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Abschiebung ausländischer Straftäter nach Teilverbüßung
Abschiebung ausländischer Straftäter nach Teilverbüßung
vom 20. März 1997
(JMBl/97, [Nr. 4], S.38)
geändert durch Allgemeine Verfügung vom 13. September 2006
(JMBl/06, [Nr. 10], S.131)
I. Allgemeines
In Strafverfahren gegen ausländische Verurteilte, deren Auslieferung an eine ausländische Regierung bewilligt oder deren Ausweisung verfügt worden ist, gibt § 456 a StPO die Möglichkeit, von der (weiteren) Strafvollstreckung abzusehen. Die anhaltend starke Belegung der Justizvollzugsanstalten des Landes macht es erforderlich, Maßnahmen nach § 456 a StPO möglichst frühzeitig zu prüfen, um so zu einer Entlastung des Strafvollzuges und zur Vermeidung von Haftkosten beizutragen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Strafvollstreckung gegen Ausländer, die demnächst ausgeliefert oder ausgewiesen werden sollen, unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung und der Sicherung von gefährlichen Straftätern wenig sinnvoll ist. Für die Anwendung des § 456 a StPO spricht zudem die Tatsache, daß Ausländer im Strafvollzug wegen ihrer Herkunft aus anderen Kulturkreisen sowie wegen bestehender Sprachbarrieren an vielen Erziehungs- und Freizeitprogrammen nicht teilnehmen können und von Vollzugslockerungen oftmals ausgeschlossen sind. Bei der Anwendung des § 456 a StPO ist aber darauf zu achten, daß das allgemeine Ziel des Strafrechts nicht in unvertretbarer Weise beeinträchtigt wird und daß der durch § 456 a StPO ermöglichte Verzicht auf den weiteren Strafvollstreckungsanspruch des Staates nicht zu dem Eindruck führt, daß der Staat aus Straftaten ausländischer Staatsbürger und den aus ihnen resultierenden Gerichtsurteilen keine Konsequenzen mehr zieht.
Bezüglich § 456 a StPO ist deshalb wie folgt zu verfahren:
II. Zeitpunkt der Maßnahme
- Hinsichtlich des Zeitpunkts der Maßnahme gilt:
- Zum Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe soll bei Auslieferung oder Ausweisung des Verurteilten von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden, insbesondere
- wenn bei Fortsetzung der Vollstreckung mit der bedingten Entlassung des Verurteilten zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt gemäß § 57Abs. 1StGB zu rechnen wäre,
- wenn der Verurteilung ein weniger gewichtiger Verstoß gegen Strafvorschriften zugrunde liegt.
- Von der Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe kann vor Verbüßung der Hälfte abgesehen werden, wenn neben der Verurteilung eine in dem Verfahren erlittene Freiheitsentziehung, insbesondere aber die Ausweisung selbst, zur Einwirkung auf den Verurteilten und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheinen. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- Erkenntnisse vorliegen, daß der Verurteilte in seinem Heimatland wegen dieser oder anderer Straftaten weitere Strafen zu erwarten hat, deren Dauer dem hier nicht verbüßten Strafrest jedenfalls gleichkommt,
- bei Fortsetzung der Vollstreckung mit der bedingten Entlassung des Verurteilten zum Halbstrafenzeitpunkt gemäß § 57 Abs. 2 StGB zu rechnen wäre oder
- die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war und der Widerruf der Bewährung allein auf der Verletzung von Auflagen und Weisungen oder auf einer neuen Straftat beruht, die nicht zu einer Freiheitsstrafe geführt hat.
- Eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung kommt dann in Betracht, wenn aus besonderen in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung eine nachhaltige Vollstreckung geboten ist. Dies gilt insbesondere
- bei Verurteilungen wegen besonders schwerwiegender Delikte,
- wenn unabhängig vom Gegenstand der Verurteilung Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit des Verurteilten zum Bereich der Organisierten Kriminalität oder der schweren Betäubungsmittelkriminalität bestehen.
