfältige Verwahrung
Gegenstände, die in einem Strafverfahren beschlagnahmt oder sonst in amtliche Verwahrung genommen worden sind, müssen zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen vor Verlust, Entwertung oder Beschädigung geschätzt werden. Die Verantwortung hierfür trifft zunächst den Beamten, der die Beschlagnahme vornimmt; sie geht auf die Stelle (Staatsanwaltschaft oder Gericht) über, der die weitere Verfügung über den verwahrten Gegenstand zusteht. Die Verwaltungsvorschriften der Länder über die Verwahrung sind zu beachten.
75 Herausgabe
(1) Sachen, deren Einziehung, Verfall oder Unbrauchbarmachung nicht in Betracht kommt, sind vorbehaltlich einer anderen Entscheidung nach § 111 i StPO herauszugeben, sobald sie für das Strafverfahren entbehrlich sind.
(2) Die Sachen werden an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben, es sei denn, dass dieser der Herausgabe an einen anderen zugestimmt hat oder ein Fall des § 111k StPO vorliegt. Die Abs. 3 und 4 bleiben unberührt. Sind gefährliche Sachen an einen Gefangenen oder Untergebrachten herauszugeben, so sind diese an die Leitung der Justizvollzugsanstalt oder Unterbringungseinrichtung unter Hinweis auf die Gefährlichkeit zu übersenden.
(3) Stehen der Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber oder an eine von ihm benannte Person offensichtlich begründete Ansprüche eines Dritten entgegen, so werden die Sachen an diesen herausgegeben. Bestehen lediglich Anhaltspunkte für die Berechtigung eines Dritten, so kann der Staatsanwalt diesem unter Bestimmung einer Frist Gelegenheit zu ihrem Nachweis geben. Lässt der Dritte die Frist ungenutzt verstreichen, so wird der Gegenstand an den letzten Gewahrsamsinhaber oder an eine von ihm benannte Person herausgegeben.
(4) Ergibt sich im Laufe der Ermittlungen zweifelsfrei, dass eine Sache unrechtmäßig in die Hand des letzten Gewahrsamsinhabers gekommen ist, lässt sich der Verletzte aber nicht ermitteln, so ist nach § 983 BGB und den dazu erlassenen Vorschriften zu verfahren.
(5) In der Herausgabeanordnung sind die Sachen und der Empfangsberechtigte genau zu bezeichnen. Die Sachen dürfen nur gegen eine Bescheinigung des Empfangsberechtigten oder dessen ausgewiesenen Bevollmächtigten herausgegeben werden. Anordnung und Herausgabe sind aktenkundig zu machen.
76 Beweissicherung
Vor der Notveräußerung, vor der Herausgabe oder bei drohendem Verderb eines Überführungsstückes prüft der Staatsanwalt, ob eine fotografische oder andere kriminaltechnische Sicherung des Überführungsstückes erforderlich ist.
13. Beschlagnahme von Postsendungen
77 Umfang der Beschlagnahme
(1) In dem Antrag auf Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie in einer Beschlagnahmeanordnung des Staatsanwalts sind die Briefe, Telegramme und andere Sendungen nach ihren äußeren Merkmalen so genau zu bezeichnen, dass Zweifel über den Umfang der Beschlagnahme ausgeschlossen sind.
(2) Der Staatsanwalt prüft, ob die Beschlagnahme aller Postsendungen und Telegramme an bestimmte Empfänger notwendig ist oder ob sie auf einzelne Gattungen von Sendungen beschränkt werden kann. Durch die Beschränkung und den Umstand, dass andere Sendungen ausgeliefert werden, kann verhindert werden, dass die Beschlagnahme vorzeitig bekannt wird.
(3) Für die einzelnen Gattungen von Sendungen können folgende Bezeichnungen verwendet werden:
- Briefsendungen (§ 4 Nr. 2 Postgesetz);
- adressierte Pakete;
- Postanweisungen, Zahlungsanweisungen und Zahlkarten;
- Bücher, Kataloge, Zeitungen oder Zeitschriften;
- Telegramme.
Soll die Beschlagnahme auf einen engeren Kreis von Sendungen beschränkt werden, so ist deren Art in der Beschlagnahmeanordnung so zu beschreiben, dass der Adressat die betreffenden Sendungen eindeutig identifizieren kann. Erforderlichenfalls ist die Formulierung durch Rücksprache mit den jeweils als Adressaten in Betracht kommenden Personen oder Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- und Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken (Post- oder Telekommunikationsunternehmen), zu klären.
(4) Auf dem Aktenumschlag ist der Vermerk "Postbeschlagnahme" deutlich anzubringen.
78 Inhalt der Beschlagnahmeanordnung
(1) Die Beschlagnahme von Sendungen, die bei einer inländischen Betriebsstätte eines Post- oder Telekommunikationsunternehmens für einen bestimmten Empfänger eingehen, z. B. an den Beschuldigten oder an eine von ihm verwendete Deckanschrift, ist in der Regel anderen Möglichkeiten vorzuziehen. Der volle Name, bei häufig wiederkehrenden Namen, zumal in Großstädten, auch andere Unterscheidungsmerkmale, der Bestimmungsort, bei größeren Orten die Straße und die Hausnummer und die Betriebsstätte eines Post- oder Telekommunikationsunternehmens, sind anzugeben.
(2) Bei der Beschlagnahme von Sendungen nach anderen Merkmalen, z. B. eines bestimmten Absenders, ist die Annahme-/Einlieferungsstelle des jeweiligen Post- oder Telekommunikationsunternehmens zu bezeichnen, bei der die Einlieferung erwartet wird. Dasselbe gilt, wenn Sendungen an bestimmte Empfänger nicht bei der Auslieferungsstelle, z. B. weil diese im Ausland liegt, sondern bei anderen Betriebsstätten beschlagnahmt werden sollen. Beschlagnahmen solcher Art sollen nur beantragt werden, wenn sie unentbehrlich sind. In diesen Ausnahmefällen sind alle Merkmale, nach denen die Beschlagnahme ausgeführt werden soll, so genau zu beschreiben, dass kein Zweifel darüber besteht, welche Sendungen das Unternehmen auszuliefern hat.
(3) In zweifelhaften oder schwierigen Fällen wird sich der Staatsanwalt vorher mit dem betreffenden Post- oder Telekommunikationsunternehmen darüber verständigen, wie die Beschlagnahme am zweckmäßigsten durchgeführt wird.
79 Verfahren bei der Beschlagnahme
Der Staatsanwalt prüft, welche Post- oder Telekommunikationsunternehmen als Adressaten einer Beschlagnahmeanordnung in Betracht kommen. Hierzu ist zunächst festzustellen, welche Unternehmen eine Lizenz für die Beförderung von Sendungen der zu beschlagnahmenden Art in dem betreffenden geographischen Bereich besitzen. Die Beschlagnahmeanordnung ist allen Post- oder Telekommunikationsunternehmen zu übersenden, bei welchen die Beschlagnahme erfolgen soll. In Zweifelsfällen ist bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Tulpenfeld 4, 53113 Bonn) festzustellen, welche Unternehmen als Adressaten einer Beschlagnahmeanordnung in Betracht kommen.* Bei der Adressierung der Beschlagnahmeanordnung ist die jeweilige Betriebsstruktur des Adressaten zu beachten (z. B. das Bestehen rechtlich selbständiger Niederlassungen, Franchise- Unternehmen). In Zweifelsfällen empfiehlt sich eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Unternehmen.
* Eine Aufstellung der Lizenzunternehmen kann im Internet abgerufen werden unter www.regtp.de/reg_post/start/fs_07.html
80 Aufhebung der Beschlagnahme
(1) Die Beschlagnahme soll in der Regel von vornherein auf eine bestimmte Zeit (etwa einen Monat) beschränkt werden. Wegen der mit jeder Beschlagnahme verbundenen Verzögerung der Postzustellung achtet der Staatsanwalt darauf, dass die Beschlagnahme nicht länger als erforderlich aufrechterhalten wird.
(2) Sobald ein Beschlagnahmebeschluss erledigt ist, beantragt der Staatsanwalt unverzüglich, ihn aufzuheben und verständigt sofort die betroffenen Post- oder Telekommunikationsunternehmen.
(3) Der Vermerk "Postbeschlagnahme" (Nr. 77 Abs. 4) ist zu beseitigen.
81 Postsendungen mit staatsgefährdenden Schriften
Bei Postsendungen mit staatsgefährdenden Schriften ist Nr. 208 zu beachten.
82 (gestrichen)
83 (gestrichen)
14. Auskunft über den Postverkehr und die Telekommunikation
84 Postsendungen
Statt einer Beschlagnahme kann der Richter, unter den Voraussetzungen des § 100 StPO auch der Staatsanwalt, von Postunternehmen Auskunft über Postsendungen verlangen, die von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind. Die Auskunft wird auch über solche Postsendungen erteilt, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr im Machtbereich des Postunternehmens befinden.
85 Telekommunikation
Der Richter, unter den Voraussetzungen des § 100 h Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 100 b Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO auch die Staatsanwaltschaft, kann nach § 100 g StPO von Telekommunikationsunternehmen Auskunft über abgeschlossene und zukünftige Telekommunikationsverbindungen verlangen. Soweit danach keine Auskunft verlangt werden kann (z. B. Auskunft über die Standortkennung eines Mobiltelefons, wenn kein Fall einer Telekommunikationsverbindung besteht) sind Maßnahmen nach § § 100a, 100b StPO zu prüfen.
15. Öffentliches Interesse bei Privatklagesachen
86 Allgemeines
(1) Sobald der Staatsanwalt von einer Straftat erfährt, die mit der Privatklage verfolgt werden kann, prüft er, ob ein öffentliches Interesse an der Verfolgung von Amts wegen besteht.
(2) Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z. B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist.
(3) Der Staatsanwalt kann Ermittlungen darüber anstellen, ob ein öffentliches Interesse besteht.
87 Verweisung auf die Privatklage
(1) Die Entscheidung über die Verweisung auf den Privatklageweg trifft der Staatsanwalt. Besteht nach Ansicht der Behörden oder der Beamten des Polizeidienstes kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, so legen sie die Anzeige ohne weitere Ermittlungen dem Staatsanwalt vor.
(2) Kann dem Verletzten nicht zugemutet werden, die Privatklage zu erheben, weil er die Straftat nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten aufklären könnte, so soll der Staatsanwalt die erforderlichen Ermittlungen anstellen, bevor er den Verletzten auf die Privatklage verweist, z. B. bei Beleidigung durch namenlose Schriftstücke. Dies gilt aber nicht für unbedeutende Verfehlungen.
16. Einstellung des Verfahrens
88 Mitteilung an den Beschuldigten
In der Mitteilung an den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO sind die Gründe der Einstellung nur auf Antrag und dann auch nur soweit bekannt zu geben, als kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht. Hat sich herausgestellt, dass der Beschuldigte unschuldig ist oder das gegen ihn kein begründeter Verdacht mehr besteht, so ist dies in der Mitteilung auszusprechen.
89 Bescheid an den Antragsteller und Mitteilung an den Verletzten
(1) Der Staatsanwalt hat dem Antragsteller den in § 171 StPO vorgesehenen Bescheid über die Einstellung auch dann zu erteilen, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage nicht unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.
(2) Die Begründung der Einstellungsverfügung darf sich nicht auf allgemeine und nichtssagende Redewendungen, z. B. "da eine Straftat nicht vorliegt oder nicht nachgewiesen ist", beschränken. Vielmehr soll in der Regel - schon um unnötige Beschwerden zu vermeiden - angegeben werden, aus welchen Gründen der Verdacht einer Straftat nicht ausreichend erscheint oder weshalb sich sonst die Anklageerhebung verbietet. Dabei kann es genügen, die Gründe anzuführen, die ein Eingehen auf Einzelheiten unnötig machen, z. B., dass die angezeigte Handlung unter kein Strafgesetz fällt, dass die Strafverfolgung verjährt oder aus anderen Gründen unzulässig ist oder dass kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.
(3) Auch bei einer Einstellung nach §§ 153 Abs. 1, 153 a Abs. 1, 153 b Abs. 1 StPO erteilt der Staatsanwalt dem Anzeigenden einen mit Gründen versehenen Bescheid.
(4) Der Staatsanwalt soll den Einstellungsbescheid so fassen, dass er auch dem rechts-unkundigen Antragsteller verständlich ist.
(5) Erhält der Verletzte nicht bereits gemäß Absatz 1 oder Absatz 3 Kenntnis von der Einstellung des Verfahrens, so ist ihm letztere auf Antrag mitzuteilen, soweit das Verfahren ihn betrifft.
90 Anhörung von Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts
(1) Hat eine Behörde oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts die Strafanzeige erstattet oder ist sie sonst am Ausgang des Verfahrens interessiert, so soll ihr der Staatsanwalt, bevor er das Verfahren einstellt, die Gründe mitteilen, die für die Einstellung sprechen, und ihr Gelegenheit zur Äußerung geben; zur Vereinfachung können Ablichtungen aus den Akten beigefügt werden. Stellt der Staatsanwalt entgegen einer widersprechenden Äußerung ein, so soll er in der Einstellungsverfügung auch die Einwendungen würdigen, die gegen die Einstellung erhoben worden sind.
(2) Hat ein oberstes Staatsorgan des Bundes oder eines Landes die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach §§ 90 Abs. 4, 90 b Abs. 2, 97 Abs. 3, 104 a, 129b Abs. 1 Satz 3, 194 Abs. 4, 353 a Abs. 2 oder 353 b Abs. 4 StGB erteilt oder Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, so ist Nr. 211 Abs. 1 und 3 Buchst. a zu beachten.
91 Bekanntgabe
(1) Dem Beschuldigten wird die Einstellungsverfügung grundsätzlich formlos durch einfachen Brief bekannt gegeben. Die Mitteilung über die Einstellung wird dem Beschuldigten zugestellt, wenn gegen ihn eine Strafverfolgungsmaßnahme im Sinne des § 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) vollzogen worden ist. Wegen der in der Einstellungsnachricht nach diesem Gesetz zu erteilenden Belehrung wird auf die Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (Anlage C) verwiesen.
(2) Die Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens ist dem Antragsteller (§ 171 StPO) im Regelfall formlos zu übersenden. Der Staatsanwalt soll die Zustellung nur dann anordnen, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass mit einer Beschwerde und einem Antrag auf Durchführung des Klageerzwingungsverfahrens zu rechnen ist.
92 Kostenpflicht des Anzeigenden
Ist ein Verfahren durch eine vorsätzliche oder leichtfertig erstattete unwahre Anzeige veranlasst worden, so prüft der Staatsanwalt, ob die Kosten des Verfahrens und die dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen dem Anzeigeerstatter aufzuerlegen sind. Dies gilt auch dann, wenn die unwahren Angaben, die zur Einleitung des Verfahrens geführt haben, bei einer Vernehmung gemacht worden sind.
93 Einstellung nach §§ 153, 153 a StPO
(1) Hat eine Behörde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts Strafanzeige erstattet oder ist sie sonst an dem Verfahren interessiert, so tritt der Staatsanwalt, bevor er die Zustimmung des Gerichts zur beabsichtigten Einstellung einholt, mit ihr in Verbindung. Dies gilt auch für die Zustimmung des Staatsanwalts zu einer Einstellung, die das Gericht beabsichtigt (§§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2 StPO).
(2) Hat ein oberstes Staatsorgan des Bundes oder eines Landes die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach §§ 90 Abs. 4, 90 b Abs. 2, 97 Abs. 3, 104 a, 129b Abs. 1 Satz 3, 194 Abs. 4, 353 a Abs. 2 oder 353 b Abs. 4 StGB erteilt oder Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, so ist Nr. 211 Abs. 1 zu beachten.
(3) Bei einer Einstellung nach § 153 a StPO oder der Erklärung seiner Zustimmung dazu prüft der Staatsanwalt, ob eine Wiedergutmachungsauflage (§ 153 a Abs. 1 Nr. 1 StPO) in Betracht kommt.
(4) Bei einer Einstellung nach § 153a StPO, bei der die Auflage erteilt wird, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, oder bei der Erklärung der Zustimmung dazu, beachtet der Staatsanwalt neben spezialpräventiven Erwägungen, dass bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang berücksichtigt werden.
93 a Gewinnabschöpfung bei Einstellung nach § 153 a StPO
Bei einer Einstellung nach § 153 a StPO achtet der Staatsanwalt auch darauf, dass die Auflagen einen durch die Straftat erlangten Vermögensvorteil abschöpfen. Hierbei kommt in erster Linie die Erteilung einer Auflage nach § 153 a Abs. 1 Nr. 1 StPO (Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens) in Betracht. Im übrigen sollen unredlich erzielte Vermögensvorteile bei der Festsetzung einer Geldauflage nach § 153 a Abs. 1 Nr. 2 StPO berücksichtigt werden. In geeigneten Fällen können Auflagen miteinander kombiniert werden.
94 Einstellung nach § 153 c Abs. 1 StPO
(1) In den Fällen des § 153 c Abs. 1 StPO kann der Staatsanwalt nach pflichtgemäßem Ermessen von der Verfolgung absehen. Dies wird insbesondere in Betracht kommen, wenn die in § 153 c Abs. 2 StPO bezeichneten Gründe vorliegen können, wenn eine Strafverfolgung zu unbilligen Härten führen würde oder ein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Ahndung nicht oder nicht mehr besteht.
(2) Der Staatsanwalt prüft im Einzelfall, ob völkerrechtliche Vereinbarungen die Verpflichtung begründen, bestimmte außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Strafprozessordnung begangene Taten so zu behandeln, als ob sie innerhalb dieses Bereichs begangen wären. Auskunft über derartige Vereinbarungen erteilt das Bundesministerium der Justiz.
(3) Bestehen in den Fällen des § 153 c Abs. 1 StPO Anhaltspunkte dafür, dass die Gründe des § 153 c Abs. 3 StPO gegeben sein könnten, holt der Staatsanwalt unverzüglich die Entscheidung des Generalstaatsanwalts ein, ob die Tat verfolgt werden soll. Der Generalstaatsanwalt berichtet vor seiner Entscheidung unverzüglich der Landesjustizverwaltung.
(4) Können die in § 153 c Abs. 3 StPO bezeichneten Gründe der Strafverfolgung entgegenstehen, so holt der Staatsanwalt unverzüglich die Entscheidung des Generalstaatsanwalts ein, wenn er wegen Gefahr im Verzuge eine Beschlagnahme, eine Durchsuchung oder eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßnahme für erforderlich hält. Der Generalstaatsanwalt unterrichtet vor seiner Entscheidung die Landesjustizverwaltung. Ist eine Entscheidung des Generalstaatsanwalts nicht rechtzeitig zu erlangen, so unterrichtet der Staatsanwalt die Landesjustizverwaltung unmittelbar. Ist auch das nicht möglich, so trifft er selbst die notwendige Entscheidung.
95 Einstellung nach § 153 c Abs. 3 StPO
(1) Bei Straftaten, die durch eine außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Strafprozessordnung ausgeübte Tätigkeit begangen sind, deren Erfolg jedoch innerhalb dieses Bereichs eingetreten ist (Distanztaten), klärt der Staatsanwalt beschleunigt den Sachverhalt und die Umstände auf, die für eine Entscheidung nach § 153 c Abs. 3 StPO von Bedeutung sein können. Er beschränkt sich dabei auf solche Maßnahmen, die den Zweck der Vorschrift nicht gefährden.
(2) Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des § 153 c Abs. 3 StPO gegeben sein könnten, so holt der Staatsanwalt unverzüglich die Entscheidung des Generalstaatsanwalts ein, ob die Tat verfolgt werden soll. Der Generalstaatsanwalt unterrichtet vor seiner Entscheidung unverzüglich die Landesjustizverwaltung. Bei der Entscheidung, ob die Tat verfolgt werden soll, ist Art. 5 des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (Vertrags- und Umsetzungsgesetz: Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom 10. September 1998, BGBl. 1998 II S. 2327)* zu beachten.
(3) Hält der Staatsanwalt wegen Gefahr im Verzuge eine Beschlagnahme, eine Durchsuchung oder eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßnahme für erforderlich, so gelten Abs. 2 sowie Nr. 94 Abs. 4 Satz 3 und 4 entsprechend.
*Art. 5 des OECD-Übereinkommens hat folgenden Wortlaut:
Ermittlungsverfahren und Strafverfolgung wegen Bestechung eines ausländischen Amtsträgers unterliegen den geltenden Regeln und Grundsätzen der jeweiligen Vertragspartei. Sie dürfen nicht von Erwägungen nationalen wirtschaftlichen Interesses, der möglichen Wirkung auf Beziehungen zu einem anderen Staat oder der Identität der beteiligten natürlichen oder juristischen Personen beeinflusst werden.
96 Einstellung nach § 153 c Abs. 4 StPO
In den Fällen des § 153 c Abs. 4 StPO gelten die Nr. 94 und 95 sinngemäß.
97 Einstellung nach § 153 c Abs. 5 StPO
In den Fällen des § 153 c Abs. 5 StPO klärt der Staatsanwalt alle für die Entscheidung des Generalbundesanwalts bedeutsamen Umstände mit größter Beschleunigung, jedoch unter Beschränkung auf solche Maßnahmen, die den Zweck dieser Vorschrift nicht gefährden; er unterrichtet fernmündlich oder fernschriftlich den Generalbundesanwalt unter gleichzeitiger Benachrichtigung des Generalstaatsanwalts. Die Vorgänge reicht er mit einem Begleitschreiben dem Generalbundesanwalt unverzüglich nach; eine Abschrift des Begleitschreibens leitet er dem Generalstaatsanwalt zu. Sind die Akten nicht entbehrlich, so werden dem Generalbundesanwalt Ablichtungen vorgelegt. In Verfahren, die nach § 142 a Abs. 2 und 4 GVG an die Landesstaatsanwaltschaft abgegeben worden sind, ist entsprechend zu verfahren. Fordert der Generalstaatsanwalt die Vorgänge zum Zwecke der Prüfung an, ob die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 c Abs. 1, 3 und 4 StPO vorliegen, so trifft der Staatsanwalt weitere Verfolgungsmaßnahmen nur im Einverständnis mit dem Generalbundesanwalt.
98 Einstellung nach § 153 d StPO
Ergeben sich für den Staatsanwalt Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des § 153 d StPO vorliegen, so sind die in Nr. 97 getroffenen Anordnungen zu beachten, Eine Entscheidung des Generalbundesanwalts, solche Straftaten nicht zu verfolgen, bewirkt, dass polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Verfolgungsmaßnahmen insoweit zu unterbleiben haben; diese Entscheidung kann schon vor der Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen getroffen werden.
99 Benachrichtigung der Polizeidienststellen in den Fällen der §§ 153 c, 153 d StPO
(1) Wird von der Strafverfolgung nach §§ 153 c, 153 d StPO abgesehen, so kann neben der unverzüglichen Benachrichtigung der Polizeidienststelle, die mit der Sache unmittelbar befasst ist, die sofortige Benachrichtigung weiterer Polizeidienststellen erforderlich sein, um sicherzustellen, dass Verfolgungsmaßnahmen unterbleiben.
(2) In derartigen Fällen unterrichtet der Staatsanwalt neben der mit der Sache unmittelbar befassten Polizeidienststelle unverzüglich das Bundesministerium des Innern und nachrichtlich das Bundeskriminalamt, Thaerstraße 11, 65193 Wiesbaden, von seiner Entscheidung, mit der von der Strafverfolgung abgesehen wird. Einen Abdruck der schriftlichen Nachricht erhält die Landesjustizverwaltung/der Bundesminister der Justiz.
(3) Sieht der Staatsanwalt einstweilen von weiteren Strafverfolgungsmaßnahmen ab, so unterrichtet er unverzüglich die mit der Sache befasste Polizeidienststelle.
100 Einstellung nach § 153 e StPO
(1) Die Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 e StPO (gegebenenfalls in Verbindung mit § 4 NATO-Truppen-Schutzgesetz)* soll mit dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nur erörtert werden, wenn diese selbst Fragen danach stellen oder wenn nach den bereits bekannten Umständen des Einzelfalles deutliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Anwendung des § 153 e StPO in Betracht kommt und eine Erörterung hierüber aus besonderen Gründen zweckmäßig erscheint. Bei einer solchen Erörterung ist jedoch darauf zu achten, dass sie nicht als Zusicherung einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 e StPO missverstanden wird.
(2) Der Staatsanwalt legt die Akten dem Generalbundesanwalt vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Einstellung nach § 153 e StPO in Betracht kommt.
* vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
101 Einstellung nach § 154 StPO
(1) Von den Möglichkeiten einer Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO soll der Staatsanwalt in weitem Umfang und in einem möglichst frühen Verfahrensstadium Gebrauch machen. Er prüft zu diesem Zweck vom Beginn der Ermittlungen an, ob die Voraussetzungen für eine Beschränkung des Prozessstoffes vorliegen. Der Staatsanwalt erteilt der Polizei allgemein oder im Einzelfall die Weisungen, die erforderlich sind, um die Rechtzeitigkeit der Prüfung zu gewährleisten.
(2) Wird das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt, so gilt für den Bescheid an den Anzeigenden Nr. 89 entsprechend.
(3) Ist mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe nach § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung einer Tat abgesehen oder nach § 154 Abs. 2 StPO das Verfahren vorläufig eingestellt worden, so prüft der Staatsanwalt nach Abschluss des wegen dieser Tat eingeleiteten Verfahrens, ob es bei der Einstellung verbleiben kann.
101 a Einstellung nach § 154 a StPO
(1) Soweit die Strafverfolgung nach § 154 a StPO beschränkt werden kann, soll der Staatsanwalt von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, wenn dies das Verfahren vereinfacht. Nr. 101 Abs. 1 gilt entsprechend.
(2) Bei abtrennbaren Teilen einer Tat, die mit anderen in Fortsetzungszusammenhang stehen, wird nach § 154 a Abs. 1 Satz 1 StPO die Verfolgung häufig auf wenige Teilakte beschränkt werden können; eine Beschränkung auf einen einzelnen Teilakt kommt nur dann in Betracht, wenn dieser besonders schwerwiegend ist. In den Fällen des § 154 a Abs. 1 Satz 2 StPO kann die Verfolgung auf einen oder mehrere Teilakte beschränkt werden, wenn die Aufklärung der anderen Teilakte unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nehmen würde und eine zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichende Bestrafung gewährleistet ist.
(3) Beschränkungen nach § 154 a StPO werden aktenkundig gemacht; erfolgt die Beschränkung vor Erhebung der öffentlichen Klage, so wird in der Anklageschrift darauf hingewiesen.
(4) Nr. 101 Abs. 3 gilt entsprechend.
102 Einstellung zugunsten des Opfers einer Nötigung oder Erpressung
(1) Eine Einstellung nach § 154 c StPO soll grundsätzlich nur erfolgen, wenn die Nötigung oder die Erpressung strafwürdiger ist als die Tat des Genötigten oder Erpressten.
(2) Die Entscheidung, ob zugesichert werden kann, dass das Verfahren eingestellt wird, ist dem Behördenleiter vorzubehalten.
103 Mitteilung an den Anzeigenden
Sieht der Staatsanwalt nach § 154 e StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage vorläufig ab, so teilt er dies dem Anzeigenden mit.
104 Vorläufige Einstellung nach § 205 StPO
(1) Unter den Voraussetzungen des § 205 StPO soll der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren vorläufig einstellen, wenn der Sachverhalt soweit wie möglich aufgeklärt ist und die Beweise, soweit notwendig, gesichert sind; eine förmliche Beweissicherung (§§ 285 ff. StPO) soll indessen nur in wichtigen Fällen stattfinden. Der Staatsanwalt hat in bestimmten, nicht zu lange bemessenen Abständen zu prüfen, ob die Hinderungsgründe des § 205 StPO noch fortbestehen.
(2) Kann nach dem Ergebnis der Ermittlungen mit einer Eröffnung des Hauptverfahrens auch dann nicht gerechnet werden, wenn die Hinderungsgründe des § 205 StPO wegfallen, so stellt der Staatsanwalt das Verfahren sofort ein.
(3) Nr. 103 gilt entsprechend.
105 Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung
(1) Einer Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens kann der Staatsanwalt, der die Einstellung verfügt hat, abhelfen. Werden in der Beschwerde neue und wesentliche Tatsachen oder Beweismittel angeführt, so nimmt er die Ermittlungen wieder auf.
(2) Geht eine Beschwerde des Verletzten bei dem Staatsanwalt ein, dessen Entscheidung angegriffen wird, so prüft er unverzüglich, ob er ihr abhilft. Hilft er ihr nicht ab, so legt er sie unverzüglich dem vorgesetzten Staatsanwalt (§ 147 GVG) vor. Im Übersendungsbericht legt er dar, aus welchen Gründen er die Ermittlungen nicht wieder aufnimmt; neue Tatsachen oder Beweismittel oder neue rechtliche Erwägungen, welche die Beschwerdeschrift enthält, sind zu würdigen. Werden dem Beschuldigten weitere selbständige Straftaten vorgeworfen, so ist zu berichten, was insoweit bereits veranlasst oder was nach Rückkunft der Akten beabsichtigt ist. Die Akten sind dem Übersendungsbericht beizufügen oder, wenn sie nicht verfügbar oder nicht entbehrlich sind, nachzureichen.
(3) Ist die Beschwerde bei dem vorgesetzten Staatsanwalt eingereicht worden und hat er um Bericht oder um Beifügung der Vorgänge ersucht, so ist dieser Auftrag nur auszuführen, wenn die Ermittlungen nicht wieder aufgenommen werden; sonst genügt eine kurze Anzeige über die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Kann die Beschwerde nicht sofort geprüft werden, so sind die Gründe hierfür anzugeben; die Akten sind nicht beizufügen.
(4) Dem Beschwerdeführer ist die Wiederaufnahme der Ermittlungen mitzuteilen.
(5) Für die Bekanntgabe des Bescheides des vorgesetzten Staatsanwalts gilt Nr. 91 Abs. 2 entsprechend.
17. Verteidiger
106 Auswahl des Verteidigers
Die Bitte eines Beschuldigten, ihm einen für seine Verteidigung geeigneten Rechtsanwalt zu bezeichnen, ist abzulehnen. Jedoch kann ihm ein nach der Buchstabenfolge geordnetes Verzeichnis der Rechtsanwälte des Landgerichtsbezirks vorgelegt werden, damit er einen Verteidiger selbst auswählt.
107 Referendare als Verteidiger
(1) Referendare sollen als Verteidiger nur bestellt werden (§ 142 Abs. 2 StPO), wenn nach der Art und der Bedeutung der Strafsache und der Person des Referendars Gewähr für eine sachgemäße Verteidigung besteht. Ist die Mitwirkung eines Verteidigers aus den Gründen des § 140 Abs. 2 StPO notwendig, so wird die Bestellung eines Referendars im allgemeinen nur dann in Betracht kommen, wenn die Tat nicht besonders schwer und die Sach- und Rechtslage nicht besonders schwierig, aber ersichtlich ist, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann. Der Gesichtspunkt der Gebührenersparnis soll bei der Bestellung unberücksichtigt bleiben.
(2) Dem von Amts wegen als Verteidiger bestellten Referendar sind die notwendigen baren Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten.
108 Unterrichtung des Verteidigers
Der Verteidiger, der nach § 145 a Abs. 1 StPO als ermächtigt gilt, Zustellungen für den Beschuldigten anzunehmen, ist über § 145 a StPO hinaus über alle Entscheidungen zu unterrichten, die dem Beschuldigten mitgeteilt werden. Der Verteidiger soll dabei neben dem Beschuldigten und gleichzeitig mit diesem unterrichtet werden.
18. Abschluss der Ermittlungen
109
(1) Bei der Fertigung des Vermerkes über den Abschluss der Ermittlungen sind die besonderen verfahrensrechtlichen Wirkungen (§§ 141 Abs. 3 Satz 3, 147 Abs. 2 StPO) zu beachten.
(2) Richtet sich das Verfahren gegen mehrere Beschuldigte, so wird vor dem Vermerk über den Abschluss der Ermittlungen gegen einzelne von ihnen der Stand der Ermittlungen gegen die übrigen zu berücksichtigen sein.
(3) Der Vermerk über den Abschluss der Ermittlungen ist mit dem Datum und der Unterschrift des Staatsanwalts zu versehen. Richtet sich das Verfahren gegen mehrere Beschuldigte, so muss der Vermerk erkennen lassen, gegen welche Beschuldigten die Ermittlungen abgeschlossen sind.
II. Abschnitt
Anklage
110 Form und Inhalt der Anklageschrift
(1) Die Anklageschrift muss klar, übersichtlich und vor allem für den Angeschuldigten verständlich sein.
(2) In der Anklageschrift sind anzugeben:
- der Familienname und die Vornamen (Rufname unterstrichen) Geburtsname, Beruf, Anschrift, Familienstand, Geburtstag und Geburtsort (Kreis, Bezirk) des Angeschuldigten und seine Staatsangehörigkeit, bei Minderjährigen Namen und Anschriften der gesetzlichen Vertreter;
- der Verteidiger;
- der Anklagesatz;
er umfasst die Tat, die dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat - ggf. in vereinfachter Form, z. B. beim Versuch -, die anzuwendenden Strafvorschriften, die Umstände, welche die Anordnung einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) rechtfertigen, bei Verletzungen mehrerer Strafvorschriften auch die Angabe, ob Tateinheit oder Tatmehrheit angenommen wird; - bei Antragsdelikten ein Hinweis auf den Strafantrag;
wird in Fällen, in denen das Gesetz dies zulässt, bei einem Antragsdelikt die öffentliche Klage erhoben, ohne dass ein Strafantrag gestellt ist, so soll in der Anklageschrift erklärt werden, dass wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen geboten ist; - Hinweise auf Verfolgungsbeschränkungen nach § 154 a StPO;
- die Zeugen (gegebenenfalls mit den nach § 200 Abs. 1 Satz 3 bis 5 StPO zulässigen Einschränkungen) und anderen Beweismittel;
- das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 StPO) und alle Umstände, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen von Bedeutung sein können.
(3) Die Anklageschrift hat ferner den Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens und die Angabe des Gerichts zu enthalten, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Sie hat auch den Spruchkörper (z. B. Wirtschaftsstrafkammer, Jugendkammer, Staatsschutzkammer) zu bezeichnen, den der Staatsanwalt als zuständig ansieht.
(4) War oder ist der Angeschuldigte in Untersuchungshaft, so sind Ort und Dauer der Haft zu vermerken; dies gilt auch für eine andere Freiheitsentziehung. Zur Frage der Fortdauer ist ein bestimmter Antrag zu stellen. Auf den Ablauf der in § 121 Abs. 2 StPO bezeichneten Frist ist hinzuweisen.
(5) Beantragt der Staatsanwalt die Beteiligung der juristischen Person oder Personenvereinigung und kündigt er die Beantragung der Festsetzung einer Geldbuße gegen diese an (Nr. 180 a Abs. 2), führt er sie als Nebenbeteiligte an und gibt die tatsächliche und rechtliche Grundlage für die begehrte Maßnahme an.
111 Auswahl der Beweismittel
(1) Der Staatsanwalt soll nur die Beweismittel aufführen, die für die Aufklärung des Sachverhalts und für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeschuldigten wesentlich sind.
(2) Haben mehrere Zeugen über denselben Vorgang im Vorverfahren übereinstimmend ausgesagt, so wird es häufig nicht nötig sein, jeden zu benennen.
(3) Für Sachverständige gilt Abs. 2 entsprechend. Soweit es zulässig ist, ein schriftliches Gutachten in der Hauptverhandlung zu verlesen (§ 256 Abs. 1 StPO), wird dieses oft ein ausreichendes Beweismittel sein; dies gilt nicht, wenn der Sachverständige ein Gutachten nur unter dem Eindruck der Hauptverhandlung erstatten kann, z. B. über die Schuldfähigkeit oder über besondere seelische oder geistige Eigenschaften des Angeschuldigten oder eines sonstigen Prozessbeteiligten.
(4) Liegt ein Geständnis des Angeschuldigten vor, das zur vollständigen Beurteilung der Tat, auch der Strafbemessung, voraussichtlich ausreicht, so kann auf die Benennung von Zeugen verzichtet werden.
(5) Der Staatsanwalt darf dem Gericht oder dem Vorsitzenden Akten, Schriftstücke oder Beweisstücke nur vorlegen, wenn er sie gleichzeitig zu Bestandteilen der gerichtlichen Akten erklärt und damit auch dem Verteidiger zugänglich macht. Legt er, sie erst in der Hauptverhandlung vor, so hat er sie dadurch zum Gegenstand der Verhandlung zu machen, dass er die Vorlegung auch dem Angeklagten oder dem Verteidiger bekannt gibt.
112 Ermittlungsergebnis
(1) Auch wenn die Anklage vor dem Strafrichter erhoben wird, soll das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 StPO) in die Anklageschrift aufgenommen werden, wenn die Sach- oder Rechtslage Schwierigkeiten bietet.
(2) Sind die Akten umfangreich, so soll auf die Aktenstellen und möglichst auch auf die Beweismittel für die einzelnen Tatvorgänge verwiesen werden.
113 Zuständiges Gericht
(1) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Fall von besonderer Bedeutung vorliegt und deshalb die Anklage beim Landgericht (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG) zu erheben ist, prüft der Staatsanwalt, ob die besondere Bedeutung einer Sache sich etwa aus dem Ausmaß der Rechtsverletzung oder den Auswirkungen der Straftat, z. B. nach einer Sexualstraftat, ergibt.
(2) Erhebt der Staatsanwalt wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG), so macht er die hierfür bedeutsamen Umstände aktenkundig, sofern diese nicht offensichtlich sind. Satz 1 gilt entsprechend, wenn der Staatsanwalt Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer nach § 74 c Abs. 1 Nr. 6 GVG erhebt, weil zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind.
(3) Erhebt der Staatsanwalt Anklage beim Landgericht und hält er aus den in § 76 Abs. 2 GVG genannten Gründen die Mitwirkung eines dritten Richters für erforderlich, regt er dies an.
(4) Ist die Sache umfangreich, z. B. wegen der großen Anzahl der Angeschuldigten oder Zeugen, und erhebt der Staatsanwalt nicht Anklage beim Landgericht, so beantragt er, einen zweiten Richter beim Amtsgericht zuzuziehen (§ 29 Abs. 2 GVG).
114 Zusammenhängende Strafsachen
Zusammenhängende Strafsachen (§§ 2, 3 StPO) sind in einer Anklage zusammenzufassen (vgl. Nr. 17). Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Tat durch die Aufklärung der anderen Tat erheblich verzögert würde und wenn gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder des Beschuldigten nicht entgegenstellen.
III. Abschnitt
Hauptverfahren
1. Eröffnung des Hauptverfahrens
115
(1) Beschließt das Gericht, die Anklage mit Änderungen nach § 207 Abs. 2 StPO zuzulassen, so legt es die Akten mit diesem Beschluss der Staatsanwaltschaft vor.
(2) Reicht der Staatsanwalt nach § 207 Abs. 3 StPO eine neue Anklageschrift ein, so empfiehlt es sich in der Regel, das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen darzustellen, wenn ausgeschiedene Teile einer Tat in das Verfahren wieder einbezogen werden oder, wenn die ursprüngliche Anklageschrift durch Änderungen im Eröffnungsbeschluss unübersichtlich oder unverständlich geworden ist.
2. Vorbereitung der Hauptverhandlung
116 Anberaumung der Termine
(1) Die Hauptverhandlung findet grundsätzlich am Sitz des Gerichts statt; nur wenn es wegen der Besonderheit des Falles geboten erscheint, soll sie an einem anderen Ort durchgeführt werden.
(2) Für die Festsetzung der Terminstage sind die örtlichen Feiertage, auch wenn sie gesetzlich nicht anerkannt sind, von Bedeutung.
(3) Bei der Festsetzung der Terminsstunden wird den Beteiligten jeder vermeidbare Zeitverlust zu ersparen und daher zu prüfen sein, wie lange die Verhandlung der einzelnen Sachen voraussichtlich dauern wird und in welchen Abständen die einzelnen Termine daher anzuberaumen sind. Sind an einer Verhandlung Personen beteiligt, die außerhalb des Sitzungsortes wohnen, so sind auch die Verkehrsverhältnisse zu berücksichtigen.
(4) Ist für die Verhandlung eine längere Zeit (ein ganzer Tag oder mehrere Tage) vorgesehen, so kann es sich empfehlen, die einzelnen Zeugen und Sachverständigen, sofern dies die Hauptverhandlung nicht erschwert, erst für den Zeitpunkt zu laden, indem sie voraussichtlich benötigt werden ( § 214 Abs. 2 StPO). In geeigneten Fällen kann es zweckmäßig sein, den Zeugen mit der Auflage zu laden, dass er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraumes auf Abruf bereithalten möge.
(5) Stellt sich nachträglich heraus, dass die Verhandlung einer Sache vermutlich länger dauern wird, so kann es geboten sein, die folgenden Sachen auf eine spätere Terminsstunde zu verlegen und die Beteiligten umzuladen.
117 Ladung und Benachrichtigung
(1) Die Ladung zur Hauptverhandlung soll dem auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten, den Zeugen und den Sachverständigen zugestellt werden, damit sie nachweisbar ist. Bei Zeugen und Sachverständigen kann eine einfachere Form der Ladung gewählt werden.
