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Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft außerhalb von Justizvollzugsanstalten (Abschiebungshaftvollzugsgesetz - AbschhVG)

Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft außerhalb von Justizvollzugsanstalten (Abschiebungshaftvollzugsgesetz - AbschhVG)
vom 19. März 1996
(GVBl.I/96, [Nr. 08], S.98)

Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1
Abschiebungshafteinrichtung

Die Abschiebungshaft nach § 57 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186), wird in Abschiebungshafteinrichtungen vollzogen. Sie kann, sofern die hierfür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 5 vorliegen, im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen werden. Für den Vollzug von Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten gilt § 185 des Strafvollzugsgesetzes.

§ 2
Grundsätze der Gestaltung des Abschiebungshaftvollzuges

(1) Den in Abschiebungshafteinrichtungen untergebrachten Personen dürfen nur die Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Abschiebungshaft oder die Ordnung in der Abschiebungshafteinrichtung erfordert.

(2) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.

(3) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken.

(4) Die Gewährung von Urlaub oder Ausgang ist unzulässig. Zur Erledigung notwendiger Behördengänge oder privater Angelegenheiten können die Abschiebungshäftlinge ausgeführt werden.

§ 3
Unterbringung

(1) Abschiebungshäftlinge werden grundsätzlich gemeinsam untergebracht. Sie werden bei einer Haftdauer von mehr als sechs Monaten, wenn sie dies wünschen, regelmäßig allein in einem Haftraum untergebracht. Es bleibt bei der gemeinschaftlichen Unterbringung, wenn der Abschiebungshäftling ihr zustimmt, wenn er hilfsbedürftig ist oder sonst eine Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit besteht.

(2) Frauen und Männer sind grundsätzlich in verschiedenen Bereichen der Abschiebungshafteinrichtung unterzubringen.

(3) Sofern gegen mehrere Angehörige derselben Familie zusammen Abschiebungshaft vollzogen wird, soll ihnen auch in der Abschiebungshaft abweichend von Absatz 2 auf Wunsch ein Zusammenleben ermöglicht werden. Im übrigen sollen Wünsche von Abschiebungshäftlingen, die einander nahestehen, nach einer gemeinsamen Unterbringung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens bei Unterbringungsentscheidungen berücksichtigt werden.

(4) Bei der Unterbringung ist auf die religiöse und ethnische Zugehörigkeit zu achten.

§ 4
Aufnahme

(1) Abschiebungshäftlinge sind bei ihrer Aufnahme in einer für sie verständlichen Sprache über ihre Rechte und Pflichten zu unterrichten.

(2) Nach der Aufnahme werden Abschiebungshäftlinge alsbald ärztlich untersucht und dem Leiter der Einrichtung oder seinem Vertreter sowie dem sozialen Dienst vorgestellt.

§ 5
Versorgung

(1) Abschiebungshäftlinge werden angemessen verpflegt. Auf Gewohnheiten, die sich aus ihrer Religionsausübung ergeben, wird Rücksicht genommen.

(2) Abschiebungshäftlinge können von den auf dem Gelände der Abschiebungshafteinrichtung vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel Gebrauch machen.

(3) Abschiebungshäftlinge tragen eigene Kleidung. Bei Bedarf ist ihnen Kleidung zur Verfügung zu stellen. Die Kleidung kann in der Abschiebungshafteinrichtung gereinigt werden.

(4) Abschiebungshäftlingen werden die zur Körperpflege notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt.

§ 6
Soziale Betreuung und ärztliche Versorgung

(1) Abschiebungshäftlinge werden durch Sozialarbeiter betreut.

(2) Abschiebungshäftlinge werden im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, insbesondere des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Bundessozialhilfegesetzes, ärztlich versorgt und behandelt. Ist eine ärztliche Behandlung in der Abschiebungshafteinrichtung nicht möglich, werden Abschiebungshäftlinge in einem geeigneten Krankenhaus oder einer entsprechenden Einrichtung untergebracht.

§ 7
Verkehr mit der Außenwelt

(1) Abschiebungshäftlinge dürfen Besuch von Angehörigen oder sonstigen Personen sowie von Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen empfangen. Aus Gründen der Sicherheit können die Abschiebungshäftlinge nach einem Besuch durchsucht werden.

(2) Abschiebungshäftlinge dürfen grundsätzlich ohne Beschränkungen Briefe, Pakete, andere Post und Geschenke erhalten und auf eigene Kosten versenden.

(3) Aus Gründen der Sicherheit können Sichtkontrollen der eingehenden Post vorgenommen werden. Weitergehende Überwachungen der Post sind bei konkretem Verdacht auf Gefährdung der Sicherheit der Anstalt oder einer Person zulässig. Die Maßnahme ist dem Betroffenen bekanntzugeben. Dabei ist er darauf hinzuweisen, daß er die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vor Gericht überprüfen lassen kann.

(4) Absatz 3 Satz 2 bis 4 gilt nicht für den Schriftwechsel mit Anwälten. Nicht überwacht werden ferner Schreiben an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben, sowie an die Europäische Kommission für Menschenrechte.

(5) Abschiebungshäftlinge können ohne Beschränkung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auf eigene Kosten die vorhandenen Telefone in der Abschiebungshafteinrichtung nutzen.