- Werden mehrere Strafen unmittelbar hintereinander vollstreckt, ist bei der Berechnung des Halbstrafenzeitpunktes von der insgesamt zu vollstreckenden Strafdauer auszugehen.
- Zum Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe soll bei Auslieferung oder Ausweisung des Verurteilten von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden, insbesondere
- Hinsichtlich Jugendlicher und Heranwachsender gilt:
- Zum Zeitpunkt der Verbüßung eines Drittels der Jugendstrafe soll bei Auslieferung oder Ausweisung des Verurteilten von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden, insbesondere, wenn bei Fortsetzung der Vollstreckung bis zur Verbüßung von zwei Dritteln der Jugendstrafe mit einer bedingten Entlassung des Verurteilten zu rechnen wäre (§ 88JGG).
- Von der Vollstreckung einer Jugendstrafe kann vor Verbüßung eines Drittels abgesehen werden, wenn die in dem Verfahren erlittene Freiheitsentziehung oder die Auslieferung oder Ausweisung zur erzieherischen Einwirkung auf den Verurteilten ausreicht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn
- Erkenntnisse vorliegen, daß der Verurteilte in seinem Heimatland wegen dieser oder anderer Straftaten weitere Strafen zu erwarten hat, deren Dauer den hier nicht verbüßten Strafrest jedenfalls gleichkommt,
- bei Fortsetzung der Vollstreckung mit der bedingten Entlassung des Verurteilten zum Ein-Drittel-Zeitpunkt gemäß § 88 JGG zu rechnen wäre oder
- die Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde und der Widerruf der Bewährung allein auf der Verletzung von Auflagen und Weisungen oder auf einer neuen Straftat beruht, die nicht zu einer Jugendstrafe geführt hat.
- Über den Ein-Drittel-Zeitpunkt hinaus soll dann vollstreckt werden, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Verurteilten und im Hinblick auf dessen Entwicklung eine nachhaltige Vollstreckung geboten ist.
- Von der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe soll im Falle der Auslieferung oder Ausweisung des Verurteilten in der Regel abgesehen werden. Ist neben der Ersatzfreiheitsstrafe noch eine andere Freiheitsstrafe zu vollstrecken, ist diese für die Entscheidung nach § 456 a StPO maßgebend. Scheidet danach ein Absehen von der Strafvollstreckung aus, so ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken.
- Bei lebenslanger Freiheitsstrafe kommt eine Maßnahme nach § 456 a StPO in der Regel nicht vor Verbüßung von zwölf Jahren in Betracht.
III. Verfahren
(1) Von Amts wegen prüft
- die Vollstreckungsbehörde
- bei Einleitung der Vollstreckung,
- zum Halbstrafenzeitpunkt,
- zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt,
- unabhängig von den genannten Zeitpunkten bei Eingang der vollziehbaren Auslieferungs- oder Ausweisungsentscheidung,
- der Vollstreckungsleiter
- bei Einleitung der Vollstreckung,
- zum Ein-Drittel-Zeitpunkt,
- zum Halbstrafenzeitpunkt,
- zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt,
- unabhängig von den genannten Zeitpunkten bei Eingang der vollziehbaren Auslieferungs- oder Ausweisungsentscheidung,
ob eine Maßnahme nach § 456 a StPO zu treffen ist.
Bei Einleitung der Vollstreckung teilt die Vollstreckungsbehörde oder der Vollstreckungsleiter der zuständigen Ausländerbehörde mit, von welchem Zeitpunkt ab eine Maßnahme nach § 456 a StPO in Betracht kommt. Eine Anordnung hat so frühzeitig zu erfolgen, daß sich die sonst von Amts wegen gebotene Prüfung der Frage der bedingten Entlassung (§ 57 StGB, § 88 JGG) erübrigt.