(2) Abs. 1 Satz 2 gilt auch für andere Prozessbeteiligte, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Ist eine Behörde am Verfahren zu beteiligen, so ist ihr der Termin zur Hauptverhandlung so rechtzeitig mitzuteilen, dass Ihre Vertreter sich auf die Hauptverhandlung vorbereiten und die Akten vorher einsehen können.
(3) Bei der Ladung von Zeugen ist zu berücksichtigen, dass eine direkte Begegnung mit dem Beschuldigten in den Räumen der Justiz als bedrohlich oder belastend empfunden werden kann. Dies gilt insbesondere für durch die Tat verletzte Zeugen.
(4) Mit der Ladung ordnet der Vorsitzende an, dass die nach § 395 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StPO zur Nebenklage berechtigten Verletzten Mitteilung vom Termin erhalten, wenn aktenkundig ist, dass sie dies beantragt haben. Unter der letztgenannten Voraussetzung sollen auch sonstige gemäß § 406g Abs. 1 StPO zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigte Verletzte eine solche Mitteilung erhalten.
118 Unterrichtung über die Beweismittel
(1) Die vom Gericht geladenen Zeugen und Sachverständigen sind dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft in der Regel in der Ladung oder Terminsmitteilung, sonst unverzüglich mitzuteilen ( § 222 Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO). Sind sie bereits in der Anklageschrift benannt, so kann auf sie Bezug genommen werden.
(2) Nach Eingang der Mitteilung nach Abs. 1 Satz 1 prüft der Staatsanwalt, ob Anlass besteht, von dem unmittelbare Ladungsrecht (§ 214 Abs. 3 StPO) Gebrauch zu machen; gegebenenfalls unterrichtet er Gericht und Angeklagten (§ 222 Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO).
(3) Dem Angeklagten sollen ferner, um eine Aussetzung oder Unterbrechung nach § 246 Abs. 2 StPO zu vermeiden, mit der Ladung auch die als Beweismittel dienenden Gegenstände angegeben werden, soweit sie nicht in der Anklageschrift bezeichnet sind.
119 Beiakten
Der Eingang von Beiakten, die das Gericht angefordert hat, soll dem Staatsanwalt und dem Verteidiger rechtzeitig mitgeteilt werden, damit sie diese möglichst noch vor der Hauptverhandlung einsehen können.
120 Befreiung des Angeklagten von der Pflicht zum Erscheinen
(1) Ist die persönliche Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung entbehrlich, so empfiehlt es sich, ihn über sein Antragsrecht nach § 233 StPO schon vor der Ladung zu belehren.
(2) Der Staatsanwalt prüft, ob er auf die Terminsnachricht (§ 233 Abs. 3 StPO) verzichten kann.
(3) Zur Hauptverhandlung ist der Angeklagte zu laden, wenn er nicht ausdrücklich darauf verzichtet hat. In der Ladung ist er darüber zu belehren, dass er zum Erscheinen nicht verpflichtet ist.
121 Kommissarische Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen
(1) Die kommissarische Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen ist zu vermeiden, wenn eine hinreichende Aufklärung nur von der Vernehmung in der Hauptverhandlung zu erwarten ist oder wenn das Gericht aus anderen Gründen gezwungen sein wird, den Zeugen oder Sachverständigen unmittelbar zu vernehmen, z. B. weil die Verlesung der Aussage in der Hauptverhandlung nur unter weiteren Voraussetzungen zulässig ist (vgl. § 223 Abs. 2 in Verbindung mit § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Auf Bedenken gegen eine kommissarische Vernehmung hat der Staatsanwalt rechtzeitig hinzuweisen.
(2) Sind mehrere Zeugen oder Sachverständige bei verschiedenen Gerichten kommissarisch zu vernehmen, so kann es sich empfehlen, die Gerichte möglichst gleichzeitig unter Übersendung von Aktenauszügen um die Vernehmung zu ersuchen.
(3) Ist die Sache umfangreich, so sollen dem ersuchten Richter die Teile der Akten bezeichnet werden, die für die Vernehmung wichtig sind.
(4) Der Staatsanwalt prüft jeweils, ob er auf Terminsnachrichten verzichten kann.
122 Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten bei selbstverschuldeter Verhandlungsunfähigkeit
(1) Sind Anhaltspunkt dafür vorhanden, dass der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft seine Verhandlungsunfähigkeit herbeiführen und dadurch wissentlich die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung in seiner Gegenwart verhindern wird (§ 231 a Abs. 1 Satz 1 StPO), so ist ihm möglichst frühzeitig Gelegenheit zu geben, sich vor einem Richter zur Anklage zu äußern (§ 231 a Abs. 1 Satz 2 StPO). Erforderlichenfalls wirkt der Staatsanwalt hierauf hin. In Verfahren von größerer Bedeutung soll der Staatsanwalt von seinem Anwesenheitsrecht Gebrauch machen.
(2) Kommt eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten in Betracht, so wirkt der Staatsanwalt darauf hin, dass
- dem Angeklagten, der keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt wird (§ 231 a Abs. 4 StPO) und,
- der Beschluss über die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten so rechtzeitig gefasst wird, dass die Rechtskraft des Beschlusses vor der Hauptverhandlung eintreten kann.
3. Hauptverhandlung
123 Allgemeines
Der Staatsanwalt vermeidet alles, was auch nur den Schein einer unzulässigen Einflussnahme auf das Gericht erwecken könnte; deshalb soll er den Sitzungssaal nicht gemeinsam mit dem Gericht betreten oder verlassen, sich nicht in das Beratungszimmer begeben und während der Verhandlungspausen sich nicht mit Mitgliedern des Gerichts unterhalten.
124 Äußere Gestaltung der Hauptverhandlung
(1) Die Hauptverhandlung soll im Sitzungssaal des Gerichts, nicht im Amtszimmer des Richters, durchgeführt werden.
(2) Pflicht des Staatsanwalts, des Urkundsbeamten und des Verteidigers ist es, schon vor Erscheinen des Gerichts ihren Platz im Sitzungssaal einzunehmen. Beim Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen und bei der Verkündung der Urteilsformel erheben sich sämtliche Anwesende von ihren Plätzen. Im übrigen steht es allen am Prozess Beteiligten frei, ob sie bei der Abgabe von Erklärungen und bei Vernehmungen sitzen bleiben oder aufstehen.
125 Platzzuteilung
(1) Der Justizwachtmeister hat vor dem Erscheinen des Gerichts und während der Verhandlung dafür zu sorgen, dass die Platzordnung im Gerichtssaal eingehalten wird.
(2) Der Angeklagte soll in eine umfriedete Anklagebank nur dann verwiesen werden, wenn besondere Umstände vorliegen (z. B. Fluchtgefahr, Störung des Verhandlungsablaufs).
(3) Für die Presseberichterstatter sollen im voraus geeignete Plätze in ausreichender Zahl bereitgestellt werden.
126 Schöffen
(1) Der Vorsitzende soll die mitwirkenden Schöffen vor Beginn der Sitzung über die Unfähigkeitsgründe (§§ 31, 32 GVG) und - unter Hinweis auf die einzelnen Strafsachen, die verhandelt werden - über die Ausschließungsgründe (§§ 22, 23, 31 StPO) belehren sowie auf die Umstände hinweisen, die eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten (§ 24 StPO). Ein Hinweis auf das Merkblatt für Schöffen kann genügen.
(2) Die Berufsrichter sollen dazu beitragen, dass die Schöffen die ihnen vom Gesetz zugewiesene Aufgabe erfüllen können. Die Verhandlung ist so zu führen, dass die Schöffen ihr folgen können; Förmlichkeiten und Fachausdrücke, die ihnen nicht verständlich sind, müssen erläutert werden.
(3) Die Anklageschrift darf den Schöffen nicht zugänglich gemacht werden. Ihnen kann jedoch, namentlich in Verfahren mit einem umfangreichen oder schwierigen Sachverhalt, für die Dauer der Hauptverhandlung eine Abschrift des Anklagesatzes nach dessen Verlesung überlassen werden.
127 Pflichten des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung
(1) Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass das Gesetz beachtet wird. Er sorgt durch geeignete Anträge, Fragen oder Anregungen dafür, dass nicht nur die Tat in ihren Einzelheiten, sondern auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und alle Umstände erörtert werden, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Anordnung von Maß regeln der Besserung und Sicherung, des Verfalls oder sonstiger Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) bedeutsam sein können. Nr. 4 c ist zu beachten.
(2) Der Staatsanwalt soll darauf hinwirken, dass ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen zurückgewiesen werden. Dies gilt namentlich dann, wenn sie lediglich auf eine Ausforschung von Privat- , Geschäfts- oder Dienstgeheimnissen hinzielen.
(3) Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass die gesetzlichen Möglichkeiten zur Beschleunigung und Vereinfachung der Hauptverhandlung genutzt werden.
128 Wahrung der Ordnung
(1) Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass die Hauptverhandlung geordnet abläuft. Obwohl ihm kein förmliches Recht, Ordnungsmittel zu beantragen, zusteht, ist er nicht gehindert, unter Umständen sogar verpflichtet, eine Ungebühr zu rügen und ein Ordnungsmittel anzuregen, vor allem, wenn die Ungebühr mit seiner Amtsausübung in der Verhandlung zusammenhängt. Eine bestimmte Maßnahme soll er grundsätzlich nicht anregen. Ist die Ungebühr auf Ungewandtheit, Unerfahrenheit oder verständliche Erregung zurückzuführen, so wirkt der Staatsanwalt gegebenenfalls darauf hin, dass von einem Ordnungsmittel abgesehen wird.
(2) Auf Vorgänge, welche die Erforschung der Wahrheit vereiteln oder erschweren können, hat der Staatsanwalt das Gericht unverzüglich hinzuweisen, z. B. wenn ein Zuhörer Aufzeichnungen macht und der Verdacht besteht, dass er sie verwenden will, um noch nicht vernommene Zeugen über den Verlauf der Verhandlung zu unterrichten.
(3) Der Vorsitzende wird, soweit erforderlich, bei der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung durch einen Justizwachtmeister unterstützt. Dieser ist für die Dauer der Sitzung möglichst von jedem anderen Dienst freizustellen. Er hat dem Vorsitzenden jede Ungebühr im Sitzungssaal mitzuteilen und bei drohender Gefahr sofort selbständig einzugreifen.
129 Berichterstattung durch Presse und Rundfunk
(1) Presse, Hörfunk und Fernsehen dürfen in ihrer Berichterstattung nicht mehr beschränkt werden, als das Gesetz und der Zweck der Hauptverhandlung es gebieten. Die Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit zu erforschen, darf nicht vereitelt oder erschwert, das Recht des Angeklagten, sich ungehindert zu verteidigen, nicht beeinträchtigt werden; auch sind die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und anderer Beteiligter, insbesondere auch des Verletzten, zu berücksichtigen (vgl. Nr. 23).
(2) Während der Hauptverhandlung, einschließlich der Urteilsverkündung, sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig.
(3) Ob und unter welchen Voraussetzungen im Sitzungssaal sonst Ton-, Film- und Bildaufnahmen gemacht werden dürfen, entscheidet der Vorsitzende.
(4) Über die Zulässigkeit von Ton-, Film- und Bildaufnahmen im Gerichtsgebäude außerhalb des Sitzungssaales entscheidet der Inhaber des Hausrechts.
(5) Bei Entscheidungen nach Abs. 3 und 4 sind die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu berücksichtigen. Wird die Erlaubnis erteilt, so empfiehlt es sich klarzustellen, dass die Rechte der betroffenen Personen unberührt bleiben.
130 Belehrung der Zeugen und Sachverständigen
Die Belehrung der Zeugen und Sachverständigen über die Bedeutung des Eides und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage soll in angemessener und wirkungsvoller Form erfolgen. Sie wird im Sitzungsprotokoll vermerkt, der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass dies auch bei Zeugen oder Sachverständigen geschieht, die zu einem späteren Zeitpunkt vorgeladen worden sind.
130 a Schutz der Zeugen
(1) Unter den Voraussetzungen des § 247 a StPO prüft der Staatsanwalt, ob es geboten ist, dass sich ein Zeuge während seiner Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Stellt der Staatsanwalt einen entsprechenden Antrag, so ist in der Begründung dazu Stellung zu nehmen, ob die Vernehmung aufgezeichnet werden soll.
(2) Besteht Anlass zu der Besorgnis, dass durch die Angabe des Wohnortes oder durch die Offenbarung der Identität oder des Wohn- oder Aufenthaltsortes der Zeuge oder eine andere Person gefährdet wird, so prüft der Staatsanwalt, ob Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 oder 3 StPO wirkt er darauf hin, dass dem Zeugen gestattet wird, seinen Wohnort oder seine Identität nicht preiszugeben. Im Fall des § 172 Nr. 1 a GVG beantragt er den Ausschluss der Öffentlichkeit.
(3) Für die Vernehmung des Verletzten in der Hauptverhandlung gilt Nr. 19 a Abs. 2.
(4) Unter den Voraussetzungen des § 255 a StPO wirkt der Staatsanwalt auf eine Ersetzung der Vernehmung von Zeugen durch die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren Vernehmung hin, soweit der Schutz des Zeugen dies gebietet.
131 Ausschluss der Öffentlichkeit. Allgemeines
(1) Unabhängig vom Gericht hat auch der Staatsanwalt zu prüfen, ob es geboten ist, die Öffentlichkeit für die ganze Hauptverhandlung oder für einen Teil auszuschließen. Stellt er einen solchen Antrag, so hat er ihn zu begründen.
(2) Verpflichtet das Gericht die Anwesenden zur Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG, so empfiehlt es sich, auf die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen die Schweigepflicht hinzuweisen (§ 353 d Nr. 2 StGB). Ist zu befürchten, dass geheimzuhaltende Tatsachen über den Kreis der Zeugen und Zuhörer hinaus durch Presse und Rundfunk verbreitet werden, so sollen der Vorsitzende und der Staatsanwalt die Berichterstatter zu einer freiwilligen Beschränkung in ihrem Bericht veranlassen, wenn es nicht geboten ist, auch sie zur Geheimhaltung zu verpflichten. Hält ein Berichterstatter die übernommene Verpflichtung nicht ein, so hat der Staatsanwalt - unbeschadet anderer Maßnahmen - darauf hinzuwirken, dass ihm der Zutritt zu Verhandlungen, in denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, nicht mehr gestattet wird.
131 a Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz des Verletzten
Wird beantragt, die Öffentlichkeit nach § 171 b GVG auszuschließen, so nimmt der Staatsanwalt dazu in der Regel Stellung. Wird ein Antrag nicht gestellt, liegen aber die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit vor, so beantragt der Staatsanwalt den Ausschluss, wenn die betroffenen Personen in der Hauptverhandlung nicht anwesend oder vertreten sind oder wenn sie ihr Antragsrecht nicht sachgerecht ausüben können.
132 Ausschluss der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Sittlichkeit
Die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Sittlichkeit auszuschließen, kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn Jugendliche durch die öffentliche Erörterung sittlicher Verfehlungen erheblich gefährdet würden. Aus den gleichen Erwägungen kann jugendlichen Personen auch der Zutritt zu einer Verhandlung versagt werden, für die sonst die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen zu werden braucht (§ 175 Abs. 1 GVG).
133 Ausschluss der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung
(1) Maßnahmen und Einrichtungen der Polizei und anderer an der Strafverfolgung beteiligter Stellen, die der Verhütung oder der Aufklärung von Straftaten dienen, bleiben vielfach nur wirksam, solange sie geheim gehalten werden können. In öffentlicher Hauptverhandlung soll daher möglichst nicht erörtert werden, mit welchen Mitteln und auf welchem Wege die Polizei die Täter überführt. Lässt sich dies weder vermeiden noch genügend einschränken, so beantragt der Staatsanwalt für diese Teile der Hauptverhandlung die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung auszuschließen.
(2) Das gleiche gilt, wenn Einzelheiten über neue oder eigenartige Begehungsformen von Straftaten, z. B. von Fälschungen, Betrügereien, Vergiftungen oder Einbruchsdiebstählen erörtert werden müssen.
(3) Auch Bauweise, Einrichtung, Belegung und Sicherheitssystem einer Vollzugsanstalt sollen in der Regel nicht in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert werden. Gegebenenfalls wirkt der Staatsanwalt auf den Ausschluss der Öffentlichkeit hin.
134 Feststellung von Eintragungen im Bundeszentralregister
Bei der Erörterung von Eintragungen im Bundeszentralregister oder im Verkehrszentralregister ist darauf zu achten, dass dem Angeklagten durch das Bekanntwerden der eingetragenen Tatsachen keine Nachteile entstehen, die vermeidbar sind oder zur Bedeutung der Straftat außer Verhältnis stehen. Hält der Staatsanwalt abweichend von der Ansicht des Vorsitzenden (§ 243 Abs. 4 Satz 3, 4 StPO) die Feststellung von Eintragungen für geboten, so bleibt es ihm unbenommen, hierüber eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. Da es der Feststellung etwaiger Eintragungen in der Regel dann nicht bedarf, wenn eine Verurteilung des Angeklagten nicht zu erwarten ist, kann es angebracht sein, einen hierauf gerichteten Antrag bis zum Ende der Beweisaufnahme aufzuschieben.
135 Zeugen und Sachverständige
(1) Über das Erforderliche hinausgehende Begegnungen von Zeugen, insbesondere von Opfern, mit dem Angeklagten sollen vermieden, spezielle Warteräume für Zeugen genutzt werden.
(2) Zeugen und Sachverständige, die für die weitere Verhandlung nicht mehr benötigt werden, sollen nach ihrer Vernehmung entlassen werden.
(3) Kinder und Jugendliche sind möglichst vor anderen Zeugen zu vernehmen. In den Warteräumen sollen sie beaufsichtigt und, soweit möglich, betreut werden.
(4) Der Staatsanwalt soll durch geeignete Anträge auf eine entsprechende Verfahrens- weise hinwirken.
136 Verdacht strafbarer Falschaussagen
Ergibt sich im Laufe der Verhandlung ein begründeter Verdacht, dass sich ein Zeuge oder ein Sachverständiger einer Eidesverletzung oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat, so beantragt der Staatsanwalt, die beanstandete Aussage zur Feststellung des Tatbestandes für ein künftiges Ermittlungsverfahren zu beurkunden (§ 183 GVG, § 273 Abs. 3 StPO). Er sorgt für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und veranlasst, wenn nötig, die vorläufige Festnahme des Zeugen oder Sachverständigen.
137 Unterbrechung und Aussetzung der Hauptverhandlung
(1) Wird die Hauptverhandlung unterbrochen, so gibt der Vorsitzende den Anwesenden bekannt, wann sie fortgesetzt wird, und weist darauf hin, dass weitere Ladungen nicht ergehen.
(2) Wird die Verhandlung ausgesetzt und beraumt das Gericht den Termin für die neue Hauptverhandlung sofort an, so kann eine schriftliche Ladung der Zeugen und Sachverständigen dadurch ersetzt werden, dass der Vorsitzende sie unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen ihres Ausbleibens zu dem neuen Termin mündlich lädt. Dies ist im Protokoll zu vermerken. Der Angeklagte und der Verteidiger sind zu dem neuen Termin schriftlich zu laden, der Verteidiger jedoch nur, wenn er nicht auf die Ladung verzichtet.
(3) Wird die Verhandlung ausgesetzt oder unterbrochen, weil gegen einen Verteidiger ein Ausschließungsverfahren eingeleitet worden ist (§ 138 c Abs. 4 StPO), empfiehlt es sich, dem über die Ausschließung entscheidenden Gericht mit der Vorlage (§ 138 c Abs. 2 StPO) auch die Aussetzung oder Unterbrechung mitzuteilen. Wird die Hauptverhandlung unterbrochen, so ist auch mitzuteilen, an welchem Tag sie spätestens fortgesetzt werden muss.
138 Schlussvortrag des Staatsanwalts
(1) Der Staatsanwalt erörtert in seinem Schlussvortrag das Gesamtergebnis der Hauptverhandlung und würdigt es tatsächlich und rechtlich. Darüber hinaus weist er in geeigneten Fällen darauf hin, welche Bedeutung der Strafvorschrift für das Gemeinwohl zukommt.
(2) Hält der Staatsanwalt die Schuld des Angeklagten für erwiesen, so erörtert er auch die Strafzumessungsgründe (§ 46 StGB; vgl. auch Nr. 15) sowie alle Umstände, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Verfalls, des erweiterten Verfalls oder sonstiger Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) von Bedeutung sein können. Von einem Antrag auf Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung (z. B. eines Berufsverbotes nach § 70 StGB) soll regelmäßig nicht schon im Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Verwaltungsbehörden oder der Berufsgerichtsbarkeit abgesehen werden.
(3) Kommt eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) in Betracht, so wägt der Staatsanwalt die besonderen Umstände des Falles gegen das Gebot der Verteidigung der Rechtsordnung ab.
(4) Beantragt der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, so nimmt er dazu Stellung, aus welchen Gründen die Verhängung einer Geldstrafe nicht ausreicht und deshalb eine Freiheitsstrafe unerlässlich ist (§ 47 StGB). Von der Geldstrafe darf nicht allein deshalb abgesehen werden, weil der Angeklagte sie nicht oder nicht sofort zahlen kann. Gegebenenfalls ist eine Anordnung gemäß § 42 StGB zu erörtern.
(5) Beantragt der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, so nimmt er dazu Stellung, ob die Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung vorliegen (§ 56 StGB). Beantragt der Staatsanwalt Verwarnung mit Strafvorbehalt, Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung, so schlägt er gegebenenfalls zugleich geeignete Auflagen und Weisungen vor; für Auflagen gelten die Nr. 93 Abs. 3, 4 und Nr. 93 a sinngemäß.
(6) Hat der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht, nimmt der Staatsanwalt in geeigneten Fällen auch dazu Stellung, ob Geldstrafe neben Freiheitsstrafe zu verhängen ist ( § 41 StGB.
(7) Besteht Anlass, vom Angeklagten erlittene Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung nicht auf die Strafe anzurechnen, so hat sich der Staatsanwalt hierzu zu äußern (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB). Er hat ferner zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Haftbefehl noch aufrechtzuerhalten oder aufzuheben ist. Hat die Verhandlung Haftgründe gegen den auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten ergeben, so beantragt der Staatsanwalt einen Haftbefehl. Untersuchungshaft wegen Verdunklungsgefahr wird jedoch nach Verkündung des Urteils nur ausnahmsweise in Betracht kommen.
(8) Beim Antrag zum Kostenausspruch beachtet der Staatsanwalt die Ausnahmen von der Haftung für die Auslagen bei bestimmten Untersuchungen (§ 465 Abs. 2 StPO).
139 Anträge zum Freispruch des Angeklagten
(1) Beantragt der Staatsanwalt, den Angeklagten freizusprechen oder das Verfahren gegen ihn einzustellen, so nimmt er in geeigneten Fällen in seinem Antrag zugleich zur Frage der Auferlegung der Kosten (§§ 467 Abs. 2 Satz 1, 470 StPO) und des Ersatzes der dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen (§ 467 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, 4; § 470 StPO) Stellung.
(2) Hat die Hauptverhandlung ergeben, dass eine unwahre Anzeige vorsätzlich oder leichtfertig erstattet worden ist, so regt der Staatsanwalt eine Entscheidung nach § 469 StPO an.
(3) Kann eine Entschädigung nach den §§ 1, 2 StrEG in Betracht kommen, so wirkt der Staatsanwalt darauf hin, dass das Gericht gemäß § 8 des Gesetzes über die Entschädigungspflicht entscheidet. Der Staatsanwalt nimmt unter Berücksichtigung der §§ 3 bis 6 dieses Gesetzes und des § 254 BGB dazu Stellung, ob und in welchem Umfang eine Verpflichtung zur Entschädigung besteht, und vermerkt dies in den Handakten.
140* Mitteilung der Entscheidung und des Standes der Strafvollstreckung
(1) Von einem rechtskräftigen Urteil sowie von einem in § 268 a StPO genannten Beschluss über Strafaussetzung zur Bewährung ist dem Verurteilten oder Freigesprochenen und, sofern er einen Verteidiger hat, auch diesem eine Abschrift zu übersenden. In Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende sowie in Staatsschutzsachen kann im Einzelfall hiervon abgesehen werden. Andere Entscheidungen werden auf Antrag übersandt.
(2) Die Mitteilungen nach § 406d Abs. 1 und 2 StPO veranlasst die zum Zeitpunkt der Mitteilung für den Verfahrensabschnitt zuständige Stelle.
*) In Bayern gilt diese Vorschrift in einer abweichenden Fassung (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz über die Einführung der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, Justizministerialblatt)
141 Form des Urteils
(1) Im Urteil wird der Angeklagte so genau bezeichnet, wie es für die Anklage vorgeschrieben ist (Nr. 110 Abs. 2 Buchst. a). Werden die Urteilsgründe in die Verhandlungsniederschrift vollständig aufgenommen (§ 275 Abs. 1 Satz 1 StPO) und enthält diese auch die in Nr. 110 Abs. 2 Buchst. a vorgesehenen Angaben, so ist es nicht mehr nötig, das Urteil gesondert abzusetzen. Eine von der Niederschrift getrennte Absetzung der Urteilsgründe allein ist unzureichend. Ergeht das Urteil gegen mehrere Angeklagte, so sind die angewendeten Vorschriften (§ 260 Abs. 5 StPO) für jeden Angeklagten gesondert anzugeben.
(2) Das Urteil ist unverzüglich abzusetzen. Die in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO bestimmte Frist ist einzuhalten; erforderlichenfalls empfiehlt es sich, den Berichterstatter und gegebenenfalls auch den Vorsitzenden von anderen Dienstgeschäften freizustellen. Ist das Urteil in unterschriebener Form fristgerecht zu den Akten gebracht worden, so kann eine etwa erforderlich werdende Reinschrift auch noch nach Fristablauf hergestellt werden.
(3) Wird eine Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand veranlasst (§ 275 Abs. 1 Satz 4 StPO), ist es zweckmäßig, die Gründe hierfür aktenkundig zu machen.
142 Belehrung über Rechtsmittel und Rechtsbehelfe
(1) Ist der Angeklagte bei der Verkündung des Urteils anwesend, so belehrt ihn der Vorsitzende über die zulässigen Rechtsmittel (§ 35 a StPO). Dabei wird dem Angeklagten ein Merkblatt ausgehändigt, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen werden kann. Bei einem Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, hat die durch den hinzugezogenen Dolmetscher (Nr. 181 Abs. 1) zu vermittelnde Rechtsmittelbelehrung den Hinweis zu enthalten, dass die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache erfolgen muss. Die Belehrung wird im Protokoll über die Hauptverhandlung vermerkt.
(2) Der Angeklagte soll nicht veranlasst werden, im unmittelbaren Anschluss an die Urteilsverkündung zu erklären, ob er auf Rechtsmittel verzichtet. Erklärt er, ein Rechtsmittel einlegen zu wollen, so ist er an die Geschäftsstelle zu verweisen.
(3) Ist der Angeklagte bei der Verkündung des Urteils abwesend, so ist er über die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels schriftlich zu belehren, sofern er nicht durch einen mit einer schriftlichen Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten war; es genügt, wenn dem zuzustellenden Urteil ein Merkblatt beigefügt und dies in der Zustellungsurkunde vermerkt wird. In den Fällen der §§ 232, 329 Abs. 1 und 2 und des § 412 StPO ist der Angeklagte zugleich über sein Recht zu belehren, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (§§ 235, 329 Abs. 3 StPO).
143 Beurkundung eines Rechtsmittelverzichts
(1) Ein unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärter Verzicht auf Rechtsmittel ist im Protokoll zu beurkunden. Es empfiehlt sich, im Protokoll zu vermerken, dass die Erklärung über den Rechtsmittelverzicht verlesen und genehmigt worden ist (§ 273 Abs. 3 StPO).
(2) Verzichtet ein in Untersuchungshaft befindlicher Angeklagter auf Rechtsmittel, so ist der Zeitpunkt des Verzichts nach Stunde und Minute in das Protokoll aufzunehmen.
144 Die Beurkundung der Hauptverhandlung
(1) Der Urkundsbeamte hat das Protokoll über die Hauptverhandlung wegen dessen besonderer Bedeutung (§ 274 StPO) sorgfältig abzufassen. Der Vorsitzende überwacht die ordnungsgemäße Beurkundung, namentlich der Förmlichkeiten des Verfahrens (z. B. §§ 265, 303 StPO) und der Beweisanträge. Er prüft das Protokoll auf Richtigkeit und Vollständigkeit und veranlasst nötige Abänderungen und Ergänzungen. Als Tag der Fertigstellung des Protokolls (§ 271 Abs. 1 Satz 2 StPO) ist der Tag anzugeben, an dem die zweite Urkundsperson das Protokoll unterschreibt.
(2) Bei der Aufnahme von Zeugenaussagen kann auf amtliche, auch außergerichtliche Niederschriften über eine frühere Vernehmung des Zeugen im Vorverfahren Bezug genommen werden. Ändert oder ergänzt der Zeuge jedoch seine früheren Erklärungen oder bestreitet ein Beteiligter die Richtigkeit der Aussage, so ist es in der Regel geboten, die Aussage vollständig, in den entscheidenden Punkten unter Umständen sogar wörtlich, in das Protokoll aufzunehmen, damit f ür ein späteres Ermittlungsverfahren wegen einer unrichtigen Aussage ausreichende Unterlagen vorhanden sind. Auf nichtamtliche Niederschriften von Aussagen soll grundsätzlich nicht Bezug genommen werden.
145 Festsetzung der notwendigen Auslagen des Beschuldigten
(1) Vor dem Erlass des Festsetzungsbeschlusses soll der Rechtspfleger den Vertreter der Staatskasse hören. Dieser kann zu der von ihm beabsichtigten Äußerung oder zu Einzelfragen eine Stellungnahme des Leiters der Strafverfolgungsbehörde beim Landgericht herbeiführen.
(2) Der Festsetzungsbeschluss des Rechtspflegers ist dem Vertreter der Staatskasse zuzustellen (§ 464b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Dieser prüft, ob gegen den Festsetzungsbeschluss innerhalb der gesetzlichen Frist namens der Staatskasse ein Rechtsbehelf (Erinnerung oder sofortige Beschwerde) einzulegen ist. Dabei kann er den Leiter der Strafverfolgungsbehörde beim Landgericht beteiligen. Wird von einem Rechtsbehelf abgesehen, so teilt der Vertreter der Staatskasse dies dem Rechtspfleger mit. Legt der Vertreter der Staatskasse einen Rechtsbehelf ein, so beantragt er gleichzeitig, die Vollziehung des Festsetzungsbeschlusses auszusetzen. Er teilt dem Rechtspfleger unverzüglich die Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag mit.
(3) Die Entscheidung des Gerichts über die Erinnerung wird dem Vertreter der Staatskasse zugestellt, wenn gegen sie die sofortige Beschwerde statthaft ist. Für die sofortige Beschwerde und für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung gilt Absatz 2 Satz 2 bis 6 entsprechend.
(4) Soweit der Rechtspfleger bei der Festsetzung der Auslagen der Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse entspricht, ordnet er gleichzeitig mit dem Erlass des Festsetzungsbeschlusses die Auszahlung an. Die Auszahlung von Auslagen, deren Festsetzung der Vertreter der Staatskasse widersprochen hat, wird bereits vor der formellen Rechtskraft des Festsetzungsbeschlusses angeordnet, wenn
- die Frist zur Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs für den Vertreter der Staatskasse abgelaufen ist,
- der Vertreter der Staatskasse erklärt hat, dass ein Rechtsbehelf nicht eingelegt werde, oder
- der Vertreter der Staatskasse einen Rechtsbehelf eingelegt hat und
aa) die Vollziehung des Kostenfestsetzungsbeschlusses
oder
bb) die Vollziehung der Entscheidung über die Erinnerung für den
Fall, dass diese mit der sofortigen Beschwerde angefochten
werden kann,
nicht innerhalb einer Woche nach Ablauf der Frist zur Einlegung des jeweiligen Rechtsbehelfs ausgesetzt wird.
Wird der Kostenfestsetzungsbeschluss nur zum Teil angefochten, so ist der Teil der Auslagen, dessen Festsetzung nicht angefochten ist, sofort zu erstatten; auf dem Auszahlungsbeleg ist auf die Teilanfechtung hinzuweisen.
4. Beschleunigtes Verfahren
146
(1) In allen geeigneten Fällen ist die Aburteilung im beschleunigten Verfahren (§ 417 StPO) zu beantragen; dies gilt vor allem, wenn der Beschuldigte geständig ist oder andere Beweismittel zur Verfügung stehen. Das beschleunigte Verfahren kommt nicht in Betracht, wenn Anlass besteht, die Person des Beschuldigten und sein Vorleben genau zu erforschen oder wenn der Beschuldigte durch die Anwendung dieses Verfahrens in seiner Verteidigung beeinträchtigt werden würde.
(2) Zur Vereinfachung und Erleichterung des Verfahrens soll der Staatsanwalt die Anklage nach Möglichkeit schriftlich niederlegen, sie in der Hauptverhandlung verlesen und dem Gericht einen Abdruck als Anlage für die Niederschrift übergeben.
IV. Abschnitt
Rechtsmittel
1. Einlegung
147 Rechtsmittel des Staatsanwalts
(1) Der Staatsanwalt soll ein Rechtsmittel nur einlegen, wenn wesentliche Belange der Allgemeinheit oder der am Verfahren beteiligten Personen es gebieten und wenn das Rechtsmittel aussichtsreich ist. Entspricht eine Entscheidung der Sachlage, so kann sie in der Regel auch dann unangefochten bleiben, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Zur Nachprüfung des Strafmaßes ist ein Rechtsmittel nur einzulegen, wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht. Die Tatsache allein, dass ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten.
(2) Von diesen Grundsätzen kann abgewichen werden, wenn ein Gericht in einer häufiger wiederkehrenden, bedeutsamen Rechtsfrage eine nach Ansicht des Staatsanwalts unzutreffende Rechtsauffassung vertritt oder wenn es im Strafmaß nicht nur vereinzelt, sondern allgemein den Aufgaben der Strafrechtspflege nicht gerecht wird.
(3) Der Staatsanwalt soll ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einlegen (§ 296 Abs. 2 StPO), wenn dieser durch einen Verfahrensverstoß oder durch einen offensichtlichen Irrtum des Gerichts benachteiligt worden ist oder wenn die Strafe unter Würdigung aller Umstände des Falles unangemessen hoch erscheint. Dass das Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten eingelegt wird, muss deutlich zum Ausdruck gebracht werden.
148 Vorsorgliche Einlegung von Rechtsmitteln
(1) Nur ausnahmsweise soll ein Rechtsmittel lediglich vorsorglich eingelegt werden. Dies kann in Betracht kommen, wenn es geboten erscheint, die Entschließung der vorgesetzten Behörde herbeizuführen oder wenn das Verfahren eine Behörde besonders berührt und ihr Gelegenheit gegeben werden soll, sich zur Durchführung des Rechtsmittels zu äußern. Nr. 211 Abs. 2 und 3 Buchst. b ist zu beachten.
(2) In der Rechtsmittelschrift darf nicht zum Ausdruck kommen, dass das Rechtsmittel nur vorsorglich oder auf Weisung eingelegt wird.
(3) Wird ein Rechtsmittel lediglich vorsorglich eingelegt, so ist in der Rechtsmittelschrift nur die Tatsache der Einlegung mitzuteilen. Wenn so verfahren wird, braucht die Rechtsmittelschrift dem Angeklagten nicht zugestellt zu werden.
149 Unterzeichnung der Rechtsmittelschrift
Der Staatsanwalt hat die Reinschrift der Rechtsmittel- und der Begründungsschrift handschriftlich zu unterzeichnen.
150 Rechtsmittel des Angeklagten zu Protokoll der Geschäftsstelle
(1) Legt der Angeklagte die Berufung zu Protokoll der Geschäftsstelle ein oder begründet er sie in dieser Form, so ist er zu befragen, ob er das Urteil in seinem ganzen Umfang anfechten oder die Anfechtung auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränken will (§ 318 StPO). Das Protokoll muss dies klar erkennen lassen. Wird eine erneute Beweisaufnahme begehrt, so sind neue Beweismittel genau zu bezeichnen. In den Fällen des § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Angeklagte im Hinblick auf die Entscheidung über die Annahme der Berufung nach § 313 Abs. 2 StPO auf die Möglichkeit der Begründung des Rechtsmittels hinzuweisen.
(2) Rechtfertigt der Angeklagte die Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2 StPO), so soll der Rechtspfleger dafür sorgen, dass er die Gerichtsakten, mindestens aber eine Abschrift des angefochtenen Urteils zur Hand hat. Der Rechtspfleger belehrt den Angeklagten über die richtige Art der Revisionsrechtfertigung und wirkt auf eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Fassung hin. Der Rechtspfleger ist an den Wortlaut und die Form des zur Begründung der Revision Vorgebrachten nicht gebunden, wohl aber an dessen sachlichen Kern. Er nimmt in das Protokoll auch das Vorbringen auf, für das er die Verantwortung ablehnt; er belehrt den Angeklagten über die sich daraus ergebenden Folgen und vermerkt diese Belehrung im Protokoll.
(3) Das Protokoll muss aus sich heraus verständlich sein. Bezugnahmen auf andere Schriftstücke sind unwirksam. Dies gilt vor allem für handschriftliche Erklärungen des Beschwerdeführers. Diese können auch nicht dadurch zu einer zulässigen Begründung der Revision werden, dass sie äußerlich die Form des Protokolls erhalten oder dass sie in das Protokoll übernommen werden, ohne dass sie der Rechtspfleger geprüft und ihnen eine möglichst zweckmäßige Form gegeben hat.
(4) Es ist ein bestimmter Antrag aufzunehmen. Dieser muss erkennen lassen, ob der Beschwerdeführer das Urteil im ganzen anfechten oder ob er die Revision beschränken will; der Umfang der Beschränkung ist genau anzugeben.
(5) Will der Beschwerdeführer rügen, dass das Strafgesetz nicht richtig angewandt worden sei, so ist die Erklärung aufzunehmen, dass die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird; Zusätze müssen rechtlicher Natur sein. Die allgemeine Sachrüge ist angebracht, wenn dem Revisionsgericht die materielle Überprüfung des Urteils im ganzen ermöglicht werden soll.
(6) Wird ein Verfahrensverstoß geltend gemacht, so muss der prozessuale Vorgang, in dem der Mangel gefunden wird, z. B. die Ablehnung eines Beweisantrages oder eines Antrages auf Bestellung eines Verteidigers, genau wiedergegeben werden. Es genügt nicht, auf Aktenstellen Bezug zu nehmen. Wohl aber ist es angebracht, auf die Aktenstellen hinzuweisen, aus denen sich die behaupteten Verfahrenstatsachen ergeben. Wird gerügt, dass die Aufklärungspflicht verletzt worden sei, so müssen auch die angeblich nicht benutzten Beweismittel bezeichnet werden.
151 Empfangsbestätigung
Die Geschäftsstelle hat dem Beschwerdeführer auf Verlangen den Eingang einer Rechtsmittel- oder Begründungsschrift zu bescheinigen. Von Rechtsanwälten kann verlangt werden, dass sie eine vorbereitete Empfangsbescheinigung vorlegen.
2. Verzicht und Rücknahme
152
(1) Verzichtet ein Verteidiger auf die Einlegung eines Rechtsmittels oder beschränkt er ein Rechtsmittel von vornherein oder nachträglich auf einen Teil der Entscheidung (Teilverzicht) oder nimmt er ein Rechtsmittel zurück, so ist zu prüfen, ob seine Ermächtigung zum Verzicht oder zur Rücknahme nachgewiesen ist (§ 302 Abs. 2 StPO). Das Ergebnis der Prüfung ist aktenkundig zu machen. Fehlt der Nachweis für die Ermächtigung, so ist sie vom Verteidiger oder vom Angeklagten einzufordern.
(2) Liegen die Akten bereits dem Rechtsmittelgericht vor, so wird die Rücknahmeerklärung erst wirksam, wenn sie bei dem Rechtsmittelgericht eingeht; daher sind in diesem Falle die Rücknahmeerklärungen, die bei der Staatsanwaltschaft oder beim Gericht des früheren Rechtszuges eingehen, unverzüglich weiterzuleiten. Ist Revision eingelegt, so ist darüber hinaus dem Revisionsgericht oder der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht fernmündlich oder telegrafisch mitzuteilen, dass eine Rücknahmeerklärung eingegangen ist.
(3) Nimmt der Angeklagte ein Rechtsmittel zurück, so ist der Staatsanwalt (gegebenenfalls auch der Nebenkläger), nimmt der Staatsanwalt oder der Nebenkläger ein Rechtsmittel zurück, so sind der Angeklagte und sein Verteidiger durch das mit der Sache befasste Gericht zu benachrichtigen, auch wenn ihnen die Rechtsmittelschrift nicht zur Kenntnis gebracht worden ist (Nr. 148 Abs. 3 Satz 2).
3. Verfahren nach der Einlegung
A. Gemeinsame Bestimmungen
153 Beschleunigung
Rechtsmittelsachen sind stets als Eilsachen zu behandeln.