§ 8
Religiöse Betätigung und Freizeitgestaltung

(1) Abschiebungshäftlingen ist auf ihren Wunsch die Möglichkeit zu verschaffen, mit einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.

(2) Auf dem Gelände und in dem Gebäude der Abschiebungshafteinrichtung vorhandene Freizeitmöglichkeiten können durch die Abschiebungshäftlinge genutzt werden.

(3) Abschiebungshäftlinge können auf eigene Kosten Zeitungen, Zeitschriften und andere Druckerzeugnisse beziehen. Ausgeschlossen sind Druckerzeugnisse, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist oder die die Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung erheblich gefährden.

(4) Abschiebungshäftlinge können im Rahmen der in der Abschiebungshafteinrichtung gegebenen Möglichkeiten am gemeinschaftlichen Hörfunk und Fernsehempfang teilnehmen. In begründeten Fällen können eigene Hörfunk- oder Fernsehgeräte zugelassen werden.

§ 9
Arbeit

(1) Soweit die Sicherheit und Ordnung der Abschiebungshafteinrichtung dies zulassen, soll den Abschiebungshäftlingen Arbeit mit einer entsprechenden Aufwandsentschädigung im Sinne von § 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes gegeben werden.

(2) Abschiebungshäftlinge haben bei der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sauberkeit in ihrem Umfeld und bei der Ausgabe der Verpflegung mitzuwirken.

§ 10
Beschwerderecht

Abschiebungshäftlinge haben das Recht, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an den Leiter der Abschiebungshafteinrichtung oder seinen Vertreter zu wenden. Es sind regelmäßige Sprechstunden einzurichten.

§ 11
Sicherheit und Ordnung

(1) Abschiebungshäftlinge dürfen durch ihr Verhalten das geordnete Zusammenleben in der Abschiebungshafteinrichtung nicht beeinträchtigen. Den Anordnungen des Aufsichtspersonals haben sie Folge zu leisten.

(2) Abschiebungshäftlinge haben sich nach der Tageseinteilung in der Abschiebungshafteinrichtung (insbesondere Freizeit und Ruhezeit) zu richten. Sie können sich auch tagsüber in ihrem Haftraum aufhalten.

(3) Abschiebungshäftlinge können ihre persönlichen Wertgegenstände und Bargeld der Leitung der Einrichtung gegen Bestätigung in Verwahrung geben. Gegenstände, mit denen die Abschiebungshäftlinge sich und andere gefährden oder verletzen oder die zur Vereitelung des Vollzuges oder zur Beschädigung von Sachen führen können, sind durch die Leitung der Hafteinrichtung einzuziehen und zu verwahren.

(4) Abschiebungshäftlinge, ihre Sachen und die Hafträume können zur Wahrung der Sicherheit der in der Einrichtung tätigen Dienstkräfte und der untergebrachten Personen und zur Verhinderung von Selbst- oder Fremdschädigungen durchsucht werden. Die Durchsuchung von männlichen Personen ist durch männliche und die von weiblichen Personen durch weibliche Dienstkräfte unter Beachtung der Menschenwürde in einem geschlossenen Raum durchzuführen.

(5) Abschiebungshäftlinge können in einem besonders gesicherten Raum untergebracht, in eine andere Einrichtung oder im Rahmen der Amtshilfe in eine Justizvollzugsanstalt verlegt oder zeitweise überstellt werden, wenn die Mittel der Abschiebungshafteinrichtung zur Sicherung des Abschiebungshäftlings nicht ausreichen. Eine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt kommt in Frage bei Personen, die in erheblicher Weise gewalttätig in Erscheinung getreten sind oder mit Gewalt (gegen Personen oder Sachen) aus der Abschiebungshafteinrichtung entwichen sind. Bettlägerige Kranke oder akut Suizidgefährdete sind auf ärztliche Anordnung in ein geeignetes Krankenhaus oder eine psychiatrische Klinik zu verlegen. Die Entscheidung trifft jeweils der Leiter der Abschiebungshafteinrichtung oder sein Vertreter. Die Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt im Rahmen der Amtshilfe kann nur mit Zustimmung des Leiters der Justizvollzugsanstalt erfolgen.

(6) Die Bediensteten der Abschiebungshafteinrichtung dürfen unmittelbaren Zwang gegenüber Abschiebungshäftlingen oder anderen Personen anwenden, wenn sie Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen rechtmäßig durchführen und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann. Unter mehreren Möglichkeiten ist die Maßnahme zu wählen, die den einzelnen oder die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht. Die notwendige Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwanges darf nur unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder um eine rechtswidrige Tat zu verhindern und eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden.

(7) Beim Vollzug der Abschiebungshaft in Abschiebungshafteinrichtungen dürfen zur Vereitelung der Flucht oder Wiederergreifung des Abschiebungshäftlings keine Schußwaffen eingesetzt werden.

§ 12
Gewahrsamsordnung

Einzelheiten zu den §§ 2 bis 11 regelt das Ministerium des Innern durch Richtlinie.

§ 13
Einschränkung von Grundrechten

Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes und Artikel 9 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg, der Freiheit der Person nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes und Artikel 9 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg sowie des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes und Artikel 16 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

§ 14
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Potsdam, den 19. März 1996

Der Präsident
des Landtages Brandenburg
Dr. Herbert Knoblich