(2) Sind mehrere Strafen nacheinander zu vollstrecken, so setzen sich die zuständigen Vollstreckungsbehörden miteinander in Verbindung und stimmen das weitere Vorgehen ab. Bei der Berechnung des Zeitpunkts, zu dem gemäß § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden soll, ist von der insgesamt zu vollstreckenden Strafe auszugehen.
(3) Bei einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen
- bei Einleitung der Vollstreckung und danach
- jährlich
ob eine Maßnahme nach § 456 a StPO zu treffen ist.
Bei einer untergebrachten Person, die für die Allgemeinheit gefährlich ist, kommt ein Absehen von der Vollstreckung nur dann in Betracht, wenn ausreichende Vorsorge für deren Sicherung oder Behandlung im Ausland getroffen worden ist.
(4) Die Rechtspflegerin oder der Rechtspfleger bereitet die Entscheidung nach § 456 a StPO vor und leitet die Akten dem Staatsanwalt oder der Staatsanwältin rechtzeitig zu.
(5) Wird von der (weiteren) Vollstreckung abgesehen, ergreift die Vollstreckungsbehörde bzw. der Vollstreckungsleiter geeignete vorbereitende Maßnahmen, damit bei einer etwaigen Rückkehr des Verurteilten die Strafvollstreckung unmittelbar fortgesetzt werden kann.
Hierzu kommen in Betracht:
- die Anordnung der Fortsetzung der Vollstreckung für den Fall, daß der Verurteilte in dem Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt. Diese Anordnung soll bereits mit der Entscheidung über das Absehen von der Vollstreckung getroffen werden,
- in der Regel der Erlaß eines Vollstreckungshaftbefehls sowie Ausschreibung zur Festnahme oder Steckbriefnachricht zum Bundeszentralregister,
- schriftliche Belehrung des Verurteilten über die möglichen Rechtsfolgen im Falle seiner Rückkehr (§ 456 a Abs. 2 StPO). Auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde nimmt der Leiter der Justizvollzugsanstalt die Belehrung vor.
(6) Die Vollstreckungsbehörde bzw. der Vollstreckungsleiter teilt der zuständigen Ausländerbehörde das beabsichtigte Absehen von der weiteren Vollstreckung alsbald mit. Die Ausländerbehörde ist zu bitten, die Vollstreckungsbehörde bzw. den Vollstreckungsleiter zu verständigen, falls ihr bekannt wird, daß sich der Verurteilte erneut in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
(7) Mitteilungspflichten nach anderen Vorschriften bleiben unberührt.
IV. Verhältnis zu anderen Verfahren
Die Regelungen
- über das Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO,
- für die Vollstreckungshilfe nach § 71 IRG und
- über die Möglichkeiten der Überstellung verurteilter Personen nach dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. 1991 II S. 1007 - sog. "Transferübereinkommen")
stehen rechtlich nebeneinander. Sind sowohl die Voraussetzungen des § 456 a StPO als auch die eines Vollstreckungshilfeersuchens gegeben, gibt die Vollstreckungsbehörde der jeweils am schnellsten zu verwirklichenden Maßnahme den Vorzug.
V. Zustimmungspflichtigkeit
Die Vollstreckungsbehörde holt die Zustimmung des Ministeriums der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten für eine Maßnahme nach § 456 a StPO ein:
- bei der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe,
- in Fällen von erheblicher politischer Bedeutung,
- wenn die verurteilte Person sich gegen die Abschiebung oder das Absehen der Vollstreckung wendet,
- wenn die verurteilte Person eine Maßnahme nach dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen oder nach § 71 IRG ablehnt und statt dessen um Absehen von der Vollstreckung bittet oder
- wenn es aus sonstigen Gründen geboten erscheint.
VI. Inkrafttreten
Diese Allgemeine Verfügung tritt am 1. April 1997 in Kraft.
Potsdam, den 20. März 1997
Der Minster der Justiz und für Bundes- und Europanangelegenheiten
Dr. Bräutigam