154 Zustellung des Urteils
(1) Das Urteil, gegen das der Angeklagte ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist dem Verteidiger zuzustellen, wenn sich dessen Vollmacht bei den Akten befindet (Wahlverteidiger) oder wenn er zum Verteidiger bestellt worden ist (Pflichtverteidiger). Kann an mehrere Verteidiger rechtswirksam zugestellt werden, so soll die Zustellung nur an einen von ihnen erfolgen. Die weiteren Verteidiger und der Angeklagte sind von der Zustellung zu unterrichten; eine Abschrift des Urteils ist beizufügen.
(2) Hat der gesetzliche Vertreter des Angeklagten ein Rechtsmittel eingelegt, so wird ihm das Urteil zugestellt. Haben beide das Rechtsmittel eingelegt, so ist das Urteil jedem von ihnen zuzustellen.
155 Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Rechtsmittelfrist mit dem Verschulden anderer Personen (Urkundsbeamten, Bediensteten der Vollzugsanstalt, Verteidiger usw.) begründet wird, so ist eine (dienstliche) Äußerung dieser Personen herbeizuführen.
156 Rechtsmittelbegründung
(1) Der Staatsanwalt muss jedes von ihm eingelegte Rechtsmittel begründen, auch wenn es sich nur gegen das Strafmaß richtet.
(2) Eine Revisionsbegründung, die sich - abgesehen von den Anträgen - darauf beschränkt, die Verletzung sachlichen Rechts zu rügen, genügt zwar den gesetzlichen Erfordernissen; der Staatsanwalt soll aber seine Revision stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils er eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe er seine Rechtsauffassung stützt.
(3) Stützt der Staatsanwalt seine Revision auf Verletzungen von Verfahrensvorschriften, so sind die formellen Rügen nicht nur mit der Angabe der die Mängel enthaltenen Tatsachen zu begründen ( § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), sondern es sind auch die Aktenstellen, auf die sich die Rügen beziehen, z. B. Teile des Protokolls über die Hauptverhandlung, abschriftlich in der Revisionsrechtfertigung anzuführen.
157 Urteilsabschrift an den Beschwerdegegner
Mit der Zustellung der Berufungs- oder Revisionsschriften ist dem Gegner des Beschwerdeführers, falls noch nicht geschehen, eine Abschrift des Urteils mit Gründen zu übersenden.
B. Berufungsverfahren
158 Benennung von Beweismitteln
Bei Übersendung der Akten an das Berufungsgericht (§ 321 Satz 2 StPO) benennt der Staatsanwalt nur solche Zeugen und Sachverständige, deren Vernehmung zur Durchführung der Berufung notwendig ist.
158 a Annahmeberufung
(1) Hat in den Fällen des § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO der Angeklagte oder der Nebenkläger Berufung eingelegt, so nimmt der Staatsanwalt gegenüber dem Berufungsgericht zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels Stellung und stellt einen Antrag zu der nach den §§ 313 Abs. 2, 322 a StPO zu treffenden Entscheidung.
(2) In den Fällen des § 313 Abs. 3 StPO (Berufung gegen ein auf Geldbuße, Freispruch oder Einstellung wegen einer Ordnungswidrigkeit lautendes Urteil) gilt Nr. 293 Abs. 2 entsprechend.
C. Revisionsverfahren
159 Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft
Wird das Urteil der Staatsanwaltschaft durch Vorlegen der Urschrift (§ 41 StPO) zugestellt, so hat die Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft auf der Urschrift den Tag zu bescheinigen, an dem das Urteil eingegangen ist ("Zur Zustellung eingegangen am ......."). Bleibt die Urschrift nicht bei den Akten, so vermerkt die Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft auf der mit der Urschrift vorgelegten, für die Akten bestimmten Ausfertigung des Urteils: "Die Urschrift des Urteils ist zur Zustellung am ........ eingegangen". Beide Vermerke sind vom Staatsanwalt zu zeichnen.
160 Akteneinsicht durch den Verteidiger
Während die Frist zur Revisionsbegründung läuft, sind die Akten zur Einsichtnahme durch den Verteidiger bereitzuhalten.
161 Berichtigung des Verhandlungsprotokolls
(1) Wird beantragt, das Protokoll über die Hauptverhandlung zu berichtigen, so führt der Staatsanwalt eine Erklärung des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten herbei.
(2) Wird - ohne einen förmlichen Antrag auf Berichtigung - nur in der Revisionsbegründung geltend gemacht, dass das Protokoll unrichtig oder unvollständig sei, so wird es sich empfehlen, dies vor der Einsendung der Akten an das Revisionsgericht durch Rückfrage aufzuklären.
162 Gegenerklärung des Staatsanwalts
(1) Begründet der Angeklagte oder der Nebenkläger seine Revision nur mit der Verletzung des sachlichen Rechts, so kann der Staatsanwalt in der Regel von einer Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) absehen.
(2) Wird das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten, so gibt der Staatsanwalt eine Gegenerklärung fristgemäß ab, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerden erleichtert wird und zeitraubende Rückfragen und Erörterungen vermieden werden. Die Gegenerklärung soll die Tatsachen, auf die sich die Verfahrensrügen erstrecken, erschöpfend darstellen; die in Betracht kommenden Aktenstellen sind abzulichten oder abschriftlich wiederzugeben. Ausführungen des angefochtenen Urteils, die Gegenstand einer Verfahrensrüge sind, werden in die Gegenerklärung nicht aufgenommen. Wird die Behandlung von Beweisanträgen gerügt, so ist aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung festzustellen, ob die Beteiligten auf weitere Beweise verzichtet oder sich mit der Schließung der Beweisaufnahme einverstanden erklärt haben. Trifft dies zu, so ist dieser Teil des Protokolls in der Gegenerklärung wörtlich wiederzugeben. Ist über einen Antrag, namentlich einen Beweisantrag, im Urteil entschieden worden, so ist auf die betreffende Urteilsstelle (nach der Seite der Abschrift) zu verweisen. Bezieht sich die Verfahrensrüge auf einen Vorgang, der aus einem Protokoll über die Hauptverhandlung nicht ersichtlich und auch von dem Sitzungsstaatsanwalt nicht wahrgenommen worden ist, so wird es zweckmäßig sein, über den Vorgang eine Äußerung der Beteiligten herbeizuführen.
(3) Der Staatsanwalt teilt eine Gegenerklärung dem Beschwerdeführer mit und legt sie dem Gericht vor. Anlagen (dienstliche Äußerungen usw.), auf die Bezug genommen wird, sind der Vorlage an das Gericht beizufügen. Enthält die Gegenerklärung erhebliche neue Tatsachen oder Beweisergebnisse, so ist sie dem Beschwerdeführer zuzustellen. Wird keine Gegenerklärung abgegeben, so braucht das Gericht hiervon nicht unterrichtet zu werden.
(4) Der Vorsitzende leitet die Akten der Staatsanwaltschaft zur weiteren Verfügung zu, wenn er von der Gegenerklärung Kenntnis genommen hat oder wenn die Frist (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) abgelaufen ist.
163 Übersendung der Akten an das Revisionsgericht
(1) Die Akten werden dem Revisionsgericht durch die Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht vorgelegt. Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Revision zuständig und betreibt der Staatsanwalt allein oder neben einem anderen Beteiligten die Revision, so werden die Akten über den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht geleitet. Dies gilt nicht, wenn das Amt des Staatsanwalts bei dem Oberlandesgericht durch den Generalbundesanwalt ausgeübt wird (§ 142 a GVG). Der Vorlage an den Bundesgerichtshof ist ein Übersendungsbericht beizufügen; dies gilt auch für die Vorlage an ein Revisionsgericht eines Landes, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) Abs. 1 gilt entsprechend, wenn der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder die Entscheidung des Revisionsgericht nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt hat.
(3) Vor der Übersendung prüft der Staatsanwalt, ob die Zustellungen und Vollmachten in Ordnung sind und veranlasst, dass alle Mängel beseitigt werden. Ist die Urschrift des Urteils schwer lesbar, so ist eine einwandfreie Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beizuheften.
164 Form und Inhalt des Übersendungsberichts
(1) Der Übersendungsbericht soll folgende Angaben enthalten:
- die Namen und die zuletzt bekannten vollständigen Anschriften aller Verfahrensbeteiligten (Angeklagte, Verteidiger, gesetzliche Vertreter, Nebenbeteiligte, Einziehungsbeteiligte usw.) sowie die Aktenstellen, aus denen sich Beiordnungen und Vollmachten von Rechtsanwälten ergeben;
- die Angabe, ob der Angeklagte bei der Verkündung des Urteils anwesend war;
- das Eingangsdatum und die Aktenstelle der Schriften über die Einlegung und die Begründung der Revision;
- den Tag der Zustellung des Urteils an den Beschwerdeführer und der Revisionsbegründung an Gegner des Beschwerdeführers;
- die Aktenstelle der Gegenerklärung und der Mitteilung der Gegenerklärung an den Beschwerdeführer;
- die Anzahl der Abschriften der Revisionsentscheidung, die für Mitteilungen gebraucht werden;
- den Hinweis auf nur örtlich geltende gesetzliche Feiertage, wenn das Ende einer Frist, die für das Revisionsverfahren wesentlich ist, auf einen solchen Tag fällt;
- den Hinweis auf die Zulassung eines Nebenklägers (§ 396 Abs. 2 StPO) mit Angabe der Aktenstelle;
- den Hinweis auf einen in Beiakten anberaumten Termin oder auf andere Beschleunigungsgründe, die übersehen werden könnten.
(2) In Haftsachen ist ferner anzugeben, wo der Angeklagte verwahrt wird. Auf dem Übersendungsbericht ist deutlich sichtbar „Haft" zu vermerken (vgl. Nr. 52). Dieser Vermerk ist durch nähere Angaben (z. B. „Strafhaft in der Sache ...") zu erläutern.
(3) Auf andere Strafverfolgungsmaßnahmen (vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, vorläufiges Berufsverbot u. a.), die eine Entschädigungspflicht auslösen könnten, ist hinzuweisen.
(4) Legt der Staatsanwalt wegen der Bedeutung der Strafsache oder aus anderen Gründen, z. B. weil gegen den Angeklagten Haftbefehl erlassen ist, Wert darauf, über die Entscheidung des Revisionsgerichts beschleunigt unterrichtet zu werden, so weist er hierauf hin; wird eine besondere Übermittlungsart gewünscht (z. B. Telex, Telefax), so ist dies deutlich hervorzuheben.
165 Anlagen zum Übersendungsbericht
(1) Für das Revisionsgericht sind beizufügen je eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift
- des angefochtenen und jedes weiteren in diesem Verfahren gegen den Angeklagten ergangenen Urteils, sowie eines nach § 346 Abs. 1 StPO ergangenen Beschlusses, wobei einzelne Teile der Entscheidung, die einen anderen Angeklagten oder eine der Revisionsentscheidung nicht unterliegende Straftat betreffen, in der Abschrift ausgelassen werden können,
- der Schriftstücke über die Einlegung und die Rechtfertigung der Revision, der sonstigen die Revision betreffenden Schriften (Wiedereinsetzungsantrag, Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO usw., jeweils versehen mit dem Eingangsdatum), der Gegenerklärung mit den Anlagen und der Erwiderung.
(2) Kommen für die Entscheidung landesrechtliche oder örtliche Vorschriften in Betracht, die nur in Amts-, Kreis- oder ähnlichen Blättern von örtlicher Bedeutung veröffentlicht sind, so sind Abdrucke oder beglaubigte Abschriften beizufügen.
(3) Für die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht sind je eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der in den Abs. 1 und 2 bezeichneten Schriftstücke beizufügen.
166 Übersendung von Überführungsstücken und Beiakten
(1) Dem Revisionsgericht sind nur die für die Entscheidung über die Revision nötigen Überführungsstücke und Akten zu übersenden, z. B. die Akten, die für die Nachprüfung von Prozessvoraussetzungen oder für die Anwendung der §§ 66, 69, 70 StGB von Bedeutung sind.
(2) Schriftstücke, Skizzen und Lichtbilder, auf die in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen ist oder die zum besseren Verständnis des Urteils beitragen (z. B. Verkehrsunfallskizzen, Lichtbilder), sind zu übersenden. Welche anderen Überführungsstücke und Akten zu übersenden sind, entscheidet der Staatsanwalt.
167 Beschleunigung
Ist über Haft-, Dienstaufsichts- oder sonstige Beschwerden oder über Anträge auf Festsetzung von Kosten, Vergütungen oder Entschädigungen zu entscheiden, sind Gnadengesuche von Mitverurteilten zu bearbeiten oder ist gegen diese die Strafvollstreckung einzuleiten, so ist zu prüfen, ob diese Entscheidungen auf Grund von Aktenteilen, die für das Revisionsgericht entbehrlich sind, oder auf Grund von Abschriften oder Ablichtungen getroffen werden können. Ist dies nicht der Fall, so ist zu erwägen, ob die Angelegenheit bis zur Rückkunft der Akten aus der Revisionsinstanz zurückgestellt werden kann. Eine Zurückstellung unterbleibt bei Vollstreckungsmaßnahmen und Gnadenverfahren.
168 Überprüfung durch den Generalstaatsanwalt und Rücknahme der Revision
(1) Ist zur Entscheidung über die Revision der Staatsanwaltschaft der Bundesgerichtshof zuständig, so prüft der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht, ob die Förmlichkeiten beachtet worden sind und ob die Revision durchgeführt werden soll. Hält er sie nicht für angebracht oder verspricht er sich von ihr keinen Erfolg, so nimmt er die Revision entweder selbst zurück oder weist die Staatsanwaltschaft an, sie zurückzunehmen. Bei der Weiterleitung der Akten soll der Generalstaatsanwalt zum Ausdruck bringen, ob er der Revisionsbegründung beitritt oder aus welchen anderen Gründen er die Revision durchzuführen wünscht.
(2) Abs. 1 gilt entsprechend, wenn das Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Revision zuständig ist.
169 Rückleitung der Akten
(1) Nach Erledigung der Revision werden die Akten über den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht an die Staatsanwaltschaft zurückgeleitet. Die Akten werden unmittelbar an die Staatsanwaltschaft zurückgeleitet, wenn lediglich der Angeklagte Revision eingelegt und der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht darauf verzichtet hat, dass die Akten über ihn zurückgeleitet werden.
(2) In Haftsachen ist die Rückleitung zu beschleunigen; der Zeitpunkt, zu dem das Urteil rechtskräftig geworden ist, soll nach Stunde und Minute angegeben und dem Staatsanwalt, wenn nötig, fernmündlich oder in der von ihm sonst gewünschten Art im voraus mitgeteilt werden.
(3) In den Fällen der Nr. 164 Abs. 3 sind die Akten beschleunigt zurückzusenden. Dasselbe gilt, wenn die Befugnis zuerkannt worden ist, die Verurteilung innerhalb einer Frist öffentlich bekannt zu machen.
V. Abschnitt
Wiederaufnahme des Verfahrens
170 Allgemeines
(1) Der Staatsanwalt, der die Anklage oder die Antragsschrift verfasst hat oder der an der Hauptverhandlung gegen den Verurteilten teilgenommen hat, soll in der Regel in dem von dem Verurteilten beantragten Wiederaufnahmeverfahren nicht mitwirken.
(2) Der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht soll im Wiederaufnahmeverfahren von seiner Befugnis gemäß § 145 Abs. 1 GVG, die Amtsverrichtungen der Staatsanwaltschaft selbst zu übernehmen oder mit ihrer Wahrnehmung einen anderen als den zunächst zuständigen Beamten (§ § 140 a, 143 GVG) zu beauftragen, nur in besonders begründeten Ausnahmefällen Gebrauch machen.
171 Erneuerung der Hauptverhandlung
(1) Ist die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet, so muss in der Regel eine neue Hauptverhandlung stattfinden, weil nur so die meist vorhandenen Widersprüche geklärt und das gesamte Beweismaterial umfassend gewürdigt werden kann und weil nur dadurch gesichert ist, dass die Umstände, die für die frühere Verurteilung maßgebend waren, neben dem Ergebnis der neuen Beweisaufnahme gebührend berücksichtigt werden. Der Staatsanwalt wird deshalb einem Freispruch ohne neue Hauptverhandlung nur ausnahmsweise zustimmen können.
(2) Eine solche Ausnahme kann vorliegen, wenn einwandfrei festgestellt ist, dass der Verurteilte zur Zeit der Tat geisteskrank war, oder wenn seine Unschuld klar zutage tritt und es wegen der besonderen Umstände des Falles unzweckmäßig ist, die Hauptverhandlung zu erneuern; jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte mitunter ein berechtigtes Interesse daran hat, dass seine Ehre in öffentlicher Verhandlung wiederhergestellt wird.
VI. Abschnitt
Beteiligung des Verletzten am Verfahren
1. Privatklage
172 Übernahme der Verfolgung durch den Staatsanwalt
(1) Legt das Gericht dem Staatsanwalt die Akten nach § 377 Abs. 1 Satz 2 StPO vor oder erwägt der Staatsanwalt von sich aus, die Verfolgung zu übernehmen, hält er aber noch weitere Ermittlungen für nötig, so teilt er dies dem Gericht mit und ersucht, die Entscheidung nach § 383 StPO zurückzustellen.
(2) Übernimmt der Staatsanwalt die Verfolgung (vgl. Nr. 86), so teilt er dies dem Gericht und dem Privatkläger mit; der Privatkläger ist zugleich auf eine etwa bestehende Nebenklagebefugnis und auf die Kostenfolge des § 472 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuweisen. Hält der Staatsanwalt später die Einstellung des Verfahrens für angezeigt, so legt er dem Gericht seine Auffassung dar und beantragt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen. Verneint er das öffentliche Interesse an weiterer Verfolgung, so gibt er die Akten dem Gericht mit einem entsprechenden Vermerk zurück.
2. Entschädigung des Verletzten
173 Unterrichtung des Verletzten über das Entschädigungsverfahren
Der Staatsanwalt hat den Verletzten oder dessen Erben in der Regel und so früh wie möglich auf die Möglichkeit, einen Entschädigungsanspruch nach den §§ 403 ff. StPO geltend zu machen, hinzuweisen. Dabei wird der Verletzte über die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe (§ 404 Abs. 5 StPO), Form und Inhalt des Antrags (§ 404 Abs. 1 StPO) und über das Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung (§ 404 Abs. 3 StPO) zu belehren sein. Auch wird er darauf hinzuweisen sein, dass es sich in der Regel empfiehlt, den Antrag möglichst frühzeitig zu stellen, dass er seinen Anspruch, soweit er ihm nicht zuerkannt wird, noch im Zivilrechtsweg verfolgen kann (§ 406 Abs. 3 StPO) und dass das Gericht aus bestimmten Gründen von der Entscheidung über den Antrag absehen kann (§ 406 Abs. 1 StPO).
174 Stellung des Staatsanwalts im Entschädigungsverfahren
(1) Der Staatsanwalt soll zur Eignung des Entschädigungsantrages für eine Erledigung im Strafverfahren Stellung nehmen (§ 406 Abs. 1 Satz 4 und 5 StPO). Im Übrigen äußert er sich, wenn dies nötig ist, um die Tat strafrechtlich zutreffend zu würdigen.
(2) Der Staatsanwalt hat den bei ihm eingegangenen Entschädigungsantrag dem Gericht beschleunigt zuzuleiten, weil die Rechtswirkungen des Antrags (§ 404 Abs. 2 StPO) erst eintreten, wenn dieser bei Gericht eingegangen ist.
3. Sonstige Befugnisse des Verletzten
174 a. Unterrichtung des Verletzten.
Sobald der Staatsanwalt mit den Ermittlungen selbst befasst ist, prüft er, ob der Verletzte bereits gemäß § 406h StPO belehrt worden ist. Falls erforderlich, holt er diese Belehrung nach. Dazu kann er das übliche Formblatt verwenden.
174 b. Bestellung des Beistandes.
Geht während eines Ermittlungsverfahrens oder im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO) bei der Staatsanwaltschaft ein Antrag des Verletzten auf Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand oder auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nach den §§ 406g, 397a StPO ein, so ist dieser Antrag unverzüglich an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
VII. Abschnitt
Besondere Verfahrensarten
1. Verfahren bei Strafbefehlen
175 Allgemeines
(1) Erwägt der Staatsanwalt, den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen, so vermerkt er den Abschluss der Ermittlungen in den Akten (vgl. Nr. 109).
(2) Der Erlass eines Strafbefehls soll nur beantragt werden, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten bekannt ist, so dass in der regelmäßigen Form zugestellt werden kann. Sonst ist das Verfahren vorläufig einzustellen oder, wenn sich die Abwesenheit des Beschuldigten erst nach dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls herausgestellt hat, die vorläufige Einstellung des Verfahrens (§ 205 StPO) zu beantragen.
(3) Im übrigen soll von dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nur abgesehen werden, wenn die vollständige Aufklärung aller für die Rechtsfolgenbestimmung wesentlichen Umstände oder Gründe der Spezial- oder Generalprävention die Durchführung einer Hauptverhandlung geboten erscheinen lassen. Auf einen Strafbefehlsantrag ist nicht schon deswegen zu verzichten, weil ein Einspruch des Angeschuldigten zu erwarten ist.
(4) Bei verhafteten oder vorläufig festgenommenen Personen ist zu prüfen, ob das beschleunigte Verfahren nach § 417 StPO eine raschere Erledigung ermöglicht.
175 a Strafbefehl nach Eröffnung des Hauptverfahrens
Ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 408 a Abs. 1 Satz 1 StPO) kommt namentlich in Betracht, wenn
- der Angeklagte mit bekanntem Aufenthalt im Ausland wohnt, seine Einlieferung zur Durchführung der Hauptverhandlung aber nicht möglich oder nicht angemessen wäre,
- der Angeklagte der Hauptverhandlung entschuldigt fernbleibt, weil er infolge einer längeren Krankheit an ihr nicht teilnehmen kann, obwohl seine Verhandlungsfähigkeit im übrigen nicht beeinträchtigt ist,
- der Angeklagte der Hauptverhandlung fernbleibt und nicht nach § 232 StPO ohne ihn verhandelt werden kann oder
- der unmittelbaren Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erhebliche Hinderungsgründe entgegenstehen und die Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht vorliegen, der Sachverhalt aber nach dem Akteninhalt genügend aufgeklärt erscheint.
176 Anträge
(1) Zur Vereinfachung und Beschleunigung des Geschäftsgangs hat der Staatsanwalt, wenn nicht besondere Umstände ein abweichendes Verfahren rechtfertigen, den Strafbefehlsantrag so zu stellen, dass er einen Strafbefehlsentwurf einreicht und beantragt, einen Strafbefehl dieses Inhalts zu erlassen. In den Fällen des § 444 StPO in Verbindung mit § 30 OWiG ist im Strafbefehlsentwurf die Anordnung der Beteiligung der juristischen Person oder Personenvereinigung und die Festsetzung einer konkreten Geldbuße aufzunehmen. In den Fällen des § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO schlägt er gegebenenfalls zugleich geeignete Auflagen und Weisungen vor; für Auflagen gelten Nr. 93 Abs. 3, 4 und Nr. 93 a sinngemäß.
(2) Dem Entwurf ist die zur Zustellung des Strafbefehls und für etwa vorgeschriebene Mitteilungen nötige Zahl von Durchschlägen beizufügen.
177 Fassung des Strafbefehlsentwurfs
(1) Der Strafbefehlsentwurf muss klar, übersichtlich und leicht verständlich sein. Er darf sich nicht darauf beschränken, die Straftat formelhaft mit den Worten des Gesetzes zu bezeichnen.
(2) Soll die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre für die Erteilung nicht angeordnet werden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kommt, so müssen die Gründe dafür im Strafbefehlsentwurf angegeben werden (vgl. § 409 Abs.1 Satz 3 StPO).
(3) Beantragt der Staatsanwalt die Beteiligung der juristischen Person oder Personenvereinigung und die Festsetzung einer Geldbuße gegen diese (Nr. 180 a Abs. 2), führt er sie als Nebenbeteiligte an und gibt die tatsächliche und rechtliche Grundlage für die begehrte Maßnahme an.
178 Prüfung durch den Richter
(1) Hat der Richter Bedenken, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden, oder will er von der rechtlichen Beurteilung im Strafbefehlsantrag abweichen oder eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen ( § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO), so teilt er vor einer Entscheidung über die Anberaumung der Hauptverhandlung seine Auffassung dem Staatsanwalt mit und bittet ihn um Äußerung.
(2) Tritt der Staatsanwalt der Auffassung des Richters bei, so gibt er die Akten mit einem entsprechenden Vermerk und dem abgeänderten Strafbefehlsantrag zurück. Sonst erklärt er, dass er seinen Antrag aufrechterhalte.
(3) Verfährt der Richter nach § 408 Abs. 1 Satz 2 StPO, so legt der Staatsanwalt seine Auffassung über die Zuständigkeit bei Weiterleitung der Akten dar.
(4) Der Beschluss, durch den der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zurückgewiesen wird, ist dem Angeschuldigten mitzuteilen, wenn das Verfahren durch den Beschluss abgeschlossen wird.
179 Zustellung
(1) Der Strafbefehl muss dem Angeklagten förmlich zustellt werden, wenn er ihm nicht von dem Richter bekannt gemacht worden ist (§§ 35, 409 StPO). Es genügt nicht, dass ein Beamter der Geschäftsstelle dem Angeklagten den Strafbefehl eröffnet.
(2) Ist der Angeklagte verhaftet, so ist der Zeitpunkt der Zustellung und, falls auf Einspruch verzichtet wird, auch der des Verzichts nach Stunde und Minute festzustellen.
(3) Hat der Angeklagte einen gesetzlichen Vertreter, so wird diesem eine Abschrift des Strafbefehls übersandt (§ 409 Abs. 2 StPO).
2. Selbständiges Verfahren bei Verfall und Einziehung
180
(1) Für das selbständige Verfahren nach den §§ 440 ff. StPO (z. B. in den Fällen des § 76 a StGB) besteht kein Verfolgungszwang.
(2) Soweit die Möglichkeit besteht, auf durch die Straftat erlangte Vermögensvorteile zuzugreifen, beantragt der Staatsanwalt die selbständige Anordnung des Verfalls.
(3) Ist es wegen der Bedeutung oder der Schwierigkeit der Sache oder im Interesse eines Beteiligten geboten, so beantragt der Staatsanwalt, auf Grund mündlicher Verhandlung zu entscheiden.
(4) Sind keine Beteiligten vorhanden oder haben sie - gegebenenfalls nach Hinweis auf die Rechtslage - auf ihre Rechte und auf die Durchführung des selbständigen Verfahrens verzichtet oder kommt ihre Befragung nicht in Betracht, so kann der Gegenstand in der Regel formlos aus dem Verkehr entfernt werden. Der Staatsanwalt leitet auch in diesen Fällen das selbständige Verfahren ein, wenn die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung wegen der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit oder sonstigen Bedeutung der Sache zweckmäßig ist.
3. Verfahren bei Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung
180 a
(1) Gehört der Beschuldigte zum Leitungsbereich einer juristischen Person oder Personenvereinigung, prüft der Staatsanwalt, ob auch die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung in Betracht kommt (§ 30 OWiG, § 444 StPO; vgl. aber Nr. 270 Satz 3). Ist dies der Fall, so sind schon im vorbereitenden Verfahren die Vertreter der juristischen Person oder Personenvereinigung wie Beschuldigte zu hören (§ 444 Abs. 2, § 432 StPO).
(2) Der Staatsanwalt beantragt in der Anklageschrift oder im Strafbefehlsantrag die Beteiligung der juristischen Person oder Personenvereinigung (§ 444 Abs. 1 StPO), insbesondere, wenn die Festsetzung einer Geldbuße gegen diese die Möglichkeit eröffnet, die wirtschaftlichen Verhältnisse der juristischen Person oder Personenvereinigung, auch im Hinblick auf den durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Vorteil, angemessen zu berücksichtigen (§ 30 Abs. 3 i. V. m. § 17 Abs. 4 OWiG). In der Anklageschrift kündigt er zudem die Beantragung der Festsetzung einer Geldbuße an und im Strafbefehlsantrag beantragt er diese. Dies kann vor allem bei Delikten der Wirtschaftskriminalität, einschließlich Korruptions- und Umweltdelikten, in Betracht kommen.
(3) Für den Antrag auf Festsetzung einer Geldbuße im selbständigen Verfahren gegen die juristische Person oder Personenvereinigung in den - auch die Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO, 47 OWiG erfassenden – Fällen des § 30 Abs. 4 OWiG (§ 444 Abs. 3 i. V. m. § 440 StPO) gilt Absatz 2 entsprechend.
VIII. Abschnitt
Verfahren gegen sprachunkundige Ausländer
181
(1) Bei der ersten verantwortlichen Vernehmung eines Ausländers ist aktenkundig zu machen, ob der Beschuldigte die deutsche Sprache soweit beherrscht, dass ein Dolmetscher nicht hinzugezogen zu werden braucht.
(2) Ladungen, Haftbefehle, Strafbefehle, Anklageschriften und sonstige gerichtliche Sachentscheidungen sind dem Ausländer, der die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, mit einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache bekannt zu geben.
IX. Abschnitt
Erteilung von Auskünften, Überlassung von Abschriften und
Gewährung von Akteneinsicht
182 Geltungsbereich
Für die Erteilung von Auskünften, die auch durch eine Überlassung von Abschriften aus den Akten erfolgen kann (§ 477 Abs. 1 StPO), und die Gewährung von Akteneinsicht gegenüber Dritten nach den §§ 474 ff. StPO (auch in Verbindung mit § 487 Abs. 2 Satz 1 StPO) gelten ergänzend die nachfolgenden Bestimmungen. Sie gelten hingegen insbesondere nicht
1. für die Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen als §§ 474 ff. StPO (z. B. nach §§ 147, 385, 397, 406 e, 487 Abs. 1, § § 491, 492 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 495 StPO, §§ 3 ff. SGB X),
2. für die Vorlage von Akten an im Verfahren mitwirkende Stellen, übergeordnete und untergeordnete Instanzgerichte bzw. Behörden, z. B. nach § 27 Abs. 3, §§ 41, 163 Abs. 2, § 306 Abs. 2, §§ 320, 321, 347, 354, 355 StPO oder im Rahmen der Wahrnehmung von Aufsichts-, Kontroll- und Weisungsbefugnissen anderer Stellen,
3. für Mitteilungen nach den §§ 12 ff. EGGVG sowie den Bestimmungen der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra).
183 Zuständigkeit für die Erteilung von Auskünften und die Gewährung von Akteneinsicht
(1) Soweit nach § 478 Abs. 1 StPO die Staatsanwaltschaft die Entscheidung über die Erteilung von Auskünften und die Akteneinsicht zu treffen hat, obliegt diese Entscheidung grundsätzlich dem Staatsanwalt, im Vollstreckungsverfahren auch dem Rechtspfleger. In den Fällen des § 476 StPO ist Nr. 185 Abs. 2 zu beachten.
(2) Von der Möglichkeit der Delegation an die Behörden des Polizeidienstes nach § 478 Abs. 1 Satz 3 StPO soll nur insoweit Gebrauch gemacht werden, als dies im Interesse aller Beteiligten zur einfacheren oder beschleunigten Unterrichtung des Ersuchenden sachdienlich erscheint. Soweit eine Delegation in Betracht kommt, wird es grundsätzlich angezeigt sein, diese auf einfach und schnell zu erledigende Auskünfte zu beschränken.
184 Vorrang der Verfahrensbearbeitung, Gefährdung der Ermittlungen
Die Erteilung von Auskünften und die Gewährung von Akteneinsicht unterbleiben insbesondere dann, wenn das Verfahren unangemessen verzögert oder der Untersuchungszweck gefährdet würde. Auskünfte und Akteneinsicht unterbleiben nach § 477 Abs. 2 Satz 1 StPO u. a. dann, wenn Zwecke des Strafverfahrens entgegenstehen.
185 Vorrang der Erteilung von Auskünften
Abgesehen von den Fällen des § 474 Abs. 1 StPO räumt das Gesetz im Hinblick auf die Vermeidung einer Übermittlung von Überschussinformationen der Erteilung von Auskünften grundsätzlich Vorrang vor der Gewährung von Einsicht in die Verfahrensakten ein, soweit nicht die Aufgabe oder das berechtigte Interesse des Ersuchenden oder der Zweck der Forschungsarbeit die Einsichtnahme in Akten erfordert. Wenn mit der Auskunftserteilung - ggf. in der Form der Überlassung von Ablichtungen aus den Akten (§ 477 Abs. 1 StPO) - ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden wäre, kann dem Ersuchen grundsätzlich auch durch - ggf. teilweise (siehe Nr. 186) - Gewährung der Einsicht in die Akten nachgekommen werden (§ 474 Abs. 3, § 475 Abs. 2, § 476 Abs. 2 StPO).
186 Umfang der Akteneinsicht
(1) Die Akteneinsicht soll außer in den Fällen des § 474 Abs. 1 StPO nur in dem Umfang erfolgen, als dies zur Erfüllung der Aufgaben der ersuchenden öffentlichen Stelle, zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses der Privatperson oder sonstigen Stelle oder zur Erreichung des Forschungszweckes erkennbar erforderlich ist. Wenn eine derartig beschränkte Akteneinsicht nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre, kann umfassende Akteneinsicht gewährt werden.
(2) Da die Frage der Einsichtsgewährung nicht immer für die Gesamtheit der Verfahrensakte einheitlich beantwortet werden kann, erscheint es angebracht, Aktenteile, die erkennbar sensible persönliche Informationen enthalten, gesondert zu heften und hinsichtlich der Einsichtsgewährung einer besonderen Prüfung zu unterziehen. Damit wird zugleich der Aufwand für eine beschränkte Akteneinsicht gering gehalten und in den Fällen des der §§ 98a, 100a, 110a und 163f StPO die Erkennbarkeit erhöht, wodurch im Interesse des Schutzes sensibler persönlicher Informationen eine beschränkte Akteneinsicht häufiger ermöglicht wird. Zu den gesondert zu heftenden Aktenteilen zählen regelmäßig:
- medizinische und psychologische Gutachten, mit Ausnahme solcher im Sinne des § 256 Abs.1 StPO Nummern 2, 3 und 4,
- Berichte der Gerichts- und Bewährungshilfe sowie anderer sozialer Dienste,
- Niederschriften über die in den §§ 98a, 100a, 110a und 163f StPO genannten Ermittlungsmaßnahmen sowie personenbezogene Informationen aus Maßnahmen nach den §§ 100c und 100f Abs. 1 Satz 1 StPO.
Nr. 16 Abs. 2 Satz 2 und Nr. 220 Abs. 2 Satz 1 sind zu beachten.
(3) Von der Einsicht sind die Handakten der Staatsanwaltschaft und andere innerdienstliche Vorgänge auszuschließen. In Akten einer anderen Verwaltung darf nur mit deren ausdrücklicher Zustimmung Einsicht gewährt werden, deren Nachweis dem Antragsteller obliegt.
(4) Bei Verschlusssachen ist Nr. 213 zu beachten.
187 Überlassung der Akten
(1) Öffentlichen Stellen werden, soweit nicht lediglich eine Auskunft erteilt wird, die Akten teilweise oder ganz übersandt.
(2) Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen sollen auf Antrag die Akten im Umfang der gewährten Akteneinsicht mit Ausnahme der Beweisstücke zur Einsichtnahme mitgegeben oder übersandt werden, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen.
(3) Im übrigen ist die Akteneinsicht grundsätzlich nur in den Diensträumen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts oder bei Delegation auf die Behörden des Polizeidienstes in deren Räumen zu gewähren.
188 Bescheid an den Antragsteller
(1) Wird die Erteilung der Auskunft oder die Gewährung von Akteneinsicht versagt, so wird dem Ersuchenden ein kurzer Bescheid erteilt. Ist in dem Ersuchen ein berechtigtes oder ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht dargelegt, so muss der Bescheid erkennen lassen, dass dieses Interesse gegen entgegenstehende Interessen abgewogen worden ist. Eine Begründung des Bescheides unterbleibt, soweit hierdurch der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.
(2) Ist der Antrag von einer Privatperson oder einer privaten Einrichtung gestellt worden, so soll, wenn dem Gesuch nicht nach § 475 Abs. 4 StPO entsprochen werden kann, auf die Möglichkeit der Akteneinsicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt hingewiesen werden.
189 Auskünfte und Akteneinsicht für wissenschaftliche Vorhaben
(1) Wenn die Voraussetzungen der §§ 476, 477 Abs. 2 Satz 3 StPO gegeben sind, also u. a. Zwecke des Strafverfahrens nicht entgegenstehen (§ 477 Abs. 2 Satz 1 StPO), ist die Übermittlung personenbezogener Informationen zu Forschungszwecken grundsätzlich zulässig. Ob Auskünfte und Akteneinsicht erteilt werden, steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Stelle. Gegen die Erteilung von Auskünften und die Gewährung von Akteneinsicht kann insbesondere sprechen, dass es sich um ein vorbereitendes Verfahren oder ein Verfahren mit sicherheitsrelevanten Bezügen handelt.
(2) Soweit in den Fällen des § 476 StPO die Staatsanwaltschaft nach § 478 Abs. 1 StPO die Entscheidung über die Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht zu treffen hat, obliegt diese Entscheidung dem Behördenleiter.
(3) Betrifft ein Forschungsvorhaben erkennbar mehrere Staatsanwaltschaften, ist der gemeinschaftlichen übergeordneten Behörde auf dem Dienstweg ein Absichtsbericht vorzulegen. Sind erkennbar Staatsanwaltschaften mehrerer Länder betroffen, ist der jeweils obersten Dienstbehörde auf dem Dienstweg ein Absichtsbericht vorzulegen.
(4) Stammt ein Ersuchen nach § 476 StPO von einer Einrichtung, die ihren Sitz außerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozessordnung hat, ist der obersten Dienstbehörde auf dem Dienstweg ein Absichtsbericht vorzulegen.
X. Abschnitt
Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
190
(1) Hat das Gericht beschlossen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 und 2 oder Art. 126 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 8, 10, 12, §§ 80, 83 oder 86 Abs. 2 BVerfGG zu beantragen, so leitet der Vorsitzende die Akten dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar zu (§ 80 Abs. 1 BVerfGG). Das Begleitschreiben ist von dem Vorsitzenden zu unterschreiben. Es wird Bestandteil der Akten des Bundesverfassungsgerichts; eine beglaubigte Abschrift ist als Versendungsbeleg zurückzubehalten.
(2) Der Antrag an das Bundesverfassungsgericht ist zu begründen (§ 80 Abs. 2 BVerfGG). Seine Urschrift bleibt Bestandteil der Strafakten.
(3) Dem Begleitschreiben sind außer den Akten eine beglaubigte und 50 einfache Abschriften des Antrages für das Bundesverfassungsgericht beizufügen.
XI. Abschnitt
Strafsachen gegen Mitglieder des Deutschen Bundestages, der gesetzgebenden Körperschaften der Länder sowie des Europäischen Parlaments
191 Prozesshindernis der Immunität
(1) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er bei der Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird (Artikel 46 Abs. 2 GG). Entsprechende Vorschriften sind in den Verfassungen der Länder enthalten.*
(2) Ein Ermittlungs- oder Strafverfahren, dessen Durchführung von der vorhergehenden gesetzgebenden Körperschaft genehmigt oder das vor dem Erwerb des Mandats eingeleitet worden war, darf nur mit Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft fortgesetzt werden, der der Abgeordnete zurzeit der Fortsetzung angehört.**
(3) Die Immunität hindert nicht,
- ein Verfahren gegen einen Abgeordneten einzuleiten und durchzuführen, wenn er bei der Begehung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird;***
- ein Verfahren gegen einen Abgeordneten zum Zwecke der Einstellung einzuleiten, wenn der Sachverhalt die Einstellung ohne Beweiserhebung rechtfertigt;
- zur Prüfung der Frage, ob ein Vorwurf offensichtlich unbegründet ist, diesen dem Abgeordneten mitzuteilen und ihm anheim zu geben, dazu Stellung zu nehmen;
- in einem Verfahren gegen eine andere Person den Abgeordneten als Zeugen zu vernehmen, bei ihm Durchsuchungen nach §§ 103, 104 StPO vorzunehmen oder von ihm die Herausgabe von Gegenständen nach § 95 StPO zu verlangen; §§ 50, 53 Abs. 1 Nr. 4, §§ 53 a und 97 Abs. 3 und 4 StPO sind zu beachten;
- ein Verfahren gegen Mittäter, Anstifter, Gehilfen oder andere an der Tat eines Abgeordneten beteiligte Personen einzuleiten oder durchzuführen;
- unaufschiebbare Maßnahmen zur Sicherung von Spuren (z. B. Messungen, Lichtbildaufnahmen am Tatort) in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Straftat zu treffen;
- bei Verkehrsunfällen, an denen ein Abgeordneter beteiligt ist, seine Personalien, das amtliche Kennzeichen und den Zustand seines Fahrzeuges festzustellen, die Vorlage des Führerscheins und des Fahrzeugscheins zu verlangen sowie Fahr-, Brems- und andere Spuren, die von seinem Fahrzeug herrühren, zu sichern, zu vermessen und zu fotografieren;
- einem Abgeordneten unter den Voraussetzungen des § 81 a StPO eine Blutprobe zu entnehmen, wenn dies innerhalb des in Buchst. a) genannten Zeitraums geschieht.
(4) Zur Klärung der Frage, ob es sich um eine offensichtlich unbegründete Anzeige handelt, kann der Staatsanwalt Feststellungen über die Persönlichkeit des Anzeigeerstatters sowie über andere für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Anzeige wichtige Umstände treffen.
(5) Wird gegen einen Abgeordneten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, ohne dass es hierzu einer Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft bedarf (Artikel 46 Abs. 2 GG und die entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen), so unterrichtet der Staatsanwalt unverzüglich und unmittelbar den Präsidenten der betreffenden gesetzgebenden Körperschaft von der Einleitung des Verfahrens. Abschriften seiner Mitteilung übersendet er gleichzeitig dem Generalstaatsanwalt und der Landesjustizverwaltung, bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch dem Bundesministerium der Justiz. Im weiteren Verfahren teilt der Staatsanwalt in gleicher Weise jede richterliche Anordnung einer Freiheitsentziehung und einer Freiheitsbeschränkung gegen den Abgeordneten sowie die Erhebung der öffentlichen Klage mit.
(6) In jedem Stadium des Verfahrens ist bei Auskünften und Erklärungen gegenüber Presse, Hörfunk und Fernsehen der Funktionsfähigkeit und dem Ansehen der betreffenden gesetzgebenden Körperschaft Rechnung zu tragen. Das Interesse der gesetzgebenden Körperschaft, über eine die Immunität berührende Entscheidung früher als die Öffentlichkeit unterrichtet zu werden, ist zu berücksichtigen. Auf Nr. 23 wird hingewiesen.
* Sonderregelungen in Art. 58 der Verfassung Brandenburgs und in Art. 15 der Verfassung Hamburgs. Nach Art. 51 Abs. 3 der Verfassung von Berlin gilt die in Satz 1 bezeichnete Ausnahme nur, wenn der Abgeordnete bei Ausübung der Tat festgenommen wird.
** Sonderregelungen in Bayern, Berlin und Saarland; vgl. die jeweiligen Verwaltungsvorschriften
*** Vgl. Fußnote zu Nr. 191 Abs.1 Satz 2
192 Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der gesetzgebenden Körperschaften der Länder
(1) Beabsichtigt der Staatsanwalt, gegen einen Abgeordneten ein Ermittlungsverfahren einzuleiten oder ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil zu vollstrecken oder sonst eine genehmigungsbedürftige Strafverfolgungsmaßnahme zu treffen, so beantragt er, einen Beschluss der gesetzgebenden Körperschaft, der der Abgeordnete angehört, über die Genehmigung der Strafverfolgung oder der Strafvollstreckung oder zur Durchführung der beabsichtigten Maßnahme herbeizuführen.
(2) Der Antrag ist mit einer Sachdarstellung und einer Erläuterung der Rechtslage zu verbinden. Die Beschreibung der zur Last gelegten Tat soll die Tatsachen enthalten, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gesehen werden, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung angeben; die Strafvorschriften sind zu bezeichnen, die als verletzt in Betracht kommen. Auf eine aus sich heraus verständliche Darstellung ist zu achten. Bei Anträgen auf Genehmigung der Strafvollstreckung genügt die Bezugnahme auf ein vorliegendes oder beigefügtes Strafurteil.
(3) Der Antrag ist auf dem Dienstweg an den Präsidenten der betreffenden Körperschaft zu richten, bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch über das Bundesministerium der Justiz. Für die Landesjustizverwaltung und - bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages - für den Bundesminister der Justiz sind Abschriften des Antrages beizufügen; eine beglaubigte Abschrift ist zu den Akten zu nehmen.
(4) In Privatklagesachen führt der Staatsanwalt die Genehmigung nur herbei, wenn er die Verfolgung übernehmen will (§ § 377, 376 StPO).
(5) Die Mitteilung nach § 8 EGStPO erfolgt auf dem Dienstweg.
192 a Allgemeine Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren (vereinfachte Handhabung)
(1) Der Deutsche Bundestag sowie die gesetzgebenden Körperschaften der Länder pflegen regelmäßig zu Beginn einer neuen Wahlperiode eine allgemeine Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete zu erteilen; ausgenommen sind Ermittlungen wegen Beleidigungen (§§ 185, 186, 188 Abs. 1 StGB) politischen Charakters. Diese allgemeine Genehmigung wird im Einzelfall erst wirksam, nachdem dem Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft eine Mitteilung nach Absatz 3 zugegangen ist.*
(2) Die allgemeine Genehmigung umfasst nicht
- die Erhebung zur öffentlichen Klage in jeder Form,**
- im Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten den Hinweis des Gerichts, dass über die Tat auch auf Grund eines Strafgesetzes entschieden werden kann (§ 81 Abs. 1 Satz 2 OWiG),
- freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren,
- den Vollzug einer angeordneten Durchsuchung oder Beschlagnahme in dem genehmigten Verfahren, vorbehaltlich etwaiger von den gesetzgebenden Körperschaften der Länder getroffener abweichender Regelungen,
- den Antrag auf Verhängung eines vorläufigen Berufsverbotes (§ 132 a StPO).
Die allgemeine Genehmigung umfasst jedoch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111 a StPO).
(3) Soweit Ermittlungsverfahren allgemein genehmigt sind, ist dem Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen, dem betroffenen Abgeordneten mitzuteilen, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beabsichtigt ist. In der Mitteilung an den Präsidenten ist zu erklären, dass der Abgeordnete gleichzeitig benachrichtigt worden ist; ist eine Mitteilung an den Abgeordneten unterblieben, so ist der Präsident auch hiervon unter Angabe der Gründe zu unterrichten. Die Mitteilung ist unmittelbar an den Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft zu richten.* ** Für ihren Inhalt gilt Nr. 192 Abs. 2 entsprechend; in den Fällen der Nr. 191 Abs. 3 Buchst. c) soll auch der wesentliche Inhalt einer Stellungnahme des Abgeordneten mitgeteilt werden. Abschriften der Mitteilung sind gleichzeitig dem Generalstaatsanwalt und der Landesjustizverwaltung sowie, bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages, auch dem Bundesministerium der Justiz zu üb ersenden.
(4) Will der Staatsanwalt nach dem Abschluss der Ermittlungen die öffentliche Klage erheben, so beantragt er, einen Beschluss der gesetzgebenden Körperschaft über die Genehmigung der Strafverfolgung herbeizuführen. Für den Inhalt und den Weg des Antrags gilt Nr. 192 Abs. 2 und 3. Stellt er das Verfahren nicht nur vorläufig ein, so verfährt er nach Nr. 192 Abs. 5.
(5) Beabsichtigt der Staatsanwalt, die Genehmigung zur Durchführung der Strafverfolgung wegen einer Beleidigung politischen Charakters einzuholen, so verfährt er nach Nr. 192 Abs. 1 bis 3. Zur Vorbereitung seiner Entscheidung, ob die Genehmigung zur Strafverfolgung wegen einer Beleidigung politischen Charakters herbeigeführt werden soll, teilt der Staatsanwalt dem Abgeordneten den Vorwurf mit und stellt ihm anheim, hierzu Stellung zu nehmen.
(6) Für Bußgeldsachen wird auf Nr. 298 verwiesen.
* abweichend Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt:
48 Stunden nach Zugang;
Deutscher Bundestag, Bayern:
48 Stunden nach Zugang (Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag, endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.);
Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein:
48 Stunden nach Absendung.
* abweichend Bremen:
Die Mitteilung ist über den Präsidenten des Senats an den Präsidenten des Deutschen Bundestages oder den Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, im Übrigen unmittelbar an den Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft zu richten.
Sachsen-Anhalt:
Die Mitteilung ist über das Ministerium der Justiz an den Präsidenten des Landtags von Sachsen-Anhalt zu richten.
** Abweichend Bayern: Die allgemeine Genehmigung umfasst auch den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen einer Straftat, die der Beschuldigte beim Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, wenn der Beschuldigte damit einverstanden ist.
192 b Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Europäischen Parlaments
(1) Einem Mitglied des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland steht die einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages zuerkannte Immunität zu. Ein ausländisches Mitglied des Europäischen Parlaments kann im Inland weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden. Die Immunität nach den vorstehenden Sätzen besteht während der Dauer der fünfjährigen Wahlperiode und auch während der Reise zum und vom Tagungsort des Europäischen Parlaments. Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Immunität nicht geltend gemacht werden (Artikel 4 Abs. 2 des Aktes des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung - BGBl. 1977 II S. 733, 735 - in Verbindung mit Artikel 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 - BGBl. 1965 II S. 1453, 1482). Nr. 191 Abs. 3 Buchst. b) bis e) und Abs. 4 gilt entsprechend.
(2) Das Europäische Parlament hat eine allgemeine Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren nicht erteilt.
(3) Beabsichtigt der Staatsanwalt, gegen ein Mitglied des Europäischen Parlaments ein Ermittlungsverfahren einzuleiten oder ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil zu vollstrecken oder sonst eine genehmigungsbedürftige Strafverfolgungsmaßnahme zu treffen, so beantragt er, einen Beschluss des Europäischen Parlaments über die Aufhebung der Immunität herbeizuführen.
(4) Zur Vorbereitung seiner Entschließung teilt der Staatsanwalt, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstellen, dem Abgeordneten den Vorwurf mit und stellt ihm anheim, Stellung zu nehmen.
(5) Der Antrag ist an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Generalsekretariat, Plateau du Kirchberg, L-2929 Luxemburg, zu richten und auf dem Dienstweg, auch über das Bundesministerium der Justiz, zu übermitteln. Nr. 192 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 gilt entsprechend. Nr. 192 Abs. 5 gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass die Übermittlung über das Bundesministerium der Justiz erfolgt.
(6) Aufgehoben
XII. Abschnitt
Behandlung der von der deutschen Gerichtsbarkeit befreiten Personen
193 Allgemeines
(1) Handlungen, die eine Ausübung der inländischen Gerichtsbarkeit darstellen, sind gegen über den Personen, die nach §§ 18 bis 20 GVG oder nach anderen Rechtsvorschriften von der Deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind, ohne ihre Zustimmung grundsätzlich unzulässig.
(2) Sache der Justizbehörden ist es, im Einzelfall die nötigen Feststellungen zu treffen und darüber zu befinden, ob und wieweit Personen nach den §§ 18 und 19 GVG von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind.
194. Ausweise von Diplomaten und anderen von der inländischen Gerichtsbarkeit befreiten Personen.
Die Art der Ausweise von Diplomaten und der anderen von der inländischen Gerichtsbarkeit befreiten Personen ergibt sich aus dem Rundschreiben des Auswärtigen Amtes zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen vom 19. September 2008 (Gemeinsames Ministerialblatt - GMBl. S. 1154).
195 Verhalten gegenüber Diplomaten und den anderen von der inländischen Gerichtsbarkeit befreiten Personen
(1) Gegen Personen, die rechtmäßig den Ausweis eines Diplomaten oder einer anderen von der inländischen Gerichtsbarkeit befreiten Person besitzen oder die ihre Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit anders glaubhaft machen, ist nicht einzuschreiten. Der Staatsanwalt hat sich darauf zu beschränken, die zulässigen Ermittlungen beschleunigt durchzuführen. Er unterrichtet unverzüglich unter Beigabe der Akten das Bundesministerium der Justiz über die Landesjustizverwaltung. Für diese und das Auswärtige Amt sind Abschriften beizufügen.
(2) In besonders eiligen Fällen kann unmittelbar beim Auswärtigen Amt in Berlin (Telefon 01888/17-0, Telefax 01888/173402) bzw. beim Bundeskanzleramt (Telefon 01888/400-0 oder 030/4000-0, Telefax 030/4000-2357) Auskunft erbeten werden.
(3) Ist nach Abs. 2 eine Auskunft erbeten worden oder liegt ein Fall von besonderer Bedeutung vor, so ist die vorläufige Unterrichtung des Bundesministeriums der Justiz geboten, falls noch weitere Ermittlungen nötig sind. Abs. 1 Satz 3 und 4 gilt sinngemäß.
(4) Über Verkehrsordnungswidrigkeiten exterritorialer Personen ist das Auswärtige Amt unmittelbar zu unterrichten. Die Akten brauchen der Mitteilung nicht beigefügt zu werden. Einer Unterrichtung des Bundesministeriums der Justiz und der Landesjustizverwaltung bedarf es in diesen Fällen nicht.
196 Zustellungen
(1) Für die Zustellung von Schriftstücken, z. B. von Ladungen oder Urteilen, an Diplomaten oder andere von der inländischen Gerichtsbarkeit befreite Personen ist stets die Vermittlung des Auswärtigen Amts in Anspruch zu nehmen.
(2) Das Schreiben an das Auswärtige Amt, in dem um Zustellung ersucht wird, ist mit einem Begleitbericht der Landesjustizverwaltung vorzulegen, die es an das Auswärtige Amt weiterleitet. Das zuzustellende Schriftstück ist beizufügen.
(3) In dem Schreiben an das Auswärtige Amt ist der Sachverhalt kurz darzustellen und außerdem anzugeben:
- Name, Stellung und Anschrift der Person, der zugestellt werden soll;
- Bezeichnung des zuzustellenden Schriftstücks, z. B. Ladung als Zeuge, Sachverständiger, Privat- oder Nebenkläger;
- Name und Stellung der Parteien in Privatklagesachen.
(4) Die Reinschrift des Schreibens an das Auswärtige Amt hat der Richter oder der Staatsanwalt handschriftlich zu unterzeichnen.
(5) Als Nachweis dafür, dass das Schriftstück dem Empfänger übergeben worden ist, übersendet das Auswärtige Amt ein Zeugnis.
(6) Ist ein Angehöriger einer diplomatischen Vertretung als Privatkläger oder Nebenkläger durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Rechtsanwalt vertreten, so kann nach § 378 StPO an den Anwalt zugestellt werden.
(7) Stellt der von einem Gericht oder einem Staatsanwalt mit der Zustellung beauftragte Beamte nach Empfang des Schriftstücks fest, dass die geforderte Amtshandlung nach den vorstehenden Bestimmungen nicht vorgenommen werden darf, so hat er den Auftrag unter Hinweis auf diese Bestimmung an die ersuchende Stelle zurückzugeben.
197 Ladungen
(1) Bei der Ladung eines Diplomaten oder einer anderen von der inländischen Gerichtsbarkeit befreiten Person sind weder Vordrucke zu verwenden noch Zwangsmaßnahmen anzudrohen. Es ist vielmehr eine besondere Vorladung zu fertigen, in der die von der Gerichtsbarkeit befreite Person unter genauer Bezeichnung des Gegenstandes und der Art der Verhandlung gebeten wird, zu erklären, ob sie bereit ist, sich zu dem angegebenen Zeitpunkt einzufinden oder ob sie sich stattdessen in ihren Wohn- oder Diensträumen vernehmen lassen oder über den Gegenstand der Vernehmung eine schriftliche Äußerung abgeben möchte.
(2) Die Ladung ist nach Nr. 196 zuzustellen.
(3) Abgesehen von besonders dringlichen Fällen ist der Tag der Vernehmung in der Regel so festzusetzen, dass zwischen der Absendung der Ladung mit Begleitbericht an die Landesjustizverwaltung und der Vernehmung mindestens vier Wochen liegen.
198 Vernehmungen
(1) Erscheint ein Diplomat oder eine andere von der inländischen Gerichtsbarkeit befreite Person vor Gericht, so soll sie möglichst bald vernommen und entlassen werden.
(2) Die Vernehmung in den Dienst- oder Wohnräumen eines Diplomaten oder einer anderen von der inländischen Gerichtsbarkeit befreiten Person darf nur unter den Voraussetzungen der Nr. 199 Abs. 1 erfolgen. Andere an dem Strafverfahren Beteiligte dürfen nur anwesend sein, wenn der Leiter der fremden Dienststelle ausdrücklich zugestimmt hat. Die Teilnahme eines sonst Beteiligten ist in dem Antrag auf Zustimmung zur Vernehmung in den Dienst- oder Wohnräumen besonders zu begründen.
199 Amtshandlungen in den Dienst- und Wohnräumen
(1) In den Diensträumen der diplomatischen Vertretungen, der konsularischen Vertretungen sowie von Organisationen und Stellen, die auf Grund allgemeiner Regeln des Völkerrechts, völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften Unverletzlichkeit genießen, dürfen Amtshandlungen, durch die inländische Gerichtsbarkeit ausgeübt wird, nur mit Zustimmung des Leiters der Vertretung, der Organisation oder Stelle vorgenommen werden. Entsprechendes gilt für die Wohnräume der Mitglieder der diplomatischen Vertretungen.
(2) In den vorgenannten Dienst- und Wohnräumen dürfen Amtshandlungen nach Abs. 1 einschließlich Zustellungen ohne Zustimmung des Leiters der Vertretung, der Organisation oder der Stelle auch nicht gegenüber Personen vorgenommen werden, die nicht von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit sind. Ihnen kann nach Nr. 196, 197 zugestellt werden.
(3) Die Zustimmung des Leiters nach Abs. 1 ist in entsprechender Anwendung der Nr. 196 zu beantragen.
(4) Zur Vornahme der Amtshandlung dürfen die Dienst- und Wohnräume nur betreten werden, wenn die Zustimmung schriftlich vorliegt.
XIII. Abschnitt
(Der Abschnitt ist gestrichen.)
XIV. Abschnitt
Verfahren nach Feststellung der Entschädigungspflicht nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
201
Wegen der Belehrung über Recht und Frist zur Antragstellung nach rechtskräftiger Feststellung der Entschädigungspflicht sowie hinsichtlich des weiteren Verfahrens zur Feststellung der Höhe des Anspruchs wird auf die Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (Anlage C) verwiesen.
Besonderer Teil
I. Abschnitt
Strafvorschriften des StGB
1. Staatsschutz und verwandte Strafsachen
202 Strafsachen, die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehören
(1) Vorgänge, aus denen sich der Verdacht einer zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Straftat (§ 120 GVG, §§ 1 und 3 NATO-Truppen-Schutzgesetz) ergibt, übersendet der Staatsanwalt mit einem Begleitschreiben unverzüglich dem Generalbundesanwalt.
(2) Das Begleitschreiben soll eine gedrängte Darstellung und eine kurze rechtliche Würdigung des Sachverhalts enthalten sowie die Umstände angeben, die sonst für das Verfahren von Bedeutung sein können. Erscheinen richterliche Maß nahmen alsbald geboten, so ist hierauf hinzuweisen. Das Schreiben ist dem Generalbundesanwalt über den Generalstaatsanwalt, in dringenden Fällen unmittelbar bei gleichzeitiger Übersendung von Abschriften an den Generalstaatsanwalt, zuzuleiten.
(3) Der Staatsanwalt hat jedoch die Amtshandlungen vorzunehmen, bei denen Gefahr im Verzuge ist; dringende richterliche Handlungen soll er nach Möglichkeit bei dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes (§ 169 StPO) beantragen. Vor solchen Amtshandlungen hat der Staatsanwalt, soweit möglich, mit dem Generalbundesanwalt Fühlung zu nehmen; Nr. 5 findet Anwendung.
(4) Die Pflicht der Behörden und Beamten des Polizeidienstes, ihre Verhandlungen in Strafsachen, die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehören, unmittelbar dem Generalbundesanwalt zu übersenden (§ 163 Abs. 2 Satz 1 StPO; § 142 a Abs. 1 GVG), wird durch Abs. 1 nicht berührt.
203 Behandlung der nach § 142 a Abs. 2 und 4 GVG abgegebenen Strafsachen
(1) Gibt der Generalbundesanwalt ein Verfahren nach § 142 a Abs. 2 oder 4 GVG an eine Landesstaatsanwaltschaft ab, so ist er über den Ausgang zu unterrichten. Die Anklageschrift und die gerichtlichen Sachentscheidungen sind ihm in Abschrift mitzuteilen.
(2) Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Generalbundesanwalt nach § 142 a Abs. 3 GVG zuständig ist oder dass infolge einer Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes die Voraussetzungen für die Abgabe nach § 142 a Abs. 2 Nr. 1 GVG entfallen, so sind dem Generalbundesanwalt die Akten unverzüglich zur Entscheidung über die erneute Übernahme vorzulegen. Der Generalbundesanwalt ist ferner unverzüglich zu unterrichten, sobald sonst Anlass zu der Annahme besteht, dass er ein nach § 142 a Abs. 2 oder 4 GVG abgegebenes Verfahren wieder übernehmen wird. Bei der Vorlage ist auf die Umstände hinzuweisen, die eine erneute Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt nahe legen.
(3) Überweist ein Oberlandesgericht ein Verfahren nach § 120 Abs. 2 Satz 2 GVG an ein Landgericht, so unterrichtet der Staatsanwalt den Generalbundesanwalt über den Ausgang des Verfahrens und teilt ihm die gerichtlichen Sachentscheidungen in Abschrift mit.
(4) Für die Unterrichtung nach Abs. 1, 2 und 3 gilt Nr. 202 Abs. 2 Satz 3 sinngemäß.
(5) Beschwerden und weitere Beschwerden, über die der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat, übersendet der Generalstaatsanwalt dem Generalbundesanwalt mit einer kurzen Stellungnahme.
204 Strafsachen, die zur Zuständigkeit der zentralen Strafkammern gehören
(1) Vorgänge, aus denen sich der Verdacht einer zur Zuständigkeit der Staatsschutzkammer gehörenden Straftat (§ 74 a Abs. 1 GVG, §§ 1 und 3 NATO-Truppen-Schutzgesetz) ergibt, übersendet der Staatsanwalt unverzüglich dem hierfür zuständigen Staatsanwalt; er hat jedoch die Amtshandlungen vorzunehmen, bei denen Gefahr im Verzuge ist.
(2) Besteht ein Anlass zu der Annahme, dass der Generalbundesanwalt einem zur Zuständigkeit der Staatsschutzkammer gehörenden Fall besondere Bedeutung (§ 74 a Abs. 2 GVG) beimessen wird, so unterrichtet der zuständige Staatsanwalt den Generalbundesanwalt möglichst frühzeitig über den Sachverhalt und dessen bisherige rechtliche Würdigung sowie ü ber die Gründe, aus denen er die besondere Bedeutung des Falles folgert; Nr. 202 Abs. 2 Satz 3 gilt sinngemäß. Der Staatsanwalt hat jedoch die Ermittlungen fortzuführen; er soll aber vor Ablauf eines Monats seit der Unterrichtung des Generalbundesanwalts keine abschließende Verfügung treffen, sofern der Generalbundesanwalt nicht vorher die Übernahme des Verfahrens abgelehnt hat. Übernimmt der Generalbundesanwalt das Verfahren nicht, so gilt Nr. 203 Abs. 2 und 4 sinngemäß.
205 Unterrichtung der Behörden für Verfassungsschutz in Staatsschutz- und anderen Verfahren
(1) In Staatsschutzverfahren (§§ 74 a, 120 Abs. 1 und 2 Satz 1 GVG, §§ 1 und 3 NATO-Truppen-Schutzgesetz) ist es in der Regel geboten, mit den Behörden für Verfassungsschutz in geeigneter Weise nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zusammenzuarbeiten, damit dort gesammelte Informationen bei den Ermittlungen des Staatsanwalts und dessen Erkenntnisse für die Aufgaben des Verfassungsschutzes ausgewertet werden können. Dies gilt auch für andere Verfahren, bei denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es um Straftaten zur Durchsetzung extremistischer politischer Ziele geht.
(2) Der Staatsanwalt unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz bei Bekanntwerden von Tatsachen nach § 18 Abs. 1 BVerfSchG und die Verfassungsschutzbehörden des Landes nach Maßgabe des entsprechenden Landesrechts von sich aus in geeigneter Weise über die Einleitung und den Fortgang von Verfahren sowie die für eine Auswertung wesentlichen Entscheidungen (z. B. Anklageschriften, Urteile, Einstellungsverfügungen). Eine Unterrichtung nach Satz 1 kann insbesondere geboten sein in Verfahren wegen
- Landesverrats und Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 94 bis 100 a StGB),
- Straftaten nach § 129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) und damit in Zusammenhang stehenden Beschaffungsdelikten,
- Straftaten nach § 34 AWG und nach §§ 19 bis 22 a KWKG mit Bezügen zu ausländischen Nachrichtendiensten,
- Straftaten unter Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung extremistischer politischer Ziele.
Im Übrigen unterrichtet der Staatsanwalt unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BVerfSchG das Bundesamt für Verfassungsschutz und nach Maßgabe des Landesrechts die Verfassungsschutzbehörde des Landes jedenfalls dann, wenn dies für deren Aufgabenerfüllung erforderlich und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.
(3) Der Staatsanwalt unterrichtet die Behörden für Verfassungsschutz auf deren Ersuchen über vorhandene Erkenntnisse (vgl. § 18 Abs. 3 BVerfSchG und entsprechende Landesregelungen). Er kann ihnen auch Niederschriften über Vernehmungen oder Vermerke über andere Ermittlungshandlungen überlassen.
(4) Auf die Übermittlungsverbote nach § 23 BVerfSchG, den Minderjährigenschutz des § 24 BVerfSchG und die entsprechenden Landesregelungen wird hingewiesen.
(5) Angehörige der Behörden für Verfassungsschutz können als Sachverständige oder Auskunftspersonen zu Vernehmungen und anderen Ermittlungshandlungen (z. B. Tatortbesichtigung, Durchsuchung oder Beschlagnahme) zugezogen werden. Ihre Zuziehung ist in den Akten zu vermerken.
(6) Unbeschadet bestehender Berichtspflichten ist im Rahmen der Absätze 1 bis 3 und des Absatzes 5 der unmittelbare Geschäftsverkehr mit den in Absatz 1 bezeichneten Behörden zulässig.
206 Unterrichtung des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes
Der Staatsanwalt unterrichtet den Militärischen Abschirmdienst von sich aus nach Maßgabe des § 22 i. V. m. § 18 Abs. 1 und 2 BVerfSchG und auf dessen Ersuchen nach Maßgabe des § 22 i. V. m. § 18 Abs. 3 BVerfSchG. Er unterrichtet den Bundesnachrichtendienst von sich aus zu dessen Eigensicherung nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 BNDG sowie auf dessen Ersuchen nach Maßgabe des § 8 Abs. 3 BNDG i. V. m. § 18 Abs. 3 BVerfSchG. Nr. 205 ist jeweils entsprechend anzuwenden.
207 Benachrichtigung des Bundeskriminalamtes
(1) Von der Einleitung eines Verfahrens wegen eines Organisationsdeliktes (§§ 84, 85, 129, 129 a, 129b StGB; § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes; § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes) ist das Bundeskriminalamt, Thaerstraße 11, 65193 Wiesbaden, zu benachrichtigen. Dieses gibt auf Anfrage anhand der von ihm geführten Karteien Auskünfte darüber, ob und wo wegen des gleichen oder eines damit zusammenhängenden Organisationsdeliktes ein weiteres Verfahren anhängig ist oder anhängig gewesen ist.
(2) Die Akten über Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Friedensverrats (§§ 80, 80 a StGB), Hochverrats (§§ 81 bis 83 a StGB), Landesverrats und Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 93 bis 101 a StGB), Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats und Organisationsdelikten (§§ 84 bis 92 b, 129, 129 a, 129b StGB; § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes und § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes) werden von der Staatsanwaltschaft alsbald nach Abschluss des Verfahrens dem Bundeskriminalamt, Thaerstraße 11, 65193 Wiesbaden, zur Auswertung übersandt.
Ausgenommen sind
- Akten, die keinerlei Erkenntnisse sachlicher oder personeller Art enthalten, z. B. Akten über Verfahren, die mangels Anhaltspunkten für eine Aufklärung eingestellt worden sind und
- Akten über selbständige Einziehungsverfahren.
208 Verfahren betreffend staatsgefährdende Schriften
(1) Ist eine Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zur Begehung einer Straftat nach den §§ 80 bis 101 a, 129 bis 130 StGB, § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes oder nach § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes gebraucht worden oder bestimmt gewesen, benachrichtigt der Staatsanwalt das Bundeskriminalamt, Thaerstraße 11, 65193 Wiesbaden, unter Verwendung des vorgeschriebenen Vordrucks unverzüglich von der Einleitung des Verfahrens. Einer gesonderten Benachrichtigung von der Einleitung des Verfahrens bedarf es nicht, wenn das Bundeskriminalamt binnen kürzester Frist durch ein Auskunftsersuchen nach Abs. 2 oder durch eine Mitteilung nach Abs. 4 benachrichtigt wird.
(2) Bevor der Staatsanwalt die Beschlagnahme oder die Einziehung beantragt, holt er unter Verwendung des vorgeschriebenen Vordrucks eine Auskunft des Bundeskriminalamtes darüber ein, ob und wo wegen der Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) schon ein Verfahren anhängig ist oder anhängig gewesen ist und ob und wo bereits Beschlagnahme- oder Einziehungsentscheidungen beantragt oder ergangen sind. In Eilfällen kann die Auskunft auch fernmündlich sowie unter Verwendung der Ordnungsziffern des Vordrucks fernschriftlich oder telegrafische eingeholt werden. Ergibt sich aus der Auskunft des Bundeskriminalamtes, dass in einem wegen derselben Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) bereits anhängigen Verfahren eine die gesamte Auflage erfassende (allgemeine) Beschlagnahmeanordnung beantragt oder ergangen oder eine allgemeine Einziehung beantragt oder angeordnet, aber noch nicht rechtskräftig geworden ist, so wartet der Staatsanwalt den Abschluss dieses Verfahrens ab, wenn für ihn lediglich die Durchführung des selbständigen Einziehungsverfahrens in Betracht käme. In allen anderen Fällen gilt Nr. 249 sinngemäß.
(3) In selbständigen Einziehungsverfahren ist zu prüfen, ob auf die Herbeiführung einer gerichtlichen Beschlagnahme verzichtet und zugleich die Einziehung beantragt werden kann; von dieser Möglichkeit wird in der Regel bei selbständigen Einziehungsverfahren betreffend Massenschriften Gebrauch zu machen sein. Anträge auf Beschlagnahme sollen nach Möglichkeit beim Amtsgericht am Sitz der in § 74 a GVG bezeichneten Strafkammer gestellt werden. Anträge auf Beschlagnahme oder Einziehung sollen, soweit nicht Rechtsgründe entgegenstehen, die gesamte Auflage erfassen.
(4) Das Bundeskriminalamt ist von allen auf Beschlagnahme- und Einziehungsanträge hin ergehenden Entscheidungen sowie von der Rücknahme solcher Anträge unter Verwendung des vorgeschriebenen Vordrucks unverzüglich zu benachrichtigen. Handelt es sich um die Entscheidungen, durch welche die Beschlagnahme oder Einziehung nicht periodischer Schriften angeordnet, wieder aufgehoben oder abgelehnt wird, so kann zugleich um Bekanntmachung der Entscheidung im Bundeskriminalblatt ersucht werden; dasselbe gilt bei periodischen Schriften, die im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches erscheinen.
(5) Im übrigen gelten die Nr. 226 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2, 251, 252 und 253 sinngemäß. Für die Verwertung der in Staatsschutzverfahren eingezogenen Filme gilt die bundeseinheitlich getroffene Anordnung vom 2. April 1973.
(6) Postsendungen, die von den Zollbehörden gemäß § 2 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961* der Staatsanwaltschaft vorgelegt, jedoch von dieser nach Prüfung freigegeben werden, sind beschleunigt an die Empfänger weiterzuleiten. Geöffnete Sendungen sind zu verschließen sowie mit dem Vermerk:
"Auf Grund des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 zollamtlich ge öffnet und von der Staatsanwaltschaft freigegeben"
und mit dem Dienststempel der Staatsanwaltschaft zu versehen.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
209 Verfahren wegen Verunglimpfung und Beleidigung oberster Staatsorgane
(1) Bei Verunglimpfungen und Beleidigungen oberster Staatsorgane des Bundes (§§ 90, 90 b, 185 bis 188 StGB) ist das Bundesministerium der Justiz, bei Verunglimpfungen oder Beleidigungen oberster Staatsorgane eines Landes die Landesjustizverwaltung beschleunigt zu unterrichten, damit der Verletzte eine Entschließung darüber treffen kann, ob die Sache verfolgt werden soll. Zu diesem Zweck sind die im Interesse der Beweissicherung notwendigen Ermittlungen zu führen, von der Vernehmung des Beschuldigten ist jedoch zunächst abzusehen. Der Bericht soll eine gestraffte Darstellung des Sachverhalts mit kurzer rechtlicher Würdigung sowie Angaben über die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, sofern diese bekannt sind, enthalten. Bei Verunglimpfungen und Beleidigungen oberster Staatsorgane des Bundes ist der Bericht dem Bundesministerium der Justiz unmittelbar unter gleichzeitiger Übersendung von Abschriften an die Landesjustizverwaltung und die vorgesetzten Behörden zu erstatt en.
(2) Erwägt ein oberstes Staatsorgan, eine Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen oder Strafantrag zu stellen, so ist der Sachverhalt beschleunigt aufzuklären. Der abschließende Bericht soll den Sachverhalt erschöpfend darstellen und rechtlich würdigen, die für die Entschließung des Verletzten bedeutsamen Umstände, wie besondere Tatumstände, Persönlichkeit, Verhältnis, Vorstrafen und Reue des Täters, Entschuldigungen, Widerruf oder sonstige Wiedergutmachung bzw. die Bereitschaft dazu, darlegen sowie mit der Verunglimpfung oder Beleidigung zusammentreffende, von Amts wegen zu verfolgende Straftaten einbeziehen; soweit nach der Beweislage eine Überführung des Täters zweifelhaft erscheint, soll hierauf hingewiesen werden. Dem Bericht sind die erforderliche Anzahl von Abschriften für die Ermächtigungs- oder Antragsberechtigten sowie in der Regel die Akten beizufügen. Der Bericht ist auf dem Dienstwege, in dringenden Fällen (z. B. bei bevorstehendem Fristablauf) unmittelbar, dem Bundesministerium der Justiz oder der Landesjustizverwaltung unter gleichzeitiger Übersendung von Abschriften an die vorgesetzten Behörden zu erstatten.
(3) Ist die Befugnis zur Bekanntgabe der Verurteilung anzuordnen, so gilt Nr. 231 sinngemäß.
(4) Kann bei Verunglimpfungen oder Beleidigungen oberster Staatsorgane selbständig auf Einziehung und Unbrauchbarmachung erkannt werden (Nr. 180), so gelten die Abs. 1 bis 3 entsprechend.
210 Verfahren wegen Handlungen gegen ausländische Staaten (§§ 102 bis 104 a StGB)
(1) Bei Handlungen gegen ausländische Staaten (§§ 102 bis 104 a StGB) soll der Staatsanwalt beschleunigt die im Interesse der Beweissicherung notwendigen Ermittlungen durchführen sowie die Umstände aufklären, die für die Entschließung des verletzten ausländischen Staates, ein Strafverlangen zu stellen, und für die Entschließung der Bundesregierung, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen, von Bedeutung sein können.
(2) Von dem Ergebnis dieser Ermittlungen ist das Bundesministerium der Justiz auf dem Dienstwege zu unterrichten. Für die Berichterstattung gilt Nr. 209 Abs. 2 Satz 2 sinngemäß. Dem Bericht sind drei Abschriften für die Bundesregierung sowie in der Regel die Akten beizufügen.
(3) Ist die Befugnis zur Bekanntgabe der Verurteilung anzuordnen (§§ 103 Abs. 2, 200 StGB), so gilt Nr. 231 sinngemäß.
211 Anhörung und Unterrichtung oberster Staatsorgane
(1) In den Fällen, in denen ein oberstes Staatsorgan des Bundes oder eines Landes die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach §§ 90 Abs. 4, 90b Abs. 2, 97 Abs. 3, 104a, 129b Abs. 1 Satz 3, 194 Abs. 4 StGB erteilt oder Strafantrag wegen Beleidigung gestellt hat, teilt der Staatsanwalt, bevor er das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach den §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1 StPO einstellt oder einer vom Gericht beabsichtigten Einstellung nach den §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2 StPO zustimmt, dem obersten Staatsorgan unter Beifügung der Akten die Gründe mit, die für die Einstellung des Verfahrens sprechen, und gibt ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme. Wenn der Staatsanwalt entgegen einer widersprechenden Stellungnahme des obersten Staatsorgans das Verfahren einstellt oder der Einstellung des Verfahrens durch das Gericht zustimmt, so soll er dabei auch die Einwendung en würdigen, die gegen die Einstellung erhoben worden sind.
(2) Wird in den in Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Fällen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, das Verfahren durch das Gericht eingestellt oder der Angeklagte freigesprochen und erscheint ein Rechtsmittel nicht aussichtslos, so gibt der Staatsanwalt dem obersten Staatsorgan Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor er von der Einlegung eines Rechtsmittels absieht, auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet oder ein Rechtsmittel zurücknimmt. Dies gilt auch, wenn der Staatsanwalt der Auffassung ist, dass die erkannte Strafe in einem Missverhältnis zur Schwere der Tat steht. Bei drohendem Fristablauf wird in der Regel die vorsorgliche Einlegung eines Rechtsmittels geboten sein.
(3) In den in Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Fällen gibt der Staatsanwalt dem obersten Staatsorgan ferner Gelegenheit zur Stellungnahme,
- bevor er von einem Antrag auf Einziehung und Unbrauchbarmachung im selbständigen Verfahren absieht,
- bevor er von der Durchführung eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung absieht, durch die das Gericht einem Antrag des Staatsanwalts auf Einziehung und Unbrauchbarmachung im selbständigen Verfahren nicht stattgegeben hat, sofern nicht ein Rechtsmittel aussichtslos erscheint.
(4) Das Bundesministerium der Justiz, bei Beteiligung eines obersten Staatsorgans eines Landes die Landesjustizverwaltung, ist in angemessenen Zeitabständen über den Fortgang des Verfahrens sowie über dessen Ausgang zu unterrichten. Abschriften der Einstellungsverfügungen und der gerichtlichen Sachentscheidungen sind in der erforderlichen Zahl für die beteiligten obersten Staatsorgane beizufügen.
(5) Für die Berichterstattung nach Abs. 1 bis 4 gilt Nr. 209 Abs. 2 Satz 4 sinngemäß; Nr. 5 Abs. 4 findet Anwendung.
212 Verfahren bei weiteren Ermächtigungsdelikten
(1) Wird dem Staatsanwalt eine Straftat nach §§ 353 a oder 353 b StGB bekannt, so holt er unter Mitteilung des bekannt gewordenen Sachverhalts, jedoch in der Regel vor weiteren Ermittlungen, über das Bundesministerium der Justiz bzw. über die Landesjustizverwaltung die Entscheidung ein, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt wird. Die Vorschriften der Nr. 209 Abs. 2 Satz 3 und 4, 211 gelten sinngemäß.
(2) Bei Straftaten betreffend die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen im Ausland außerhalb der Europäischen Union (§§ 129, 129a in Verbindung mit § 129b StGB) soll der Staatsanwalt beschleunigt die zur Beweissicherung notwendigen Ermittlungen durchführen sowie die Umstände aufklären, die für die Entschließung der Bundesregierung, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen, von Bedeutung sein können. Von dem Ergebnis dieser Ermittlungen ist das Bundesministerium der Justiz auf dem Dienstweg zu unterrichten. In Eilfällen (zum Beispiel Haftsachen) kann die Unterrichtung unmittelbar unter gleichzeitiger Übersendung von Abschriften an die vorgesetzte Behörde erfolgen. Der Bericht soll die Erkenntnisse zu der Vereinigung, die Gegenstand des Verfahrens ist, zusammenfassend darstellen. Das Bundesministerium der Justiz ist nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den Verfahrensstand zu unterrichten.
213 Geheimhaltung
(1) Geheimzuhaltende Tatsachen und Erkenntnisse, insbesondere Staatsgeheimnisse (§ 93 StGB), dürfen in Sachakten nur insoweit schriftlich festgehalten werden, als dies für das Verfahren unerlässlich ist.
(2) Bei der Behandlung von Verschlusssachen sind die Vorschriften der Verschlusssachenanweisung, bei der Behandlung von Verschlusssachen zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Ursprungs die für diese geltenden besonderen Geheimschutzvorschriften zu beachten. Das gilt auch bei der Mitteilung von Verschlusssachen an Verteidiger, Sachverständige und sonstige Verfahrensbeteiligte (z. B. Dolmetscher), soweit nicht zwingende Rechtsgrundsätze entgegenstehen.
(3) Auch wenn bei der Mitteilung von Verschlusssachen an Verteidiger, Sachverständige oder sonstige Verfahrensbeteiligte zwingende Rechtsgrundsätze den Vorschriften der Verschlusssachenanweisung oder den besonderen Geheimschutzvorschriften entgegenstehen, sind die Empfänger gleichwohl eindringlich auf ihre Geheimhaltungspflicht (§§ 93 ff., 203, 353 b StGB) hinzuweisen; dabei ist ihnen zu empfehlen, bei der Behandlung der Verschlusssachen nach den im Einzelfall einschlägigen Vorschriften zu verfahren, die ihnen zu erläutern sind. Über den Hinweis und die Empfehlungen ist ein Vermerk zu den Akten zu nehmen; dieser soll vom Empfänger unterschrieben werden.
(4) Der Mitteilung von Verschlusssachen an Verteidiger im Sinne der Abs. 2 und 3 steht die Akteneinsicht gleich, wenn sie sich auf Verschlusssachen erstrecken. Bei Akten, die Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM enthalten, ist besonders sorgfältig zu prüfen,
- ob nicht wichtige Gründe entgegenstehen, dem Verteidiger die Akten zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitzugeben (§147 Abs. 4 StPO);
- ob rechtliche Bedenken gegen die Anfertigung von Notizen, Abschriften, Auszügen oder Ablichtungen durch den Verteidiger bestehen.
Dies gilt sinngemäß bei Sachverständigen und sonstigen Verfahrensbeteiligten.
(5) In geeigneten Fällen soll der Staatsanwalt die Verteidiger, Sachverständigen und sonstigen Verfahrensbeteiligten zur Geheimhaltung der ihnen mitgeteilten geheimhaltungsbedürftigen Umstände unter Hinweis auf die Strafbarkeit der Geheimnisverletzung (§ 353 b Abs. 2 StGB) förmlich verpflichten. Dabei ist zu beachten, dass eine derartige Verpflichtung zur Geheimhaltung nur auf Grund eines Gesetzes oder mit Einwilligung des Betroffenen möglich ist. Über die Einwilligung des Betroffenen und über die Vornahme der Verpflichtung ist ein Vermerk zu den Akten zu nehmen, der von dem Verpflichteten unterschrieben werden soll.
(6) Ist eine Gefährdung der Staatssicherheit zu besorgen, so hat der Staatsanwalt durch entsprechende Anträge auf gerichtliche Maßnahmen nach §§ 172 und 174 Abs. 2 GVG hinzuwirken. Im übrigen ist Nr. 131 zu beachten.
214 Verlust oder Preisgabe von Verschlusssachen
Bei Ermittlungen, die den Verlust oder die Preisgabe von Verschlusssachen betreffen, ist zu prüfen, ob eine Verpflichtung besteht, ausländische Geheimhaltungsinteressen wahrzunehmen. Hierzu kann es sich empfehlen, eine Anfrage an das Bundesministerium des Innern zu richten, das eine Liste der internationalen Geheimschutzvereinbarungen führt.
2. Geld- und Wertzeichenfälschung
215 Internationale Abkommen
Bei der Verfolgung der Geld- und Wertzeichenfälschung (Münzstrafsachen) sind völkerrechtliche Vereinbarungen, insbesondere das Internationale Abkommen vom 20. April 1929 zur Bekämpfung der Falschmünzerei** zu beachten. Auskunft erteilt das Bundesministerium der Justiz.
** Vgl. Fundstellennachweis B zum Bundesgesetzblatt Teil II
216 Zusammenwirken mit anderen Stellen
(1) Bei der Verfolgung von Münzstrafsachen arbeitet der Staatsanwalt insbesondere mit folgenden Stellen zusammen:
- dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern,
- der deutschen Bundesbank, Wilhelm-Epstein-Str. 14, 60431 Frankfurt am Main, als nationales Analysezentrum (NAZ) und nationales Münzanalysezentrum (MAZ), wenn es sich um in- oder ausländische Noten oder Münzen handelt,
- der Bundesrepublik Deutschland-Finanzagentur GmbH, Lurgiallee 5, 60295 Frankfurt/Main, wenn es sich um Schuldverschreibungen oder Zins- und Erneuerungsscheine des Deutschen Reiches, der Deutschen Reichspost, des Preußischen Staates, der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Bundesbahn oder der Deutschen Bundespost handelt.
(2) Bei Münzstrafsachen, die Schuldverschreibungen oder deren Zins- oder Erneuerungsscheine betreffen, soll die Körperschaft (z. B. das Land, die Gemeinde, der Gemeindeverband) beteiligt werden, die echte Schuldverschreibungen dieser Art ausgegeben hat oder in ihnen als Ausgeber genannt ist.
217 Nachrichtensammel- und Auswertungsstelle bei dem Bundeskriminalamt
(1) Bei der Verfolgung von Münzstrafsachen beachtet der Staatsanwalt, dass das Bundeskriminalamt auf diesem Gebiet die Aufgaben einer Zentralstelle wahrnimmt (vgl. Art. 12, 13 des Internationalen Abkommens zur Bekämpfung der Falschmünzerei) und die folgenden Sammlungen unterhält:
- Falschgeldtypenlisten,
in denen alle bekannt gewordenen in- und ausländischen Falschgeldtypen registriert sind unter Angabe der Orte, an denen Falschgeld in Erscheinung getreten ist; - eine Geldfälscherkartei, die untergliedert ist in
aa) eine Hersteller- und Verbreiterkartei;
aus ihr kann Auskunft über die Personen erteilt werden, die als Hersteller oder Verbreiter von Falschgeld in Erscheinung getreten sind;
bb) eine Typenherstellerkartei;
aus ihr kann Auskunft erteilt werden über die Hersteller bestimmter Fälschungstypen (bei Münzen) oder Fälschungsklassen (bei Noten).
(2) Auch die Landeskriminalämter unterhalten eine Nachrichtensammelstelle zur Bekämpfung von Geldfälschungen; sie stehen in enger Verbindung mit dem Bundeskriminalamt und erhalten von diesem regelmäßig Bericht mit Angaben über die Anfallmenge, Anfallorte und Verausgabungsstellen, mit Hinweisen auf vermutliche Verbreitungszusammenhänge sowie mit einer Übersicht über die Menge der angehaltenen Fälschungstypen, Fälschungsklassen und die Verbreitungsschwerpunkte.
218 Verbindung mehrerer Verfahren
(1) Mehrere dieselbe Fälschungsklasse betreffende Verfahren, die von derselben Staatsanwaltschaft geführt werden, sind regelmäßig zu verbinden.
(2) Werden gegen mehrere Verbreiter oder gegen Hersteller und Verbreiter durch verschiedene Staatsanwaltschaften Verfahren geführt, so wird eine Verbindung nur zweckmäßig sein, wenn zwischen den Beschuldigten unmittelbare Zusammenhänge feststellbar sind. Ist ein Zusammenhang (Ringbildung) erkennbar, so ist die Verbindung regelmäßig geboten.
219 Unterrichtung und Ausschluss der Öffentlichkeit
(1) Über Münzstrafsachen unterrichtet der Staatsanwalt die Öffentlichkeit grundsätzlich nur im Einvernehmen mit den in Nr. 216 Abs. 1 Buchst. a und b genannten Stellen. Dies gilt auch für die Bezeichnung der Fälschungsklasse und die Reihennummern der einzelnen Falschstücke.
(2) In der Anklageschrift sind über die in Abs. 1 bezeichneten Umstände, sowie über die bei Münzstraftaten angewandten Verfahren und die Mittel zur Bekämpfung dieser Straftaten nur die unbedingt notwendigen Angaben zu machen.
(3) In der Hauptverhandlung soll der Staatsanwalt den Ausschluss der Öffentlichkeit sowie die Auferlegung der Schweigepflicht beantragen (§§ 172 Nr. 1, 174 Abs. 3 GVG; vgl. auch Nr. 131 Abs. 2); regelmäßig ist dies für die Erörterung des Herstellungsverfahrens und der anderen in Abs. 1 und 2 bezeichneten Umstände geboten. Auch wenn es sich nur um die Verbreitung von Falschgeld handelt, ist dies zweckmäßig.
3. Sexualstraftaten
220 Rücksichtnahme auf Verletzte
(1) Die Anordnung und Durchführung der körperlichen Untersuchung erfordern Behutsamkeit, Einfühlungsvermögen sowie hinreichende Betreuung und Information. Die Durchführung der körperlichen Untersuchung sollte mit Rücksicht auf das Schamgefühl des Opfers möglichst einer Person gleichen Geschlechts oder einer ärztlichen Kraft (§ 81 d StPO) übertragen werden. Bei berechtigtem Interesse soll dem Wunsch, die Untersuchung einer Person oder einem Arzt bestimmten Geschlechts zu übertragen, entsprochen werden. Auf Verlangen der betroffenen Person soll eine Person des Vertrauens zugelassen werden. Auf die beiden vorgenannten Regelungen ist die betroffene Person hinzuweisen.
(2) Lichtbilder von Verletzten, die sie ganz oder teilweise unbekleidet zeigen, sind in einem verschlossenen Umschlag oder gesondert geheftet zu den Akten zu nehmen und bei der Gewährung von Akteneinsicht - soweit sie nicht für die verletzte Person selbst erfolgt - vorübergehend aus den Akten zu entfernen. Der Verteidigung ist insoweit Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle zu gewähren (§ 147 Abs. 4 Satz 1 StPO).
221 Beschleunigung in Verfahren mit kindlichen Opfern
(1) Das Verfahren ist zu beschleunigen, vor allem deswegen, weil das Erinnerungsvermögen der Kinder rasch verblasst und weil sie besonders leicht zu beeinflussen sind.
(2) Wird ein Beschuldigter, der in häuslicher Gemeinschaft mit dem Geschädigten lebt oder der auf diesen in anderer Weise unmittelbar einwirken kann, freigelassen, so ist das Jugendamt unverzüglich zu benachrichtigen, damit die erforderlichen Maß nahmen zum Schutze des Geschädigten ergriffen werden können. Die Benachrichtigung obliegt derjenigen Stelle, welche die Freilassung veranlasst hat.
222 Vernehmung von Kindern, Ausschluss und Beschränkung der Öffentlichkeit
(1) Werden Kinder als Zeugen vernommen, so sind die Nr. 19, 19 a, 130 a Abs. 2 und 135 Abs. 2 zu beachten. Vielfach wird es sich empfehlen, schon zur ersten Vernehmung einen Sachverständigen beizuziehen, der über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinderpsychologie verfügt.
(2) Hat der Beschuldigte ein glaubhaftes Geständnis vor dem Richter abgelegt, so ist im Interesse des Kindes zu prüfen, ob dessen Vernehmung noch nötig ist (vgl. Nr. 111 Abs. 4).
(3) Wegen des Ausschlusses oder der Beschränkung der Öffentlichkeit sind Nr. 131 a, 132 zu beachten.
222 a. Anhörung des durch eine Straftat nach den §§ 174 bis 182 StGB Verletzten.
(1) Vor der Einleitung verfahrensbeendender Maßnahmen nach den §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1, 153b Abs. 1 oder 154 Abs. 1 StPO soll dem Verletzten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem beabsichtigten Verfahrensabschluss gegeben werden, in den Fällen des § 154 Abs. 1 StPO jedoch nur, wenn die Einstellung im Hinblick auf andere Taten zum Nachteil Dritter erfolgen soll. Hiervon kann abgesehen werden, wenn der Verletzte bereits bei seiner Vernehmung als Zeuge hierzu befragt worden ist. Widerspricht der Verletzte einer beabsichtigten Maßnahme und wird das Verfahren eingestellt, soll eine Würdigung seiner Einwendungen in den Bescheid über die Einstellung (Nr. 89, 101 Abs. 2) aufgenommen werden.
(2) Dem Verletzten soll auch Gelegenheit gegeben werden, sich durch einen anwaltlichen Beistand bei einer etwaigen Erörterung des Verfahrensstands nach § 160b StPO sowie im Hinblick auf eine etwaige Entscheidung über die Anklageerhebung nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG oder § 26 Abs. 2 GVG (vgl. Nr. 113 Abs. 2) zu seiner besonderen Schutzbedürftigkeit zu äußern. In geeigneten Fällen kann auch der Verletzte selbst an der Erörterung des Verfahrensstands beteiligt werden.
4. Bekämpfung gewaltdarstellender, pornographischer und sonstiger jugendgefährdender Schriften
223 Zentralstellen der Länder
Die Zentralstellen der Länder zur Bekämpfung gewaltdarstellender, pornographischer und sonstiger jugendgefährdender Schriften sorgen dafür, dass Straftaten nach den §§ 131, 184, 184a, 184b, 184c StGB und §§ 15, 27 des Jugendschutzgesetzes, § 23 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV)* und Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 119, 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, § 28 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, Nr. 9, Nr. 14 bis 20, Abs. 2, 3 und 4 JuSchG, § 24 JMStV nach einheitlichen Grundsätzen verfolgt werden, und halten insbesondere in den über den Bereich eines Landes hinausgehenden Fällen miteinander Verbindung. Sie beobachten auch die in ihrem Geschäftsbereich erscheinenden oder verbreiteten Zeitschriften und Zeitungen.
* Vergleiche Fundstellennachweise zum jeweiligen Landesrecht
224 Mehrere Strafverfahren
(1) Das Bundeskriminalamt gibt Auskunft darüber, ob eine Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) bereits Gegenstand eines Strafverfahrens nach §§ 131, 184, 184a, 184b, 184c StGB oder §§ 15, 27 JuSchG, 23 JMStV gewesen ist.
(2) Um zu verhindern, dass voneinander abweichende Entscheidungen ergehen, sind folgende Grundsätze zu beachten:
- Leitet der Staatsanwalt des Verbreitungsortes ein Verfahren wegen einer gewaltdarstellenden, pornographischen oder sonstigen jugendgefährdenden Schrift ein, so unterrichtet er gleichzeitig den Staatsanwalt des Erscheinungsortes. Dieser teilt ihm unverzüglich mit, ob er ebenfalls ein verfahren eingeleitet hat oder einzuleiten beabsichtigt, und unterrichtet ihn über den Ausgang des Verfahrens.
- Will der Staatsanwalt des Verbreitungsortes aus besonderen Gründen sein Verfahren durchfuhren, bevor das Verfahren am Erscheinungsort abgeschlossen ist, so führt er die Entscheidung der Landesjustizverwaltung (der Zentralstelle, falls ihr die Entscheidungsbefugnis übertragen ist) herbei.
- Die Genehmigung der Landesjustizverwaltung (der Zentralstelle) ist auch dann einzuholen, wenn wegen einer Schrift eingeschritten werden soll, obwohl ein anderes Verfahren wegen derselben Schrift bereits deswegen zur Einstellung, zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens, zu einem Freispruch oder zur Ablehnung der Einziehung geführt hat, weil sie nicht als gewaltdarstellend, pornographisch oder sonst jugendgefährdend erachtet worden ist.
(3) Auf Schriften, auf denen der Name des Verlegers oder - beim Selbstverlag - der Name des Verfassers oder des Herausgebers und ein inländischer Erscheinungsort nicht angegeben sind, findet Abs. 2 keine Anwendung.
225 Verwahrung beschlagnahmter Schriften
Die beschlagnahmten Stücke sind so zu verwahren, dass ein Missbrauch ausgeschlossen ist; sie dürfen nur dem Staatsanwalt und dem Gericht zugänglich sein. Von den verwahrten Schriften werden höchstens je zwei Stück in einem besonderen Umschlag (zum Gebrauch des Staatsanwalts und des Gerichts) zu den Ermittlungs- oder Strafakten genommen. Wenn diese Stücke nicht benötigt werden, sind sie wie die übrigen amtlich verwahrten Schriften unter Verschluss zu halten.
226 Veröffentlichung von Entscheidungen
(1) Die Beschlagnahme gewaltdarstellender, pornographischer und sonstiger jugendgefährdender Schriften ist im Bundeskriminalblatt bekannt zu machen, sofern nicht wegen voraussichtlich geringer oder nur örtlich beschränkter Verbreitung eine Veröffentlichung im Landeskriminalblatt genügt. Beschränkt sich die Beschlagnahme auf die in § 74 d Abs. 3 StGB bezeichneten Stücke, so wird hierauf in der Bekanntmachung hingewiesen. Nr. 251 Abs. 2 bis 6 gilt sinngemäß. Wird die Beschlagnahme aufgehoben, so ist dies in gleicher Weise bekannt zu machen.
(2) Bei rechtskräftigen Entscheidungen, die auf Einziehung einer Schrift erkennen, ist nach § 81 StVollstrO zu verfahren. Rechtskräftige Entscheidungen, in denen das Gericht den gewaltdarstellenden, pornographischen oder sonst jugendgefährdenden Charakter der Schrift verneint und den Angeklagten freigesprochen oder die Einziehung abgelehnt hat, sind im Bundeskriminalblatt auszugsweise zu veröffentlichen, wenn die Schrift genau genug bezeichnet werden kann. Ist die Schrift nur in wenigen Stücken oder nur in örtlich begrenztem Gebiet verbreitet worden, so genügt die Veröffentlichung im Landeskriminalblatt.
227 Unterrichtung des Bundeskriminalamts
Entscheidungen über die Beschlagnahme oder die Einziehung von Schriften nach §§ 74 d, 76 a StGB, sofern die Aufnahme dieser Schriften in die Liste nach § 18 JuSchG nicht bereits bekannt gemacht ist, sowie (rechtskräftige) Entscheidungen, in denen das Gericht den gewaltdarstellenden, pornographischen oder sonstigen jugendgefährdenden Charakter der Schrift verneint hat, teilen die Zentralstellen dem Bundeskriminalamt auch dann mit, wenn eine Bekanntmachung oder Veröffentlichung im Bundeskriminalblatt nicht verlangt wird oder nicht erfolgt ist.
228 Unterrichtung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien
(1) Stellt ein Gericht in einer rechtskräftigen Entscheidung fest, dass eine Schrift einen der in §§ 86, 130, 130a, 131, 184, 184a, 184b und 184c StGB bezeichneten Inhalte hat, so übersendet die Zentralstelle eine Ausfertigung dieser Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zur Aufnahme der Schrift in die Liste der jugendgefährdenden Medien nach § 18 Abs. 5 Jugendschutzgesetz. Die Ausfertigung soll mit Rechtskraftvermerk versehen sein.
(2) Rechtskräftige Entscheidungen, in denen das Gericht den gewaltdarstellenden, pornographischen oder sonstigen jugendgefährdenden Charakter der Schrift verneint hat, teilen die Zentralstellen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in gleicher Form mit.
5. Beleidigung
229 Erhebung der öffentlichen Klage
(1) Von der Erhebung der öffentlichen Klage soll der Staatsanwalt regelmäßig absehen, wenn eine wesentliche Ehrenkränkung nicht vorliegt, wie es vielfach bei Familienzwistigkeiten, Hausklatsch, Wirtshausstreitigkeiten der Fall ist. Liegt dagegen eine wesentliche Ehrenkränkung oder ein Fall des § 188 StGB vor, so wird das öffentliche Interesse meist gegeben sein. Auf Nr. 86 wird verwiesen.
(2) Auch wenn ein Strafantrag nach § 194 Abs. 3 StGB gestellt ist, prüft der Staatsanwalt, ob ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Will er es verneinen, so gibt er dem Antragsteller vor der abschließenden Verfügung Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
(3) Ist kein Strafantrag nach § 194 Abs. 3 StGB gestellt, so folgt daraus allein noch nicht, dass kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Will der Staatsanwalt die öffentliche Klage erheben, gibt er dem nach § 194 Abs. 3 StGB Berechtigten Gelegenheit, einen Strafantrag zu stellen. Dies gilt sinngemäß, sofern eine Beleidigung nur mit Ermächtigung der betroffenen politischen Körperschaften (§ 194 Abs. 4 StGB) zu verfolgen ist.
230 Wahrheitsbeweis
Dem Versuch, die Zulassung des Wahrheitsbeweises zur weiteren Verunglimpfung des Beleidigten zu missbrauchen und dadurch den strafrechtlichen Ehrenschutz zu unterlaufen, tritt der Staatsanwalt im Rahmen des § 244 Abs. 2, 3 StPO entgegen.
231 Öffentliche Bekanntgabe der Verurteilung
Ist nach § 200 StGB die Bekanntgabe der Verurteilung anzuordnen, so hat der Staatsanwalt darauf hinzuwirken, dass der Name des Beleidigten in die Urteilsformel aufgenommen wird. Ist die öffentliche Bekanntgabe der Verurteilung zu vollziehen (§ 463 c StPO), so sind die dazu ergangenen Vorschriften der Strafvollstreckungsordnung zu beachten.
232 Beleidigung von Justizangehörigen
(1) Wird ein Justizangehöriger während der Ausübung seines Berufs oder in Beziehung auf ihn beleidigt und stellt die vorgesetzte Dienststelle zur Wahrung des Ansehens der Rechtspflege Strafantrag nach § 194 Abs. 3 StGB, so ist regelmäßig auch das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Sinne des § 376 StPO zu bejahen (vgl. Nr. 229).
(2) Wird in Beschwerden, Gnadengesuchen oder ähnlichen Eingaben an Entscheidungen und anderen Maßnahmen von Justizbehörden oder -angehörigen in beleidigender Form Kritik geübt, so ist zu prüfen, ob es sich um ernst zu nehmende Ehrenkränkungen handelt und es zur Wahrung des Ansehens der Rechtspflege geboten ist, einzuschreiten (vgl. Nr. 229 Abs. 1). Offenbar haltlose Vorwürfe unbelehrbarer Querulanten oder allgemeine Unmutsäußerungen von Personen, die sich in ihrem Recht verletzt glauben, werden regelmäßig keine Veranlassung geben, die öffentliche Klage zu erheben, es sei denn, dass wegen falscher Verdächtigung vorzugehen ist.
(3) Für ehrenamtliche Richter gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
6. Körperverletzung
233 Erhebung der öffentlichen Klage
Das öffentliche Interesse an der Verfolgung von Körperverletzungen ist vor allem dann zu bejahen, wenn eine rohe Tat, eine erhebliche Misshandlung oder eine erhebliche Verletzung vorliegt (vgl. Nr. 86). Dies gilt auch, wenn die Körperverletzung in einer engen Lebensgemeinschaft begangen wurde; Nr. 235 Abs. 3 gilt entsprechend.
234 Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 230 Abs. 1 StGB)
(1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung von Körperverletzungen (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Nr. 235 Abs. 3 gilt entsprechend. Andererseits kann auch der Umstand beachtlich sein, dass der Verletzte auf Bestrafung keinen Wert legt.
(2) Ergibt sich in einem Verfahren wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden Tat nach Anklageerhebung, dass möglicherweise nur eine Verurteilung wegen Körperverletzung (§ 230 Abs. 1 StGB) in Betracht kommt oder dass eine derartige Verurteilung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zusätzlich dringend geboten erscheint, so erklärt der Staatsanwalt, ob er ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(3) Bei im Straßenverkehr begangenen Körperverletzungen ist Nr. 243 Abs. 3 zu beachten.
235 Kindesmisshandlung
(1) Auch namenlosen und vertraulichen Hinweisen geht der Staatsanwalt grundsätzlich nach; bei der Beweissicherung beachtet er insbesondere § 81 c Abs. 3 Satz 3 StPO. Im übrigen gelten die Nr. 220, 221, 222 Abs. 1 und 2 sinngemäß.
(2) Bei einer Kindesmisshandlung ist das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) grundsätzlich zu bejahen. Eine Verweisung auf den Privatklageweg gemäß § 374 StPO ist in der Regel nicht angezeigt.
(3) Sind sozialpädagogische, familientherapeutische oder andere unterstützende Maßnahmen eingeleitet worden und erscheinen diese erfolgversprechend, kann ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung entfallen.
7. Betrug
236 Schwindelunternehmen, Vermittlungsschwindel
(1) Bei der Bekämpfung von Schwindelunternehmen kann es zweckmäßig sein, mit dem Deutschen Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität e. V. Frankfurt am Main, Landgrafenstraße 24 b, 61348 Bad Homburg v. d. H., in Verbindung zu treten. Auf Grund seiner umfangreichen Stoffsammlungen kann er Auskünfte erteilen und Sachverständige benennen.
(2) Der Immobilienverband Deutschland (IVD) Bundesverband der Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen e. V., Littenstraße 10, 10179 Berlin, und der Deutsche Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität e.V. Frankfurt am Main, Landgrafenstraße 24 b, 61348 Bad Homburg v. d. H., haben sich bereit erklärt, zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Material zur Verfügung zu stellen und Auskünfte zu erteilen.
(3) Verstöße gegen vom Bundeskartellamt nach §§ 24 bis 27 GWB anerkannte Wettbewerbsregeln können nach den Vorschriften des UWG mit Strafe oder nach § 81 GWB als Ordnungswidrigkeiten mit Geldbuße bedroht sein. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn in Ermittlungsverfahren gegen Makler ein Betrug nicht nachweisbar ist. Ferner ist die Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträgerverordnung MaBV)* zu beachten.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht.
237 Abzahlungsgeschäfte
(1) Bei Strafanzeigen, die Abzahlungsgeschäfte zum Gegenstand haben, berücksichtigt der Staatsanwalt die Erfahrung, dass Abzahlungskäufer nicht selten leichtfertig des Betruges verdächtigt werden, um zivilrechtliche Ansprüche des Anzeigeerstatters unter dem Druck eines Strafverfahrens durchzusetzen.
(2) In den Fällen, in denen beim Abschluss von Abzahlungsgeschäften Unerfahrenheit, Ungewandtheit und Leichtgläubigkeit der Käufer ausgenutzt worden sind, prüft der Staatsanwalt, ob insoweit eine Straftat vorliegt.
238 Betrügerische Bankgeschäfte
Besteht gegen Geschäftsleiter von Kreditinstituten der Verdacht einer Straftat, so setzt sich der Staatsanwalt in der Regel möglichst frühzeitig mit der Aufsichtsbehörde in Verbindung. Nach dem Gesetz über das Kreditwesen* besteht eine allgemeine Fachaufsicht über sämtliche Kreditinstitute, die die Bundesansistungsaufsicht (Graurheindorfer Straße 108, 53117 Bonn) ausübt. Die Sonderaufsicht (Staatsaufsicht) bestimmt sich nach Landes- oder Bundesrecht (§ 52 Kreditwesengesetz).
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
8. Mietwucher
239
Bei der Verfolgung von Mietwucher (§ 291 Abs. 1 Nr. 1 StGB) empfiehlt es sich, auch die in den Ländern erlassenen Richtlinien zur wirksameren Bekämpfung von Mietpreisüberhöhungen zu berücksichtigen.
9. Glücksspiel und Ausspielung
240 Glücksspiel
Gutachten darüber, ob es sich bei der Benutzung von mechanisch betriebenen Spielgeräten um ein Glücksspiel oder ein Geschicklichkeitsspiel handelt, erstattet die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Abbestraße 2-12, 10587 Berlin. Gutachten über den Spielcharakter nichtmechanischer Spiele (Glücks- oder Geschicklichkeitsspiele) werden vom Bundeskriminalamt erstellt.
241 Öffentliche Lotterien und Ausspielungen
Gewerbliche Unternehmen versuchen oft, in unlauterer Weise ihren Kundenkreis dadurch zu erweitern, dass sie unter dem Deckmantel eines Preisrätsels oder in ähnlicher Art (z. B. durch Benutzung des sogenannten Schneeball- oder Hydrasystems) öffentliche Lotterien oder Ausspielungen veranstalten. Anlass zum Einschreiten besteht regelmäßig schon dann, wenn in öffentlichen Ankündigungen ein Hinweis auf die behördliche Genehmigung der Lotterie oder Ausspielung fehlt.
10.Straftaten gegen den Wettbewerb
242
(1) Bei der Verfolgung von wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB) ist, wenn auch der Verdacht einer Kartellordnungswidrigkeit besteht, frühestmöglich eine Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Kartellbehörde sicherzustellen. Durch die vertrauensvolle gegenseitige Abstimmung können unnötige Doppelarbeiten dieser Behörden vermieden und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen vermindert werden.
(2) Hat die Kartellbehörde in den Fällen des § 82 Satz 1 GWB ein § 30 OWiG betreffendes Verfahren nicht nach § 82 Satz 2 GWB an die Staatsanwaltschaft abgegeben, ist grundsätzlich eine gegenseitige Unterrichtung über geplante Ermittlungsschritte mit Außenwirkung sowie eine Abstimmung der zu treffenden oder zu beantragenden Rechtsfolgen angezeigt.
(3) Bei Zweifeln, ob die Landeskartellbehörde oder das Bundeskartellamt zuständig ist, ist regelmäßig mit der Landeskartellbehörde Kontakt aufzunehmen.
242 a Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 301 Abs. 1, §§ 299, 300 StGB
(1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung wegen Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn
- der Täter einschlägig (vermögensstrafrechtlich, insbesondere wirtschaftsstrafrechtlich) vorbestraft ist,
- der Täter im Zusammenwirken mit Amtsträgern gehandelt hat,
- mehrere geschäftliche Betriebe betroffen sind,
- der Betrieb mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht und öffentliche Aufgaben wahrnimmt,
- ein erheblicher Schaden droht oder eingetreten ist oder
- zureichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Antragsberechtigter aus Furcht vor wirtschaftlichen oder beruflichen Nachteilen einen Strafantrag nicht stellt.
(2) Kommt ein besonders schwerer Fall (§ 300 StGB) in Betracht, so kann das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nur ausnahmsweise verneint werden.
11. Straßenverkehr
243 Verkehrsstraftaten, Körperverletzungen im Straßenverkehr
(1) In Verkehrsstrafsachen wird der Staatsanwalt, wenn nötig (vgl. Nr. 3), die Ermittlungen selbst führen, den Tatort besichtigen, die Spuren sichern lassen und frühzeitig - in der Regel schon bei der Tatortbesichtigung - einen geeigneten Sachverständigen zuziehen, falls dies zur Begutachtung technischer Fragen notwendig ist. Neben einer Auskunft aus dem Zentralregister soll auch eine Auskunft aus dem Verkehrszentralregister eingeholt werden.
(2) Besteht der Verdacht, dass der Täter unter Alkoholeinwirkung gehandelt hat, so ist für eine unverzügliche Blutentnahme zur Bestimmung des Blutalkoholgehalts zu sorgen.
(3) Ein Grundsatz, dass bei einer im Straßenverkehr begangenen Körperverletzung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) stets oder in der Regel zu bejahen ist, besteht nicht. Bei der im Einzelfall zu treffenden Ermessensentscheidung sind das Maß der Pflichtwidrigkeit, insbesondere der vorangegangene Genuss von Alkohol oder anderer berauschender Mittel, die Tatfolgen für den Verletzten und den Täter, einschlägige Vorbelastungen des Täters sowie ein Mitverschulden des Verletzten von besonderem Gewicht.
244 Internationale Abkommen
Hinsichtlich des Rechtshilfeverkehrs mit dem Ausland wird auf die völkerrechtlichen Vereinbarungen, insbesondere das Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr**, ergänzt durch das Europäische Zusatzübereinkommen vom 1. Mai1971** sowie ggf. das Internationale Abkommen vom 24. April 1926 über Kraftfahrzeugverkehr** hingewiesen. Auskunft erteilt das Bundesministerium der Justiz.
** vgl. Fundstellennachweis B zum Bundesgesetzblatt Teil II
12. Bahnverkehr, Schifffahrt und Luftfahrt
245 Transportgefährdung
(1) Bei dem Verdacht einer strafbaren Transportgefährdung, die wegen ihrer Folgen oder aus anderen Gründen in der Öffentlichkeit Aufsehen erregen kann, führt der Staatsanwalt, wenn nötig, die Ermittlungen selbst und besichtigt den Tatort (vgl. Nr. 3).
(2) Für die Frage, ob Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert im Sinne der §§ 315, 315 a StGB gefährdet worden sind, ist die Art des Verkehrsmittels von Bedeutung. Der Staatsanwalt wird daher in Verbindung treten bei Beeinträchtigung der Sicherheit
- des Betriebs der Eisenbahnen des Bundes:
mit der örtlichen Außenstelle des Eisenbahnbundesamtes; - des Betriebs anderer Schienenbahnen oder von Schwebebahnen:
mit der zuständigen Aufsichtsbehörde; - des Betriebs der Schifffahrt:
mit der zuständigen Wasser- und Schifffahrtsdirektion; - des Luftverkehrs:
mit der obersten Landesverkehrsbehörde.
(3) Im Betrieb der Eisenbahn wird eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert in der Regel dann bestehen, wenn der Triebfahrzeugführer bei Erkennen des Fahrthindernisses oder einer anderen Beeinträchtigung der Sicherheit des Betriebs pflichtgemäß die Schnellbremsung einzuleiten hätte.
(4) Wegen der Eigenart der in Abs. 2 genannten Verkehrsmittel können schon geringfügige Versehen Betriebsbeeinträchtigungen verursachen, die den Tatbestand des § 315 Abs. 5, 6 StGB erfüllen. Ist in solchen Fällen die Schuld des Täters gering, so wird der Staatsanwalt prüfen, ob §§ 153 Abs. 1, 153 a Abs. 1 StPO (vgl. Nr. 93 Abs. 1) anzuwenden sind.
246 Unfälle beim Betrieb von Eisenbahnen
(1) Zur Aufklärung eines Unfalls beim Betrieb von Eisenbahnen, der wegen seiner Folgen oder aus anderen Gründen in der Öffentlichkeit Aufsehen erregen kann, setzt sich der Staatsanwalt sofort mit der zuständigen Polizeidienststelle und ggf. der zuständigen Aufsichtsbehörde der Eisenbahn in Verbindung und begibt sich in der Regel selbst unverzüglich an den Unfallort, um die Ermittlungen zu leiten (vgl. Nr. 3 und 11).
(2) Soweit im weiteren Verfahren Sachverständige benötigt werden, sind in der Regel fachkundige Angehörige der zuständigen Aufsichtsbehörde heranzuziehen. Wenn andere Sachverständige beauftragt werden, so ist auch der Aufsichtsbehörde Gelegenheit zur gutachtlichen Äußerung zu geben.
247 Schifffahrts- und Luftverkehrssachen
(1) In Strafverfahren wegen Gefährdung des Schiffsverkehrs (§ 315 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) und bei der Untersuchung von Schiffsunfällen können namentlich folgende Vorschriften zur Sicherung des Schiffsverkehrs von Bedeutung sein:
- im Bereich des Seeschiffsverkehrs
das Seeaufgabengesetz (SeeAufgG)* und die hierauf beruhenden Rechtsverordnungen, insbesondere
die Verordnung zu den Internationalen Regelungen von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See*,
die Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung (SeeSchStrO)*,
die Verordnung über die Sicherung der Seefahrt*,
die Schiffssicherheitsverordnung (SchSV)*,
die Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter mit Seeschiffen (GGV See)*,
die Internationalen Übereinkommen zum Schutze des menschlichen Lebens auf See (SOLAS 74)** und zum Schutze der Umwelt (MARPOL)**, - im Bereich des Binnenschiffsverkehrs
das Binnenschifffahrtsaufgabengesetz (BinSchAufgG)* und die hierauf beruhenden folgenden Verordnungen:
die Binnenschiffs-Untersuchungsordnung (BinSchUO)*,
die Rheinschiffsuntersuchungsordnung* nebst ihrer Einführungsverordnung,
die Rhein- und Moselschifffahrtspolizeiverordnung*,
die Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung* nebst ihren Einführungsverordnungen,
die Donauschifffahrtspolizeiverordnung* nebst ihrer Anlage A,
die Binnenschifferpatentverordnung*,
die Rheinpatentverordnung* nebst ihrer Einführungsverordnung,
die Gefahrgutverordnung- Binnenschifffahrt (GGVBinSch)*.
(2) In solchen Verfahren empfiehlt es sich in der Regel, die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zu hören. Bei Verstößen gegen Sicherheitsvorschriften sind
im Bereich des Seeschiffsverkehrs die See-Berufsgenossenschaft in Hamburg und gegebenenfalls das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg und
im Bereich des Binnenschiffsverkehrs die Binnenschifffahrts-Berufsgenossenschaft in Duisburg zu beteiligen.
(3) Verstöße gegen die in Abs. 1 Buchst. a) genannten Seeverkehrsvorschriften sind überwiegend auch Seeunfälle im Sinne des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes (SUG)*, die von den Seeämtern Rostock, Kiel, Hamburg, Bremerhaven und Emden förmlich untersucht werden. Die Seeämter sind zu beteiligen.
(4) In Strafverfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen luftrechtliche Vorschriften, die der Abwehr von Gefahren für den Luftverkehr dienen (§§ 59, 60, 62 Luftverkehrsgesetz)*, und bei der Untersuchung von Luftfahrzeugunfällen sind die obersten Verkehrsbehörden der Länder, die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU, Hermann-Blenk-Str. 16, 38108 Braunschweig, Telefon 0531/35480) oder das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung zu beteiligen.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
13. Förderung der Prostitution, Menschenhandel und Zuhälterei
248
(1) Es empfiehlt sich, nach der ersten Aussage einer Prostituierten unverzüglich, möglichst im Anschluss an die polizeiliche Vernehmung, eine richterliche Vernehmung herbeizuführen, da Prostituierte erfahrungsgemäß nicht selten ihre Aussage gegen den Zuhälter in der Hauptverhandlung nicht aufrechterhalten oder zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erreichbar sind.
(2) Ist zu befürchten, dass ein Zeuge wegen der Anwesenheit bestimmter Personen in der Hauptverhandlung die Wahrheit nicht sagen werde, so wirkt der Staatsanwalt auf gerichtliche Maßnahmen nach § 172 GVG oder §§ 247, 247 a StPO hin.
(3) Ist in einem Strafverfahren die Ladung einer von der Tat betroffenen ausländischen Person als Zeuge zur Hauptverhandlung erforderlich und liegt deren Einverständnis für einen weiteren befristeten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland vor, informiert der Staatsanwalt die zuständige Ausländerbehörde mit dem Ziel, aufenthaltsbeendende Maßnahmen für die Dauer des Strafverfahrens zurückzustellen. Wird die ausländische Person nicht mehr als Zeuge für das Strafverfahren benötigt, setzt der Staatsanwalt die Ausländerbehörde hiervon umgehend in Kenntnis.
14. Pressestrafsachen
249 Allgemeines
(1) Pressestrafsachen im Sinne dieses Abschnitts sind Strafsachen, die Verstöße gegen die Pressegesetze der Länder oder solche Straftaten zum Gegenstand haben, die durch Verbreitung von Druckschriften (Druckwerken) strafbaren Inhalts begangen werden.
(2) Ist eine Straftat nach §§ 80 bis 101 a, 129 bis 131 StGB, § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes oder nach § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes (Nr. 208 Abs. 1 Satz 1), eine Verunglimpfung oder eine Beleidigung oberster Staatsorgane (Nr. 209 Abs. 1 Satz 1) oder eine Beleidigung fremder Staatspersonen (Nr. 210 Abs. 1) mittels einer Druckschrift begangen worden, so gelten die Nr. 202 bis 214.
(3) Auf Straftaten nach §§ 131, 184, 184a, 184b, 184c StGB und §§ 15, 27 JuSchG, § 23 JMStV finden die Nummern 223 bis 228 Anwendung.
(4) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden auf die in Abs. 2 und 3 bezeichneten Straftaten nur Anwendung, soweit es besonders bestimmt ist.
(5) Durch rasches Handeln ist zu verhindern, dass Druckschriften strafbaren Inhalts weitere Verbreitung finden; dies gilt vor allem, wenn Flugblätter, Handzettel, verbotene Zeitungen und Zeitschriften heimlich verbreitet werden. Beschleunigung ist auch wegen der kurzen Verjährungsfristen von Pressestrafsachen geboten.
(6) Die Akten sind als Pressestrafsache kenntlich zu machen und mit einem Hinweis auf die kurze Verjährungsfrist zu versehen.
250 Einheitliche Bearbeitung verschiedener, dieselbe Druckschrift betreffende Verfahren
(1) Strafsachen, welche dieselbe Veröffentlichung betreffen, sind möglichst einheitlich zu bearbeiten. Leitet der Staatsanwalt wegen einer Veröffentlichung in einer Druckschrift, die nicht in seinem Bezirk erschienen ist, ein Verfahren ein, so hat er dies dem Staatsanwalt des Erscheinungsortes unverzüglich mitzuteilen (vgl. § 7 StPO). Dieser prüft, ob ein Verfahren einzuleiten oder das bei der anderen Staatsanwaltschaft anhängige Verfahren zu übernehmen ist.
(2) Werden die Verfahren getrennt geführt, so unterrichten sich die beteiligten Staatsanwälte gegenseitig.
(3) Die Abs. 1 und 2 gelten sinngemäß, wenn die Veröffentlichung im wesentlichen ein Abdruck aus einer anderen Veröffentlichung oder mit einer anderen Veröffentlichung im wesentlichen inhaltsgleich ist.
251 Vollstreckung einer Beschlagnahmeanordnung
(1) Maßnahmen zur Vollstreckung einer Beschlagnahmeanordnung sind der Bedeutung des Falles sowie dem Umfang und der Art der Verbreitung der Druckschrift anzupassen.
(2) Ist die Druckschrift offenbar noch nicht verbreitet, so wird es in der Regel genügen, wenn sich der Staatsanwalt in den Besitz der erreichbaren Stücke setzt.
(3) Ist eine nur örtliche Verbreitung der Druckschrift anzunehmen, so ist lediglich die Polizeidienststelle, in deren Bereich die Verbreitung vermutlich stattgefunden hat oder stattfinden könnte, und, wenn die Verbreitung über einen örtlichen Polizeibezirk hinausgeht, auch das zuständige Landeskriminalamt zu ersuchen, die Vollstreckung der Beschlagnahme zu veranlassen.
(4) Ist es unmöglich oder unangebracht, die Durchführung der Beschlagnahme örtlich zu beschränken, so empfiehlt es sich, das Ersuchen um Vollstreckung der Beschlagnahmeanordnung den Polizeidienststellen durch den Sprech- und Datenfunk der Polizei bekannt zu machen.
(5) Die Ersuchen sind auf schnellstem Wege zu übermitteln. Es ist dafür zu sorgen, dass die Beschlagnahmeanordnung nicht vorzeitig bekannt wird. Mitunter wird es nötig sein, Vollstreckungsersuchen an die Polizeidienststellen in verschlüsselter (chiffrierter) Form weiterzugeben.
(6) In dem Ersuchen sind die ersuchende Behörde, die zugrunde liegende Anordnung (nach Aktenzeichen, anordnender Stelle, Ort und Datum der Anordnung) und der genaue Titel der Druckschrift (mit Verlag und Erscheinungsort) anzugeben.
252 Aufhebung der Beschlagnahme
Wird die Beschlagnahme aufgehoben, so sind davon unverzüglich alle Behörden und Stellen, die um die Vollstreckung ersucht worden sind, auf demselben Wege unter Rücknahme des Vollstreckungsersuchens zu benachrichtigen.
253 Einziehung, Unbrauchbarmachung und Ablieferung
Der Staatsanwalt hat bei Veröffentlichungen strafbaren Inhalts durch geeignete Anträge, notfalls durch Einlegung der zul ässigen Rechtsmittel, darauf hinzuwirken, dass auf Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 74 d, 74 e StGB) erkannt wird. Kann wegen der Straftat aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so ist zu prüfen, ob das selbständige Verfahren nach § 76 a StGB einzuleiten ist.
254 Sachverständige in Presseangelegenheiten
Soweit Sachverständige in Presseangelegenheiten benötigt werden, wendet sich der Staatsanwalt oder das Gericht
- für grundsätzliche Fragen an den Deutschen Presserat, Generalsekretariat, Gerhard-von-Are-Straße 8, 53111 Bonn;
- für journalistische Fragen an den Deutschen Journalistenverband, Pressehaus 2107, Schiffbauerdamm 40, 10117 Berlin;
- für das Zeitungswesen an den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, Markgrafenstraße 15, 10969 Berlin;
- für das Zeitschriftenwesen an den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e. V., Markgrafenstraße 15, 10969 Berlin;
- für das Buchverlagswesen an den Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V., Großer Hirschgraben 17-21, 60311 Frankfurt am Main.
II. Abschnitt
Strafvorschriften des Nebenstrafrechts
A. Allgemeines
255
(1) Auch die Straftaten des Nebenstrafrechts sind Zuwiderhandlungen, die ein sozialethisches Unwerturteil verdienen; sie sind deshalb nach den gleichen Grundsätzen und mit dem gleichen Nachdruck zu verfolgen wie Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Strafgesetzbuchs. Dies gilt auch für die Anwendung der §§ 153, 153 a StPO. Maßnahmen zur Abschöpfung des durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Vorteils einer juristischen Person oder Personenvereinigung nach Nummer 180 a können auch bei Straftaten des Nebenstrafrechts in Betracht kommen. Den zuständigen Fachbehörden ist nach den Nr. 90, 93 Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
(2) Bei der Verfolgung von Straftaten des Nebenstrafrechts arbeitet der Staatsanwalt mit den zuständigen Fachbehörden zusammen. Die Fachbehörden können vor allem bei der Benennung geeigneter Sachverständiger Hilfe leisten.
B. Einzelne Strafvorschriften
1. Waffen- und Sprengstoffsachen
256
(1) Bei der Verfolgung von Straftaten nach dem Waffengesetz oder dem Ausführungsgesetz zu Art. 26 Abs. 2 GG (Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen) einschließlich der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen empfiehlt es sich, auch die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften, namentlich die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz (WaffVwV), heranzuziehen.
(2) Ein besonderes Augenmerk ist auf die Erkennung überörtlicher Zusammenhänge zu richten. In geeigneten Fällen ist mit der Zollbehörde zusammenzuarbeiten. Es empfiehlt sich, möglichst frühzeitig Strafregisterauszüge aus den Staaten, in denen sich der Beschuldigte vermutlich aufgehalten hat, anzufordern.
(3) Bevor der Staatsanwalt Schusswaffen, insbesondere auch nachträglich veränderte (z. B. durchbohrte oder verkürzte) Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen in amtliche Verwahrung nimmt, prüft er, ob der Schusswaffenerkennungsdienst durchgeführt ist.
(4) Der Staatsanwalt teilt der Polizei oder der Verwaltungsbehörde unverzüglich alle Umstände mit, aus denen sich der Verdacht ergibt, dass
- vorschriftswidrig mit Sprengstoffen umgegangen oder gehandelt wurde, oder diese Stoffe vorschriftswidrig befördert worden sind,
- vorschriftswidrig Schusswaffen hergestellt, gehandelt oder erworben worden sind.
2. Straftaten nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) und dem Betäubungsmittelgesetz
257
(1) Bei Straftaten nach dem Arzneimittel- und dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln gilt Nr. 256 Abs. 2 entsprechend.
(2) Der Staatsanwalt arbeitet auch mit den Stellen zusammen, die sich um die Betreuung von Suchtkranken bemühen, namentlich mit den Gesundheitsämtern, Jugendämtern und Verbänden der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege.
257a Dopingstraftaten
In Ermittlungsverfahren, die Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a und b, Abs. 3 Nr. 2 AMG zum Gegenstand haben und einen Bezug zu Leistungssportlern bzw. deren Ärzten, Trainern, Betreuern oder Funktionären aufweisen, kann es zweckmäßig sein, mit der Nationalen Anti Doping Agentur Deutschland (NADA) – Stiftung privaten Rechts –, Heussallee 38, 53113 Bonn, www.nada-bonn.de, in Verbindung zu treten, die gegebenenfalls sachdienliche Auskünfte erteilen kann.
3. Arbeitsschutz
258
(1) Vorschriften zum Schutze der Arbeitskraft und der Gesundheit der Arbeitnehmer sind namentlich enthalten in
- dem Arbeitsschutzgesetz* und dem Arbeitszeitgesetz*,
- dem Atomgesetz*,
- dem Bundesberggesetz*,
- dem Chemikaliengesetz*,
- dem Gesetz über den Ladenschluss*,
- der Gewerbeordnung*,
- dem Heimarbeitsgesetz*,
- dem Jugendarbeitsschutzgesetz*,
- dem Mutterschutzgesetz*,
- dem Seemannsgesetz*,
- dem Sprengstoffgesetz*,
- dem Arbeitssicherheitsgesetz*,
- dem Bundesurlaubsgesetz*,
- Teil 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) IX *.
(2) Arbeitsschutzrechtliche Vorschriften enthalten auch die Strahlenschutzverordnung*, die Röntgenverordnung*, die Gefahrstoffverordnung*, die PSA-Benutzungsverordnung (Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit)*, die Bildschirmarbeitsverordnung*, die Lastenhandhabungsverordnung*, die Arbeitsstättenverordnung*, die Biostoffverordnung* und die Baustellenverordnung*.
(3) Fachbehörden sind das Gewerbeaufsichtsamt, das Bergamt oder die sonst nach Landesrecht zuständigen Stellen.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
259 Schutz des Arbeitsmarktes
(1) Vorschriften zum Schutze des Arbeitsmarktes und gegen die missbräuchliche Ausnutzung fremder Arbeitskraft sind namentlich enthalten im
- Drittes Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung -*,
- Arbeitnehmerüberlassungsgesetz*.
(2) Zuständige Fachbehörde ist die Bundesanstalt für Arbeit.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht.
4. Unlauterer Wettbewerb
260 Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung wegen unlauteren Wettbewerbs (§ 299 StGB, §§ 16 bis 19 UWG) wird in der Regel zu bejahen sein, wenn eine nicht nur geringfügige Rechtsverletzung vorliegt. Dies gilt in Fällen
- des § 16 Abs. 1 UWG vor allem, wenn durch unrichtige Angaben ein erheblicher Teil der Verbraucher irregeführt werden kann (vgl. auch § 144 Markengesetz in Bezug auf geographische Herkunftsangaben);
- des § 16 Abs. 2 UWG vor allem, wenn insgesamt ein hoher Schaden droht, die Teilnehmer einen nicht unerheblichen Beitrag zu leisten haben oder besonders schutzwürdig sind.
Die Verweisung auf die Privatklage (§ 374 Abs. 1 Nr. 5 a, 7, § 376 StPO) ist in der Regel nur angebracht, wenn der Verstoß leichter Art ist und die Interessen eines eng umgrenzten Personenkreises berührt.
260 a Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
(1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von Verletzungen von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen (§§ 17 bis 19 UWG) wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Täter wirtschaftsstrafrechtlich vorbestraft ist, ein erheblicher Schaden droht oder eingetreten ist, die Tat Teil eines gegen mehrere Unternehmen gerichteten Plans zur Ausspähung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen ist oder den Verletzten in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht.
(2) Kommt ein besonders schwerer Fall (§ 17 Abs. 4 UWG) in Betracht, so kann das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung nur ausnahmsweise verneint werden. Das gleiche gilt, auch bezüglich § 18 UWG, wenn der Täter davon ausgeht, dass das Geheimnis im Ausland verwertet werden soll, oder er es selbst im Ausland verwertet.
260 b Geheimhaltung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen
(1) Bittet der Verletzte um Geheimhaltung oder stellt er keinen Strafantrag, so sollen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse in der Sachakte nur insoweit schriftlich festgehalten werden, als dies für das Verfahren unerlässlich ist.
(2) Wird in den Fällen des Abs. 1 Akteneinsicht gewährt, so ist darauf hinzuweisen, dass die Akte Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthält; hierüber ist ein Vermerk zu den Akten zu nehmen. Dies gilt sinngemäß bei sonstigen Mitteilungen aus den Akten. Es ist zu prüfen, ob nicht Gründe entgegenstehen, dem Verteidiger die Akten zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitzugeben (§ 147 Abs. 4 StPO).
(3) Vor Gewährung von Akteneinsicht an Dritte ist, auch wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht vorliegen, besonders sorgfältig zu prüfen, ob nicht schutzwürdige Interessen des Verletzten entgegenstehen.
260 c Auskünfte
Bei unlauteren Wettbewerbsmethoden von örtlicher Bedeutung können die Industrie- und Handelskammern Auskünfte geben; im übrigen erteilen Auskünfte:
- die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Frankfurt am Main, Landgrafenstraße 24 b, 61348 Bad Homburg v. d. H., die mit den Spitzenverbänden der deutschen gewerblichen Wirtschaft zusammenarbeitet;
- der Gutachterausschuss für Wettbewerbsfragen, Adenauerallee 148, 53113 Bonn;
- der Deutsche Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität e.V. Frankfurt am Main, Landgrafenstraße 24 b, 61348 Bad Homburg v. d. H.;
- der Verein „Pro Honore", Verein für Treu und Glauben im Geschäftsverkehr e.V., Borgfelder Straße 30, 20537 Hamburg;
- Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZbV), Markgrafenstraße 66, 10969 Berlin.
5. Straftaten nach den Gesetzen zum Schutze des geistigen Eigentums
261 Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums (§ 142 Abs. 1 des Patentgesetzes, § 25 Abs. 1 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 Abs. 1 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 Abs. 1 des Sortenschutzgesetzes, § 143 Abs. 1, § 143a und § 144 Abs. 1 und 2 des Markengesetzes, § 51 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 des Geschmacksmustergesetzes, §§ 106 bis 108 und § 108b des Urheberrechtsgesetzes und § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photografie) wird in der Regel zu bejahen sein, wenn eine nicht nur geringfügige Schutzrechtsverletzung vorliegt. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere das Ausmaß der Schutzrechtsverletzung, der eingetretene oder drohende wirtschaftliche Schaden und die vom Täter erstrebte Bereicherung.
261 a Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
(1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 142 Abs. 4 des Patentgesetzes, § 25 Abs. 4 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 Abs. 4 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 Abs. 4 des Sortenschutzgesetzes, § 143 Abs. 4 des Markengesetzes, § 51 Abs. 4, § 65 Abs. 2 des Geschmacksmustergesetzes, § 109 des Urheberrechtsgesetzes) wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, ein erheblicher Schaden droht oder eingetreten ist, die Tat den Verletzten in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht oder die öffentliche Sicherheit oder die Gesundheit der Verbraucher gefährdet.
261 b Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung
Ist die Bekanntmachung der Verurteilung anzuordnen, so hat der Staatsanwalt darauf hinzuwirken, dass der Name des Verletzten in die Urteilsformel aufgenommen wird. Ist die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung zu vollziehen (§ 463 c StPO), so ist § 59 der Strafvollstreckungsordnung zu beachten.
6. Verstöße gegen das Lebensmittelrecht
262
Strafvorschriften des Lebensmittelrechts sind insbesondere enthalten
- im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände-Futtermittelgesetzbuch*,
- im Milch- und Margarinegesetz*
sowie in den auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
7. Verstöße gegen das Weingesetz
263
Als Sachverständige für Fragen der Herstellung und des gewerbsmäßigen Verkehrs mit Weinen und weinähnlichen Getränken kommen namentlich die hauptberuflichen Kontrolleure sowie die Beamten und Angestellten der Staatlichen Versuchs- und Lehranstalten für Obst- und Weinbau in Betracht. Für Fragen des Weinbaues benennen die landwirtschaftlichen Berufsvertretungen (z. B. Landwirtschaftskammern) Sachverständige.
8. Verstöße gegen das Futtermittelgesetz
264
In Verfahren wegen Straftaten nach §§ 58, 59 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches[*] kommen als Sachverständige vor allem die mit der Futtermitteluntersuchung betrauten wissenschaftlichen Beamten (Angestellten) der öffentlich-rechtlichen oder unter öffentlicher Aufsicht stehenden Untersuchungs- und Forschungsinstitute oder die vereidigten Handelschemiker, ferner sachkundige Leiter (Inhaber) von Herstellerbetrieben und anderen Handelsfirmen, leitende Angestellte landwirtschaftlicher Genossenschaften oder Landwirte in Betracht.“
[*] Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht.
9. Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz
265
(1) In Verfahren wegen Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz* und der Außenwirtschaftsverordnung* kann der Staatsanwalt Ermittlungen auch durch die Hauptzollämter oder die Zollfahndungsämter und in Fällen überörtlicher Bedeutung auch durch das Zollkriminalamt vornehmen lassen. Auf die Koordinierungs- und Lenkungsfunktion des Zollkriminalamtes (§ 3 Abs. 5 des Gesetzes über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter) wird hingewiesen.
(2) Zuständige Verwaltungsbehörde ist die Oberfinanzdirektion. Ort und Zeit der Hauptverhandlung sind ihr mitzuteilen; ihr Vertreter erhält in der Hauptverhandlung auf Verlangen das Wort (vgl. § 38 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes).
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht.
10. Verstöße gegen die Steuergesetze (einschließlich der Gesetze über Eingangsabgaben)
266 Zusammenwirken mit den Finanzbehörden
(1) Ermittelt der Staatsanwalt wegen einer Steuerstraftat/Zollstraftat, so unterrichtet er das sonst zuständige Finanzamt/Hauptzollamt.
(2) Bei der Verfolgung von Straftaten gegen die Zoll- und Verbrauchssteuergesetze, das Branntweinmonopolgesetz und gegen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote kann der Staatsanwalt die Zollfahndungsämter oder ihre Zweigstellen zur Mitwirkung heranziehen. Nach Übersendung des Schlussberichts durch das Zollfahndungsamt richtet der Staatsanwalt Anfragen, die das Besteuerungsverfahren oder das Steuerstrafverfahren betreffen, an das sonst zuständige Hauptzollamt.
267 Zuständigkeit
(1) Von dem Recht, das Verfahren wegen einer Steuerstraftat/Zollstraftat an sich zu ziehen, macht der Staatsanwalt Gebrauch, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, etwa wenn der Umfang und die Bedeutung der Steuerstraftat/Zollstraftat dies nahe legen, wenn die Steuerstraftat/Zollstraftat mit einer anderen Straftat zusammentrifft oder wenn der Verdacht der Beteiligung eines Angehörigen der Finanzverwaltung besteht.
(2) Im Interesse einer einheitlichen Strafzumessungspraxis unterrichtet sich der Staatsanwalt über die den Strafbefehlsanträgen des Finanzamtes/Hauptzollamtes zugrundeliegenden allgemeinen Erwägungen.
11. Umwelt- und Tierschutz
268
(1) Dem Schutz der Umwelt dienen außer den §§ 307 Abs. 2 bis 4, 309 Abs. 3 und 6, 310, 311, 312, 324 bis 330 a StGB in den Bereichen
Abfall- und Abwässerbeseitigung,
Boden-, Gewässer- und Grundwasserschutz,
Lärmbekämpfung,
Luftreinhaltung,
Naturschutz und Landschaftspflege,
Pflanzenschutz,
Strahlenschutz,
Tierschutz,
Tierkörperbeseitigung,
Trinkwasserschutz,
Straf- und Bußgeldvorschriften u. a. in folgenden Bundesgesetzen:
- dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz*
- dem Wasserhaushaltsgesetz*,
dem Bundeswasserstraßengesetz*,
dem Wasch- und Reinigungsmittelgesetz*; - der Verordnung über Zuwiderhandlungen gegen das Internationale Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe*,
dem Gesetz zu dem Übereinkommen vom 29. April 1958 über die Hohe See*,
dem Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen vom 29. November 1969 über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungs-Unfällen*,
dem Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge*,
dem Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen*; - dem Bundes-Immissionsschutzgesetz*,
dem Luftverkehrsgesetz*,
dem Benzinbleigesetz*,
dem Chemikaliengesetz*,
der Chemikalienverbotsverordnung*,
dem Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter*,
der Gefahrstoffverordnung*; - dem Bundesnaturschutzgesetz*,
dem Pflanzenschutzgesetz*,
der Reblaus-Verordnung*,
dem Düngemittelgesetz*; - dem Infektionsschutzgesetz*,
dem Tierseuchengesetz*; - dem Atomgesetz*,
dem Strahlenschutzvorsorgegesetz*,
der Röntgenverordnung*; - dem Tierschutzgesetz*,
der Tierschutz-Schlachtverordnung*,
dem Bundesjagdgesetz*,
dem Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz*; - dem Gentechnikgesetz*;
- dem Umweltschutzprotokoll-Ausführungsgesetz*.
(2) Von erheblicher Bedeutung sind außerdem landesrechtliche Straf- und Bußgeldvorschriften. Auf die in einzelnen Ländern bestehenden Sammlungen von Straf- und Bußgeldvorschriften auf dem Gebiet des Umweltschutzes wird hingewiesen.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht.
Richtlinien für das Bußgeldverfahren
I. Abschnitt
Zuständigkeit
269 Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Verwaltungsbehörde
(1) Die Staatsanwaltschaft ist im Vorverfahren für die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nur ausnahmsweise zuständig (vgl. Nr. 270). Sie ist nicht befugt, ausschließlich wegen einer Ordnungswidrigkeit Anklage zu erheben.
(2) Im gerichtlichen Verfahren ist die Staatsanwaltschaft für die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit stets zuständig (vgl. Nr. 271). In Verfahren nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid wird sie dies, sobald die Akten bei ihr eingehen (§ 69 Abs. 4 Satz 1 OWiG).
270 Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft im vorbereitenden Verfahren
Die Staatsanwaltschaft ist im vorbereitenden Verfahren wegen einer Straftat zugleich auch für die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit zuständig, soweit
- die Verfolgung der Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (§ 40 OWiG),
- die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit wegen des Zusammenhangs mit einer Straftat übernommen worden ist (§ 42 OWiG).
Die Übernahme der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG eines zum Leitungsbereich einer juristischen Person oder Personenvereinigung gehörenden Betroffenen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit andernfalls nicht verfolgt werden könnte und die Übernahme die Möglichkeit der Verhängung einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG eröffnet; im Fall der Übernahme gilt Nummer 180 a entsprechend.
In den Fällen des § 82 GWB ist die Staatsanwaltschaft nur zuständig, wenn die Kartellbehörde das betreffende Verfahren abgegeben hat.
271 Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft im gerichtlichen Verfahren
(1) Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit im gerichtlichen Verfahren erstreckt sich auf
- das Verfahren nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, sobald die Akten bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sind ( § 69 Abs. 4 Satz 1 OWiG),
- das Verfahren nach Anklage wegen einer Straftat, soweit es hier auf den rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit ankommt (§§ 40, 82 OWiG),
- das Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, die mit Straftaten zusammenhängen (§§ 42, 83 OWiG),
- das Wiederaufnahmeverfahren gegen einen Bußgeldbescheid (§ 85 Abs. 4 Satz 2 OWiG) oder gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung,
- das Nachverfahren gegen einen Bußgeldbescheid (§ 87 Abs. 4 OWiG) oder gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung.
(2) Im Verfahren nach Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine Maßnahme der Verwaltungsbehörde (§ 62 OWiG) ist die Staatsanwaltschaft nicht beteiligt.
II. Abschnitt
Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit den Verwaltungsbehörden
272
(1) Im Interesse einer sachgerechten Beurteilung und einer gleichmäßigen Behandlung berücksichtigt der Staatsanwalt, soweit er für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständig ist, die Belange der Verwaltungsbehörde und macht sich ihre besondere Sachkunde zunutze. Dies gilt namentlich bei Verstößen gegen Rechtsvorschriften, die nicht zum vertrauten Arbeitsgebiet des Staatsanwalts gehören.
(2) Auch in den Fällen, die in den nachstehenden Bestimmungen nicht ausdrücklich genannt sind, prüft der Staatsanwalt, bevor er Anträge stellt oder Entschließungen trifft, ob hierfür die besondere Sachkunde der zuständigen Verwaltungsbehörde von Bedeutung sein kann oder deren Interessen in besonderem Maße berührt sind. Trifft dies zu, so hört er die Verwaltungsbehörde.
(3) Sind mehrere Verwaltungsbehörden sachlich oder örtlich zuständig, so wendet sich der Staatsanwalt an die Verwaltungsbehörde, der nach § 39 Abs. 1 Satz 1 OWiG der Vorzug gebührt. Besteht keine Vorzugszuständigkeit, so w ählt der Staatsanwalt unter mehreren zuständigen Verwaltungsbehörden diejenige aus, deren Einschaltung wegen ihrer besonderen Sachkunde oder im Interesse der Beschleunigung oder Vereinfachung des Verfahrens oder aus anderen Gründen sachdienlich erscheint; gegebenenfalls wendet er sich an die Verwaltungsbehörde, die auf Grund Vereinbarung mit der Verfolgung der Ordnungswidrigkeit betraut ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Staatsanwalt durch Übersendung der Akten an eine der mehreren zuständigen Verwaltungsbehörden bei sinngemäßer Anwendung des § 39 Abs. 1 Satz 1 OWiG deren Vorzugszuständigkeit herbeiführt, wenn der Betroffene wegen der Tat bereits vernommen ist.
III. Abschnitt
Einbeziehung von Ordnungswidrigkeiten in das vorbereitende Verfahren wegen einer Straftat
1. Berücksichtigung des rechtlichen Gesichtspunktes einer Ordnungswidrigkeit
273 Umfang der Ermittlungen
(1) Der Staatsanwalt erstreckt die Ermittlungen wegen einer Straftat auch auf den rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit, soweit er für die Beurteilung der Tat von Bedeutung ist oder sein kann.
(2) Ist eine Handlung gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit, so kann das ordnungswidrige Verhalten für die Strafbemessung von Bedeutung sein oder die Grundlage für die Anordnung einer Nebenfolge bilden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 OWiG). Im übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Ordnungswidrigkeit selbständige Bedeutung erlangt, wenn sich der Verdacht der Straftat nicht erweist oder wenn eine Strafe nicht verhängt wird (§ 21 Abs. 2 OWiG).
(3) Umfasst die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat mehrere Handlungen im materiell-rechtlichen Sinne und ist eine von ihnen eine Ordnungswidrigkeit, so prüft der Staatsanwalt, ob die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit geboten ist (§ 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Bejaht er dies, so macht er seine Entschließung aktenkundig und klärt den Sachverhalt auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit auf, ohne dass es einer Übernahme der Verfolgung (vgl. Abschnitt III/2) bedarf. Ist jedoch zweifelhaft, ob ein einheitliches Tatgeschehen vorliegt, so ist es zweckmäßig, die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ausdrücklich zu übernehmen (vgl. Nr. 277 Abs. 3).
274 Unterbrechung der Verjährung
Kommt eine Ahndung der Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit in Betracht (vgl. Nr. 273 Abs. 1, 3), so ist es, namentlich in Verkehrssachen, vielfach geboten, die Verjährung der Ordnungswidrigkeit zu unterbrechen (§ 33 OWiG), damit diese geahndet werden kann, wenn der Täter wegen der anderen Rechtsverletzungen nicht verurteilt wird.
275 Einstellung des Verfahrens wegen der Ordnungswidrigkeit
(1) Erwägt der Staatsanwalt, das Verfahren wegen einer Straftat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit (§ 40 OWiG) oder nur hinsichtlich einer mit der Straftat zusammenhängenden Ordnungswidrigkeit (§ 42 Abs. 1 OWiG) einzustellen, so gibt er der Verwaltungsbehörde Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 63 Abs. 3 OWiG). Hiervon kann abgesehen werden, wenn der Staatsanwalt in der Beurteilung bestimmter Ordnungswidrigkeiten ausreichende Erfahrung hat oder wenn die Einstellung des Verfahrens allein von einer Rechtsfrage abhängt, für deren Entscheidung es auf die besondere Sachkunde der Verwaltungsbehörde nicht ankommt.
(2) Bei Ordnungswidrigkeiten nach den Steuergesetzen (einschließlich der Gesetze über Eingangsabgaben und Monopole) ist die sonst zuständige Verwaltungsbehörde (Finanzamt, Hauptzollamt) vor der Einstellung zu hören. Dasselbe gilt bei Ordnungswidrigkeiten nach dem Wirtschaftsstrafgesetz 1954* dem Außenwirtschaftsgesetz* und dem Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation (MOG)*, da die Verwaltungsbehörde in diesen Fällen auch im Strafverfahren stets zu beteiligen ist (§ 13 Abs. 2 des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954, § 38 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes, § 38 Abs. 2 MOG).
(3) Würde die Anhörung der Verwaltungsbehörde das Verfahren unangemessen verzögern, so sieht der Staatsanwalt von der Einstellung des Verfahrens unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit ab; in diesem Falle gibt er die Sache, sofern er die Tat nicht als Straftat weiterverfolgt, an die Verwaltungsbehörde ab, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann (§ 43 Abs. 1 OWiG).
(4) Stellt der Staatsanwalt das Verfahren sowohl wegen der Straftat als auch wegen der Ordnungswidrigkeit ein, so trifft er eine einheitliche Einstellungsverfügung.
(5) Stellt der Staatsanwalt das Verfahren unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit ein, so braucht er dem Anzeigenden die Gründe für die Einstellung in der Regel nicht mitzuteilen. Hatte die Verwaltungsbehörde wegen der Ordnungswidrigkeit bereits ein Bußgeldverfahren eingeleitet, so teilt der Staatsanwalt auch ihr die Einstellung mit.
* Vgl. Fundstellennachweis A zum Bundesrecht
276 Einstellung des Verfahrens nur wegen der Straftat
(1) Der Staatsanwalt gibt die Sache an die Verwaltungsbehörde ab, wenn er das Verfahren nur wegen der Straftat einstellt, aber Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann (§ 43 Abs. 1 OWiG). Die Nr. 88 ff. sind zu beachten.
(2) Der Verwaltungsbehörde werden im Falle des Abs. 1 Satz 1 die Vorgänge oder Abdrucke der Vorgänge, soweit sie sich auf die Ordnungswidrigkeit beziehen, übersandt. Bei der Abgabe der Sache ist mitzuteilen, worin die Anhaltspunkte dafür gesehen werden, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann; dies gilt nicht, wenn ein solcher Hinweis für die Verwaltungsbehörde entbehrlich ist.
(3) Wird gegen die Einstellung des Verfahrens wegen der Straftat Beschwerde eingelegt, so hindert dies den Staatsanwalt nicht, die Sache wegen des Verdachts der Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abzugeben. Die Abgabe wird in diesem Falle namentlich dann geboten sein, wenn die Beschwerde unbegründet erscheint und die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit zu verjähren droht.
2. Übernahme der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit
277 Übernahme
(1) Der Staatsanwalt soll die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nur dann übernehmen, wenn diese Verfahrensgestaltung wegen besonderer Umstände sachdienlich erscheint (§ 42 Abs. 2 OWiG). Das wird in erster Linie zu bejahen sein, wenn die Taten in einer engen zeitlichen oder räumlichen Beziehung zueinander stehen. Auch sonst kann die Übernahme zweckmäßig sein, z. B. wenn einheitliche Ermittlungen den Betroffenen oder die Ermittlungsbehörden weniger belasten.
(2) Der Staatsanwalt soll grundsätzlich nicht die Verfolgung solcher Ordnungswidrigkeiten übernehmen, mit deren Beurteilung er im allgemeinen nicht vertraut ist (z. B. Ordnungswidrigkeiten nach den innerstaatlichen EG-Durchführungsbestimmungen). Erscheint es zweifelhaft, ob die Übernahme der Verfolgung sachdienlich ist, so hört die Staatsanwaltschaft vor der Übernahme die sonst zuständige Verwaltungsbehörde.
(3) Der Staatsanwalt macht die Übernahme aktenkundig und unterrichtet zugleich die Verwaltungsbehörde, wenn sie bereits ein Bußgeldverfahren eingeleitet hat oder diese Möglichkeit nahe liegt.
(4) Übernimmt der Staatsanwalt die Verfolgung nicht, so gilt Nr. 276 Abs. 2 entsprechend.
278 Verfahren nach Übernahme
(1) Ergeben die Ermittlungen wegen der Ordnungswidrigkeit, dass deren weitere Verfolgung im Zusammenhang mit der Straftat nicht sachdienlich erscheint, so gibt der Staatsanwalt insoweit die Sache an die Verwaltungsbehörde ab (§ 43 Abs. 2 Halbs. 1 OWiG); Nr. 276 Abs. 2 gilt entsprechend.
(2) Erwägt der Staatsanwalt, das Verfahren wegen der übernommenen Ordnungswidrigkeit einzustellen, so ist § 63 Abs. 3 OWiG zu beachten. Im übrigen gilt Nr. 275 Abs. 3 entsprechend.
279 Einstellung des Verfahrens nur wegen der Straftat
Stellt der Staatsanwalt nach Übernahme der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit das Verfahren nur wegen der zusammenhängenden Straftat ein (§ 43. Abs. 2 Halbs. 2 OWiG), so gilt Nr. 276 entsprechend.
IV. Abschnitt
Erstreckung der öffentlichen Klage auf die Ordnungswidrigkeit
280
(1) Erstreckt der Staatsanwalt die öffentliche Klage auf die übernommene Ordnungswidrigkeit (§§ 42, 64 OWiG), so sind die Straftat und die Ordnungswidrigkeit in einer einheitlichen Anklageschrift zusammenzufassen.
(2) In der Anklageschrift ist die Ordnungswidrigkeit zu bezeichnen, die dem Angeschuldigten oder einem Betroffenen zur Last gelegt wird (§ 42 Abs. 1 Satz 2 2. Fall OWiG). Die Nr. 110 bis 112 gelten sinngemäß auch für den Teil der Anklage, der sich auf die Ordnungswidrigkeit bezieht. Wer nur wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, ist in der Anklageschrift als „ Betroffener" zu bezeichnen.
(3) § 63 Abs. 2 OWiG ist zu beachten.
(4) Für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gilt Abs. 1 bis 3 entsprechend.
V. Abschnitt
Verfahren nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid
281 Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Werden die Akten nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht übersandt und stellt der Staatsanwalt dabei fest, dass der Einspruch nicht rechtzeitig, nicht in der vorgeschriebenen Form oder sonst nicht wirksam eingelegt ist, so gibt er die Akten an die Verwaltungsbehörde zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Einspruchs (§ 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG) zurück. Satz 1 gilt entsprechend, wenn der Betroffene wegen Versäumung der Einspruchsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Verwaltungsbehörde hierüber noch nicht entschieden hat.
282 Prüfung des Vorwurfs
(1) Bei einem zulässigen Einspruch prüft der Staatsanwalt, ob der hinreichende Verdacht einer Ordnungswidrigkeit besteht, die Verfolgung geboten ist (§ 47 Abs. 1 OWiG) und Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen.
(2) Im Rahmen seiner Prüfung kann der Staatsanwalt selbst Ermittlungen vornehmen oder Ermittlungsorgane darum ersuchen oder von Behörden oder sonstigen Stellen die Abgabe von Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse (§ 77 a Abs. 2 OWiG) verlangen.
(3) Stellt der Staatsanwalt das Verfahren ein, teilt er dies dem Betroffenen und der Verwaltungsbehörde formlos mit; Nr. 275 Abs. 2 gilt für die dort genannten Fälle entsprechend. Eine Auslagenentscheidung nach § 108 a Abs. 1 OWiG trifft die Staatsanwaltschaft in der Regel nur auf Antrag des Betroffenen oder eines anderen Antragsberechtigten; die Entscheidung kann auch von Amts wegen getroffen werden, so z. B. dann, wenn sich aus den Akten ergibt, dass dem Betroffenen notwendige Auslagen entstanden sind und das Verfahren mangels hinreichenden Verdachts eingestellt wird. Für die Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen ( § 108 a Abs. 3 OWiG, § 464 b StPO) gilt Nr. 145 entsprechend.
(4) Bei der Einstellung des Verfahrens wegen eines Halt- oder Parkverstoßes hat der Staatsanwalt auch zu prüfen, ob eine Kostenentscheidung nach § 25 a StVG in Betracht kommt.
283 Zustimmung zur Rückgabe der Sache an die Verwaltungsbehörde
Eine Zustimmung zur Rückgabe der Sache an die Verwaltungsbehörde wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts (§ 69 Abs. 5 Satz 1 OWiG) kommt namentlich in Betracht, wenn
- nach dem Akteninhalt Beweismittel zur Feststellung der Beschuldigung fehlen oder naheliegende Beweise hierzu nicht erhoben sind oder
- Beweisanregungen des Betroffenen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sind, ohne Angabe von Gründen nicht entsprochen ist.
Die Zustimmung zur Rückgabe ist in diesen Fällen geboten, wenn es angezeigt ist, die Verwaltungsbehörde auch für künftige Fälle zu einer näheren Prüfung nach § 69 Abs. 2 OWiG zu veranlassen.
284 Stellungnahme des Staatsanwalts bei Vorlage
(1) Bei der Vorlage der Akten an das Gericht soll sich der Staatsanwalt dazu äußern, ob er
- einer Entscheidung durch Beschluss (§ 72 OWiG) widerspricht,
- an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen wird (vgl. auch § 47 Abs. 2 OWiG) und auf Terminsnachricht verzichtet,
- die Vorladung eines Zeugen für erforderlich hält oder eine vereinfachte Art der Beweisaufnahme für ausreichend erachtet (§ 77 a OWiG),
- die schriftliche Begründung des Urteils beantragt.
(2) Stimmt der Staatsanwalt einer Entscheidung durch Beschluss zu, so äußert er sich zugleich zur Sache und stellt einen bestimmten Antrag.
285 Hauptverhandlung
(1) Für die Hauptverhandlung sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Nr. 116 bis 145 sinngemäß anzuwenden. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Anwendung einzelner Vorschriften im Hinblick auf die unterschiedliche Bewertung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten angemessen ist.
(2) Es wird sich empfehlen, die Termine zur Hauptverhandlung in ihrer Aufeinanderfolge von denen in Strafsachen getrennt festzusetzen. Auch in der Bezeichnung der Sachen auf Formularen und Terminszetteln sollten Bußgeld- und Strafverfahren möglichst getrennt behandelt werden.
286 Umfang der Sachaufklärung
Bei der Aufklärung der Sache wird die Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die Prüfung, ob der Betroffene bestraft oder gegen ihn schon früher eine Geldbuße festgesetzt worden ist, nur dann in Betracht kommen, wenn dies für die Entscheidung von Bedeutung sein kann.
287 Teilnahme an der Hauptverhandlung
(1) Der Staatsanwalt nimmt an der Hauptverhandlung teil, wenn
- er einer Entscheidung durch Beschluss widersprochen hat (§ 72 Abs. 1 OWiG), oder
- Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Straftat beurteilt werden kann (§ 81 OWiG; vgl. Nr. 290).
(2) Der Staatsanwalt soll im übrigen an der Hauptverhandlung teilnehmen, wenn seine Mitwirkung aus besonderen Gründen geboten erscheint. Das kommt vor allem in Betracht, wenn
- das Gericht ihm mitgeteilt hat, dass es seine Mitwirkung an der Hauptverhandlung für angemessen hält (§ 75 Abs. 1 Satz 2 OWiG),
- die Aufklärung des Sachverhalts eine umfangreiche Beweisaufnahme erfordert,
- eine hohe Geldbuße oder eine bedeutsame Nebenfolge in Betracht kommt,
- eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung zu entscheiden ist,
- die Verwaltungsbehörde die Teilnahme des Staatsanwalts an der Hauptverhandlung angeregt hat oder
- mit einer gerichtlichen Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 Satz 1 OWiG in Fällen zu rechnen ist, in denen dies vom Standpunkt des öffentlichen Interesses nicht vertretbar erscheint (vgl. § 75 Abs. 2 OWiG).
288 Beteiligung der Verwaltungsbehörde
(1) Der Termin zur Hauptverhandlung wird der Verwaltungsbehörde so rechtzeitig mitgeteilt, dass ihr Vertreter sich auf die Hauptverhandlung vorbereiten und die Akten vorher einsehen kann (§ 76 Abs. 1 OWiG). Nr. 275 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 gilt entsprechend.
(2) Kann nach Auffassung des Staatsanwalts die besondere Sachkunde der Verwaltungsbehörde für die Entscheidung von Bedeutung sein, so wirkt er darauf hin, dass ein Vertreter der Verwaltungsbehörde an der Hauptverhandlung teilnimmt.
(3) § 76 Abs. 4 OWiG ist zu beachten.
289 Rücknahme der Klage
(1) Erwägt der Staatsanwalt, die Klage zurückzunehmen, so prüft er, ob die Verwaltungsbehörde vorher zu hören ist (§ 76 Abs. 3 OWiG). Nr. 275 Abs. 2, 3 gilt entsprechend.
(2) Nimmt der Staatsanwalt die Klage zurück, so teilt er dies dem Betroffenen und der Verwaltungsbehörde formlos mit.
290 Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren
(1) Ergibt sich nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, dass der hinreichende Verdacht einer Straftat besteht, so übersendet der Staatsanwalt die Akten dem Gericht mit dem Antrag, den Betroffenen auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinzuweisen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG). In diesem Falle widerspricht er zugleich einer Entscheidung durch Beschluss (§ 72 OWiG).
(2) Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens hat der Staatsanwalt darauf zu achten, ob der hinreichende Verdacht einer Straftat besteht. Gegebenenfalls wird der Betroffene auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinzuweisen sein (vgl. § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG).
(3) Wegen der weitreichenden Folgen, die sich aus dem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes ergeben ( § 81 Abs. 2 OWiG), soll der Staatsanwalt darauf hinwirken, dass das Gericht den Betroffenen und seinen Verteidiger vor dem Hinweis hört, wenn er beantragt, den Hinweis zu geben, oder das Gericht dies erwägt.
VI. Abschnitt
Rechtsbeschwerdeverfahren
291 Rechtsbeschwerde und Antrag auf deren Zulassung
Für die Rechtsbeschwerde und den Antrag auf deren Zulassung gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Nr. 147 bis 152 sinngemäß.
292 Vorsorgliche Einlegung
Hat die Verwaltungsbehörde angeregt, gegen eine gerichtliche Entscheidung ein Rechtsmittel einzulegen, und bestehen Zweifel, ob die Anregung sachlich berechtigt ist, so kann das Rechtsmittel ausnahmsweise vorsorglich eingelegt werden, wenn die Zweifel vor Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht behoben werden können.
293 Verfahren nach Einlegung
(1) Für das Verfahren nach Einlegung der Rechtsbeschwerde und des Antrags auf deren Zulassung gelten die Nr. 153 bis 169 sinngemäß. Ein Übersendungsbericht ist abweichend von Nr. 163 Abs. 1 Satz 4 nur in umfangreichen Sachen beizufügen.
(2) Beantragt der Staatsanwalt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 80 OWiG), so ist anzugeben, aus welchen Gründen die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs geboten erscheint.
VII. Abschnitt
Bußgelderkenntnis im Strafverfahren
294
(1) Der Staatsanwalt achtet nach Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat darauf, dass das Gericht über die Tat zugleich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit entscheidet, wenn sich der Verdacht der Straftat nicht erweist oder eine Strafe nicht verhängt wird (§ 82 Abs. 1 OWiG).
(2) Ist eine Handlung gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit so, prüft der Staatsanwalt weiterhin, ob bei einer Bestrafung die Anordnung einer Nebenfolge der Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (vgl. Nr. 273 Abs. 2 Satz 1) und berücksichtigt dies bei seinem Antrag zur Entscheidung in der Sache.
VIII. Abschnitt
Entschädigung für Verfolgungsmaßnahmen
295
Das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen gilt sinngemäß auch für das Bußgeldverfahren (§ 46 Abs. 1 OWiG). Auf die Ausführungsvorschriften zu diesem Gesetz (Anlage C) wird verwiesen.
IX. Abschnitt
Akteneinsicht
296
Die Nr. 182 bis 189 gelten für das Bußgeldverfahren sinngemäß.
X. Abschnitt
Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
297
Die Nr. 190 ist auch im Bußgeldverfahren anzuwenden.
XI. Abschnitt
Bußgeldsachen gegen Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften
298
Die Immunität der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften hindert nicht, gegen diese ein Bußgeldverfahren durchzuführen. Dagegen ist der Übergang zum Strafverfahren nach § 81 OWiG nur mit Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft zulässig (vgl. Nr. 191 ff.); dies gilt auch für die Anordnung der Erzwingungshaft.
XII. Abschnitt
Behandlung der von der deutschen Gerichtsbarkeit befreiten Personen
299
Die Nr. 193 bis 199 gelten für das Bußgeldverfahren entsprechend.
XIII. Abschnitt
Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland
300
Die Staatsanwaltschaft kann im Bußgeldverfahren der Verwaltungsbehörde im Wege der Amtshilfe bei ausländischen Behörden Rechtshilfe erbitten, soweit dies in zwischenstaatlichen Verträgen vereinbart ist oder aufgrund besonderer Umstände (z. B. eines Notenwechsels zwischen der Bundesregierung und einer ausländischen Regierung) damit gerechnet werden kann, dass der ausländische Staat die Rechtshilfe auch ohne vertragliche Regelung gewähren wird.
Anlage A
Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte auf Anordnung des Staatsanwalts
A.
Im Hinblick auf die Verantwortung der Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren und damit auch für die Vollständigkeit der Ermittlungen und ihre Rechtmäßigkeit umfasst die Leitungs- und Weisungsbefugnis des Staatsanwalts gegenüber der Polizei auch Anordnungen zur Anwendung unmittelbaren Zwanges.
Die Gefahrenabwehr ist Aufgabe der Polizei. In diesem Bereich besteht kein Raum für Anordnungen des Staatsanwalts.
B.
Für die Ausübung des Weisungsrechts zur Anwendung unmittelbaren Zwanges ergehen - unbeschadet der Vorschriften des § 161 StPO, § 152 GVG - folgende Richtlinien:
I.
Der Staatsanwalt richtet, solange nicht ein bestimmter Beamter mit der Bearbeitung des konkreten Falles befasst ist, Weisungen grundsätzlich an die zuständige Polizeidienststelle.
Sind in einem konkreten Fall mehrere Polizeibeamte unter einem weisungsbefugten Beamten eingesetzt (z. B. Einsatzleitung, Sonderkommission), richtet der Staatsanwalt Weisungen grundsätzlich an den weisungsbefugten Beamten. Dieser gibt - unabhängig davon, ob er selbst zu dem Kreis der nach § 152 GVG bezeichneten Beamten gehört - die Weisung an die ihm unterstellten Bediensteten weiter und veranlasst ihre Durchführung.
Ist eine polizeiliche Einsatzleitung gebildet, begibt sich der Staatsanwalt, der auf die Anwendung unmittelbaren Zwanges Einfluss nehmen will, grundsätzlich zur Einsatzleitung. Seine Weisungen soll er an den mit der Gesamtverantwortung betrauten Einsatzleiter richten. Besteht eine mehrstufige Einsatzleitung, hält sich der Staatsanwalt grundsätzlich bei der Gesamtleitung auf. Befindet er sich bei einem nachgeordneten Einsatzleiter, so wird er Weisungen nur im Rahmen der Befehlsgebung der übergeordneten Einsatzleitung und des Ermessensspielraums geben, der dem nachgeordneten Einsatzleiter eingeräumt ist.
II.
Zur Art und Weise der Ausübung des unmittelbaren Zwanges soll der Staatsanwalt nur allgemeine Weisungen erteilen und deren Ausführung der Polizei überlassen.
Konkrete Einzelweisungen zur Art und Weise der Ausübung unmittelbaren Zwanges soll der Staatsanwalt nur erteilen, wenn
- die Polizei darum nachsucht,
- es aus Rechtsgründen unerlässlich ist oder
- die Ausübung des unmittelbaren Zwanges Auswirkungen auf das weitere Ermittlungsverfahren hat.
Ob die Voraussetzungen zu Nr. 2 oder 3 gegeben sind, entscheidet der Staatsanwalt.
Die Erteilung konkreter Einzelweisungen setzt die genaue Kenntnis der jeweiligen Situation und der bestehenden Möglichkeiten für die Ausübung unmittelbaren Zwanges voraus. Dies bedingt in der Regel die Anwesenheit am Ort des Einsatzes oder der Einsatzleitung. Für konkrete Einzelweisungen zum Gebrauch von Schusswaffen ist die Anwesenheit am Ort des Einsatzes unerlässlich.
Bei konkreten Einzelweisungen soll der Staatsanwalt die besondere Sachkunde der Polizei berücksichtigen.
III.
Ergeben sich bei einem einheitlichen Lebenssachverhalt gleichzeitig und unmittelbar Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr, so sind die Staatsanwaltschaft und die Polizei zuständig, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Maßnahmen zu treffen.
In einem solchen Falle ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei in ganz besonderem Maße erforderlich. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit gebietet es, dass jede Stelle bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch die Belange der übrigen sich aus dem Lebenssachverhalt stellenden Aufgaben berücksichtigt. Schaltet sich die Staatsanwaltschaft ein, so werden der Staatsanwalt und die Polizei möglichst im Einvernehmen handeln.
Dies gilt auch dann, wenn die Situation die gleichzeitige angemessene Wahrnehmung beider Aufgaben nicht zulässt. In diesem Falle ist nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung jeweils für die konkrete Lage zu entscheiden, ob die Strafverfolgung oder die Gefahrenabwehr das höherwertige Rechtsgut ist.
Erfordert die Lage unverzüglich eine Entscheidung über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und ist ein Einvernehmen dar über, welche Aufgabe in der konkreten Lage vorrangig vorzunehmen ist, - gegebenenfalls auch nach Einschaltung der vorgesetzten Dienststellen - nicht herzustellen, so entscheidet hierüber die Polizei.
Anlage B
Richtlinie über die Inanspruchnahme von Publikationsorganen und die Nutzung des Internets sowie anderer elektronischer Kommunikationsmittel zur Öffentlichkeitsfahndung nach Personen im Rahmen von Strafverfahren
Allgemeine Verfügung der Ministerin der Justiz
Vom 2. Mai 2005
(4701-III.003)
Für die Inanspruchnahme von Publikationsorganen und die Nutzung des Internets sowie anderer elektronischer Kommunikationsmittel zur Öffentlichkeitsfahndung nach Personen im Rahmen von Strafverfahren wird Folgendes bestimmt:
I.
Allgemeines
1. Grundsätzliches zur Einschaltung von Publikationsorganen und zur Nutzung von öffentlich zugänglichen elektronischen Medien
Die Strafverfolgungsbehörden sind gehalten, alle gesetzlich zulässigen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, zur Aufklärung von Straftaten beizutragen. Insbesondere besteht die Möglichkeit, Publikationsorgane (z. B. Presse, Rundfunk, Fernsehen), die im Hinblick auf ihre Breitenwirkung in vielen Fällen wertvolle Fahndungshilfe leisten können, um ihre Mitwirkung zu bitten sowie öffentlich zugängliche elektronische Kommunikationsmittel zur Bereitstellung oder gezielten Verbreitung der Informationen (insbesondere das Internet) zu nutzen. Das gilt sowohl für die Fahndung nach einem bekannten oder unbekannten Tatverdächtigen als auch für die Suche nach anderen Personen, insbesondere Zeugen.
Die Einschaltung von Publikationsorganen sowie die Nutzung der öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsmittel zu Fahndungszwecken stellen stets eine Öffentlichkeitsfahndung dar, die nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. insbesondere § 131 Abs. 3 sowie § 131a Abs. 3, §§ 131b, 131c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO) in Betracht kommt.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass bei allzu häufiger Inanspruchnahme der Massenmedien das Interesse und die Bereitschaft der Öffentlichkeit, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken, erlahmen können. Stets ist auch zu prüfen, ob die Gefahr der Täter- oder Beteiligtenwarnung oder die Gefahr der Nachahmung von Straftaten zu befürchten ist.
2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Die gesetzlichen Regelungen der Öffentlichkeitsfahndung stellen in weiten Teilen Ausgestaltungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. In jedem Einzelfall bedarf es daher einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung einerseits und den schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten und anderer Betroffener andererseits. Dabei sind namentlich folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
Die Öffentlichkeitsfahndung kann dazu führen, dass Straftaten beschleunigt aufgeklärt werden und der Tatverdächtige bald ergriffen wird. Die zügige Aufklärung von Straftaten und die Aburteilung des Täters können verhindern, dass der Täter weitere Straftaten begeht. Eine schnelle und wirksame Strafverfolgung hat auch einen bedeutenden generalpräventiven Effekt. Sie dient der Sicherheit und dem Schutz des Bürgers und schafft dadurch die Voraussetzungen für eine wirksame Verbrechensbekämpfung.
Andererseits entsteht durch die Erörterung eines Ermittlungsverfahrens mit Namensnennung des Tatverdächtigen in den Publikationsorganen die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung. Mit zunehmender Verbreitung des Internets gilt dies im wachsenden Maße auch für die Nutzung dieses elektronischen Mediums zu Fahndungszwecken. Die spätere Resozialisierung des Täters kann durch unnötige Publizität seines Falles schon vor der Verhandlung erschwert werden. Auch andere Personen, die in den Tatkomplex verwickelt sind oder die in nahen Beziehungen zu dem Tatverdächtigen stehen, können durch eine öffentliche Erörterung schwer benachteiligt werden. Eine Bloßstellung oder Schädigung des Tatverdächtigen oder anderer Betroffener muss nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege möglichst vermieden werden.
Daher ist stets auch zu prüfen, ob der beabsichtigte Fahndungserfolg nicht auch durch Maßnahmen, die den Tatverdächtigen oder andere Betroffene weniger beeinträchtigen, erreicht werden kann, namentlich dadurch, dass
- nur Medien von geringerer Breitenwirkung in Anspruch genommen werden,
- andere Formen der Öffentlichkeitsfahndung wie Plakate, Handzettel oder Lautsprecherdurchsagen gewählt werden oder
- die Fahndungshilfe örtlich oder in anderer Weise, etwa durch Verzicht auf die Verbreitung der Abbildung eines Gesuchten, beschränkt wird.
Bei der Nutzung des Internets zu Fahndungszwecken ist außerdem zu berücksichtigen, dass die im Internet eingestellten Daten weltweit abgerufen und verarbeitet werden können. Dabei ist regelmäßig zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang eine Internationale Fahndung einzuleiten ist.
Auf die schutzwürdigen Interessen von Personen, die von einer Straftat betroffen sind, ist Rücksicht zu nehmen. In der Regel ist dies dadurch zu erreichen, dass die Namen solcher Personen nicht publiziert werden. Sollte die Publizierung eines solchen Namens aus Fahndungsgründen zwingend notwendig sein, so ist vor Beginn der Öffentlichkeitsfahndung mit diesen Personen ins Benehmen zu treten, soweit der Fahndungszweck dadurch nicht gefährdet wird.
II.
Entscheidung über die Einschaltung von Publikationsorganen und die Nutzung von öffentlich zugänglichen elektronischen Medien
1. Fahndung nach einem bekannten Tatverdächtigen
Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem bekannten Tatverdächtigen kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn dringender Tatverdacht wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung (Verbrechen, Vergehen von erheblichem Gewicht, z. B. schwere oder gefährliche Körperverletzung, Betrug mit hohem Vermögensschaden, Unterschlagung hoher Geldbeträge, Serientaten) gegeben ist.
Grundsätzlich muss bei Fahndungen mit dem Ziel der Festnahme ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl vorliegen. Ist dies der Fall oder liegen die Voraussetzungen des § 131 Abs. 2 Satz 1 StPO vor, entscheidet über die Öffentlichkeitsfahndung grundsätzlich die Staatsanwaltschaft (131 Abs. 3 Satz 1 StPO). Die Polizei führt eine nach § 131 Abs. 3 Satz 1 StPO gleichfalls mögliche Entscheidung des Richters nur herbei, wenn sie die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig erreichen kann. Ist f ür die Polizei auch der Richter nicht rechtzeitig erreichbar, ist nach § 131 Abs. 3 Satz 2 bis 4 StPO zu verfahren und insbesondere unverzüglich binnen 24 Stunden eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen.
Wird die polizeiliche Eilanordnung von der Staatsanwaltschaft binnen 24 Stunden nicht bestätigt, teilt die Polizei dies den eingeschalteten Publikationsorganen mit und weist sie darauf hin, dass sie sich bei einer Fortsetzung ihrer Maßnahmen nicht mehr auf ein Fahndungsersuchen der Strafverfolgungsbehörden berufen können; eine erfolgte Nutzung des Internets zu Fahndungszwecken ist zu beenden.
Erfolgt die Öffentlichkeitsfahndung aufgrund einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft, liegt ein Haft- oder Unterbringungsbefehl noch nicht vor und ist die Öffentlichkeitsfahndung noch nicht erledigt, ist unverzüglich, spätestens binnen einer Woche, von der Staatsanwaltschaft beim Richter eine Entscheidung über den Haft- oder Unterbringungsbefehl herbeizuführen (§ 131 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 131 Abs. 2 Satz 2 StPO). Lehnt der Richter den Erlass des Haft- oder Unterbringungsbefehls ab und ordnet er auch keine Öffentlichkeitsfahndung mit dem Ziel der Aufenthaltsermittlung (§ 131a Abs. 3 StPO) oder der Aufklärung einer Straftat (§ 131b Abs. 1 StPO) an, teilt die Staatsanwaltschaft dies den eingeschalteten Publikationsorganen mit und weist sie darauf hin, dass sie sich bei einer Fortsetzung ihrer Maßnahmen nicht mehr auf ein Fahndungsersuchen der Strafverfolgungsbehörden berufen können; eine erfolgte Nutzung des Internets zu Fahndungs zwecken ist zu beenden.
2. Fahndung nach einem unbekannten Tatverdächtigen
Auch bei der Fahndung nach einem unbekannten Tatverdächtigen kann die Öffentlichkeitsfahndung veranlasst sein. In diesen Fällen gilt § 131 StPO nicht. Es ist daher - wenn nicht Gefahr im Verzug vorliegt - stets eine richterliche Entscheidung herbeizuführen (§ 131c Abs. 1 Satz 1 StPO). Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 131b Abs.1 StPO sind zu beachten. § 131b Abs. 1 StPO gilt auch für Phantombilder.
Wenn bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft tätig geworden ist, bedarf die Maßnahme dann einer nachträglichen richterlichen Bestätigung, wenn das Internet zu Fahndungszwecken genutzt worden ist oder das Fernsehen oder ein periodisches Druckwerk dahingehend in Anspruch genommen worden ist, dass es zu einer wiederholten Veröffentlichung kommt, und die Maßnahme nicht binnen einer Woche erledigt ist (§ 131c Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine nachträgliche richterliche Bestätigung ist daher insbesondere dann nicht erforderlich, wenn der Hörfunk in Anspruch genommen wurde oder sich die Maßnahme binnen einer Woche erledigt hat.
Wenn bei Gefahr im Verzug eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft tätig geworden ist und die Maßnahme sich nicht alsbald erledigt hat, ist die Staatsanwaltschaft rechtzeitig vor Ablauf der Wochenfrist des § 131c Abs. 2 Satz 2 StPO einzuschalten, damit die Staatsanwaltschaft entweder selbst über die Bestätigung der Fahndung entscheiden oder eine nach § 131c Abs. 2 Satz 1 StPO notwendige richterliche Entscheidung herbeiführen kann.
3. Fahndung nach Zeugen
Für die Öffentlichkeitsfahndung nach Zeugen gilt Nummer 2.2 entsprechend. Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung eines bekannten Zeugen sind in § 131a Abs. 1, 3 bis 5 StPO, Maßnahmen zur Aufklärung einer Straftat, insbesondere zur Feststellung der Identität eines unbekannten Zeugen sind in § 131b Abs. 2, 3 StPO geregelt. Eine Öffentlichkeitsfahndung zur Aufenthaltsermittlung eines Zeugen unterbleibt nach § 131a Abs. 4 Satz 3 StPO, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Zeugen entgegenstehen. Bei der Veröffentlichung der Abbildung eines Zeugen ist zu beachten, dass die Subsidiaritätsklausel in § 131b Abs. 2 StPO enger gefasst ist als die in § 131b Abs. 1 StPO. Stets muss die Veröffentlichung erkennbar machen, dass die gesuchte Person nicht Beschuldigter ist (§ 131a Abs. 4 Satz 2, § 131b Abs. 2 Satz 2 StPO).
4. Fahndung nach einem flüchtigen Verurteilten
Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem flüchtigen Verurteilten soll nur dann erfolgen, wenn der wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung Verurteilte noch mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, wenn seine Unterbringung angeordnet ist oder wenn seine Ergreifung aus anderen Gründen, etwa wegen der Gefahr weiterer erheblicher Straftaten, im öffentlichen Interesse liegt.
Wer über die Öffentlichkeitsfahndung entscheidet, hängt auch in diesen Fällen davon ab, ob ein Haftbefehl oder Unterbringungsbefehl bzw. deren Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Wenn zumindest die Voraussetzungen für einen Haftbefehl nach § 457 Abs. 2 StPO oder einen Unterbringungsbefehl nach § 463 Abs. 1 in Verbindung mit § 457 Abs. 2 StPO gegeben sind, was in aller Regel der Fall sein dürfte, gilt Nummer 2.1 Abs. 2 bis 4 mit der Maßgabe entsprechend, dass über den Vollstreckungshaftbefehl und die Öffentlichkeitsfahndung nicht der Richter entscheidet, sondern die Vollstreckungsbehörde.
III.
Umsetzung der Maßnahmen
1. Einschaltung von Publikationsorganen, insbesondere des Fernsehens
Die Publikationsorgane sind grundsätzlich nicht verpflichtet, bei der Öffentlichkeitsfahndung mitzuwirken. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass viele Publikationsorgane zur Mitwirkung bereit sind.
Von praktischer Bedeutung für die inländische Fernsehfahndung sind dabei die „Grundsätze für die bundesweite Ausstrahlung von Fahndungsmeldungen im Fernsehen“ aus dem Jahr 1987, an deren Erarbeitung die ARD-Rundfunkanstalten und das ZDF einerseits sowie die Justizminister und Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder andererseits beteiligt waren. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, sondern um Absichtserklärungen der Beteiligten darüber, wie sie im Rahmen einer Fernsehfahndung verfahren wollen.
Wenn ausländische Fernsehsender in die Öffentlichkeitsfahndung eingeschaltet werden sollen, sind die Grundsätze der Internationalen Rechtshilfe und der Internationalen Fahndungsausschreibung zu beachten.
2. Nutzung des Internets
Um die Aufmerksamkeit der Internet-Nutzer für die Öffentlichkeitsfahndung zu erlangen, ist es zweckmäßig, die staatlichen Fahndungsaufrufe im Internet auf speziellen Seiten - etwa der Polizei - zu bündeln. Private Internetanbieter sollen grundsätzlich nicht eingeschaltet werden.
Sobald das Fahndungsziel erreicht ist oder die Ausschreibungsvoraussetzungen aus sonstigen Gründen nicht mehr vorliegen, ist die Nutzung des Internets zu Fahndungszwecken unverzüglich zu beenden. Darüber hinaus sind Internetfahndungen von der Staatsanwaltschaft - in den Fällen der Nummer 2.4 von der Vollstreckungsbehörde - regelmäßig, spätestens in halbjährlichen Abständen, hinsichtlich des weiteren Vorliegens der Ausschreibungsvoraussetzungen, insbesondere der weiteren Erfolgsaussichten dieser Fahndungsmethode, zu prüfen.
IV.
Öffentlichkeitsfahndung, die nicht ausschließlich Zwecken der Strafverfolgung oder -vollstreckung dient
Zum Strafverfahren im Sinne dieser Regelung gehören auch die Fälle des § 131a Abs. 2 StPO und des § 2 Abs. 3 DNA- Identitätsfeststellungsgesetz. Die Inanspruchnahme der Fahndungshilfe durch Publikationsorgane sowie die Nutzung des Internets oder anderer elektronischer Kommunikationsmittel zur Fahndung für andere Aufgaben, insbesondere für präventivpolizeiliche Zwecke, zur Identifizierung von unbekannten Toten, zur Auffindung von Vermissten sowie die Sachfahndung bleiben von dieser Regelung unberührt. Dies gilt auch dann, wenn die Fahndungshilfe durch die Medien für eine andere Aufgabe in Anspruch genommen wird, zugleich aber auch der Strafverfolgung dient und die andere öffentliche Aufgabe vorrangig ist.
V.
Auskünfte an Publikationsorgane aus anderen Gründen
Das Informationsrecht, das den Publikationsorganen nach dem Presserecht zusteht, sowie Auskünfte (insbesondere nach § 475 StPO) und Mitteilungen von Amts wegen, die nicht auf Öffentlichkeitsfahndung abzielen, bleiben von dieser Regelung unberührt.
VI.
Diese Allgemeine Verfügung ergeht im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern. Sie tritt am 1. Juni 2005 in Kraft.
Anlage C
Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen
Teil I
A. Verfahren über den Grund des Anspruchs
I. Entscheidung des Strafgerichts
Liegen in einem bei Gericht anhängigen Verfahren die Voraussetzungen der §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) vom 8. März 1971 (BGBl. I S. 157) vor, so wirkt der Staatsanwalt darauf hin, dass das Gericht gemäß § 8 StrEG über die Entschädigungspflicht entscheidet. Der Staatsanwalt nimmt unter Berücksichtigung der §§ 3 bis 6 StrEG dazu Stellung, ob oder in welchem Umfang eine Verpflichtung zur Entschädigung besteht.
II. Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft
1. Stellt die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein, in welchem gegen den Beschuldigten eine Strafverfolgungsmaßnahme im Sinne des § 2 StrEG vollzogen worden ist, so wird diesem die Mitteilung über die Einstellung zugestellt. In der Einstellungsnachricht wird der Beschuldigte über sein Recht, einen Antrag auf Feststellung der Entschädigungspflicht der Staatskasse zu stellen, über die in § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG vorgeschriebene Frist sowie über das nach § 9 Abs. 1 und 2 StrEG zuständige Gericht belehrt. War die Erhebung der öffentlichen Klage von dem Verletzten beantragt, so wird der Beschuldigte ferner darüber belehrt, dass über die Entschädigungspflicht nicht entschieden wird, solange durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt werden kann. Bei der Belehrung wird darauf geachtet, dass sie nicht als Zusicherung einer Entschädigung missverstanden wird.
2. Die Staatsanwaltschaft nimmt gegenüber dem zuständigen Gericht zu dem Antrag des Beschuldigten, die Entschädigungspflicht der Staatskasse festzustellen, Stellung. Hat die Staatsanwaltschaft nach Einstellung des Verfahrens die Sache gemäß § 43 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) an die Verwaltungsbehörde abgegeben, so wirkt sie in der Regel darauf hin, dass das Gericht nicht über die Entschädigungspflicht entscheidet, solange das Bußgeldverfahren nicht abgeschlossen ist.
III. Verfahren nach Feststellung der Entschädigungspflicht
1. Ist die Entschädigungspflicht der Staatskasse rechtskräftig festgestellt (vgl. § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 StrEG), so stellt die Staatsanwaltschaft dem Berechtigten unverzüglich eine Belehrung über sein Antragsrecht und die Frist zur Antragstellung zu (vgl. § 10 Abs. 1 StrEG). Zugleich weist sie ihn auf die Möglichkeit der Nachzahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung, insbesondere auf die dabei zu beachtende Antragsfrist (§ 205 Abs. 2 SGB VI) hin.
2. Ist der Staatsanwaltschaft bekannt, dass der Berechtigte anderen Personen kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war, und besteht nach den Umständen die Möglichkeit, dass den Unterhaltsberechtigten infolge der Strafverfolgungsmaßnahme der Unterhalt entzogen worden ist (vgl. Abschnitt B 11 Nr. 2 Buchst. a), so stellt die Staatsanwaltschaft auch diesen Personen eine Belehrung über ihr Antragsrecht und die Frist zur Antragstellung zu (vgl. § 11 Abs. 2 StrEG).
B. Verfahren zur Feststellung der Höhe des Anspruchs
I. Behandlung des Entschädigungsantrages
1. Ist die Entscheidung über die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung rechtskräftig und wird daraufhin die Zahlung einer Entschädigung beantragt, so legt der Leiter der Staatsanwaltschaft, wenn er nicht selbst mit der Prüfung des Anspruchs betraut ist, der dafür zuständigen Stelle den Antrag unverzüglich mit einem Bericht vor.
2. In dem Bericht wird ausgeführt,
- welche Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Berechtigten vollzogen worden sind,
- welche Entscheidung das Gericht über die Entschädigung getroffen hat,
- ob der Entschädigungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht worden ist,
- ob Unterhaltsberechtigte gemäß Abschnitt A III Nr. 2 über Antragsrecht belehrt worden sind und ob sie Ansprüche geltend gemacht haben,
- ob aus dem Strafverfahren Umstände bekannt sind, die für die Bearbeitung des Entschädigungsanspruchs wesentlich sein können,
- ob Anlass zur Annahme besteht, dass der Berechtigte Ansprüche gegen Dritte hat, die im Falle einer Entschädigung auf das Land übergehen (vgl. § 15 Abs. 2 StrEG).
Dem Bericht werden die Strafakten, soweit tunlich, beigefügt. Andernfalls werden sie unverzüglich nachgereicht. Sofern die Strafakten nicht alsbald entbehrlich sind, sind dem Bericht beglaubigte Abschriften der zu Buchst. a) und b) in Betracht kommenden Unterlagen beizufügen.
3. Werden in dem Anspruchsschreiben gleichzeitig Ansprüche auf Erstattung von Auslagen aus dem Strafverfahren geltend gemacht, so wird eine beglaubigte Abschrift des Anspruchsschreibens zu den Strafakten genommen und veranlasst, dass der Anspruch auf Auslagenerstattung getrennt bearbeitet wird. Der Berechtigte wird hiervon unterrichtet.
II. Prüfung des Entschädigungsanspruchs
1. Die mit der Prüfung des Anspruchs beauftragte Stelle (Prüfungsstelle) legt für die Prüfung ein Sonderheft an.
2. Sie prüft, in welcher Höhe der Anspruch des Berechtigten begründet ist. Die Prüfung erstreckt sich auf die Punkte, die nach den Angaben des Berechtigten und nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (z. B. §§ 7, 11 StrEG, §§ 249 ff. BGB) sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung erheblich sind. Das muss anhand der Umstände des Einzelfalles festgestellt werden. Die nachstehend wiedergegebenen Hinweise für häufiger auftauchende Fragen gelten nur unter dem Vorbehalt, dass die Umstände des Einzelfalles keine andere Behandlung erfordern.
- Anhaltspunkte für die Bewertung entgangener Sachleistungen können den Rechtsverordnungen gemäß § 17 Abs.1 Nr. 3 SGB - Teil IV - entnommen werden.
- Ausgaben, die der Berechtigte infolge einer Haft für Unterkunft und Verpflegung erspart hat, werden nur wie folgt angerechnet:
aa) Sind dem Berechtigten Ausgaben für Verpflegung und Unterkunft erspart geblieben, so wird je Tag ein Betrag in Höhe von 3/4 aus der Summe des Haftkostensatzes für Einzelunterbringung und des Haftkostensatzes für Verpflegung (Frühstück, Mittagessen und Abendessen) angerechnet.
bb) Sind ihm nur Ausgaben für Verpflegung oder nur Ausgaben für Unterkunft erspart geblieben, so wird je Tag ein Betrag in Höhe von 3/4 des Haftkostensatzes für Verpflegung (Frühstück, Mittagessen und Abendessen) bzw. des Haftkostensatzes für Einzelunterbringung angerechnet.
cc) Dabei werden der Aufnahme- und der Entlassungstag als ein Tag gerechnet.
Das während einer Haft gewährte Arbeitsentgelt wird auf die Entschädigung angerechnet.
Durch die Strafverfolgungsmaßnahme erlittene rentenversicherungsrechtliche Nachteile werden regelmäßig dadurch ausgeglichen, dass dem Antragsteller nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 der Betrag erstattet wird, der ohne die Strafverfolgungsmaßnahme an Beträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden wäre. Hat der Antragsteller freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung für Zeiten von Strafverfolgungsmaßnahmen (vgl. § 205 SGB VI) nachgezahlt, so sind ihm die gezahlten Beiträge, höchstens jedoch der in Satz 1 genannte Betrag zu erstatten. Hat er rechtzeitig einen Antrag auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge gestellt, die Beiträge aber noch nicht an den Rentenversicherungsträger gezahlt, so sind die Beiträge, höchstens jedoch der in Satz 1 genannte Betrag unmittelbar an den Rentenversicherungsträger auszubezahlen. Hat der Antragsteller einen Antrag auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge nicht rechtzeitig gestellt, unterbleibt ein Ausgleich. - In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass die infolge eines Verdienstausfalls ersparten Beiträge an Einkommen- oder Lohnsteuer dem Betrag entsprechen, den der Berechtigte im Hinblick auf die Entschädigungsleistung als Einkommenssteuer zu zahlen hat (vgl. § 2 Abs. 1 und 4, § 24 Nr. 1 Buchst. a Einkommensteuergesetz).
- Es besteht allgemein keine Verpflichtung des Landes, den Entschädigungsbetrag vom Zeitpunkt der Entstehung des Schadens bis zur Auszahlung des Entschädigungsbeitrages zu verzinsen. Im Einzelfall können jedoch aufgrund besonderer Umstände im Hinblick auf den Zeitablauf Zuschläge zur Entschädigungssumme berechtigt sein (z. B. unter dem Gesichtspunkt des entgangenen Gewinns, wenn der Berechtigte ohne den Verdienstausfall Beträge verzinslich angelegt hätte).
- Beauftragt der Berechtigte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung seiner Ansprüche, so sind die dafür entstandenen Gebühren (vgl. Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung) als Teil des Vermögensschadens erstattungsfähig.
3.
- Entzogen im Sinne des § 11 Abs. 1 und 2 StrEG ist der Unterhalt, wenn ihn der Unterhaltspflichtige infolge der Strafverfolgungsmaßnahmen nicht leisten und der Unterhaltsberechtigte ihn auch nicht nachträglich beanspruchen konnte (vgl. z. B. § 1613 BGB).
- Kommen Ansprüche von Unterhaltsberechtigten in Betracht, so widmet die Prüfungsstelle der Gefahr von Doppelzahlungen besondere Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund kann es im Einzelfall zweckmäßig sein, den Berechtigten zu einer Erklärung aufzufordern, ob und ggf. in welcher Höhe er im fraglichen Zeitraum anderen Personen zur Unterhaltsleistung verpflichtet war oder gewesen wäre. Im Interesse der Beschleunigung und Vereinfachung ist anzustreben, dass sich die Beteiligten auf eine bestimmte Aufteilung der Gesamtentschädigung einigen oder einen der Beteiligten oder einen Dritten bevollmächtigen, die Gesamtentschädigung mit schuldbefreiender Wirkung für das Land in Empfang zu nehmen (vgl. § 362 Abs. 2 BGB).
- Einigen sich die Beteiligten nicht und ist eine Prüfung der Unterhaltsansprüche mit Schwierigkeiten verbunden, verspricht sie kein eindeutiges Ergebnis oder hat eine durchgeführte Prüfung kein eindeutiges Ergebnis gehabt, so kommt die Hinterlegung (vgl. §§ 372 ff. BGB) des Entschädigungsbetrages in Betracht, soweit er unter den Beteiligten streitig ist und Zweifel an ihrer Berechtigung bestehen.
4. Die Prüfungsstelle prüft die erheblichen Angaben des Berechtigten nach und stellt erforderlichenfalls über zweifelhafte Punkte Ermittlungen an. Weicht deren Ergebnis von dem Vorbringen des Berechtigten ab, so wird dieser in der Regel zu hören sein. Von kleinlichen Beanstandungen wird abgesehen. Bei den Ermittlungen wird darauf geachtet, dass bei Dritten nicht der Eindruck entsteht, gegen den Berechtigten sei ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig.
5. Die Prüfungsstelle berichtet, wenn sie nicht selbst zur Entscheidung über den Anspruch befugt ist, auf dem Dienstwege an die für die Entscheidung zuständige Stelle. In dem Bericht legt die Prüfungsstelle das Ergebnis ihrer Ermittlungen dar und fügt die einschlägigen Vorgänge bei. Sie führt insbesondere aus:
- ob der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist,
- ob und in welcher Höhe nach §§ 7, 11 StrEG zu ersetzende Schäden entstanden sind,
- ob durch die Leistung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 StrEG Ansprüche auf die Staatskasse übergehen und ob und in welcher Höhe deren Verfolgung voraussichtlich zu einem Ersatz führen wird.
6. Die Prüfung der geltend gemachten Ansprüche und die Erstattung des Berichts werden möglichst beschleunigt. Erweisen sich Ermittlungen durch andere Behörden als notwendig, so wird stets auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen. Über einen nachgewiesenen Teil des Anspruchs kann die Prüfungsstelle vorab berichten. Sie kann weiter nur über den Anspruch vorab berichten, wenn sie die Ansprüche gegen Dritte noch nicht abschließend geprüft hat. Die weiteren Ermittlungen dürfen durch dieses Verfahren nicht verzögert werden.
7. Ist ein immaterieller Schaden zu ersetzen, so ordnet die Prüfungsstelle im Einvernehmen mit der für die Entscheidung zuständigen Stelle insoweit die Auszahlung eines Vorschusses unverzüglich an.
8. Stellt die Prüfungsstelle fest, dass der Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens ganz oder teilweise begründet ist, so kann sie im Einvernehmen mit der für die Entscheidung zuständigen Stelle in dringenden Fällen die Auszahlung eines Vorschusses anordnen. Der Vorschuss soll die Hälfte des für begründet erachteten Anspruchs oder Anspruchsteiles nicht übersteigen.
9. Wird ein Vorschuss gewährt, so werden seine Höhe und der Zeitpunkt der Zahlung in dem Bericht angegeben.
III. Entscheidung über den Anspruch
1. Die Entscheidung über den Anspruch wird dem Berechtigten durch die für die Entscheidung zuständige Stelle nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zugestellt (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 StrEG).
2. Wird der Antrag ganz oder teilweise abgelehnt, so wird der Berechtigte über den Rechtsweg und die Klagefrist belehrt (vgl. § 13 Abs. 1 StrEG).
3. Die für die Entscheidung zuständige Stelle ordnet die Auszahlung der zuerkannten Entschädigung an.
4. Die für die Entscheidung zuständige Stelle gibt eine Durchschrift der Entscheidung zu den Strafakten.
5. Beschreitet der Berechtigte den Rechtsweg, so ist der für die Entscheidung zuständigen Stelle zu berichten.
IV. Außerkrafttreten der Entscheidung
1. In den Fällen des § 14 Abs. 2 StrEG berichtet der Leiter der Staatsanwaltschaft, sofern er nicht selbst zur Entscheidung über den Anspruch befugt ist, der dafür zuständigen Stelle auf dem Dienstwege unverzüglich von der Einreichung des Wiederaufnahmeantrages oder von der Wiederaufnahme der Untersuchungen oder Ermittlungen und von dem Ausgang des Verfahrens. Ist eine bereits festgesetzte Entschädigung noch nicht gezahlt, so ordnet die für die Entscheidung zuständige Stelle sofort die vorläufige Aussetzung der Zahlung an.
2.
- Tritt in den Fällen des § 14 Abs. 1 StrEG die Entscheidung über die Entschädigungspflicht außer Kraft, so berichtet der Leiter der Staatsanwaltschaft auf dem Dienstwege an die für die Entscheidung zuständige Stelle. Diese entscheidet darüber, ob eine schon gezahlte Entschädigung bereits vor rechtskräftigem Abschluss des neuen Verfahrens zurückgefordert werden soll.
- Der Eröffnung des Hauptverfahrens im Sinne des § 14 Abs. 1 StrEG steht der Erlass eines Strafbefehls oder eines Bußgeldbescheides gleich.
3. Die für die Entscheidung zuständige Stelle betreibt die Wiedereinziehung einer geleisteten Entschädigung.
C. Vertretung
1. Gibt der Beschuldigte oder der Berechtigte Erklärungen nicht persönlich ab, so wird die Vollmacht oder gesetzliche Vertretungsmacht des Vertreters geprüft. Grundsätzlich berechtigt weder die Vollmacht des Verteidigers noch die gewöhnliche Strafprozessvollmacht zur Vertretung im Entschädigungsverfahren.
2. Wird der Beschuldigte in dem Ermittlungs- oder Strafverfahren von einem Verteidiger vertreten, der nach § 145 a StPO als ermächtigt gilt, Zustellungen in Empfang zu nehmen, so wird diesem das Urteil oder der Beschluss, der das Verfahren abschließt (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG), oder die Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG) zugestellt. Die sonstigen nach diesem Gesetz vorgesehenen Zustellungen werden, soweit nicht eine Vollmacht für das Entschädigungsverfahren erteilt ist oder ein Fall der gesetzlichen Vertretungsmacht vorliegt, an den Beschuldigten oder Berechtigten persönlich bewirkt.
3. Die Entschädigungssumme darf an einen Vertreter nur gezahlt werden, wenn er nachweist, dass er von dem Berechtigten zur Entgegennahme der Entschädigung ausdrücklich bevollmächtigt ist.
D. Entschädigung nach Einspruch im Bußgeldverfahren
1. Das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen gilt sinngemäß für das Bußgeldverfahren (§ 46 Abs. 1 OWiG).
2. Sind in einem Bußgeldverfahren, das von der Verwaltungsbehörde nicht abgeschlossen worden ist (vgl. § 110 OWiG) Verfolgungsmaßnahmen nach § 2 StrEG vollzogen worden, so finden die Abschnitte A bis C Anwendung. Daher hat z. B. die Staatsanwaltschaft den Betroffenen nach Maßgabe des Abschnitts A II Nr. 1 zu belehren, wenn sie das Bußgeldverfahren, in dem Verfolgungsmaßnahmen nach § 2 StrEG durchgeführt worden sind, nach Einlegung des Einspruchs
Teil II
(Zusatzbestimmungen der Länder)
Anlage D
Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung
I. Inanspruchnahme von Informanten und Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) im Rahmen der Strafverfolgung
1. Grundsätzliches
1.1 Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind Polizei und Staatsanwaltschaft in zunehmendem Maße auf Informationen und Hinweise aus der Öffentlichkeit angewiesen. Diese lassen sich oft nur gegen Zusicherung der Vertraulichkeit gewinnen.
1.2 Darüber hinaus ist bei bestimmten Erscheinungsformen der Kriminalität der Einsatz von V-Personen erforderlich. Sie können regelmäßig nur dann für eine Mitarbeit gewonnen werden, wenn Ihnen die Geheimhaltung ihrer Identität zugesichert wird.
1.3 Die Inanspruchnahme von Informanten und der Einsatz von V-Personen sind als zulässige Mittel der Strafverfolgung in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte anerkannt.
1.4 Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die Strafprozessordnung zur Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt. Die besondere Natur dieses Beweismittels gebietet es grundsätzlich, dass der Zeuge vor der Staatsanwaltschaft und/oder dem Gericht aussagt. Daher kann Informanten und V-Personen nur nach den folgenden Grundsätzen Vertraulichkeit bzw. Geheimhaltung zugesichert werden.
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Informant ist eine Person, die im Einzelfall bereit ist, gegen Zusicherung der Vertraulichkeit der Strafverfolgungsbehörde Informationen zu geben.
2.2 V-Person ist eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird.
3. Voraussetzungen der Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung
3.1 Die Inanspruchnahme von Informanten und der Einsatz von V-Personen gebieten eine Abwägung der strafprozessualen Erfordernisse der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der vollständigen Sachverhaltserforschung einerseits und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung andererseits. Hierbei ist der Grundsatz des rechtsstaatlichen fairen Verfahrens zu beachten.
- Die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung kommt im Bereich der Schwerkriminalität, der Organisierten Kriminalität, des illegalen Betäubungsmittel- und Waffenhandels, der Falschgeldkriminalität und der Staatsschutzdelikte in Betracht.
- Im Bereich der mittleren Kriminalität bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung des Einzelfalles. Die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung wird ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn durch eine Massierung gleichartiger Straftaten ein die Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder die Allgemeinheit ernsthaft gefährdender Schaden eintreten kann.
- In Verfahren der Bagatellkriminalität kommt die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung nicht in Betracht.
3.2 Informanten dürfen nur in Anspruch genommen, V-Personen nur eingesetzt werden, wenn die Aufklärung sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Werden sie in Anspruch genommen bzw. eingesetzt, so ist Ziel der weiteren Ermittlungen das Beschaffen von Beweismitteln, die den strafprozessualen Erfordernissen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme entsprechen und einen Rückgriff auf diese Personen erübrigen.
3.3 Einem Informanten darf Vertraulichkeit nur zugesichert werden, wenn dieser bei Bekanntwerden seiner Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden erheblich gefährdet wäre oder unzumutbare Nachteile zu erwarten hätte.
3.4 Der Einsatz von Minderjährigen als V-Personen ist nicht zulässig.
4. Umfang und Folgen der Zusicherung
Staatsanwaltschaft und Polizei sind an die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung gebunden. Die Bindung entfällt grundsätzlich, wenn
- die Information wissentlich oder leichtfertig falsch gegeben wird,
- die V-Person von einer Weisung vorwerfbar abweicht oder sich sonst als unzuverlässig erweist,
- sich eine strafbare Tatbeteiligung des Empfängers der Zusicherung herausstellt,
- die V-Person sich bei ihrer Tätigkeit für die Strafverfolgungsbehörden strafbar macht.
Hierauf ist der Informant/die V-Person vor jeder Zusicherung hinzuweisen.
5. Verfahren
5.1 Über die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung entscheidet im Bereich der Staatsanwaltschaft der Behördenleiter oder ein von ihm besonders bezeichneter Staatsanwalt, bei Gefahr im Verzug der Dezernent. Im Polizeibereich werden Regelungen getroffen, die die Entscheidung auf einer möglichst hohen Ebene vorsehen, mindestens auf der Ebene des Leiters der sachbearbeitenden Organisationseinheit.
5.2 Vor der Zusicherung der Vertraulichkeit gegenüber einem Informanten ist die Einwilligung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen, es sei denn, dass der Untersuchungszweck gefährdet würde. Ist die Einwilligung nach Satz 1 nicht eingeholt worden, so ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten.
5.3 Soll eine V-Person in einem Ermittlungsverfahren gezielt eingesetzt werden, so ist zur Bestätigung der zugesicherten Geheimhaltung für diesen Einsatz die Einwilligung der Staatsanwaltschaft einzuholen. Kann die Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden, so ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich über den Einsatz zu unterrichten.
5.4 In begründeten Ausnahmefällen unterrichtet die Polizei die Staatsanwaltschaft auch über die Identität des Informanten/der V-Person. Vertraulichkeit/Geheimhaltung ist zu gewährleisten.
5.5 Die Zusage der Vertraulichkeit/Geheimhaltung umfasst neben den Personalien auch die Verbindung zu Strafverfolgungsbehörden sowie alle Umstände, aus denen Rückschlüsse auf die Eigenschaft als Informant/V-Person gezogen werden könnten.
5.6 Die Staatsanwaltschaft fertigt über das Gespräch mit der Polizei über die Mitwirkung des Informanten/der V- Person und über die getroffene Entscheidung ohne Nennung des Namens einen Vermerk zu den Generalakten 4110. Die Polizei erhält eine Durchschrift des Vermerks. Vertrauliche Behandlung ist sicherzustellen.
II. Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter im Rahmen der Strafverfolgung
1. Grundsätzliches
1.1 Die qualitativen Veränderungen der Erscheinungsformen der Kriminalität, insbesondere der Organisierten Kriminalität, erfordern dieser Entwicklung angepasste Methoden der Verbrechensbekämpfung.
1.2 Zu ihnen gehört neben der Inanspruchnahme von Informanten und V-Personen auch der operative Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter.
2. Voraussetzungen und Verfahren
2.1 Der Einsatz Verdeckter Ermittler richtet sich nach §§ 110 a bis 110 e StPO.
2.2 Verdeckte Ermittler dürfen keine Straftaten begehen. Eingriffe in Rechte Dritter sind ihnen nur im Rahmen der geltenden Gesetze gestattet. Als gesetzliche Generalermächtigung kann § 34 StGB nicht herangezogen werden. Unberührt bleibt in Ausnahmefällen eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des Verhaltens des einzelnen Polizeibeamten z. B. unter den Voraussetzungen der §§ 34, 35 StGB.
2.3 Bei Verletzungen von Rechtsgütern, die zur Disposition des Berechtigten stehen, kann die Rechtswidrigkeit auch unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung entfallen.
2.4 Die Entscheidung über die Zustimmung der Staatsanwaltschaft trifft der Behördenleiter oder ein von ihm besonders bezeichneter Staatsanwalt. Im Polizeibereich werden Regelungen getroffen, die die Entscheidung über den Einsatz auf einer möglichst hohen Ebene vorsehen, mindestens auf der Ebene des Leiters der sachbearbeitenden Organisationseinheit.
2.5 Beim Einsatz auftretende materiell- oder verfahrensrechtliche Probleme trägt die Polizei an die Staatsanwaltschaft heran. Die Staatsanwaltschaft trifft ihre Entscheidung in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Polizei.
2.6 Der Verdeckte Ermittler ist von der Strafverfolgungspflicht gemäß § 163 StPO nicht befreit.
2.6.1 Aus kriminaltaktischen Erwägungen können Ermittlungsmaßnahmen, die in den Auftrag des Verdeckten Ermittlers fallen, zurückgestellt werden.
2.6.2 Neu hinzukommenden zureichenden Anhaltspunkten für strafbare Handlungen braucht der Verdeckte Ermittler solange nicht nachzugehen, als dies ohne Gefährdung seiner Ermittlungen nicht möglich ist; dies gilt nicht, wenn sofortige Ermittlungsmaßnahmen wegen der Schwere der neu entdeckten Tat geboten sind.
2.6.3 In den Fällen der Nummern 2.6.1 und 2.6.2 ist die Zustimmung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Kann die Zustimmung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, so ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten. Nummer 2.5 gilt entsprechend.
2.7 Die Staatsanwaltschaft fertigt über die Gespräche mit der Polizei, über die Mitwirkung des Verdeckten Ermittlers und über die getroffenen Entscheidungen - ohne Nennung des Namens des Verdeckten Ermittlers - Vermerke, die gesondert zu verwahren sind. Die Polizei erhält eine Durchschrift des Vermerks. Vertrauliche Behandlung ist sicherzustellen.
2.8 Die Entscheidungen nach § 110 d StPO trifft die Staatsanwaltschaft im Benehmen mit der Polizei. Nummer 2.4 Satz 1 gilt entsprechend. Die Staatsanwaltschaft setzt die Polizei über ihre Entscheidung vor deren Ausführung in Kenntnis.
2.9 Die Ermittlungstätigkeit sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen. Ergibt sich im Einzelfall die Notwendigkeit, deren Identität im Strafverfahren geheimzuhalten, so ist für den Einsatz die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzuholen. Ist diese nicht rechtzeitig zu erlangen, ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten; sie entscheidet, ob der Einsatz fortgeführt werden soll. Der Staatsanwalt, der für die Entscheidung über die Zustimmung zu dem Einsatz zuständig ist, kann verlangen, dass ihm gegenüber die Identität des nicht offen ermittelten Polizeibeamten offenbart wird. Geheimhaltung ist zu gewährleisten.
Anlage E
Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität
1. Grundsätzliches
1.1 Die Verfolgung der Organisierten Kriminalität ist ein wichtiges Anliegen der Allgemeinheit. Es ist eine zentrale Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, dieser Erscheinungsform der Kriminalität wirksam und mit Nachdruck zu begegnen.
1.2 Aufklärungserfolge können nur erreicht werden, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei im einzelnen Verfahren und verfahrensübergreifend besonders eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten; dies setzt eine möglichst frühzeitige gegenseitige Unterrichtung voraus. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit dem Zoll- und dem Steuerfahndungsdienst.
1.3 Notwendig ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Stellen, insbesondere den Justizvollzugsanstalten, den Finanz- und Zollbehörden, den Ordnungs- und Sonderordnungsbehörden sowie den Dienststellen der Arbeitsverwaltung.
2. Begriff, Erscheinungsformen und Indikatoren der Organisierten Kriminalität
2.1 Organisierte Kriminalität ist die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
- unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
- unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder
- unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.
Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus.
2.2 Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind vielgestaltig. Neben strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen (häufig zusätzlich abgestützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozialen und familiären Hintergrund) finden sich - auf der Basis eines Systems persönlicher und geschäftlicher kriminell nutzbarer Verbindungen - Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bindungsgrad der Personen untereinander, deren konkrete Ausformung durch die jeweiligen kriminellen Interessen bestimmt wird.
2.3 Organisierte Kriminalität wird zur Zeit vorwiegend in den folgenden Kriminalitätsbereichen festgestellt:
- Rauschgifthandel und -schmuggel
- Waffenhandel und -schmuggel
- Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (vor allem Zuhälterei, Prostitution, Menschenhandel, illegales Glücks- und Falschspiel)
- Schutzgelderpressung unerlaubte Arbeitsvermittlung und Beschäftigung
- illegale Einschleusung von Ausländern
- Warenzeichenfälschung (Markenpiraterie)
- Goldschmuggel
- Kapitalanlagenbetrug
- Subventionsbetrug und Eingangsabgabenhinterziehung
- Fälschung und Missbrauch unbarer Zahlungsmittel
- Herstellung und Verbreitung von Falschgeld
- Verschiebung insbesondere hochwertiger Kraftfahrzeuge und von Lkw-, Container- und Schiffsladungen
- Betrug zum Nachteil von Versicherungen
- Einbruchdiebstahl in Wohnungen mit zentraler Beuteverwertung.
Neben diesen Kriminalitätsbereichen zeichnen sich Ansätze Organisierter Kriminalität auch auf den Gebieten der illegalen Entsorgung von Sonderabfall und des illegalen Technologietransfers ab.
2.4 Indikatoren, die einzeln oder in unterschiedlicher Verknüpfung Anlass geben können, einen Sachverhalt der Organisierten Kriminalität zuzurechnen, sind in der Anlage genannt. Die Aufzählung ist nicht abschließend und nicht auf spezielle Deliktsbereiche abgestellt. In Zweifelsfällen stellen die einander zugeordneten Strafverfolgungsbehörden umgehend Einvernehmen darüber her, ob sie einen Sachverhalt als Organisierte Kriminalität bewerten.
3. Grundlagen der Zusammenarbeit
3.1 Die zügige und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt eine aufeinander abgestimmte Organisation der Strafverfolgungsbehörden voraus. Ein identischer Aufbau ist nicht erforderlich.
3.2 Örtliche und überörtliche Stellen der Staatsanwaltschaft
3.2.1 Bei jeder Staatsanwaltschaft wird ein Abteilungsleiter oder Staatsanwalt bestellt, der die Aufgabe hat, in ständiger und enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Kriminalpolizeidienststellen die Entwicklung der Organisierten Kriminalität zu beobachten, zu analysieren und Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden zu planen und zu koordinieren (Ansprechpartner/OK-Beauftragter).
3.2.2 Der Abteilung oder dem Sachgebiet des Ansprechpartners/OK-Beauftragten soll die Bearbeitung aller Verfahren zugewiesen werden, denen Organisierte Kriminalität zugrunde liegt. Soweit besondere Zuständigkeiten bestehen (z. B. für die Rauschgift- oder Wirtschaftskriminalität), können diese hiervon ausgenommen werden.
3.2.3 Bei dem Generalstaatsanwalt werden die verfahrensübergreifenden Aufgaben des Ansprechpartners/OK- Beauftragten einem Koordinator übertragen. Der Koordinator sorgt auch dafür, dass über die Führung von Sammelverfahren umgehend entschieden wird. Er hat ferner die Aufgabe, den Erfahrungs- und Informationsaustausch auf überörtlicher Ebene zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei sowie mit den sonst in den Nrn. 1.2 und 1.3 genannten Behörden vorzubereiten und durchzuführen. Nr. 3.2.2 gilt sinngemäß.
3.2.4 Der Generalstaatsanwalt prüft in geeigneten Fällen, ob bestimmte Verfahren einer Staatsanwaltschaft zuzuweisen sind (§§ 143, 145 GVG).
3.3 Örtliche und überörtliche Stellen der Kriminalpolizei
3.3.1 Zur Aufdeckung und Verfolgung von Organisierter Kriminalität werden beim Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern sowie in den Flächenstaaten im örtlichen oder regionalen Bereich an Brennpunkten der Organisierten Kriminalität spezialisierte Dienststellen/Einheiten eingerichtet bzw. ausgebaut, die insbesondere deliktübergreifend und täterorientiert ermitteln. Dienststellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind beim Landeskriminalamt und den Polizeipräsidien, mit Ausnahme des Präsidiums der Wasserschutzpolizei, eingerichtet.
Fälle der deliktstreuen Organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftkriminalität, können von besonders eingerichteten Organisationseinheiten der Kriminalpolizei bearbeitet werden. Sonderkommissionen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sollen nur in Ausnahmefällen eingerichtet werden.
3.3.2 Den Polizeipräsidien, mit Ausnahme des Präsidiums der Wasserschutzpolizei, und dem Landeskriminalamt obliegen in enger Abstimmung mit der für das jeweilige Verfahren zuständigen Staatsanwaltschaft die kriminalpolizeilichen Ermittlungen einschließlich operativer Maßnahmen.
Zu ihren Aufgaben gehören ferner
- das Zusammenführen OK
- relevanter Erkenntnisse
- die Mitwirkung an der Erstellung des Kriminalitätslagebildes "Organisierte Kriminalität" für das Land
- der Informationsaustausch mit der Staatsanwaltschaft
- mit den Organisierte Kriminalität bearbeitenden Dienststellen des Landes
- anlassbezogen mit anderen Polizeidienststellen.
3.3.3 Das Landeskriminalamt wertet zentral den OK-Bereich betreffende Informationen aus und verknüpft sie mit eigenen und länderübergreifenden Erkenntnissen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit führt es die Ermittlungen selbst oder veranlasst ihre Durchführung durch andere Dienststellen. Für den Informationsaustausch gilt Nr. 3.3.2 entsprechend.
3.3.4 Das Bundeskriminalamt wertet zentral OK-relevante Informationen aus und verknüpft sie mit Erkenntnissen aus eigenen Verfahren und aus dem internationalen Bereich. Es führt im Rahmen seiner originären oder auftragsabhängigen Zuständigkeit die kriminalpolizeilichen Ermittlungen selbst oder weist sie im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen einem Land zu.
3.4 Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist eine Aufgabe nicht nur der in den Nrn. 3.2 und 3.3 aufgeführten Behörden, Dienststellen und Beamten. Vielmehr sind alle Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden gehalten, auf Anzeichen für Organisierte Kriminalität zu achten:
3.4.1 Im Bereich der Staatsanwaltschaft ist sicherzustellen, dass sich die Beamten an die besonderen Sachbearbeiter/Dezernenten wenden und, wenn die Sachbearbeitung konzentriert ist, die Verfahren abgeben können.
3.4.2 Im Bereich der Polizei sind entsprechende Erkenntnisse an die zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eingerichteten Organisationseinheiten weiterzuleiten.
4. Zusammenarbeit bei der Verfahrensbearbeitung
4.1 Vorrangiges Ziel der Ermittlungen muss es sein, in den Kernbereich der kriminellen Organisation einzudringen und die im Hintergrund agierenden hauptverantwortlichen Straftäter zu erkennen, zu überführen und zur Aburteilung zu bringen.
4.2 Der Staatsanwalt schaltet sich schon zu Beginn der Ermittlungen in die unmittelbare Fallaufklärung ein. Die Verfahrenstaktik und die einzelnen Ermittlungsschritte sind abzustimmen. Die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft bleibt unberührt.
4.2.1 Der Grundsatz, dass Ermittlungen straff und beschleunigt zu führen sind, gilt auch in Verfahren wegen Organisierter Kriminalität. Das vorrangige Ermittlungsziel ist aber im Auge zu behalten, auch wenn dies längerdauernde Ermittlungen erfordert.
4.2.2 Im Interesse des vorrangigen Ermittlungszieles sind die Mittel zur Begrenzung des Verfahrensstoffes ( §§ 153 ff. StPO) möglichst frühzeitig zu nutzen. Dies gilt besonders auch im Hinblick auf das Hauptverfahren, das sich auf die wesentlichen Vorwürfe konzentrieren sollte.
4.2.3 Die Abfolge der Ermittlungshandlungen wird in erster Linie von dem vorrangigen Ermittlungsziel bestimmt. Einzelne Maßnahmen können vorläufig zurückgestellt werden, wenn ihre Vornahme die Erreichung dieses Zieles gefährden würde. Dies gilt nicht, wenn sofortige Maßnahmen wegen der Schwere der Tat oder aus Gründen der Gefahrenabwehr geboten sind.
4.2.4 Erfordert die Erledigung von Verfahren gegen Randtäter der kriminellen Organisation oder sonstige Nebenbeteiligte noch weitere Ermittlungen, so darf der schnelle Abschluss dieser Verfahren dem vorrangigen Ermittlungsziel nicht übergeordnet werden.
Bei der gebotenen Abwägung ist den Ermittlungen gegen die verantwortlichen Haupttäter der Vorzug zu geben; die übrigen Verfahren sind vorübergehend zurückzustellen.
4.3 In Verfahren wegen Organisierter Kriminalität soll möglichst der Staatsanwalt die Anklage vertreten, der die Ermittlungen geleitet hat.
4.4 Für die Zusammenarbeit bei der Inanspruchnahme von Informanten, bei dem Einsatz von V-Personen und Verdeckten Ermittlern sowie beim Zeugenschutz gelten die hierfür gesondert zu erlassenden Richtlinien.
4.5 Für die Zusammenarbeit im Rahmen von Initiativermittlungen gilt Nr. 6.
5. Verfahrensübergreifende Zusammenarbeit
5.1 Die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei hat zum Ziel, dass beide Behörden einen vertieften und gleichen Erkenntnisstand über die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität und die spezifischen Probleme einschlägiger Verfahren gewinnen, gemeinsam fortentwickeln und bei den jeweiligen Einzelmaßnahmen zugrunde legen. Die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit dient auch der Verständigung über die örtliche und zeitliche Steuerung der Ermittlungskapazitäten von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei durch Bildung von Schwerpunkten entsprechend dem jeweiligen Lagebild.
5.2 Die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei vereinbaren regelmäßige Dienstbesprechungen, bei denen insbesondere erörtert werden
- Lage, voraussichtliche Entwicklung und Maßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität,
- Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Ablauf von Ermittlungs- und gerichtlichen Verfahren, inbegriffen die Auswirkungen von Fehlern in der Ermittlungstätigkeit,
- Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Anwendung verdeckter Ermittlungsmethoden und aus dem Zeugenschutz, einschließlich der Sicherung der gebotenen Geheimhaltung,
- Erkenntnisse und Erfahrungen aus Maßnahmen zur Gewinnabschöpfung,
- örtliche Praxis der internationalen Rechtshilfe und sonstigen Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden,
- allgemeine Fragen der Zusammenarbeit,
- Öffentlichkeitsarbeit.
Die Besprechungen sollen einmal jährlich, bei Bedarf auch häufiger, stattfinden. Dem Zollfahndungsdienst und dem Steuerfahndungsdienst soll Gelegenheit zur Teilnahme gegeben werden. Über die Hinzuziehung anderer Behörden entscheiden die beteiligten Stellen. Über das Ergebnis der Besprechungen ist den jeweils vorgesetzten Behörden zu berichten.
5.3 Die Besprechungen können auch auf der Ebene des Generalstaatsanwalts vereinbart werden.
5.4 Gemeinsame Informations- und Fortbildungsveranstaltungen sind vorzusehen.
5.5 Die Hospitation von Beamten der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei bei der jeweils anderen Behörde ist zu ermöglichen.
6. Initiativermittlungen
6.1 Organisierte Kriminalität wird nur selten von sich aus offenbar; Strafanzeigen in diesem Bereich werden häufig nicht erstattet, u. a. weil die Zeugen Angst haben.
Die Aufklärung und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt daher voraus, dass Staatsanwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen, oder bereits erhobene Informationen zusammenführen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten (Initiativermittlungen).
6.2 Ein Anfangsverdacht ist gegeben, wenn es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt (§ 152 Abs. 2 StPO). Der Anfangsverdacht bedingt die Strafverfolgungspflicht. Es ist nicht notwendig, dass sich der Verdacht gegen eine bestimmte Person richtet.
Bleibt nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte unklar, ob ein Anfangsverdacht besteht, und sind Ansätze für weitere Nachforschungen vorhanden, so können die Strafverfolgungsbehörden diesen nachgehen. In solchen Fällen besteht keine gesetzliche Verfolgungspflicht. Ziel ist allein die Klärung, ob ein Anfangsverdacht besteht. Strafprozessuale Zwangs- und Eingriffsbefugnisse stehen den Strafverfolgungsbehörden in diesem Stadium nicht zu.
Ob und inwieweit die Strafverfolgungsbehörden sich in diesen Fällen um weitere Aufklärung bemühen, richtet sich nach Verhältnismäßigkeitserwägungen; wegen der besonderen Gefährlichkeit der Organisierten Kriminalität werden sie ihre Aufklärungsmöglichkeiten bei Anhaltspunkten für solche Straftaten in der Regel ausschöpfen.
6.3 Die Befugnisse der Polizei zu Initiativermittlungen im Rahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach dem Polizeigesetz.
6.4 Bei Initiativermittlungen liegen häufig die Elemente der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr in Gemengelage vor oder gehen im Verlauf eines Verdichtungs- und Erkenntnisprozesses ineinander über. Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten auch in diesem Bereich eng zusammen. Für die Zusammenarbeit gelten die Nrn. 4. und 5. sinngemäß mit der Maßgabe, dass
- das Ziel der Initiativermittlungen die Klärung des Anfangsverdachts/der Gefahrenlage ist
- dem Staatsanwalt in Fällen der Gefahrenabwehr eine Leitungsbefugnis nicht zusteht.
6.5 Die Zusammenarbeit obliegt auf der Seite der Staatsanwaltschaft der Behörde, die für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens zuständig wäre. In Zweifelsfällen entscheidet die nächsthöhere Behörde.
7. Zusammenarbeit mit den Justizvollzugsanstalten
7.1 Die von der Organisierten Kriminalität ausgehenden Gefahren sind auch bei Vollzugsentscheidungen zu berücksichtigen.
7.2 Die Justizvollzugsanstalten sind über
- Verbindungen eines Untersuchungs- oder Strafgefangenen zur Organisierten Kriminalität und
- Erscheinungsformen und Entwicklung der Organisierten Kriminalität
zu informieren, soweit es für Vollzugsentscheidungen erheblich sein kann und Belange der Strafverfolgung dem nicht entgegenstehen.
7.3 Die Information über die Gefangenen muss möglichst bei der Einlieferung erfolgen. Anderenfalls ist sie nachzuholen. Sie obliegt der Staatsanwaltschaft, in Eilfällen der Kriminalpolizei.
7.4 Den Vollzugsbehörden soll Gelegenheit gegeben werden, an den in Nrn. 5.3 und 5.4 genannten Veranstaltungen teilzunehmen; bei Bedarf sind sie auch zu den Besprechungen nach Nr. 5.2 hinzuzuziehen.
7.5 Die Justizvollzugsanstalt unterrichtet die Staatsanwaltschaft, in Eilfällen die Kriminalpolizei, über Erkenntnisse, die für die Verfolgung der Organisierten Kriminalität von Bedeutung sein können.
7.6 Ansprechpartner in der Justizvollzugsanstalt ist der Anstaltsleiter.
8. Zusammenarbeit mit anderen Behörden
8.1 Zoll- und Finanzbehörden
8.1.1 Soweit Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität Anhaltspunkte für
- Hinterziehung von Eingangsabgaben oder Verbrauchssteuern, z. B. Gold- oder Alkoholschmuggel
- Straftaten im Sinne des § 37 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG), z. B. Subventionsbetrug im Zusammenhang mit Fleisch oder Getreide
- Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) z. B. illegaler Technologietransfer, oder Straftaten nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) mit Auslandsbezug
- Zuwiderhandlungen gegen Verbote und Beschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, z. B. Rauschgift- oder Waffenschmuggel, Warenzeichenfälschungen
feststellen, ist der Zollfahndungsdienst zu unterrichten (vgl. §§ 403, 116 AO, 42 AWG). Dies kann entweder über das Zollkriminalinstitut - Zentrales Zollfahndungsamt - oder das örtliche Zollfahndungsamt erfolgen.
Gewinnt der Zollfahndungsdienst im Rahmen seiner Ermittlungen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen Organisierter Kriminalität hindeuten und für dessen Aufklärung die Polizei/Staatsanwaltschaft zuständig ist, so unterrichtet er die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Handelt es sich bei den Ermittlungen des Zollfahndungsdienstes um Ermittlungen wegen einer Zoll- oder Verbrauchssteuerstraftat, so ist das Steuergeheimnis zu beachten. Es ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob das Steuergeheimnis durchbrochen werden kann.
8.1.2 Soweit Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität Anhaltspunkte für Steuerstraftaten feststellen, ist der Steuerfahndungsdienst zu unterrichten (vgl. §§ 403, 116 AO) und - soweit dies sachdienlich ist - an den Ermittlungen zu beteiligen.
Gewinnt der Steuerfahndungsdienst im Rahmen seiner steuerstrafrechtlichen Ermittlungen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen von Organisierter Kriminalität hindeuten und für dessen Aufklärung die Polizei/Staatsanwaltschaft zuständig ist, so unterrichtet er die zuständigen Strafverfolgungsbehörden, wenn das Steuergeheimnis dem nicht entgegensteht. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.
8.2 Andere Behörden
Die Organisierte Kriminalität kann mit strafrechtlichen Mitteln allein nicht mit Erfolg bekämpft werden. Die von ihr ausgehenden Gefahren sind auch bei den Entscheidungen der Ordnungsbehörden und sonstiger Verwaltungsbehörden (vgl. Nr. 1.3) zu berücksichtigen.
Die Verwaltungsbehörden können ferner zur Aufklärung der Organisierten Kriminalität beitragen, indem sie relevante Erkenntnisse z. B. über unerlaubte Arbeitsvermittlung, illegale Beschäftigung und illegale Einschleusung von Ausländern den Strafverfolgungsbehörden mitteilen.
8.3 Verfahrensübergreifende Zusammenarbeit
Für die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit kann sich die Einrichtung von Gesprächskreisen auf örtlicher und überörtlicher Ebene durch die Ansprechpartner/OK-Beauftragten und Koordinatoren (Nr. 3.2) empfehlen.
9. Schutz der Ermittlungen
Dem Schutz der Ermittlungen kommt in Verfahren wegen Organisierter Kriminalität besonders hohe Bedeutung zu. Ihm muss durch Ermittlungsbehörden und Justizvollzugsanstalten Rechnung getragen werden. Um das vorrangige Ermittlungsziel (vgl. Nr. 4.1) nicht zu gefährden, ist sicherzustellen, dass
- ausschließlich unmittelbar an den Ermittlungen Beteiligte Kenntnis von Maßnahmen der verdeckten Informationsgewinnung erlangen und
- in den mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität befassten Dienststellen/Organisationseinheiten alle Voraussetzungen für den Schutz der Ermittlungen gegeben sind.
Die Rechte der Verteidigung bleiben unberührt.
Anlage
Generelle Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte
Vorbereitung und Planung der Tat
- präzise Planung
- Anpassung an Markterfordernissen durch Ausnützen von Marktlücken, Erkundungen von Bedürfnissen u. ä.
- Arbeit auf Bestellung
- hohe Investitionen, z. B. durch Vorfinanzierung aus nicht erkennbaren Quellen
- Verschaffung und Nutzung legaler Einflusssphären
- Vorhalten von Ruheräumen im Ausland
Ausführung der Tat
- präzise und qualifizierte Tatdurchführung
- Verwendung verhältnismäßig teurer und schwierig einzusetzender wissenschaftlicher Mittel und Erkenntnisse
- Tätigwerden von Spezialisten (auch aus dem Ausland)
- arbeitsteiliges Zusammenwirken
- Einsatz von polizeilich „unbelasteten“ Personen
- Konstruktion schwer durchschaubarer Firmengeflechte
Finanzgebaren
- Einsatz von Geldmitteln ungeklärter Herkunft im Zusammenhang mit Investitionen
- Inkaufnahme von Verlusten bei Gewerbebetrieben
- Diskrepanz zwischen dem Einsatz finanzieller Mittel und dem zu erwartenden Gewinn
- Auffälligkeiten bei Geldanlagen, z. B. beim Kauf von Immobilien oder sonstigen Sachwerten, die in keinem Verhältnis zum Einkommen stehen
Verwertung der Beute
- Rückfluss in den legalen Wirtschaftskreis
- Veräußerung im Rahmen eigener (legaler) Wirtschaftstätigkeiten
- Maßnahmen der Geldwäsche
Konspiratives Täterverhalten
- Gegenobservation
- Abschottung
- Decknamen
- Codierung in Sprache und Schrift
- Verwendung modernster technischer Mittel zur Umgehung polizeilicher Überwachungsmaßnahmen
Täterverbindungen/Tatzusammenhänge
- überregional
- national
- international
Gruppenstruktur
- hierarchischer Aufbau
- ein nicht ohne weiteres erklärbares Abhängigkeits- oder Autoritätsverhältnis zwischen mehreren Tatverdächtigen
- internes Sanktionssystem
Hilfe für Gruppenmitglieder
- Fluchtunterstützung
- Beauftragung bestimmter Anwälte und deren Honorierung durch Dritte
- Aufwendung größerer Barmittel im Rahmen der Verteidigung
- hohe Kautionsangebote
- Bedrohung und Einschüchterung von Verfahrensbeteiligten
- Unauffindbarkeit von zuvor verfügbaren Zeugen
- ängstliches Schweigen von Betroffenen
- überraschendes Benennen von Entlastungszeugen
- Betreuung in der Untersuchungshaft/Strafhaft
- Versorgung von Angehörigen
- Wiederaufnahme nach der Haftentlassung
Korrumpierung
- Einbeziehung in das soziale Umfeld der Täter
- Herbeiführung von Abhängigkeiten (z. B. durch Sex, verbotenes Glücksspiel, Zins- und Kreditwucher)
- Zahlung von Bestechungsgeldern, Überlassung von Ferienwohnungen, Luxusfahrzeugen usw.
Monopolisierungsbestrebungen
- „Übernahme“ von Geschäftsbetrieben und Teilhaberschaften
- Führung von Geschäftsbetrieben durch Strohleute
- Kontrolle bestimmter Geschäftszweige
- „Schutzgewährung“ gegen Entgelt
Öffentlichkeitsarbeit
- gesteuerte oder tendenziöse Veröffentlichungen, die von einem bestimmten Tatverdacht ablenken
- systematischer Versuch der Ausnutzung gesellschaftlicher Einrichtungen (z. B. durch auffälliges Mäzenatentum)
Anlage F
Richtlinien über die internationale Fahndung nach Personen, einschließlich der Fahndung nach Personen im Schengener Informationssystem
I.
Allgemeines
1. Die internationale Fahndung nach Personen, deren Aufenthalt nicht bekannt ist, kann durch Interpol, im Schengener Informationssystem (SIS) und durch gezielte Mitfahndungsersuchen an andere Staaten veranlasst werden. International ist auch die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung möglich.
Die internationale Fahndung darf nur beantragt werden, wenn gleichzeitig die nationale Fahndung im Informationssystem der Polizei (INPOL) betrieben wird und beabsichtigt ist, im Falle der Ermittlung des Verfolgten ein Auslieferungsersuchen anzuregen.
2. Die internationale Fahndung soll in den Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ; BGBl. 1993 II S. 1013) grundsätzlich im Schengener Informationssystem erfolgen. Vertragsstaaten sind derzeit neben der Bundesrepublik Deutschland Belgien, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande. Weitere Vertragsstaaten sind Griechenland, Italien, Portugal und Spanien, deren Beitritt in Kürze wirksam werden wird.
Die internationale Fahndung im Schengener Informationssystem wird veranlasst, wenn eine deutsche Behörde die Strafverfolgung oder die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung gegen eine Person betreibt, deren Aufenthalt nicht bekannt ist, es sei denn es liegen Anhaltspunkte vor, dass sich die gesuchte Person nur im Inland aufhält.
Eine Beschränkung der Fahndung auf ein Land oder mehrere Länder ist im Schengener Informationssystem nicht möglich.
3. Im übrigen erfolgt die internationale Fahndung durch Interpol. Sie kann veranlasst werden, wenn eine deutsche Behörde die Strafverfolgung oder die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung gegen eine Person betreibt, die sich vermutlich im Ausland aufhält. Sie kann auf Länder, Ländergruppen oder Fahndungszonen beschränkt werden. Bei der Entscheidung über die Fahndung sowie bei der Festlegung der Länder, Ländergruppen oder Fahndungszonen, in denen gefahndet werden soll, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
4. Eine Interpol-Fahndung ist in den Staaten des Schengener Informationssystems grundsätzlich nicht möglich. Ausnahmen regelt Abschnitt II, Nummer 2, 3. Absatz.
Fahndungen im Schengener Informationssystem und - für andere als Schengener Vertragsstaaten - durch Interpol sind nebeneinander möglich. Besonderheiten gelten für die gleichzeitige Ausschreibung zur Fahndung im Schengener Informationssystem und in sonstigen europäischen Nachbarstaaten (vgl. Abschnitt IV., Mischfälle).
5. Staaten, die Interpol nicht angehören (vgl. Länderteil der RiVASt), werden vom Bundeskriminalamt zur Mitfahndung ersucht, wenn die betreibende Behörde dies ausdrücklich verlangt und Anhaltspunkte vorliegen, dass sich der Verfolgte in diesem Staat aufhält.
6. Ist der Behörde, die eine internationale Fahndung veranlasst, bekannt, dass der Verfolgte auch von anderen Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsbehörden gesucht wird, unterrichtet sie diese.
II.
Fahndung im Schengener Informationssystem
1. Das Schengener Informationssystem (SIS) ist als Ausgleichsmaßnahme zum Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Schengener Vertragsstaaten errichtet worden. Durch einen einheitlichen, grenzüberschreitenden Fahndungsraum soll ein mögliches Sicherheitsdefizit durch den Grenzabbau so gering wie möglich gehalten werden. Im Hinblick hierauf ist daher in jedem Fall nationaler Fahndung zu prüfen, ob nicht auch eine Fahndung im SIS veranlasst ist. Diese Prüfung ist auch bei der Verlängerung der nationalen Fahndung vorzunehmen.
Eine Ausschreibung im SIS nach Art. 95 SDÜ stellt ein Ersuchen um vorläufige Festnahme zum Zweck der Auslieferung dar (Art. 64 SDÜ). Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Ausschreibung trägt die Behörde, die die Fahndung betreibt.
Eine weitere Prüfung der Zulässigkeit der Ausschreibung findet - im Gegensatz zur Interpol-Ausschreibung - in der Regel nicht statt. Die Prüfung der Auslieferungsfähigkeit erfordert daher besondere Sorgfalt.
Ist eine Entscheidung über die Auslieferungsfähigkeit nicht möglich, ist eine Anfrage an die betreffenden Vertragsstaaten zu richten (Konsultationsverfahren, Art. 95 Abs. 2 SDÜ). In diesem Fall ist der obersten Justizbehörde zu berichten. Dem Bericht ist eine beglaubigte Mehrfertigung des Haftbefehls oder des vollstreckbaren Straferkenntnisses beizufügen. In Eilfällen kann die Anfrage und die Übermittlung der für die Entscheidung über die Auslieferungsfähigkeit erforderlichen Unterlagen unmittelbar über die nationale SIRENE (Abkürzung für: Supplementary Information Request at the National Entry) im Bundeskriminalamt erfolgen. Die oberste Justizbehörde ist gleichzeitig zu unterrichten.
Eine Ausschreibung im SIS ist grundsätzlich nur einheitlich im gesamten Vertragsgebiet möglich. Das Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöriger kann dabei unberücksichtigt bleiben, weil entsprechende Fahndungen in den Heimatstaaten automatisch mit einem Vorbehalt versehen sind. Sollten sonstige Auslieferungshindernisse in einem oder mehreren Staaten bestehen, kann in den übrigen Staaten nicht im SIS, sondern nur durch Interpol gefahndet werden.
3. Das Ersuchen um internationale Fahndung im SIS ist unter Verwendung des Vordrucks KP 21/24 sowie der ergänzenden Begleitpapiere für Informationen gemäß Art. 95 Abs. 2 SDÜ an die für die Dateneingabe zuständige Polizeidienststelle zu richten. Der Vordruck und die Begleitpapiere sind soweit möglich vollständig und ohne Bezugnahme auf Anlagen auszufüllen. Bei der “Sachverhaltsschilderung" ist die Darstellung der Modalitäten der Tatbegehung von besonderer Bedeutung. Eine bloße Bezugnahme auf den Haftbefehl reicht für die "Sachverhaltsschilderung" nicht aus.
Dem Ersuchen ist eine beglaubigte Mehrfertigung des Haftbefehls oder des vollstreckbaren Straferkenntnisses beizufügen.
4. In besonders dringlichen Fällen versieht der Staatsanwalt zum Zwecke der beschleunigten Behandlung durch die ersuchten Vertragsparteien das Formblatt mit einem entsprechenden Hinweis.
Dringende gezielte Fahndungen, die vor Vorliegen der Fahndungsunterlagen geboten sind, können auch in den Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens nur über Interpol veranlasst werden (vgl. hierzu die Hinweise zur Eilfahndung im Abschnitt Interpol-Fahndung).
5. Die Pflicht zur Überprüfung, Änderung und gegebenenfalls Löschung der Ausschreibung (Art. 105, 106 SDÜ) obliegt der ausschreibenden Stelle. Diese hat bei der jährlich erforderlichen Überprüfung, ob die nationale Fahndung zu verlängern ist, auch die SIS-Fahndung auf deren Aktualität zu überprüfen. Besteht nur eine nationale Fahndung, so ist bei deren Überprüfung immer auch zu überlegen, ob zusätzlich eine SIS-Fahndung zu veranlassen ist.
Die ausschreibende Stelle unterrichtet bei Erledigung der Ausschreibung die für die Eingabe zuständige Polizeidienststelle.
III.
Fahndung durch Interpol
1. Das Ersuchen um internationale Fahndung durch Interpol ist unter Verwendung des Vordrucks IKPO Nr. 1 mit einer Mehrfertigung über das Landeskriminalamt an das Bundeskriminalamt zu richten. Der Vordruck ist soweit möglich vollständig und ohne Bezugnahme auf Anlagen auszufüllen. Dem Ersuchen sind beizufügen:
- Fingerabdruckblatt und Lichtbilder des Verfolgten - zweifach -, falls vorhanden und zur Identifizierung erforderlich, und
- eine beglaubigte Mehrfertigung des Haftbefehls oder des vollstreckbaren Straferkenntnisses.
Das Landeskriminalamt ergänzt gegebenenfalls den Vordruck.
2. Wird schon vor Übersendung der Unterlagen gemäß Nummer 1, beispielsweise fernschriftlich, das Bundeskriminalamt unmittelbar um sofortige Einleitung der internationalen Fahndung ersucht, so hat das Ersuchen folgende Angaben zu enthalten:
- möglichst genaue Angaben über den Verfolgten (Geburtstag und -ort, Namen der Eltern, Staatsangehörigkeit, Personenbeschreibung, Ausweis- oder Passdaten),
- die Haftbefehlsdaten mit dem Namen des Richters,
- eine kurze Darstellung der Straftat unter Angabe des Tatorts und der Tatzeit,
- die Erklärung mit dem Namen des die Fahndung veranlassenden Staatsanwalts, dass bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage im Fall der Ermittlung des Verfolgten ein Auslieferungsersuchen angeregt werden wird, sowie
- die Länder, Ländergruppen oder Fahndungszonen, in denen gefahndet werden soll.
3. Die Löschung der Fahndung soll erst nach der Übernahme des Verfolgten durch die deutschen Behörden veranlasst werden.
4. Endet die nationale Fahndung durch Fristablauf, ist dem Bundeskriminalamt gemäß Nr. 6 RiVASt unverzüglich mitzuteilen, dass von dort aus die bestehende internationale Fahndung zu widerrufen ist.
IV.
Fahndung im SIS und durch Interpol
1. Soll in den Schengener Vertragsstaaten und in einem oder mehreren der in den Begleitpapieren zum Vordruck KP 21/24 genannten europäischen Nachbarstaaten gefahndet werden, so ist nur der Vordruck KP 21/24 mit den ergänzenden Begleitpapieren auszufüllen. Bei den Nachbarstaaten kann die Fahndung auf einen oder mehrere Staaten beschränkt werden.
Soll nur in einem oder mehreren dieser europäischen Nachbarstaaten gefahndet werden (ohne SIS-Fahndung), so ist jedoch das Formblatt IKPO Nr. 1 zu verwenden.
2. Soll die Fahndung sowohl im Gebiet der Schengener Vertragsstaaten als auch in weiteren, nicht zu den europäischen Nachbarstaaten zu rechnenden Staaten über Interpol veranlasst werden, so ist sowohl der Vordruck KP 21/24 mit den ergänzenden Begleitpapieren als auch der Vordruck IKPO Nr. 1 auszufüllen.
V.
Festnahme im Rahmen einer Nacheile
Wird der Verfolgte im Rahmen einer Nacheile aufgegriffen, muss der zuständigen ausländischen Behörde innerhalb von sechs Stunden (wobei die Stunden zwischen Mitternacht und neun Uhr nicht mitzählen), ein Ersuchen um vorläufige Festnahme zugehen (Art. 41 Abs. 6 SDÜ).
VI.
Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung
Die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung ist im Bereich des SIS (vgl. Art. 98 SDÜ) durch den Vordruck KP 21/24 und im Rahmen von Interpol durch IKPO Nr. 2 zu veranlassen.
VII.
Die Richtlinien treten am 1. Oktober 1993 in Kraft.